13.
"Ich fasse es einfach nicht! Er lässt sich immer noch nicht küssen! Was erwartet dieser Vollpfosten eigentlich...", schimpfte Hae im Monolog. Ihre Mum war schon weg, sie war froh darüber, da musste sie wenigstens keine merkwürdigen Fragen beantworten wegen gestern. Sie suchte die wichtigsten Sachen zusammen, warf noch einen neuen Block hinter her, heute am Tag der entscheidenden, ersten Prüfung in Mathe würde sie sich nicht von einem dämlichen Jungen ablenken. Einem dämlichen...und doch wurde sie gerade von einem Jungen abgelenkt. Von einem dämlichen Jungen, der es gar nicht wert wahr, dass sie eine Sekunde ihrer kostbaren Zeit an ihn verschwendete. Hae musterte kritisch ihre Stichpunktzettel, aber nachdem sie denselben Satz zum fünften Mal gelesen hatte und noch immer in ihrem Gehirn nichts ankam, legte sie ihn mit einem Seufzen bei seite. Einen Kaffee.
Sie brauchte einfach einen Kaffee. Während die kalkverkrustete Kaffeemaschine mit einem Sterbensröcheln Kaffee in ihre Tasse pisste, legte sie ihren Kopf kurz in ihre Hände. Dann wanderte ihr Blick zu der Uhr, realisierte, dass der schreckliche Tag angebrochen war und sie losmusste.
Hae seufzte schwer, stürzte den Kaffee runter, verbrannte sich die Lippen und die Zungenspitze, aber was soll's...sie war heute sowieso nicht in Stimmung einen Jungen mit Zunge zu küssen. Ein einfacher Kuss würde sicher schon reichen, so wie sich Leonard aufgeführt hatte, war er ihr mehr oder weniger verfallen. Ihn mal ordentlich wie gestern zu triezen, dieser Gedanke erheiterte sie kurz, bis sie bemerkte, dass sie schon wieder an ihn dachte. Schon wieder.
"Komplette Scheiße", murmelte sie, als sie einen Schal um ihren Hals schlang. Es war viel zu kalt geworden, viel zu regnerisch und das was ihr gerade noch fehlte war ein Schnupfen.
Bella und Rob drückten ihr rasch die Daumen als sie sich in der Schule trafen. Rob konnte sogar ein annäherndes Halblächeln ermutigen, während Bella sie in eine kurze Umarmung zog: "Ich muss unbedingt in der Pause mit dir reden"
Was das bedeuten sollte war ihr etwas schleierhaft - aber als sie vor dem Zimmer unter den anderen Schülern gemischt wartete, entdeckte sie ein Mädchen, dass sie bis jetzt noch nie gesehen hatte. Die Tatsache, dass das Mädchen ihr auffiel, war vermutlich der Tatsache geschuldet, dass sie mit Leonard redete.
Hae nahm sie eilig genauer in den Augenschein, das Mädchen war klein- ziemlich klein, unterdurchschnittlich klein, noch kleiner als Hae und das mochte was heißen, außerdem hatte sie etwa hüftlange braunes Haare, die in sanften Wellen über ihre zierlichen Schultern fielen. Ihr Gesicht hatte etwas puppenhaftes, die Nase war viel zu klein und stupsig und sie trug Kleidung, deren Farben perfekt, und das wirklich perfekt aufeinander abgestimmt waren. Ihre Hosen saßen so, wie sie bei den Models sitzen sollten, ihr weicher Wollpullover in dem hellen rose umspielte ihren Körper, alles schmeichelte ihr. Scheinbar auch das blöde Licht der Lampen, die den Gang in gespenstisches Licht tauchten. Und da war ihre Laune wieder im Keller.
Und dann begegnete sie Leonards Blick, er hatte seine Lippen zu einem amüsierten Lächeln verzogen und er sah so verdammt unerreichbar attraktiv aus, wenn er dieses freches Grinsen trug, dass Hae das Blut in ihre Ohren schoss.
Hastig wandte sie sich ihren Notizen zu, wohlwissend, dass Leon gemerkt hatte, dass sie ihn gesehen hatte. Ihn und dieses Mädchen...wer war sie?
Ihre Haut prickelte, als sie das Klassenzimmer betrat. Die Prüfung. Sie musste an Mathe denken. An die Prüfung. Sie war wichtig, so wichtig und doch ging ihr Leonard einfach nicht aus den Kopf.
"Kann ich ein Blatt haben?", wollte plötzlich eine Stimme wissen. Hae sah von der Tischplatte auf, die sie seit sie sich hingesetzt hatte, hartnäckig angestarrt hatte. Sie hob zögerlich ihre Blick, es war das Mädchen.
"Hier"
Was hätte sie auch machen sollen? Schlafwandlerisch riss sie ein kariertes Blatt ab und reichte es dem Mädchen, dass sich zu ihr umgedreht hatte. Obwohl Hae ihren Blick fest auf sie gerichtet hatte, wusste sie, dass Leon rechts von dem Mädchen saß. Und Hae demnach schräg hinter ihm.
"Danke. Viel Glück! Ich bin ja so aufgeregt!"
"Warum das?"
Die Braunhaarige lächelte breit und zupfte an ihrer Frisur: "Bin erst vor zwei Monaten hergezogen. Hast du noch nicht gemerkt?"
"Mich interessieren Mitschüler...den reinsten Dre...
Und wieder spürte sie Leonards Blick auf ihr, was sie zum Verstummen brachte. Sie stieß die Luft aus und verzog leicht den Mund: "Du bist mir einfach noch nicht aufgefallen, Hae Warley"
"Allison Brodwenn. Schön dich kennen zu lernen"
Und dann begann schon die Prüfung. Die ersten drei Stunden waren der reinste Spießrutenlauf, ihr Gehirn streikte und bevor sie noch einen vollständigen Blackout befürchtete, begab sie sich auf Toilette. Natürlich wurde als erst einmal alles penibel abgeklopft und überprüft, dann durfte sie endlich in den kühlen Gang treten und verschanzte sich auf Toilette. Die Gedanken von vorhin kamen zurück, aber Hae musste diese verdammte Klasur schaffen, also stand sie auf, obwohl sie am liebsten einfach aus dem Fenster geklettert und nach hause gegangen wäre.
Aber sie war hier. Sie hatte sich vorbereitet, so weit man es konnte, wenn Leonard einem ständig durch den Geist ging, aber sie hatte sich aufgerafft und war alles durchgegangen. Sie musste diese verdammte Klausur schaffen. Hae konnte sich vorstellen, wie enttäuscht ihre Mutter sein würde, wenn sie durchfallen würde.
Und sie musste sich und diesem Idioten von Leon etwas beweisen. Er mochte vielleicht glauben, dass sie eine hohle Nuss war, das stimmte nicht. Sie würde besser sein. Sie würde seinen anerkennenden Blick genießen...sie würde...
Als sie aus der Toilette kam, fiel ihr ein etwas auf, mit jedem Schritt in Richtung des Klausurraums, schrumpfte ihre Angst. Sie schmolz dahin, tropfte auf das Parkett des Bodens, floß zwischen die Ritzen der Dielen und Hae wusste, heute war ihr Tag.
Naja, bis sie wieder vor den Aufgaben saß. Als sie nach den vier Stunden abgeben mussten, brummte ihr der Kopf, sie blickte kaum mehr durch, aber hatte das Gefühl, dass es besser sein würde, als gedacht.
Jetzt aber mit Abgabe der Klausur, wurde sie von einer Leichtigkeit beflügelt, während die Emotionen in ihren Bauch sich verknoteten und zu einem wilden Knäuel von Gefühlen wurden.
Scheiß Leonard Cox-Reid.
Wieso war er so eine verdammt hartnäckige Nuss?
"Was hast du als nächstes?" Schon wieder Allison. Sie wartete taktvoll neben ihrem Tisch, als wären sie nun beste Freunde. Hae würde gerne noch wütender auf das Mädchen sein, aber konnte es einfach nicht. Müde musste sie sich eingestehen, sie war nicht das Problem.
"Kunst", anwortete Hae und stopfte den Rest ihres Blockes in ihren Rucksack. Neidisch betrachtete sie die Tasche von Alice, die eindeutig teurer war, als sie vermutlich aussah. Ihre Mum könnte sich nie so etwas leisten. Geschweige denn, dass es bei Hae nicht ansatzweise so lässig und modisch wirken würde, wie bei Allison.
Wenigstens sah sie in Kunst Bella wieder. Na etwas gutes.
Hae wusste ganz genau, dass auch Leonard als nächstes Kunst hatte. Davon war er fest überzeugt und dass sie ihn heute ignoriert hatte, machte es eigentlich nicht besser. Er verkniff sich eine Begrüßung und musste sofort an ihren gestrigen Fast-Kuss denken und wie er aus Versehen ihren Busen...
Leonard strich sich energisch die Haare hinter seine Ohren und schulterte seinen Rucksack. Mit gehörigen Abstand lief er hinter den beiden Mädchen her und versuchte nicht Hae allzu offensichtlich einen Loch in ihren Rücken zu starren. Ob sie auch die ganze Zeit über...Quatsch. Es war schließlich die kissproof-Hae. Vermutlich führte er sich einfach nur...idiotisch auf. Ein besseres Wort fiel ihm nicht ein, denn er wurde am Ellebogen geschnappt und herum gewirbelt: Rob.
"Komm mit. Auf der Stelle!" Und er sah nicht so aus, als würde man heute besonders gut Kirschen essen können. Er hatte seine braunen Augenbrauen finster zusammen gezogen und schleifte Leon über den Schulhof in Richtung der Kifferecke.
Von hier aus konnte man ziemlich gut in den Kunsttrakt ihrer High School schauen und Leon reckte eilig den Hals, aber Rob versperrte ihm die Sicht.
"Was ist?"
Sein bester Freund runzelte kurz die Stirn, dann strich er sich die glatten braunen Haare aus der Stirn, die heute unordentlich von seinem Kopf abstanden, als hätte Rob sich schon mehrmals die Haare gerauft. So gestresst hatte er das letzte mal ausgesehen, als er Bella zum Ball gefragt hatte. Und wenn es etwas unausstehliches gab, war es eindeutig einen nervösen Rob.
"Bellabenimmtsichkomisch"
"Gut. Noch einmal von vorne. Was ist um Himmels Willen passiert?"
"Bella ist passiert!", motzte Rob wie ein kleines Kind. Er knurrte förmlich und warf eilig einen Blick über seine Schulter in das Fenster, wie um sich zu versichern, dass seine Freundin nicht mit zuhörte, "Bella benimmt sich komisch. Sie weicht mir aus. Antwortet mir nicht mehr sofort..."
"Na wenigstens antwortet sie dir noch" Leonard musterte Rob kurz. Es klang beinahe so, als wäre Rob paranoid und würde denken...
"Vielleicht mag sie ja einen Anderen!", platzte es aus Rob heraus, "ich tu doch alles mögliche. Ich habe vergetarisch gegessen...und es schmeckt überraschenderweise, dann warte ich auf sie vor ihrem Zimmer..."
"Du machst dich unnötig verrückt. Warum redest du nicht einfach mit Bella"
"Als wäre das so einfach"
Leonard konnte sich ein kleines Lächeln nicht verkneifen: "Bella liebt dich. Ich bezweifle, dass es einen anderen gibt"
Rob war nicht überzeugt. Er seufzte leise und verkniff sich eine schnippisches Antwort, dann raufte er sich erneut die Haare: "Was ist wenn..."
"Hast du Scheiße gebaut?"
"Nein, das nicht. Vielleicht fand sie mich nicht gut genug...du weißt schon beim Sex"
Leonard verschluckte sich an der eigenen Spucke und pustend brach er in Lachen aus. Rob klopfte ihm mehrmals so hart zwischen die Schulterblätter, sodass er langsam daran zweifelte, dass Rob ihm helfen wollte. Es fühlte sich mehr so an, als würde seine Wirbelsäule brechen.
"Hast du dich beruhigt?" Rob klang genervt und wie am Ende seiner Nerven.
"Was? Das denkst du?"
"Na was denn...du hast ja noch gut Reden, hast es nie..."
"Stopp, geht schon. Ich verstehe schon, was du meinst, aber Bella liebt dich. Ohne wenn und aber" Leonard packte den Kleineren an der Schultern und schüttelte ihn leicht. Wenn es ein Paar gab, wo er gedacht hatte, es würde nie eine Krise geben, dann waren es Bella und Rob gewesen und er hatte genug Beziehungen auseinanderbrechen gesehen, um das beurteilen zu können. Wenn Hae und er sich außerhalb solcher behinderter Wetten und HighSchoolregeln kennen gelernt hätten...hätte es bei ihnen auch so werden können?
"Ich dachte, du wolltest sie irgendwann heiraten", fügte Leon hinzu und erntete einen weiteren Schlag auf die Schulter. Rob sah sich rasch um zu sich zu vergewissern, dass niemand zugehört hatte: "Halt die Fresse, Cox-Reid, wenn du nicht darauf erpicht bist, dass du in Basketball nächstes mal Bekanntschaft mit dem Ball machst"
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