17.
Sie lachte leise über die Unsicherheit in ihrer Stimme, während Leon die Hitze in seinem Gesicht spürte. Warum sagte sie so etwas? Ausgerechnet jetzt!
"Du machst dich über mich lustig"
Hae wurde schlagartig ernst, sie stand so rasch auf, dass sie beinahe das Gleichgewicht verloren hätte und er rasch nach ihren Schultern griff.
Sie war um ihre Nase blass geworden und ihre Augen funkelten: "Ich habe das ernst gemeint. Du siehst schön aus. Siehst du oft, wenn du so lächelst"
Sie verzog das Gesicht, wie als versuche sie, ihm etwas zu zeigen, aber es gelang ihr nicht. Stattdessen schien sie einen anderen Entschluss gefasst zu haben, sie lehnte sich vor und legte ihren Kopf auf seiner Brust ab. Leons Herz hämmerte laut und sie lächelte schief, sodass sich ihre Nase kräuselte, wie bei einem kleinen Kind.
"Du bist schön", wisperte sie erneut. Er biss sich schmerzhaft auf die Unterlippe. Sie hätte so etwas nicht sagen sollen, sie waren Freunde. Nicht mehr und nicht weniger und er hatte eine Wette am Laufen...und das alles hier klang, wie eine schnulzige Teenieverarschung. Wetten. Mädchen...was war aus dem früheren Leonard geworden?
"Komm schon, Hae!" Er schüttelte sie sanft, obwohl sie sich erschreckend kalt anfühlte. Hae nieste leise und er warf ihr einen kurzen Blick zu: "Ich bring dich hier weg. Du kannst doch noch laufen, oder?"
Chica trottete neben ihnen her, mit hocherhobenen Kopf, als wäre sie stolz auf ihren Fund. Hae dagegen schien wieder in einer anderen Welt zu schweben, ihre Schritte waren vorsichtig und mehrmals wäre sie beinahe einfach umgefallen, aber Leonard hatte einen Arm um ihre Taille geschlungen und ihren linken Arm über seine Schultern gelegt. Es hinkte zwar ein wenig, da ihr Größenunterschied sich bemerkbar machte, denn Leon musste sich vorbeugen, damit Hae aufrecht auf ihm gestützt laufen konnte und nach wenigen Abbiegungen stellten sich Rückenschmerzen ein. Schweiß perlte von seiner Stirn, Hae zitterte und die Stille, die nun auf ihnen lastete, war ihm unangenehm.
Gerne hätte Leon erfahren, was passiert ist. Schließlich hatte er in diesem Scheißregen ihr geholfen - er hatte quasi ein Recht darauf zu wissen, was passiert war. Außerdem bekam er keinen ordentlichen Satz zu stande. Alles klang viel zu aufdringlich oder unhöflich in seinen Ohren. Aber er wusste es besser, er hatte keinen Mut. Er wollte Hae nicht noch mehr belasten, als sie wahrscheinlich war.
Und er war mehr als erleichtert, als endlich sein zu hause in Sicht kam. Wenigstens war Chica glücklich nach diesem Gassi gehen. Leon lehnte Hae kurz gegen die Tür und schloss sie auf, aber jemand riss sie von innen auf und Hae stolperte gefährlich. Leon zog sie zurück und ihre Schulter knallte gegen sein Brustbein, dann erst hatte er Augen für die Person im Türrahmen. Svenni musterte sie kurz, ihre Braue verschwand beinahe in ihren Haaransatz, aber Leonard war mit den Nerven am Ende und wies sie rüde beiseite.
"Mach Platz"
"Du hast Chica rausgebracht" Es war eine Feststellung, aber es schwang eine Frage mit: Wo zum Teufel hast du Hae aufgesammelt und warum sah sie so aus, wie als hätte sie den ganzen Abend in dem Regen gestanden?
"Sind Mum und Dad da?", wollte er von Svenni wissen, die sofort mit einem Handtuch Chica abzurubbeln begann. Ihr Vater würde einen Anfall kriegen, wenn er sehen würde, wie das Wasser aus Chicas Fell auf den Parkettboden tropfte.
"Nee. Die sind gerade erst losgefahren. Ich glaube, einkaufen" Sie warf einen kurzen Blick auf Hae und er bedeutete ihr einfach die Klappe zu halten.
Er quälte sich die erste Treppe hoch, aber Hae packte schnell das Gelände und das Gewicht verschwand von seinen Schultern. Leon konnte sich ein leises Stöhnen nicht verkneifen, als er sich wieder zur vollen Größe aufrichtete und seine Wirbelsäule durchstreckte, die laut wie ein Maschinengewehr knackte.
"Kommst du alleine..."
"Dein Zimmer. Ich find es schon" Ihre Stimme war leise und sie nahm die Treppen langsam in den Angriff. Er blieb dicht hinter ihr, aus Angst, sie könnte die ganzen Stufen wieder runter stürzen.
Sie fand tatsächlich sein Zimmer wieder und blieb etwas unschlüssig neben dem Bett stehen, wo ihr Fastkuss stattgefunden hatte. Die Erinnerungen an den Tag kribbelten in seinem Bauch und er sah auch ihr an, dass sie daran dachte.
"Ich hol ein Handtuch", erbot er sich schnell und wartete erst recht keine Antwort ab. Svenja stand auf der Treppe und hielt ihm stumm einen Stapel Kleidung hin: "Für Hae. Sie sieht aus, wie als wäre sie..."
"Danke" Er lächelte sie kurz an, dankbar und erleichtert, dass sie nicht nachbohrte, aber er wusste, die Fragen waren nur verschoben, nicht aufgehoben.
"Hae...Sven hat..."
Das Mädchen drehte sich langsam vom Fenster weg und wandte sich an ihn. Ein merkwürdiger Gesichtsausdruck machte sich bei ihr breit, er wusste nicht genau, ob es Gleichgültigkeit oder einfach nur die Abwesenheit war, die ihm Angst machte.
"Du musst dich auch umziehen", merkte sie schließlich an. Er strich sich eine der nassen Strähnen aus dem Gesicht und sah verlegen an sich hinab: "Oh, ja...ich nehm mein Zeug nur noch mit"
Sie starrt ihn nur weiterhin an und er spürte ihren Blick in seinem Rücken, als er rasch seinen Schrank aufriss, sich bemühte das unaufgeräumte Innere zu überdecken und ihm wären vor Aufregung mehrmals seine Hosen aus der Hand gefallen. Als Leon rasch aus seinem Zimmer schlüpfte, stand Hae noch immer an Ort und Stelle, als wäre nicht gewesen.
Svenja beobachtete Leonard wortlos, als er hastig sich aus seiner nassen Kleidung schälte und in die trockenen Sachen schlüpfte.
"Du wirst mir viel zu erklären haben."
"Wenn ich raus bekommen habe, was mit Hae los ist..." Er wollte wieder in sein Zimmer stürzen, aber Svenja hielt ihn auf: "Sie ist dir ganz schön wichtig."
Leon antwortete nicht, sondern drückte die Klinke runter, Hae zog sich langsam die weiten Jogginghosen hoch, aber er hatte einen Blick auf ihre Oberschenkel...und ihre Unterwäsche erhascht. Und das Blut schoss wieder in sein Gesicht, während er sich wie der größte Spanner auf Erden fühlte, als Hae sich langsam zu ihm umdrehte. Sie hatte ihre nasse Kleidung über seinen Stuhl gehängt und sank langsam auf sein Bett.
Svenjas Kleidung war ihr eng, es ließ die runde Gestalt von Hae noch weicher und üppiger erscheinen. Und sie hatte ihren BH ausgezogen.
"Möchtest du...reden?"
Sie biss sich kurz auf die Unterlippe, dann zuckte sie kurz mit den Schultern: "Warum nicht"
"Was hast du draußen gemacht?", platzte es aus ihm heraus.
Hae sah ihm in die Augen: "Taktlos wie immer"
"Ich verdiene das zu wissen. Schließlich habe ich dir geholfen..."
Sie klopfte mit der flachen Hand auf das Bett: "Setz dich. Bitte."
Leon ließ sich vorsichtig auf die Bettkante nieder und zog seine nackten Füße an, die sich wie Tiefgekühltes anfühlten.
"Ist dir warm genug?"
"Jaja. Danke. Ist dir warm genug?"
"Geht schon"
Sie lehnte sich an die Wand und legte ihren Kopf in den Nacken um zur Zimmerdecke aufzustarren: "Nicht dass du noch krank wirst, solange wie du da im Regen standest"
"Du hättest dir eine Lungenentzündung holen können", antwortete er stattdessen.
Sie lächelte kurz, obwohl es kein Lächeln war.
"Ich saß nicht lange dort, ich bin nämlich am morgen..."
Hae stockte und ihre Hände ballten sich zu Fäusten. Unbehaglich rutschte sie auf den Bett hin und her: "Ich bin am morgen aufgewacht und dann raus. War ganz in der Nähe der Spielplatz..."
"Du wohnst doch..."
"Ich war bei der Party", unterbrach sie ihn, "ich bin am Abend-ich bin-eingeschlafen-nach..."
Sie brach in Schluchzern aus und Leonard konnte anfangs nur zu sehen. Er hatte kaum Mädchen weinen sehen und erst recht kein Mädchen in seinem Zimmer in der Kleidung seiner kleinen Schwester.
"Hae...komm schon, soll ich was holen? Wasser?" Leonard ließ seine Hand über ihre Schulter schweben, er war sich unsicher, ob Körperberührung in diesem Moment angemessen war. Insbesondere jetzt, wo sie sicher nicht in einem Halbkuss enden wollten.
Sie wischte sich mit den Handrücken die Tränen aus den Augen und verwischte das Make-up erneut.
"Ich sehe Scheiße aus" Hae seufzte leise. "Was...Shawn und ich hatten Sex."
Es fühlte sich nun so an, als hätte sich eine kalte Hand um seine Gedärme gelegt und zugefasst. Shawn hatte die Wette gewonnen.
Irgendwie hatte Leon immer geglaubt, er würde es sein, der Shawn eins auswischte. Ihm zeigte, dass man nicht mit allen Menschen so rumspringen konnte...und hier waren sie.
Leon legte vorsichtig seine Hand auf ihren Kopf und Hae schmiegte sich sanft in seine gebogene Handfläche, dann nach einer Weile Stille, murmelte sie: "Diese verdammten Kopfschmerzen. Ich schwöre dir Leonard Cox-Reid. Da war etwas in meinem Drink."
Und trotz dieser aufgesetzten Fröhlichkeit hätte er sie am liebsten geschüttelt. Er hatte dieses Spiel mitgespielt. Es hätte auch genau andersherum ausgehen können, er hätte Hae ins Bett locken können und sie würde vermutlich genauso weinend da sitzen, nur nicht bei ihm. Er hätte mit ihr gespielt, genauso wie es Shawn getan hatte. Genauso.
Der reinste Horror packte ihn und er zog seine Hand zurück, als hätte er sich verbrannt: "Brauchst du etwas? Ich hol rasch was gegen die Kopfschmerzen..."
Mit dieser Entschuldigung stand er wieder im Gang, er hörte den Fernseher unter laufen. Na wenigstens konnte Svenja ihn nicht wieder ihren verurteilenden Blick zu werfen. Er stürzte ins Bad, als wäre der Teufel persönlich hinter ihm her und klammerte sich an das Waschbecken. Sein eigenes Gesicht sah ihm entgegen, genauso ratlos, wie er sich fühlte.
Was...sollte er es Hae sagen? Er wusste nicht einmal, ob er sich es trauen würde.
Leon kramte in dem Arzeneikasten neben dem Spiegel rum und hob die einzelnen Packungen an, um sich überflüssig lange die Informationen durchzulesen. Genau genommen starrte er die Verpackungen an und fragte sich langsam, was er eigentlich hier machte.
Das war doch Blödsinn, Hae musste davon erfahren, es ging sie schließlich zu recht an und...und er hatte ein furchtbar schlechtes Gewissen.
Seine Hände zitterten und er kam sich lächerlich vor, wieso benahm er sich, als ob Hae ihm danach den Kopf abreißen würde-er hielt inne und seufzte, weil er wusste, sie würde ihm den Kopf abreißen, wenn sie die Wahrheit erfuhr. Und das war unerträglich, zu wissen, dass ihre Freundschaft wegen dieser Wette in Stücke zerbrach. Außerdem war Leonard eigentlich nicht bestrebt, seinen Kopf oder Hae als Freundin zu verlieren. Soweit das zwischen ihnen noch Freundschaft war.
Er drehte die Packung mit dem Kopfschmerztabletten in den Händen und biss sich in die Wange. Er würde es ihr jetzt sagen, er musste es.
Durch die Entscheidung, die schwer in seinem Magen lag, kam ihm der Weg in sein Zimmer dreifach so lang vor und er blieb unschlüssig vor der Tür stehen, wohlwissend, dass er das Unvermeintliche eigentlich nur um Sekunden hinauszögerte.
"Scheiß drauf"
Er atmete tief ein und drückte die Türklinke runter. Was soll's...
***
"Sagt mir auch, dass ich schön bin und ich nehme euch mit zu mir nach hause!", verspricht Leonard Cox-Reid, der ziemlich viele Pickel hat.
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