15.

"Also gut. Sie haben den Raum 32a demoliert", las der Schulleiter von dem Blatt ab, dass vor ihm lag.

Hae öffnete rasch den Mund, wurde aber von dem kurzen Winken des Mannes unterbrochen.

"Aber Sir..." Er sah die verwarnend an und legte seine Stirn in Falten. Hae verkniff sich ein Kommentar und ließ sich stattdessen gegen ihre Stuhllehne sinken. Dennoch wich die Anspannung aus ihrem Körper nicht. Wäre dieser verdammte Leonard Cox-Reid nicht dagewesen und hätte sie völlig aus der Fassung gebracht, hätte sie sicher auch nicht die ganzen Farbtuben runtergerissen.
Dieser saß in seinem Stuhl, hatte die langen Beine ausgestreckt und überschlagen und er hatte während der zwei Stunden, die sie hatten warten müssen, kein Wort gesagt. Kein einziges. Nur Löcher in die Luft gestarrt, aus dem Fenster geguckt, sie gelangweilt, würde sie sogar sagen.

Wie konnte man nur sorgenlos mit einem Gespräch mit dem Schulleiter umgehen? Sie schürzte verächtlich die Lippen und presste ihre Hände auf ihre Oberschenkel bis die Knöcheln weiß hervor traten. Sie könnten von den Schule geschmissen werden! Oder einen unmöglichen Betrag an Schadenssummen...

"Also was haben Sie sich dabei gedacht..."

"Ich war es."

"Was?", rutschte es Hae heraus, sie fuhr zu Leonard herum, "erzähl keine Scheiße, Cox-Reid!"

"Von vorne. Was ist passiert?" Ihr Schulleiter sah nun begeistert aus. Nicht.

"Ich bin auf das Regal gestiegen und habe aus Versehen diese verdammten Tuben mit runtergerissen", antwortete Hae schnell. Leonard verzog neben ihr seinen Mund und wollte etwas ansetzen, aber sie trat ihm heftig gegen das Bein. Am Ende würde sie ihm noch etwas schuldig sein. Was sie sowieso war. Wegen ihr-beziehungsweise wegen ihm selbst, da er sie abgelenkt hatte-musste er nun Strafstunden absitzen. Wie lächerlich war das denn? Und dann versuchte er sie noch zu decken. Dachte er etwa, dann würde sie ihm um den Hals fallen und ihn einfach küssen? Dann würde Leon dümmer sein, als sie ihn gehalten hatte.

"Leon hat nichts gemacht..."

"Und die Schreie?"

"Schreie?", wiederholte Hae pikiert. Was für verdammte Schreie.

"Wir haben uns gestritten", antwortete Leon mechanisch. Er hatte den Blick stur auf den Schulleiter gerichtet, aber sein Mundwinkel zuckte verdächtig, was Hae beinahe zum Platzen gebracht hatte. Wie konnte er nur lachen? In so einem...

"Über Farbe nehme ich mal an", meinte der Mann, dann seufzte er schließlich und legte das Blatt beiseite, "Bei toxischen Beziehungen kann es wirklich schwer sein sich in der Schuke zu zügeln, ich verstehe Sie vollkommen, ich war schließlich auch mal jung. Aber..."

"Wir sind nicht zusammen", unterbrach Hae den Schulleiter, "er war nicht Schuld"

"Aber bei solchen Problemen sollte man sich einfach ruhig zusammen setzen, sonst endet das in ein Desaster" Der Mann ließ es sich einfach nicht nehmen seinen bescheuerten Vortrag über Beziehungen zu halten. Obwohl sie und Leon nicht einmal zusammen waren. Leon neben ihr war anscheinend nicht mehr ganz so cool, seine Ohren waren rot angelaufen, er betrachtete seine Schuhe und Hae atmete kontrolliert aus.

"Aber...ihr seid sicher alt genug, oder? Letztes Jahr, nicht? Die Stadt hat sich gedacht, dass wie bei einem bedeutenden Projekt helfen könnten"

Er kramte Prospekte heraus. "Ihr werdet dort mal vorbei sehen, diese Woche Samstag. Das wird sicher mal andere Art Strafarbeiten zu verrichten"

Und wo er recht hatte, hatte er recht. Es war eine andere Art nachzusitzen. Hae stützte ihre Ellebogen auf den Tisch auf, auf den schon unzählige Kinder und Jugendliche sich verewigt hatten, dann wandte sie sich dem Jungen zu, der auf der anderen Seite des Tischs saß.

"...ich meine, ja, die anderen Jungs haben auch erzählt, wie lang ihr..." Er hielt inne und errötete auf niedlichster Art und Weise. "Ja ihr Ding ist und ich..."

"Du hast nachgemessen und bekommst einen Komplex", beendete Hae den Satz. Leonard hatte eine Hand auf seine Stirn gelegt und sein Gesicht war nicht zu erkennen, jetzt wo man doch Hilfe von einem Jungen brauchen würde.

Sie waren zu einem Samstag Strafarbeit in einer Kinderberatungs-und Anlaufstelle verdonnert worden. Ältere für Jüngeren, um ein Vertrauens-und Sicherheitsgefühl oder so etwas zu entwickeln. Sie sah die ganze Zeit zu der Uhr, die über der Tür hing, noch drei Stunden, dann war Bellas Termin beim Frauenarzt...ihre Freundin war in helligster Aufregung gewesen, aber Allison hatte sich bereit erklärt mitgehen, was die Rothaarige besänftigt hatte.

Der Junge, der sich als Keith vorgestellt hatte, nickte und sank in seinem Stuhl zu einem kleinen Häufchen Elend zusammen. Sieben oder acht.

"Leon!", zischte sie ihm genervt zu und ihr Kurskamerade tauchte hinter seiner Hand auf: "Ja...gut, wie lang ist denn...das Ding von den anderen Jungs"

Keith errötete tiefer und ähnelte nun einer überreifen Tomate: "Zwanzig"

Das war der Moment, in dem Hae und Leon beinahe in Lachen ausgebrochen wären. Sie retuschierte es schnell mit einem trockenen Husten: "Keith. Ich will nicht gemein sein, aber vielleicht lügen die Jungs ja auch"

"Genau", bekräftigte Leon nach einem dezenten Hustenanfall. Keith zog skeptisch die Augenbrauen zusammen: "Wirklich?"

"Es ist äußerst unwahrscheinlich, dass ein Siebenjähriger..."

"Achtjähriger", korrigierte Keith Leonard schnell.

"Achtjähriger so ein großes...es ist vermutlich eine Lüge"

Hae sah zu, wie Keith vom Stuhl rutschte und ihnen ganz professionell die Hand reichte zum Abschied: "Danke."

Dann schlug die Tür zu und es herrschte für einen Augenblick Stille. Leon wagte nicht Hae anzusehen, er fürchtete sie würde mit einer eiskalten Ignoranz wegsehen. Vermutlich würde sie es sogar tun. Nach dem ganzen Fiasko mit den Farbtuben und diesem Gespräch über das Küssen, war sie angespannt und war ihm in der Woche deutlich aus dem Weg gegangen und hatte seine Warnung in den Wind geschlagen, stattdessen hatte sie die ganze Zeit um Shawn scharwenzelt, wohlwissend, dass er zu sah. Vermutlich dachte sie, dass würde ihn provozieren. Und sie tat es, wirklich. Er hatte sich beim Training zusammen reißen müssen, nicht einfach aus der Hall zu stürmen. Wichtige Spiele standen bevor, er musstr sich konzentrieren. Sie mussten zusammen halten.

"Ich geh mal schauen, ob jemand kommt" Hae stand auf und wollte die Tür öffnen, aber Leon brachte krächzend ihren Namen hervor: "Hae!"

"Was?" Sie stand mit dem Rücken zu ihm und wartete darauf, dass er irgendetwas sinnvolles sagte. Er presste seine Zähne aufeinander: "Nichts"

Was hätte er auch sagen sollen? Hätte er überhaupt etwas sagen sollen? Er wünschte sich den Feierabend herbei, damit er möglichst schnell wieder zuhause an seinem Telefon hängen und Percy volljammern konnte. Vielleicht hatte ja Dad Pfannkuchen gemacht.

Hae schloss die Tür wieder hinter sich und zuckte nur mit den Schultern: "Niemand der akut ein Gespräch braucht"

Sie strich sich eine Strähne des dunklen Haares hinter ihr Ohr und bleib neben dem Fenster stehen um auf die Straße runter zu blicken. Er ließ seinen Blick über ihren Körper wandern, dann wieder zu ihrem Gesicht. Warum provozierte es ihn so, dass sie mit Shawn rumturtelte?

Er machte das alles wegen einer Wette. Was er ja auch tat...
Und bei all den anderen hirnlosen Zuckerschnepfen war es ihm schließlich auch egal gewesen. Tja, nur blöd, dass Hae keine der hirnlosen Zuckerschnepfen war und er sich gewünscht hatte, sie würde...sie würde sich von ihm küssen lassen. Da war es, der verdammte gordische Knoten in seiner Brust, weswegen er kein Wort rausbekam.

"Heute ist eine Party bei Shawn"

Ihre Stimme unterbrach seinen Gedankengang und er schreckte zusammen. Sprach sie mit ihm? Vermutlich, sie waren alleine.
Er würde am liebsten seinen Kopf gegen die Tischplatte hauen, aber es reichte doch eigentlich, dass Hae ihn für einen...was wusste er hielt. Leonard musste es nicht darauf abzielen in der Irrenanstalt wegen ihr zu landen.

"Aha"

Er musterte die Namen, die auf den Tisch gekrizelt und in ihn geritzt worden waren. Die Zerstörungswut der Jugend war unglaublich und Leon hätte den Tisch auch am liebsten in Stücke geschlagen, warum saß er überhaupt hier fest?

Hae drehte sich leicht zu Leon um: "Willst du mitkommen?"

Er hustete trocken, als er sich an seiner eigenen Spucke verschluckte. Er musste sich verhört haben, natürlich hatte er von der Party gehört. Wer denn auch nicht in ihrem Jahrgang, wenn es nicht bald dir ganze Stadt wusste.

"Fragst du mich, ob ich als deine Begleitung gehen will?" Leon sah nicht von dem Tisch auf, als er die Frage in den Raum stellte.

"Ja"

"Ich...kann nicht" Er hatte leider Rob versprochen seinen Flügelmann zu spielen, wenn er heute abend Bella ausführte. Und so wie Rob ihn angefleht hatte...würde er seinen besten Freund sitzen lassen, dann würde der den Verstand verlieren.

Leonard rieb sich mit der linken Hand den Nacken. Sollte er, sollte er nicht? Er fühlte sich so, wie sich Adam hatte fühlen müssen, als Eva ihm den Apfel anbot. Er wollte so gerne...

Verdammt.

"Ich kann nicht", wiederholte er leise. Aber er wusste, Hae hatte es gehört. Sie ließ ihre Schultern kurz herabsinken, dann drehte sie sich wieder um und verschränkte die Arme vor ihret Brust: "Oh. Ist okay."

Er hatte ein furchtbar schlechtes Gefühl, wie sie sich wieder neben ihn setzte und ihn keines Blickes würdigte.

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