10.
Er hätte nicht gedacht, dass Hae kommen würde. Ja, sie hat vielleicht zugesagt, aber soweit Rob sie kannte, hatte Leons bester Freund ihm mit einem Kopfschütteln erklärt: sie wird nicht kommen. Niemals.
Rob, der Hae und Bella zu ihm nach hause gefahren hatte, sah mit einer Miene drein, die bei dem Totenbett eines guten Freundes angebracht wäre. Finster hatte er die Augenbrauen zusammengezogen und er kam Leon mit schnellen Schritten entgegen, um eilig die Gartentür aufzuziehen und ihn mit einem giftigen Blick zu taxieren, den Leon gar nicht mehr bemerkte, denn Hae hatte seine Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Sie hatte nicht die Schuluniform aus unförmigen Pullover und der lockeren schwarzen Hose an.
In Jeans und einem roten Mantel aus Filzstoff kam sie mit wehenden Schritten auf sie zu.
Sie sah ihn und zog sachte ihre linke Augenbraue in die Höhe. Dabei kräuselte ein schiefes Grinsen ihre Lippen und der Novemberwind wehte ihr die braunen Haare aus dem Gesicht, das seine Blick auf sich zog, ganz autonom. Unter tausenden von Gesichtern hätte er Haes sofort erkannte.
Fast automatisch hob Leonard die Augenbrauen und grinste breit. Ja, er strahlte Hae entgegen und ihre Fäuste in ihrer Manteltasche hörten auf zu zittern.
Er war froh sie zu sehen. Ein merkwürdiges Gefühl, einen Jungen so zum Strahlen zu bringen. Bella tat es mit Robin jeden Tag. Dafür glühte sie auf derselben Weise jeden Tag, wenn sie Rob sah. Und genau das brachte sie wieder in die Wirklichkeit zurück.
"Hallo", begrüßte Leonard Bella und sie, obwohl es eigentlich nur Hae galt. Sie zog kurz die Mundwinkel hoch und Rob, der mit Schlechtwettermiene an der Haustür stand, nickte sie rein.
Es war ein Haus, wie viele in dieser Nebensiedlung. Ein kleines mit sonnengelblackierter Außenfassade und zwei Stöcke hoch. Sie musste sich sofort fragen, hinter welchem dieser Fenster wohl Leonard schlief. Es war albern und doch blieb diese Frage, wie ein scharfer Splitter in ihren Gedanken stecken.
Die Bäume auf dem Grundstück beugten sich scheinbar zu dem Haus und als Hae ihre Schuhe auszog und eintrat, sog sie die warme Luft tief in ihre Nase.
Die Luft schmeckte nach Kuchen, Freude und Familie. Hae schloss die Augen, um das Gefühl der tiefen Zufriedenheit in sich zu konservieren.
Leonard betrachtete Hae mit schiefgelegten Kopf, wie sie in sein zuhause trat und die Augen schloss. Bella und Rob traten rücksichtsvoll in das Wohnzimmer, das die zweite Tür, rechts war. Haes Lider flatterten und sie sah Leon kurz an: "Es ist toll hier"
Sie blieb vor einem der Bilderrahmen an der Wand stehen und Röte kroch in sein Gesicht. Ihm war es, um wahr zu sein ziemlich peinlich.
All die Fotos kamen ihm unpassend oder nicht repräsentativ vor, aber Haes Blick erwärmte ihn bis zu seinen Innerein.
"Bist du das?" Sie sah mich leuchtenden Augen Leon an und deutete auf ein Babyfoto flankiert von drei weiteren. Er legte kurz seine Hand an die Stirn, um die brennende Röte seines Gesichtes zu verbergen.
Hae legte eine Hand auf seine und wollte etwas sagen, als das Geburtstagskind aus dem Wohnzimmer geschlittert kam: "Percy kommt!"
Tristan war Leonards zwei Jahre jüngerer Bruder mit dunklen, glatten Haaren, die sich um seine Ohren nach innen kräuselten. Seine großen braunen Augen waren von dichten Wimpern umrahmt und sein blasses Gesicht von vielen Sommersprossen gesprenkelt. Er war größer als Hae, fast annähernd so groß, wie Leon aber, genauso schlacksig und dünn. Überraschung stand in seinen braunen Rehaugen und er erfasste die Situation mit einem Blick: "Percy ist da"
Und da bekam Hae den Mund auf: "Alles gute zum Geburtstag Tristan"
Sie zog ihre Hand von Leonards zurück, als hätte sie sich verbrannt, warum hatte sie es überhaupt getan. Warum? Leonard dagegen drehte sich auf dem Absatz um und stürmte seinem kleinen Bruder nach.
Sein Herz pochte ihm bis zum Hals und er spürte noch immer die brennende Hitze der Berührung.
Er holte Tris ziemlich schnell ein und umarmte seinen großen Bruder. Früher hatten Leonard und Tristan sich ein Zimmer geteilt, als Percy auszog, hatte Leon das Zimmer seines großen Bruders bekommen. Percy war ein wenig kleiner als Leonard, hatte ein wenig mehr Fleisch auf den Rippen und hatte sich einen Bart wachsen lassen. Die dunkelblauen Brille auf der Nase seines Bruders verpasste ihm den klassischen Nerdlook. Auch die Haare seines großen Bruder waren dunkelbraun, aber leichtgewellt, wie bei Leon oder Svenja, ihrem jüngsten Geschwister.
"Ich habe dich so vermisst"
"Ich dich auch, kleiner Bruder", flüsterte Percy zurück und Tristan stemmte seine Hände in die Seiten: "Ich will auch mal Percy umarmen! Du hast doch deine Freundin"
"Leon hat eine Freundin?", wollte Percy neugierig und fassungslos zugleich wissen. Er rückte seine Brille mit einer allzu vertrauten Geste zurecht und hob fragend eine Augenbraue. Leon musste augenblicklich an Hae denken, wie sie ihn angesehen hatte an diesem morgen. Wie sie...
"Ich habe keine Freundin", versuchte Leon schnell die Fakenews aus der Welt zu schaffen, bevor es außer Kontrolle geraten konnte. Aber Tristan umarmte schnell Percy, dann verschränkte er die Arme vor der Brust: "Ist sie es nicht? Warum denn nicht? Du hast sie mitgebracht...dann habt ihr euch auf dem Flur beinahe geküsst..."
"Wir haben uns nicht geküsst!", protestierte Leon empört.
"Nee...ich meine, ihr wart kurz davor", antwortete Tristan nur.
"Tris!", riefen Percy und Leon unisono. Percy sah seine kleinen Bruder verwarnend an: "Das ist unfair. Lass doch Leon die Situation erklären"
Nachdem Leon mit seiner Erklärung geendet hatte, musterte Tristan ihn und kurz und sein Gesicht sagte einfach alles. Ihm war klar, er war jetzt völlig angekotzt. Sie waren extra eine dreifache Schlaufe durch das Viertel gelaufen, damit Leonard ordentlich ausholen und die Geschichte vollständig ausrollen konnte. Er war bemüht stets neutral und möglichst nicht seine Gedanken einfließen zu lassen, aber als er die letzten Wochen revue passieren ließ, musste er gestehen, sein Leben hatte sich mit einer Begegnung von Grund auf verändert. Genauso schienen es auch Tris und Percy zu sehen. Als er geendet hatte, fühlte es sich an, als hätte er gebeichtet und eine Leichte, die er vom Pfarrer nicht kannte, machte sich in ihm breit.
Tris hatte seine Augenbrauen zusammen gezogen und Percy versuchte sichtlich sich zu beherrschen und ihn an zu hören, ohne ihn zu unterbrechen.
"Ich kann Hae nicht leiden", erklärte sein kleiner Bruder sofort. Percy machte nun die Haustür auf, um Tristan zuerst reinzulassen, dann hielt er Leon rasch an der Schulter fest: "Pass einfach auf. Genau, wie ich es dir gesagt habe"
Hae stand nur für einen Moment auf dem Gang, als die Wohnzimmertür noch einmal aufging. Eine Frau mit dunklen, braunen Haaren und einem ovalen Gesicht und heller Haut, die von Sommersprossen gesprenkelt war, sah sich auf dem Gang um und trat mit einem breiten Lächeln auf sie zu: "Du bist Hae Warley!"
Sie lächelte zögerlich ihr entgegen: "Ich bin Leon befreundet"
"Dachte ich mir schon. Wir haben uns doch sicher schon auf einer der Schulpartys getroffen, nicht wahr?" Sie trat mit langsamen Schritten auf Hae zu: "Komm doch mit rein. Willst du das Geschenk auf den Gabentisch legen?"
"Die Jungs sind gerade rausgestürmt um vermutlich Percy entgegen zu laufen", erklärte sie und führte Hae durch das Wohnzimmer, um sie zu der Couch zu führen. Sie begannen über belanglose Dinge zu plaudern. Aber stets spürte Hae den wachsamen Blick auf ihrem Gesicht. Sie versuchte Hae anscheinend einzuschätzen. Hae begann Leonards Mutter wirklich zu mögen, als ein Mann mit blonden, kurzgeschnittenen Haaren, einem schiefen Grinsen und einer geblümten Schürze um den Hals tauchte aus der Küche auf, die Luft roch verführerisch nach Kuchen und allen möglichen Leckerein, die anscheinend ein wenig angebrannt waren.
"Beatrice!", rief er und ließ die spülschaumgetränkte Pfanne herum wirbeln, "ich brauch mal ein wenig Hilfe"
Hae konnte nicht aufhören den Mann anzustarren, er erinnerte sie an Leon und diese frappierende Ähnlichkeit mit den starken Kiefern und dem spitzen Kinn, ließ sie stutzen.
Beatrice schüttelte vehement ihre braunen Wellen und brach in leises Gekicher aus. Es war einfach nur komisch, die ganze Situation. Sie saß mit Leons Eltern im Wohnzimmer von Leons zu hause umgeben von Bildern seiner Kindheit und die seiner Geschwister. Nicht zu vergessen die ganzen gemütlichen Kissen mit den kreativen Motivationsprüchen.
"Na. Na. Na. Wir haben das schon abgesprochen! Wenn du ..."
Der Mann verdrehte die Augen und wollte sich abwenden, aber dann erst entdeckte der Mann auch Hae und er hob eine Augenbraue, in der vertrauten Geste, wie es auch Leon immer tat.
"Eren Reid", erklärte der blonde Mann schnell und hielt Hae die eingeschäumte Hand hin. Er begegnte Haes schiefen Blick und lächelte kurz: "Oh. Tut mir Leid. Ich bring die Küche mal in Ordnung. Kannst du kochen?"
"Nicht wirklich..." Genau genommen, konnte sie nicht einmal heißes Nudelwasser abgießen ohne sich Verbrennungen zu ziehen. Und was Gerichte betraf...sie konnte ein wenig Dosenravioli oder Dosentortilinis aufwärmen. Sogar Tütensuppe gehörte noch zu Haes Repertoire.
Aber Leonards Vater Eren winkte sie eilig in die vollgestopfte Küche. Er wirbelte um seine Achse, drückte Knöpfe, hob die Pfannen vom Herd und machte gleichzeitig den Abwasch.
"Soll ich irgendwie helfen?", fragte Hae nach einem Moment von Stille. Eren sah sie belustigt an, während er eine Omelett machte und auf einem Teller aufstapelte, auf dem sich schon mehrere der perfekten Omeletts lagen. Es roch beneidenswert gut. Hae fragte sich langsam auch, wo wohl Rob und Bella waren, aber Eren riss sie aus ihren Gedanken: "Wie stehen eigentlich Leon und du so?"
"Leon und ich?", widerholte Hae und lehnte sich an die geschlossene Tür. Wurde das gerade ein Verhör?
"Wir haben viele Kurse gemeinsam. Freunde würde ich sagen"
"Freunde", echote Leons Vater in seinen Dreitagebart und wandte sich einer anderen Pfanne zu, um Pfannkuchen zu wenden. Er war ein ziemlich großer Mann und es war beinahe ulkig mit anzusehen, wie er versuchte die Kontrolle über das Tohubawohu zu bewahren.
"Naja, erst dieses Jahr haben wir uns so richtig kennen gelernt-durch Rob und einem Organisationsteam", druckste Hae herum. Ihr war es ziemlich unangenehm. Sie hatte doch nie mit den Eltern irgendwelcher Jungs geredet, die sie küssen wollte. Ach stimmt, Leon war ein spezieller Fall. Es ging hier um das Brechen des Jungens. Sie wollte nicht nur einen Kuss abluchsen, nein, sie würde ihn verrückt machen. Verrückt vor Liebe und Sehnsucht. Friendzonen? Pah...
"Papa!", rief eine Stimme entnervt aus dem Wohnzimmer und Hae trat eilig bei seite, als die Küchentür aufgerissen wurde und ein schlankes Mädchen mit dunklen, ungekämmten Haare in das Zimmer marschierte. Sie war nicht hübsch, wie man nach heutigen Ideale sagen würde, dafür ähnelte sie zu sehr Leonard. Schmales Gesicht, breite Kiefer und eine dünne Nase, die Augen standen relativ eng, der Körperbau war schlaksig.
"Rob will mir nicht sagen, was Tris bekommt!"
"Svenni!", empörte sich Rob hinter dem Mädchen, "du bist eine ganz schöne Petze für deine 14 Jahre."
"Das nennt man gesunde Neugier. Wenn Tris es nicht haben will, dann kann ich es schließlich bekommen", meinte das Mädchen und verschränkte die Arme vor der Brust. Mit vorgeschobener Unterlippe sah sie sich hilfesuchend nach ihrem Vater um und entdeckte zuerst den Teller Pfannkuchen, dann auch Hae.
"Wer bist du?" Es klang weder unfreundlich noch verächtlich, mehr ernsthaft interessiert und einfach nur neugierig.
"Hae Warley"
"Svenja" Sie schenkte ihr ein kurzes Lächeln, schnellte vor, um sich ein Pfannkuchen vom Stapel zu schnappen und aus der Küche zu flitzen. Diese Cox-Reids ließen es langsam zur Angewohnheit werden, Hae nach einem Gespräch stehen zu lassen.
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