29.
"Willst du nicht bleiben?"
Hae zuckte zusammen und ließ ihre Schuhe wieder los. Sie hatte ihn nach hause gebracht, was er sicher auch alleine hinbekommen hätte, aber Mister Luven war mal ohnmächtig geworden wegen eines Heuschnupfenanfalls und ihr war bewusst gewesen, dass er sie gehen lassen würde.
Ihre Laune war gehoben worden, dass ihr Plan perfekt aufgegangen war-bis zu dem Moment, als sie Leon in sein Zimmer abgeladen hatte.
Sein Dad war einkaufen, seine Mum arbeiten, Chica lag zusammengerollt auf ihrem Hundekissen im Wohnzimmer und nach einem kurzen Besuch hatte Hae einfach nicht gewusst, was sie überhaupt hier tat.
Das war doch eigentlich Blödsinn, aus Leon würde sie nicht einmal mehr einen Kuss rausquetschen können, viel zu viel pubertärer Stolz oder so, der Leon davon aufhielt, sich wie jeden anderen Jungen küssen zu lassen.
Verdammte Zeit, die sie in ihn reingesteckt hatte. Die Zeit wäre sogar bei einem Collegestudenten besser aufgehoben gewesen.
"Willst du...vielleicht einen Tee trinken?"
Leonard lehnte an der Tür zum Wohnzimmer und musterte sie aufmerksam. Hae verschränkte ihre Arme vor ihrer Brust und versuchte ihre Skepsis und derzeitige Gefühlslage nicht durchklingen zu lassen: "Ich weiß nicht. Mister Luven vermisst mich noch"
Leonard hob eine Augenbraue: "Du wärst wieder zum Botanischen Garten?"
"Ja, ich wäre wieder zum Botanischen Garten", log sie geflissentlich und war vom Kopf gestoßen. Sie hatte gewusst, dass viele Menschen von ihr dachten, sie wäre faul und respektlos was die Schule betraf. In gewissen Maßen war sie es ja auch gewesen, aber in diesem Jahr hatte sie sich Mühe gegeben und das was die anderen sagten, hatte sie ohnehin nie gestört. Nie, bis sie Leon kennen lernte.
"Du wirst ohnehin maximal zehn Minuten haben. Rob und Allison können es sicher auch weiter zu zweit schaffen", tat Leon ab und verlagerte das Gewicht auf das andere Bein.
"Achso, du denkst, ich wäre besser hier aufgehoben?" Hae dachte an ihr zu hause, Mum würde wenigstens noch nicht da sein.
Sie könnte sich für das Collegzeug vorbereiten. Ein paar E-Mails schreiben und versuchen ein ordentliches Motivationsschreiben aufzubringen.
Sie könnte auch für die nächste Klausur üben oder den Fernseher anschalten und sich durch die Sender klicken.
Vielleicht könnte sie sich einen schönen Abend für sich gönnen, ein heißes Bad...
"Nein-ich meine-...du kannst hier bleiben. Wir könnten einen Tee zusammen trinken" Leonard strich sich durch die kurzen, nur noch schulterlangen Haare. Die Geste war attraktiv und so subtil, sodass Haes Mauer bröckelte. Sie könnte tatsächlich ein wenig Zeit mit dem Idioten verbringen und mal schauen, was passiert.
"Dann koch du mal das Wasser auf", meinte sie und hängte ihre Jacke wieder an die Gaderobe. Das wurde langsam zur Gewohnheit. Und ihr gefiel es, Hae liebte Gewohnheiten. Traditionen und Wiederholungen.
Sie beobachtete ihn vom Esstisch aus, wie er Wasser in den Kocher füllte und neben dem Herd stehen blieb.
Es herrschte eine so familiäre Stimmung, sodass Hae es sich fast vorstellen konnte, wie sie eines Tages zusammen in ihrer Wohnung Wasser für einen Tee aufkochen könnten. Er könnte später die Kinder abholen, es waren sicher zwei Jungen. Einer so braunhaarig wie sie und der andere mit den blonden Haaren von Leon. Und dann würden sie in den Garten gehen. Hae konnte es sich wirklich fast vorstellen, als sie die Augen zusammenkniff.
Aber leider auch nur fast.
Leonard wäre sicher ein netter Partner. Ein netter Vater. Ein netter Ehemann...
"Kann ich irgendwie helfen?"
"Beim Wasserkochen?", wollte Leonard nicht ohne eine Spur Ironie wissen und Hae verdrehte ihre Augen, obwohl auf ihren Lippen ein breites Grinsen pragte.
"Nein-ach egal. Wo sind die Teebeutel?" Hae stand auf und trat in die vollgestopfte Küche, wo sie mit Leons Dad bei Tristans Geburtstag geredet hatte. Wann Leon wohl Geburtstag hatte?
"Du willst Tee trinken?", fragte er sie ungläubig, als hätte sie vorgeschlagen mit ihm ins Bett zugehen...wobei, Jungen würden vermutlich nicht ganz so entsetzt reagieren, wie Leon es gerade tat.
Hae lächelte schief über ihre Gedanken, bis ihr der verhängnisvolle Abend bei Shawn einfiel. Aber als sie Leon betrachtete schob sie die Gedanken entschieden bei seite. Nicht heute. Nicht jetzt. Shawn hatte ihr Leben, ihren Ruf zerstören wollen. Und genau das sollte er nicht hinbekommen.
"Naja-du hast es vorgeschlagen. Ein Kaffee würde es auch tun."
"Der Kaffee ist oben, links, höchstes Regalbrett"
Hae kam gerade noch an den Griff von dem Schrank dran und berührte mit ihrer Hand gerade mal das mittlere Regalbrett.
"Soll ich dir helfen? Sonst endet das, wie bei dem Kunstvorbereitungsraum"
Sie konnte sein Lächeln deutlich heraus hören und er wartete erst keine Antwort ab, stattdessen stellte er sich hinter sie und streckte den Arm nach der Kaffeedose aus. Sie standen sich so nah, sodass ihr Rücken an seine Brust stieß und Hae drehte sich schnell um, die Kaffeedose entgegen zu nehmen, aber so standen sie sich gegenüber.
Diese plötzliche Nähe und die Wärme, die Leon ausstrahlte, nahm Hae die Luft zum Atmen. Sie spürte, dass Leon sich auf den Küchentresen abgestützt hatte und seine Arme sie einkesselten, sein Geruch wehte ihr um die Nase und verdrehte ihre Worte in ihrem Mund.
Kein einziger vernünftiger Satz oder Gedanke bildete sich in ihrem Gehirn, sie konnte einfach nur auf sein T-Shirt starren und schlucken.
Ihr war es nicht unangenehm, andere Jungen waren aufdringlicher gewesen, aber diesmal war ihr die Nähe nicht unangenehm.
Nein, sie spürte ihr Herz in den Brust rasen und ihre Zunge fühlte sich wie gepökeltes Schweinefleisch an, aber das einzige was sie in diesem Moment wollte, war ein Kuss.
Er sollte sich zu ihr runterbeugen und verdammt noch einmal küssen. Sonst würde sie es machen und keine Schuld verspüren, er hatte diese Situation provoziert. Er hatte gewollt, dass sie hier blieb bei ihm zu hause...
"Ich habe den Kaffee", flüsterte Leon heiser. Er räusperte sich, trat aber weder einen Schritt zurück, noch sagte er etwas. Und das machte Hae verrückter, als jede schmierige Anmache oder Stichelei. Leon nutzte diese Pausen geschickter, als seine scharfe Zunge.
Hae spürte, Leons Beine, die gegen ihre stießen und sie hob langsam ihren Blick zu ihm auf.
Leonard war ihr schon immer unglaublich groß vorgekommen, oder sie war sich neben ihm unglaublich klein vorgekommen-je nachdem, aber selbst als sie den Kopf in den Nacken gelegt hatte, trennte sie noch ein gewaltiges Stück. Die Wärme, die sich in ihrer Bauchregion ausbreitete und immer weiter in ihre Brust stieg und sie erwärmte, hinterließ eine feine Gänsehaut auf ihren Armen.
Er senkte leicht den Kopf und sie spürte, wie sein Atem über ihr Gesicht strich und Hae biss sich auf die Unterlippe. Beinahe hypnotisiert stardte sie auf seine Lippen, die sich leicht teilten und je näher sein Kopf kam, desto dunkler wurden die milchig blauen Iriden und Hae merkte, wie sie auch ihren Kopf in seine Richtung hob. Millimeter um Millimeter kamen sie sich näher, seine blonden Haare streiften ihre Nase und Hae grinste in sich rein. Seine Augen lagen auf ihr und auch sie konnte einfach nicht den Blick abwenden. Ihre Zungenspitze befeuchtete ihre Oberlippe und ein seltsames Gefühl des ausgeliefertsein breitete sich in ihr aus. Sie wollte ihn nicht nur küssen, sie wollte ihren Kopf an seine Schulter legen und mit ihren Händen über seine warme Haut fahren.
Sie tanzte mit dem Teufel auf dem Vulkankrater. Ein falscher Schritt und sie würde sie sich in die brodelnde Tiefen werfen und das ganz freiwillig. Sie wollte es sogar, sie sehnte sich nach diesem Fehltritt, sodass es in ihrer Brust schmerzte.
Hae schloss die Augen und sie schmeckte schon förmlich Leon...
Ein hohes Pfeifen und das Brodeln des überkochenden Wasserkochers ließ Hae hochfahren und ihre Stirn stieß heftig gegen Leons Nase.
"Scheiße!", entfuhr es ihnen unisono und Leon riss das Kabel aus der Steckdose. Nur leider war der Wasserkocher schon scheinbar eigenstädig geworden und Hae hätte sich beinahe ihr Gesicht verbrüht, als sie versuchte den Kocher anzuheben und in das Spülbecken zu deportieren.
"Ach du Heilige Mutter Gottes...das hätte schlimm ausgehen können", stöhnte Leonard und hielt sich seine verbrühten Finger unter das kalte Wasser. Hae stupste ihn mit ihrer Schulter an: "Heilige Mutter Gottes? Sehr interessanter Ausdruck, Leon"
"Wenn wir...wenn wir das einen Moment zu spät gemerkt hätten, wäre das Ding noch durchgebrannt" Bei seinem Stocken stieg Blut in seine Wangen und Hae schmuzelte. Ach, es war ihm unangenehm über ihren zweiten fast-Kuss zu reden.
"Aber deine Nase sieht noch ganz okay aus" Hae fasste mit ihrem Zeigefinger und Daumen dem Jungen an die Nase und zog kräftig daran.
"Wir haben kein Wasser zu Kaffee kochen mehr", merkte Leon schließlich an, nach einem kleinen Gerangel. Seine Augen funkelten voller Freude und Aufmerksamkeit und Hae grinste, als er sich die Haare hinter seine Ohren strich, die sie durcheinander gebracht hatte. Verdammt, er sah so schön aus.
Und sie hasste sich, weil sie wie Bella und Allison bei Betrachtung ihrer Jungen klang. Heilige Mutter Gottes. War das neuerdings ansteckend?
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