18.
Leon ließ sich neben seiner kleinen Schwester auf der Couch nieder und versuchte sich auf die Werbung zu konzentrieren, die auf dem Bildschirm des Flachbildfernsehers flackerte. Svenja wartete einen Moment ab, aber schon bei der nächsten Werbepause kam die erste Frage: "Was macht sie jetzt?"
Er kratzte sich verlegen am Nacken: "Schlafen, nehme ich mal an"
Ihm war es mehr als unangenehm, dass Svenni überhaupt mitbekommen hatte, dass er Hae mitgebracht hatte. In diesem Zustand. Nachdem sie auf einer Party war und eine Nacht mit Shawn verbracht hatte. Leon verzog seinen Mund und vergrub kurz sein Gesicht in den Händen. Je mehr er darüber nachdachte, desto lebhafter wurden auch die verdammten Bilder in seinem Kopf.
"Du hast sie sehr gerne, nicht?", fragte seine kleine Schwester in der nächsten Werbepause. Leon wandte nicht den Blick von dem Bildschirm ab, wo gerade Babywindeln angepriesen wurden.
"Ja. Wir sind gute Freunde" Hoffte er zumindest.
"Nicht so...du weißt schon oder muss ich es sagen, du bist in sie verknallt"
Sie zog das letzte Wort in die Länge und ließ es sich wie ein Karamellbonbon auf ihrer Zunge zergehen. Er hätte sich am liebsten über ihr kindisches Verhalten aufgeregt, aber er wüsste nicht, was er danach antworten sollte. Also hielt er die Klappe.
"Komm schon, Leon!", drängte sie ihn und piekte ihn in die Seite.
"Ach was", tat er ab, aber Svenja war noch nicht mit ihm fertig: "Ach was mich nicht!"
"Ich...", begann Leon, aber Svenja lehnte sich zu ihm vor: "Du stehst doch so was von auf Hae oder? Also das ist dein Typ Mädchen? Ich dachte, immer du suchst dir so ein sportliches..."
Leonard hielt seiner Schwester einfach den Mund zu. Er wollte und konnte einfach kein Wort mehr hören. Er hatte sich weitaus größeren Problemen abzufinden, zum Beispiel, Shawns Wette.
Svenja wandte sich sichtlich genervt und beleidigt aus seinem Griff: "Mach das nie wieder, sonst erfahren Mum und Dad allerlei..."
"Petze", murmelte er aus seinem Mundwinkel und zog die Augenbrauen zusammen. Er war ein hoffnungsloser Fall, wie konnte es sein, dass er verloren hatte? Und warum hatte er jetzt auch noch solch eine Angst vor dem nächsten Basketballtraining. Ihm sollte die Meinung eines lächerlichen Idioten doch sonst wo vorbei gehen. Das wäre wohl der Idealfall und leider war es Leon nun einmal nicht egal, was andere über ihn sagten.
"Du bist ein Idiot. Hae mag dich sicher auch"
"Sie hatte Sex mit einem Anderen. Gestern bei einer Party"
Svenja hatte den Fernseher blitzschnell ausgeschaltet und sah ihn aus zusammengekniffenen Augen an: "Was? Ich dachte..."
"Ja, Hae hat wohl ihren Ruf verloren"
Er vergrub sein Gesicht in seinen Händen und daran war er mitschuld. Weil er Shawn heraus fordern musste und weil...er ein Idiot war.
Es war offensichtlich, niemand, wirklich niemand hatte zuvor Shawn seine Meinung gepaukt ohne unrasiert davon zu kommen. Leon konnte sich schon das widerliche Grinsen auf dem Gesicht seines Erzfeindes vorstellen.
"Ihren Ruf. Und ihre Jungfräulichkeit in einer Nacht. Kein Wunder, dass sie so aussieht, wie als hätte sie ein Tornado erwischt" Svenja schnalzte laut mit der Zunge und in ihrem Blick war eine Spur Mitgefühl, die jedoch nicht Hae galt, sondern ihm.
Sie drückte kurz seine Schultern und lächelte aufmunternd: "Komm schon, Leon. Du hast dir ja nicht alle Karten vermasselt..."
"Das ist es ja nicht!", zischte er aufgebracht und warf seine Hände mit einer wilden Bewegung in die Luft, "ich habe...Mann, ist egal"
Svenja musterte ihn lange, er liebte seine Schwester, sie war ihm wichtig, aber, er würde ihr nun einmal nicht alles erzählen, sonst würde sie ihn ausweiden. Svenja war schon immer, die in der Familie gewesen, die kein Blatt vor dem Mund nahm und insbesondere nicht vor ihren älteren Brüdern.
Sie beugte sich schließlich mit einem Seufzen zu ihm vor und legte kurz eine Hand auf seine Schulter, um ihn in dem nächsten Moment ordentlich durchzuschütteln.
"Was sollte das denn werden?", fauchte er sie an, sie lächelte milde: "Ich musste nur meinen ungesagten Wörtern Nachdruck verleihen."
Und sie war schon immer, die in der Familie gewesen, die immer dazu tendierte handgreiflich zu werden. Leon zog seine Beine an, als Sven sich wieder dem Fernseher zu wandte. Verdammte Mädchen.
---
Hae wachte auf und wusste nicht wo sie war. Zum zweiten mal an diesem verdammten Tag. Sie stöhnte in das Kopfkissen, bis sie realisierte, dass sie bei Leonard war. Und in seinem Bett eingeschlafen war, etwas orientierungslos drehte sie ihren Kopf und sah sich in dem Zimmer um. Von ihm keine Spur.
Warum war sie überhaupt auf diesen blöden Spielplatz gewankt?
Sie strich sich die Haare aus der Stirn und setzte sich halb auf. Ihr war so etwas von übel, normalerweise trank sie ja auch nicht so viel, wie gestern Abend. Es hatte ihr das Gehirn förmlich weggepustet...warum saß Leon nicht wie in all den süßen Filmen und Büchern neben dem Bett...Hae stöhnte noch einmal, das dumpfe Pochen in ihrem Schädel gepaart mit dem hellen Licht, der Sonne, die sie blendete, machten die ganze Situation auch nicht besser.
"Wow", merkte Shawn an, "du hast ja dich heute ganz schön hübsch gemacht."
Er grinste sein dämliches Grinsen und in diesem Licht...wirkte er sogar attraktiv. Mehr als attraktiv. Seine dunklen Haare leuchteten wie Öl in der Pfütze in allen möglichen Farben, seine braunen Augen hatten einen warmen Schimmer und er sah so viel lockerer und entspannter aus, als in der Schule.
"Schleimer", antwortete sie mit einem kleinen Lächeln und er zog die Mundwinkel in die Höhe: "Bei anderen Mädchen klappt die Masche immer"
Nebenbei legte er ihr bestimmt eine Hand auf die Taille und Hae roch die leichten Aftershavedunst von Shawn.
"Bin wohl keines der anderen Mädchen?"
Hae leckte sich unwillkürlich über die Unterlippe...es konnte schließlich nicht schaden. Sie war hier um Spaß zu haben, da konnte sie nicht, wie ein Mauerblümchen neben den Anderen stehen.
Shawn grinste ihr zu: "Habe ich nie gewagt zu behaupten, Warley"
"Die Musik ist toll"
Er zog sie sanft an der Hüfte heran näher in das Getümmel der zuckenden und sich bewegenden Leiber. Sie streifte Menschen, die sie nie zuvor gesehen hatte, aber nach und nach verfiel sie in den ekstatischen Rhythmus des Beats, der den Boden vibrieren ließ.
Eigentlich war sie ja kein Fan von Partys...
Shawn lächelte ihr zu und gab ihr mit dem Kopf einen kurzen Wink: "Willst du was trinken?"
Hae stöhnte leise, als die Erinnerungen ungefragt in ihrem Gedächtnis wieder auflebten und wollte sich wieder in das Bett fallen lassen, aber dann fiel ihr ein, was danach passiert war und ein bitterer Nachgeschmack schlich sich auf ihre Zunge.
"Möchtest du einen Drink?", fragte Shawn sie galant. Hae nickte und zwirbelte eine ihrer Haarsträhnen, der Abend war wunderschön. Mehr als wunderschön...sie näherte sich Shaen von hinten und schlang einen Arm um seinen Bauch um ihren schweren Kopf auf seinem Rücken abzulegen. Es war beruhigend und irgendwie auch schön jemanden zum Anlehnen zu haben.
Sie spürte das Lachen in seinem Körper vibrieren und ihr Mund bog sich fast automatisch zu einem Grinsen.
"Aha...du machst dich über mich lustig", schmollte sie. Die Worte kamen etwas undeutlich über die Lippen, sodass sie verschämt die Hand vor ihren Mund hielt. War sie etwa betrunken?
Shawn drehte sich langsam zu ihr um und streckte eine Hand aus, um ihr vorsichtig die Haare aus dem Gesicht zu streichen. Das war der Moment gewesen, als die Welt plötzlich still stand. Es gab nichts außer diese plötzliche intime Berührung und seine sanften Augen. Ihr Blick wanderte zu seinem Mund. Seine Lippen hatten einen sinnlichen Schwung und sie flehten beinahe von ihr geküsst zu werden.
Niemand hatte sie je so angesehen, als wäre sie das Einzige im Raum, dass seine Aufmerksamkeit beanspruchte. Und das Gefühl ließ sie schwindeln.
"Du siehst wirklich hübsch aus"
Hae stieß ihn leicht vor die Brust: "Hör auf zu schleimen..."
Er fing ihre Hand ein und beugte sich zu ihr vor, dann küsste er sie. Und Hae ließ es geschehen.
"Scheiße", murmelte sie und raufte sich die Haare. Es durfte...sie hatte mit Shaen geschlafen. Und es gab nichts an der Tatsache zu rütteln oder zu ändern. Sie griff nach dem Wasserglas auf dem Nachttisch und betrachtete die einsame Aspirintablette auf dem Holz.
Leonard.
Leonard hatte sie von diesem Spielplatz zu ihm nach hause gebracht. Ihr wurde heiß, als ihr ihre Unterhaltung einfiel. Mehr Blödsinn konnte man an einem Tag auch nicht bauen.
Hatten sie verhütet...Hae kniff die Augen zusammen, obwohl ihr nach Weinen zu Mute war. Das wäre ja die Höhe, wenn sie von dem Idioten schwanger geworden wäre. Ja. Ja. Sie erinnerte sich. Ein wenig erleichtert war sie schon, aber nur ein wenig. Sie konnte sich die abfälligen Blicke in der Schule vorstellen, das Getuschel auf dem Gang...
"Schluss jetzt", wies sie sich zurecht. Sie sollte Leon danken und Montag war ja erst übermorgen. Sie hatte einen Tag, einen Tag an dem sich die Neuigkeiten rasend schnell, wie Buschfeuer in der trockenen Savanne ausbreiten würde. Hae Warley hat in ihre Jungfräulichkeit und ihren Ruf verloren.
Sie schüttelte sich und stellte schnell das leere Wasserglas ab, als das Zittern ihrer Hände zunahm.
Vorsichtig machte sie einige Schritte auf die Tür zu und drückte nach einem Moment die Türklinke nach unten. Sie wäre gerne noch etwas länger in seinem Zimmer geblieben, hätte gerne sich die Fotos an den Wänden angesehen und sich ein wenig umgeschaut, aber es fühlte sich falsch an bei Leon rumzuschnüffeln, wo er ihr doch genug geholfen hatte.
Mit vorsichtigen Schritten stakste sie die Treppe hinuter und trat in das Wohnzimmer, wo sie sofort Leon und seine Geschwister und seine Eltern ausmachte. Percy fehlte, was sie für einen kurzen Moment bedauerte. Von Leons Geschwistern war ihr sein großer Bruder der Liebste. Aber auch Percy hätte in diesem Augenblick vermutlich nicht viel geholfen.
Sie blieb für eine Sekunde auf der Schwelle stehen, am liebsten hätte sie das beschauliche Bild eingefangen, die lockere entspannte Stimmung der Cox-Reids, aber Tris hatte sich zu ihr umgedreht und als er seinem Bruder anstippte, wurde es ruhig. Leonard drehte sich zu ihr um und das mit einem kleinen Lächeln auf seinem Gesicht. Und Hae wusste in diesem Augenblick, dass sie es hasste.
Sein Lächeln, dieses verdammte Grinsen und das Flattern in ihrem Magen. Sie erinnerte sich, dass sie so etwas gar nicht fühlen durfte, wenn sie nicht so wie ihre Mutter enden wollte. Aber sie konnte es nicht, sie konnte dieses Grinsen in ihrem Gesicht nicht wegwischen, also wusste sie was zu tun war.
Sie würde hier nicht ihr Herz verlieren oder so eine typische Scheiße, nein, Hae Warley würde die Kontrolle bewahren. Diesmal. Und dann für immer. Einen Fehler konnte sie nicht rückgängig machen, aber sie konnte die nächste Entscheidung richtig treffen. Sie musste es.
Hae mochte vielleicht ihren Ruf und ihre Jungfräulichkeit an Shawn verloren haben, aber Leonard war noch lange nicht abhakt.
***
"Drückt auf das Sternchen und ihr dürft mich auch mal 'ach was'n!" - Svenja, Leons absolute Lieblingsschwester
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top