12.

"Kann ich mithochkommen?"

Leonard drehte sich zu Hae um, die am Fuße der Treppe umsah, die Anderen waren in den Garten gegangen, er hatte nur irgendetwas holen wollen, aber das hatte er gerade vollkommen vergessen. Er griff nach dem Gelände der Treppe, als ihm der Augenblick von vorhin einfiel und sein Gesicht fühlte sich mehr als überhitzt an. Aber Hae sah ihn aus ihren Augen an und wartete geduldig seine Antwort ab.

"Komm" Er wandte sich nicht noch einmal zu ihr um, sondern stieg rasch die Treppen hoch, immer drei Stufen aufeinmal nehmend. Am ersten Stock vorbei in den zweiten Stock und dort drückte er rasch seine Zimmertür auf.

Hae trat in das Dachzimmer und sah sich in dem hellblaugestrichenen Zimmer um. Ein kleines Regal schmiegte sich an die Wand, an der anderen Seite stand das Bett unter der Dachschräge und das Fenster war angekippt, sodass sie die freudigen Stimmen von unten hörte. Der Wandschrank stand halb offen und Leon verpasste der Tür mit dem Fuß einen leichten Schubs. Mit einem leisen Seufzen schloss sie sich.
Sie strich mit ihren Fingern über die Bettkante und ließ sich auf dem Fuß des Bettes nieder, um ihre Blick weiter durch das Zimmer wandern zu lassen. Sie war schon immer neugierig gewesen, wie es wohl in dem Zimmer eines Jungen sein würde.

"Ich weiß, es ist nicht das ordentlichste Zimmer..." Er wies hilflos auf die überquellende Regale, auf dem Tisch stapelten sich die Hefter, Notizen und Bücher. Eigentlich sollte sie in diesem Augenblick lernen, sonst würde sie durch die Prüfungen rasseln...aber sie war hier. Und das sicher nicht um einfach sich wieder friendzonen zu lassen. Vermutlich würde das nicht nur ihr Ego irreperabel schädigen, sondern auch diese Verbindung zwischen ihnen.

"Ich find es schön hier." Und es war ehrlich gemeint. Zuhause war es enger, in ihr Zimmer schien nie die Sonne rein, die Häuser standen viel zu eng. Aber jetzt gerade fielen Sonnenstrahlen in das schräge Fenster und der feuerrote Himmel ließ Leonards Haare, wie flüssiges Gold wirken. Seine Augen funkelten milchig blau, beobachteten sie und sie sah, wie sein vorsichtiges Lächeln zu einem ausgwachsenen Grinsen wurden.

Er ist wirklich schön, schoss Hae augenblicklich durch den Kopf, als Leon fragend den Kopf schief legte und sie realisierte, wie intensiv sie ihn angestarrt hatte.

"Wirklich?" Er freute sich, dass hörte sie deutlich aus seiner Stimme raus, obwohl er sich betont cool gab und umdrehte, um hastig in dem Regal zu wühlen. Sie beobachtete Leonard, wie er nach wenigen Minuten innehielt und sich einem anderen Stapel zuwandte.

"Ich dachte, du wolltest irgendeinen Ball holen", sagte sie nach einer Weile. Leon tauchte mit geröteten Wangen unter seinem Schreibtisch auf und lächelte kurz: "Stimmt ja"

Fahrig strich er sich die blonden Strähnen hinter seine Ohren: "Stimmt ja"

Er trat auf das Bett zu und seine Beine streiften Haes, er streckte sich und sein T-Shirt streifte ihr Gesicht. Sein subtiler, gepflegter Geruch umhüllte sie und Hae musste an die euphorischen Schilderungen von Bella denken, als sie einmal von Robs achso einzigartigen Geruch erzählt hatte.
Leonard roch nicht sonderlich einzigartig, einfach nur, wie jemand der rechtzeitig die Wäsche wechselte und einfach sich ordentlich wusch...Hae wusste ja nicht, warum die meisten Jungen, wie eine Horde Wildschweine roch.

Aber sie sagte nichts, ließ ihn gewähren, hörte wie er anscheinend etwas auf dem Fensterbrett umstieß, leise fluchte und beinahe das Gleichgewicht verlor. Reflexartig hatte sie ihre Hände ausgetreckt, um ihren Kopf zu schützen und spürte den weichen Stoff seines Oberteils unter ihren Fingern. Darunter pochte sein Herz schnell und unregelmäßig.

Leonard stand für einen Moment über Hae gebeugt, er spürte ihre Finger auf seiner Brust durch das T-Shirt durch und ein Schaudern rann durch seinen Körper. Sie atmete flach und hektisch, schien es aber gar nicht zu merken, er stützte sich an dem Fensterrahmen ab und sah auf sie hinab, konnte aber zu seinem Leidwesen nicht ihr Gesicht sehen. Seines müsste brennend rot sein, da war er sich sicher.

"Wird das nicht langsam unbequem?", wollte Hae wissen und hob langsam den Kopf zum ihn. Sein blondes Haar fiel wie ein weicher Vorhang um sie, sodass es für einen Augenblick nichts gab, außer Hae und ihn. Das Licht der untergehenden Sonne schickte noch ein Funkeln in die Augen von Hae und seim Blick wanderte zu ihren Lippen, sie leckte mit ihrer Zunge zaghaft über die Unterlippe und er wurde in die Wirklichkeit zurück katapultiert. Er würde die Scheißwette verlieren. Na und? Niemand war da, um es zu sehen. Niemand, niemand, niemand. Nur sie.

Aber wenn sie ihn erst einmal geküsst hatte, dann...dann würde sie kein Interesse mehr an ihm haben. Vielleicht sollte er einfach...er spürte wie ihr Blick über sein Gesicht glitt. Sie ließ ihn ein wenig bei seinen Augen verweilen, wanderten zu seinem Mund und wieder leckte sie sich über ihre Unterlippe...niemand. Niemand würde davon erfahren. Er spürte ihre Knie, wie sie gegen seine drückten, als er sich ein wenig vorbeugte und ihre Gesichter kamen sich näher...

Dann hörte er ein Geräusch, dass ihn, aber auch Hae zusammenschrecken ließ.

Er riss die Tür seines Zimmers auf und erwischte seine gesamte Familie plus Bella und Rob auf der Treppe stehend.

"Wir haben uns gefragt, wo ihr bleibt", merkte sein Dad an.

Leonards Gesicht brannte, wie die untergehende Sonne.

"Sie ist hübsch", meinte seine Mum mehr oder weniger an ihn gerichtet, als sich die Gäste verabschiedet hatten. Leonard warf noch einen letzten Blick aus dem Fenster, Haes roter Mantel verschwand allmächlich im Dunkeln. Er war müde, hatte Muskelkater von dem ganzen albernen Rumgerenne und Spielen. Tristan hatte ihn fünfzig Liegestützte machen lassen - ein gefühlt unmögliches Unterfangen, mit Haes Blick wurde es auch nicht besser und dann war noch dieser verdammter Fastkuss, vor der versammelten Familie, die ihn jetzt erwartungsvoll musterten.

"Also...über Hae musst du nicht lügen, Mum", meinte Tristan nur trocken, "sie ist okay...aber Leon und Shawn..."

Leonard kickte seinen kleinen Bruder und dem Geburtstagskind eilig gegen das Schienbein. Es fehlte nur noch, dass er sich verplapperte und seine Eltern die gesamte Geschichte erfuhren.

"Wo soll die Luftmatratze hin?", fragte schnell sein Vater. Wenigstens jemand der ihm die Peinlichkeiten ersparen wollte.

"Ich würde gerne bei Leon schlafen", meldete Percy sich zu Wort, "wenn du es in Ordnung findest, Tris"

"Du schnarchst lauter als ein Panda"

"Tristan!", wies Svenja ihren großen Bruder tadelnd zurecht, "Percy schnarcht..."

"Ab ins Bett, Svenni. Es ist viel zu spät für dich", unterbrach ihre Mutter sie und scheuchte die Jüngeren in das Bad, Leonard half seinem Dad die Luftmatratze in seinem Zimmer auszurollen und aufzupusten.

"Weißt du Leon...deine Mum und ich haben uns auch früh kennen gelernt. In der High School. Und ich weiß, Jungs in deinem und Percys Alter haben auch ganz andere Pläne und wenn es überstürzt geht...kann es ganz schnell gehen, dass die Hosen runter sind...bitte vergiss nicht..."

"Dad!" Ihm blieb auch nichts an Peinlichkeiten heute erspart. Er sah in das Gesicht seines Vaters, der ihn aufmerksam musterte: "Haben wir uns Verstanden, Leon?"

"Ja", antwortete er gedehnt und er fühlte sich mehr als unkomfortabel, als sein Vater ihn in die Arme schloss. Er meinte es schließlich gut. Trotzdem konnte er die Röte nicht aus seinem Gesicht vertreiben, als er sich die Zähne putzte. Tristan und Svenni waren schon in ihren Zimmern, aber Percy musterte Leon aus dem Spiegel heraus: "Hat Dad mit dir über Verhütung..."

"Ja", hastig unterbrach er seinen großen Bruder. Er brauchte nicht noch weitere peinliche Tipps. Nicht heute.
Percy lachte leise: "Schon gut. Wir reden darüber wenn du irgendwann mal Fragen hast"

"In Biologie haben wir genug darüber gelernt", antwortete er verdrossen. Niemand verstand ihn so gut, wie sein großer Bruder. Dieser Gedanke kreiste noch immer in seinem Kopf, als sie in ihren Betten lagen. Er blinzelte in das Sternenlicht, dass durch das Dachfenster fiel und fragte sich, ob auch Hae noch wach lag und über den Tag nachdachte.

"Percy!", flüsterte er, um die anderen nicht aufzuwecken.

"Ja"

"Hae und ich..."

"Haben euch fast geküsst"

"Was mache ich jetzt?"

"Was willst du denn machen?" Percy klang ernsthaft amüsiert, als wäre die Antwort offensichtlich. Vermutlich war sie es, wenn man drei Jahre älter war und eine feste Freundin seit drei Jahren hatte, die er vermutlich in ein oder zwei Jahren heiraten würde.

"Ich weiß..." Seine Stimme gab auf. Was wollte er schon? Sein altes langweiliges Leben zurück? Nein. Niemals.

"War das bei dir auch mal so..."

Er wusste nicht, wie er seinen Satz zu Ende bringen sollte, wie war denn Haes und seine Beziehung. Chaotisch? Wundervoll? Ein verdammtes Geschenk oder ein Segen? Vermutlich von allem ein wenig etwas. Er hätte nie sein Leben so aufregend erlebt, wie er es in den letzten Wochen getan hatte, wäre da nicht Hae Warley gewesen.

"Kompliziert?", fragte Pery schließlich. Leon blinzelte in das bleiche Sternenlicht und strich sich die blonden Haare aus dem Gesicht: "Ja"

"Natürlich. Es ist doch bei jedem so mit Beziehungen", wehrte Percy ruhig ab, "das muss man ein paar mal gemacht haben, um zu wissen, ob das alles richtig ist."

"Aha" Irgendwie klang die Antwort sehr schwammig und allgemein. Und leider war dort nichts neues dabei, was ihm in dieser Situation helfen könnte. Was hätte er machen sollen? Sie küssen? Hätte sie es denn zugelassen? Hae Warley ließ sich nicht küssen. Hätte sie ihn dann kurz davor geschlagen oder hätte sie ihn einfach geküsst und dann stehen lassen, weil sie gewonnen hatte?

"Hör...", begann Percy leise, aber Leon fiel ihm rasch ins Wort: "Sag ja nicht, dass ich auf mein Herz hören soll! Dort gibt es nichts zu hören!"

Percy lachte leise in sich rein: "Ich wollte eigentlich sagen, dass du deinen Kopf nicht ausschalten sollst."

Leonard drehte sich zu seinem Bruder und lächelte kurz: "Hätte ich nie getan, Perc"

"Gut zu wissen, Leon" Und während Leon noch seinem Herzschlag lauschte, schlief er langsam ein.

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