2.

"So iss doch endlich, Hae", bettelte ihre Mutter, als sie sich noch immer weigerte ihre speziellen Blumenkohl-Käsemedaillons zu essen. 

"Ich hasse..."

"Hae Warley!", brauste ihre Mutter auf und sie verdrehte entnervt die Augen. Wann würde ihre hochverehrte Mutter wohl einsehen, dass Hae niemals dieses Kaninchenfutter essen würde? Es ist nicht, dass sie gegen vegetarisches Essen war - doch vielleicht schon. Vielleicht war sie gegen vegetarisches Essen, aber Jugendliche in den besten Jahren...

"Hier sind ganz viele Proteine drin, komm schon Hae!", meinte ihre Mutter, während sie sich nebenbei Locken in ihre dunklen, braunen Haare drehte und eine Bluse bügelte. Mit einem hastigen Blick versicherte die sich, dass Hae ihre Gabel in die Hand genommen hatte.   

Hae seufzte und spießte ein Stück von dem möglichst wenig verkohlten Medaillon auf, um es sich in den Mund zu schieben und sofort runterzuschlucken. Der Geschmack von überfetteten Käse und weichem Blumenkohl machte sich auf ihrer Zunge breit. Zu behaupten, es würde ihr schmecken oder sie würde von den speziellen Proteinein der Tiefkühlfrostnahrung profitieren, war völliger Humbug.

"Besser?", lächelte sie ihre Mutter an, die theatralisch seufzte: "Ich stehe früher auf, um dir warmes, gesundes Essen..."

Das war der Satz, der bei Hae den Hebel umlegte. Den Satz, den sie nach all den Jahren nicht mehr hören konnte.

"Ich weiß, es ist hart als Alleinerziehende das ganze Haushaltsding alleine zu schmeißen, Mum! Ich bin 18, nächstes Jahr zieh ich in eine Studentenbude und esse nie wieder Blumenkohl!", schleuderte Hae zurück. Ihre Mutter verzog den Mund zu einem langen Bleistiftstrich in ihrem jungen, frischen Gesicht. Sie war hübsch, mit den rosigen Wangen und den langen, feinen Wimpern. Und ihre Kollegen von der Arbeit, fanden das auch. Haes Blick wanderte zu der Blumenvase auf dem Esstisch in ihrer vollgestopften Küche. 

Es war eine der hässlichen Sorte. Ihren frühsten Erinnerungen nach, hatte sie schon immer ihren Platz auf dem Tisch gehabt. Schon immer. Und seit Dad vor dreizehn Jahren gegangen war, brachte Mum ständig Blumen mit. Mal einen einfachen Strauß von bescheidenen Schnittblumen und mal einen eher exklusiveren Strauß mit den exotischsten Sorten, wie die Königsprotea, die Nationalblumen Südafrikas.
Diese Woche steckte ein süßer Strauß aus kleinen Blümchen in der Vase. Aber Hae wusste, was es wirklich war. Es war ein Strauß Toter. Man hatte die Blumen abgeschnitten und die Leichen nebeneinander gelegt und zusammen gebunden. Sie hasste es daran denken zu müssen, aber ihr wollte dieses Bild nicht mehr aus dem Kopf gehen. 

"Hae?", fragte ihre Mutter nach einem Augenblick zögernd, "ich muss jetzt wirklich los..."

"Okay" Sie wusste worauf es hienaus ging. Natürlich. Wenn ihre Mutter so an den Themen vorbei druckste, hatte es nur einen einzigen plausiblen Grund. Sie hatte einen neuen Freund, einen aus ihrem Arbeitsumkreis oder der nette Bäcker von frischen 27 Jahren, oder der süße Barista in den goldenen Dreißigern, der ihr einen kostenlosen Kaffee spendiert hatte und etwas von ihr wollte. Und Hae gönnte es ihrer Mutter. Aus vollem Herzen. Irgendjemand musste ja Beziehungen führen können. Selbst wenn die Beziehungen knappe Monate dauerten. 

Seit ihr Arschloch von Vater gegangen war. Sie konnte es manchmal sogar nach vollziehen. Ihre Eltern hatten sie auf der High School bekommen, natürlich war es hart. Ihre Eltern waren dagegen gewesen und sie setzten auf ihre Liebe und zogen auf die andere Seite des Nordamerikanischen Kontinents. Und da waren sie in Redan. 

Nach fünf Jahren hatte er genug und war geflohen vor den wichtigen Themen und Verpflichtungen seines Lebens. Und sie konnte sie noch deutlich an den Abend erinnern, es war der erste Abend gewesen, an dem sie einen Erwachsenen hatte weinen sehen. Ihre Mutter hatte anfangs getobt und geschrien und am Ende nur in tiefen, keuchenden Schluchzern geweint. Es war diese Art von Weinen gewesen, wie nur die Traurigsten weinten. 

Und dann hatte sie beschlossen - sich niemals so behandeln zu lassen von einem Mann. Lass niemals zu, dass er abbricht. Dass er dich hinter ihn liegen lässt. 

"Du kannst wirklich gehen. Ich weiß, dass du arbeiten musst" 

"Danke!" Sie sprang auf und küsste Hae auf den kurzen Bob aus dunkelbraunen Haaren. Sie hatte sich in der neunten Klasse, in ihrer Selbstfindungsphase ihre Haare abrasiert und seit dem trug sie ihre Haare kurz. 

"Bitte", murmelte sie nach einem Augenblick, als sie endlich die Tür zugehen hörte. Dann atmete sie tief aus und schob den Teller mit dem kaum beruhrten Medaillon von sich. Rasch stand sie auf, um aufzuräumen und den Teller mit dem Essen abzudecken und in den Kühlschrank zu stellen. Erst dann holte sie ihr Handy und schaltete es an, um nebenbei abzuräumen und eine Packung mit Cashewkernen aus dem Schrank rauszuholen. Nach einem kurzen Mahl aus Cashewkernen putzte sie ihre Zähne und machte ihre Mobilen Daten an, um möglichst schnell die Nachrichten durch zusehen. Nichts wichtiges - es war die typische Mischung aus obskuren Nachrichten ihrer Freundin Bella Woodrow und ihren Anpreisungen an ihren Freund Rob Wisons. Sie waren das süßeste Paar der Schule - keine Frage. Schon letztens Jahr wurden sie beim Prom zum süßesten Paar der Redanhigh gewählt. 

Hae packte rasch ihr Schulzeug zusammen, um aus der Wohnung zu stürmen. Sie schloss die Haustür ab und ließ die Gedanken über die toten Blumen hinter sich. Naja, sie versuchte es zumindest. 

In der Schule wurde es tatsächlich nicht besser. Rob stand mit einem Strauß roter und weißer Nelken neben Bella, beide turtelten ein wenig herum. Schon vom weiten konnte Hae den verträumten Gesichtsausdruck ihrer Freundin sehen. 
"Für dich", sagte Rob gerade, als Hae zu ihnen dazu stieß. Als er Hae endlich bemerkte, färbten sich seine Ohren in ein helles rosa und er küsste Bella leidenschaftlich um betont cool sich gegen die Spinde fallen zu lassen, damit sie und Hae sich endlich unterhalten konnten. 

"Ist das nicht süß!", quietschte Bella und besah die Nelken mit einem forschen Blick, "in rot stehen sie für Leidenschaft und in weiß für Treue"

"Passt ja zu euch", merkte Hae die gewünschte Schlussfolgerung an. 

"Ja, oder?"

"Nein tut es nicht", murmelte Hae schließlich. Bella bedachte sie mit einem entnervten Gesichtsausdruck: "Hae!"

"Ja gut-es passte wie eine Hand auf das Auge...oder soll ich eher sagen, es passt wie der Mund auf den Knutschfleck?" Hae hob leicht ihre linke Augenbraue um unmissverständlich in Robs Richtung zu schauen, der einen Knutschfleck an seinem Hals präsentierte. Dann hob sie leicht die Haare ihrer Freundin an und Bella wurde dunkelrot. 

"Wir...wir...ich...der Knutschfleck", stammelte sie. 

"Ja?" 

"Wir...haben nicht geschlafen!", rief sie. 

"Aber ihr wart anscheinend kurz davor", schloss Hae aus dem Verhalten. 

Bella verneinte zwar nicht, aber das war auch nicht nötig. Hae spürte es, genauso wie sie es spürte, wenn ihre Mutter von einem solchen Date nach hause kam. 

"Ach Mann", seufzte Bella, "ist es so offensichtlich?"

"Ja", antwortete Hae erbarmungslos, nachdem sie ihre Bücher aus dem Spind geholt hatte. 

"Hae, bitte...!", bettelte Bella theatralisch und bedeckte ihr Gesicht mit den Händen, "ich sterbe!"

"Ich dachte, du hättest früher alles gegeben um mit einem Knutschfleck von ihm rumzulaufen", gab Hae zurück und ihre Freundin schlug einmal gegen ihre Schulter. 

"Lass uns nach oben gehen", meldete sich Robs Stimme hinter ihnen zu Wort und er nahm wie selbstverständlich Bellas Hand um, sie an seine Seite zu ziehen. Also ging es mit dem beliebtesten Paar der Schule zum Klassenzimmer. 

Während Rob und Bella vor sich hin plauderten und die Zweisamkeit genossen, sah sich Hae wachsam um. Sie suchte nach ihrer neuen Zielscheibe. 

Daniel aus dem letzten Jahr - sie gingen sogar zusammen zu Biologie - ging an ihnen vorbei. Der süße Junge mit dem kleinen Leberfleck auf der Wange direkt unter seinem linken Auge, wich ihren Blick gekonnt aus. Sie hatte ihn letztes Jahr ordentlich auseinander genommen und Hae musste anmerken, dass er sogar ziemlich gut küsste, obwohl sie vermutlich erst das dritte Mädchen gewesen war, das der verschüchterte Junge geküsst hatte. Auch Stanley, sein bester Freund aus dem Jahr unter ihnen war nicht schlecht gewesen, aber nicht annähernd so gut, wie Danny. 

Kurz darauf sahen sie Heath, zwei Jahrgängen unter ihnen mit seiner zurzeitigen Freundin. Er war ein ziemlicher Casanova für sein Alter und die Zungenküsse...sie schmeckten wie ein süßes Dessert mit einem Sahnetopping. So hatte es sich jedenfalls angefühlt den Jüngeren zu vernaschen. 

Es gab aber auch Jungen, die sich nicht auf Haes Spiel einließen, sondern sogar versuchten sie zu besitzen, zum Beispiel der Lj, ein Volltrottel aus ihrem Jahrgang, hatte ihr versucht an die Brust zu grabschen und seine Eier konnten ein Lied davon singen. 

"Wir sehen uns nach Physik. Ich warte hier an der Tür", verkündete Rob und makierte gleich noch einmal Bella, wie als wäre es nötig gewesen, den Jungs aus dem Physikgrundkurs klar zu machen, wer hier das Mädchen abgestaubt hatte. Hae hob nur kurz die Hand, um sich von ihrer Freundin zu verabschieden und sich Rob anzuschließen, damit sie zu dem Biologieleistungskurs gingen. 

Und dann entdeckte sie einen unauffälligen Jungen unter den anderen, die sie zu sechzig Prozent schon geküsst hatte. Und dieser besagte Junge drehte sich zu ihr in den Augenblick um und ihre Blick begegneten sich.

Das würde interessant werden. 

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