31
In jeder Geschichte gibt es einen Helden.
Einen Helden, für den die Menge applaudiert, für den die Leute weinen, für den sie lachen.
Einen Helden, der nach ihren Vorstellungen lebt, der das Gute in anderen Menschen sieht und der niemals auch nur dazu fähig wäre, etwas anderes zu sein als eben dieser Held, zu dem alle aufschauen.
Bisher war ich eine Heldin, eine Figur aus Fleisch und Blut, in die man all seine Hoffnungen legt, der man zujubelt und mit der man mitfiebert.
Bisher war ich die Gute in dieser Geschichte.
Aber was geschieht mit einem Helden, wenn er bereit ist, schreckliche Dinge zu tun, die ein Mensch niemals auch nur in Erwägung ziehen sollte?
Was wird aus ihm, wenn er verletzt? Wenn er foltert? Wenn er tötet?
Wenn er es macht, weil es keinen anderen Ausweg gibt, weil es die einzige Möglichkeit ist oder weil er dazu gezwungen wird, dann ist er immer noch der Held, den die Leute in ihm sehen wollen.
Dieser leichte Funke des Guten in einer Welt aus Schatten und Dunkelheit.
Aber wenn er es macht, weil er es will.
Weil es ihm Spaß macht.
Dann wird er zu einem Schurken, auch wenn er seine Tat irgendwie rechtfertigt, irgendwie begründet.
Dann überschreitet er diese eine Grenze zwischen Hell und Dunkel, zwischen Licht und Schatten, die niemand jemals überschreiten sollte.
Dann betritt er den Weg, von dem es kein Zurück mehr gibt, kein Entkommen.
Ich wusste, dass ich diese Grenze nicht überschreiten, diesen Weg nicht betreten sollte. Dass ich eine Heldin sein sollte wie die Welt es von mir erwartete.
Aber in mir floss Wut, floss Zorn und floss Hass, der meine Adern verbrannte, verbrannte, verbrannte, bis nur noch Asche übrig war.
Ich sah nur Rot, nur Schwarz, nur Blut und Knochen, nur Schmerz und Gewalt.
Ihn töten.
Das würde ein Held jetzt machen.
Ihn schnell und einfach töten, ohne ihn lange leiden zu lassen.
Das wäre für einen Helden genug.
Aber das Blut, der Schmerz, die Gewalt...
Ich war kein Held mehr.
Ich war die Kaiserin der Wut und ich wollte kein verdammter Held mehr sein.
Nicht hier.
Nicht heute.
Vielleicht nie mehr.
Ich wusste, dass es falsch war, was in meinem Kopf herumschwirrte, was meine Gedanken verknotete wie eine böse, fremde Macht.
Ich spürte die Dunkelheit, die drohte, mein Herz zu verschlingen, meine Seele zu verderben wie eine giftige Berührung.
Töten war nicht genug.
Töten war bei ihm nie genug.
Und vielleicht machte mich das zu einem schlechten Menschen.
Vielleicht machte dieser Entschluss, diese eine kleine Entscheidung einen Helden zunichte.
Und dennoch...
Ich lächelte, als mir bewusst wurde, dass ich jetzt der Schurke in dieser Geschichte war, zumindest für diesen einen Moment, in dem ich keine Gnade zeigen würde. Kein Erbarmen.
Ja. Ich war der Schurke.
Das Böse.
Das Grausame, das die Menschen fürchteten, vor dem sie knieten und vor dem sie davonliefen.
Ich war bereit, eine Grenze zu überschreiten und vielleicht nie mehr umzukehren, nie mehr in die Welt des Lichtes zurück zu gelangen.
Aber wer liebt schließlich nicht die sündhaften Schurken der Geschichten?
Ich entfesselte meine Magie.
---
Es war so einfach, die Energie zu bündeln, die in meinen Handflächen flackerte, über meine Arme floss wie Nebelschwaden.
Es war einfach, die Krone auf meinem Kopf strahlen zu lassen wie eine Sonne, einen Stern, einen gefallenen Engel, dessen Rache in mir pulsierte wie das Gift einer Schlange.
Es war verdammt nochmal einfach, mich meiner Macht hinzugeben, meine Hände zu heben und den Nebel über meinen Körper in mein Herz gleiten zu lassen wie süßen Honig.
Meine Augen leuchteten, strahlten wie die hellsten Sterne am Nachthimmel, verströmten eine Energie und eine Macht, die ich niemals so stark gespürt hatte.
Ich fühlte die Wut, die Verzweiflung der letzten Wochen in mir, spürte die Gefühle an die Oberfläche drängen und gegen meine Haut, meine Hände drücken wie ein Geist, der aus mir ausbrechen wollte.
Mein Körper war ein Gefängnis, das meine Wut eisern festhielt.
Mit einem Schrei, der nicht mehr menschlich, nicht mehr von dieser Welt war, ließ ich meine Mauern, meine Wände fallen, vernichtete diesen Käfig, diesen Behälter, in dem mein Zorn so lange eingesperrt gewesen war.
Die Hütte explodierte.
Ich stand an derselben Stelle wie wenige Sekunden zuvor, atmete dieselbe Luft, trug dieselbe Krone.
Aber die hölzernen Wände der Hütte, die eiserne Tür und die zugenagelten Fenster...
Das Doppelbett, der Schrank an der Wand, der Tisch mit den dazu passenden Stühlen...
Die Leichen meiner Freunde, das Blut, die Organe, die man zu einem Festmahl aufgetischt hatte...
Das alles war einfach verschwunden, einfach weg.
Die Energie, die die Hütte und ihre grauenhaften Inhalte versorgt und ernährt hatte, war wie weggeblasen von meiner Macht, vernichtet von dem Ausmaß meiner Magie, von meinen Wellen, die diesen grünen Kern in diesem kleine Häuschen des Horrors gefunden und erstickt hatten.
Das einzige was blieb, waren die Erinnerungen, die ich nie mehr loslassen könnte.
Kein Vergessen, kein Erbarmen.
Ich atmete einmal tief ein, nahm den sauberen Geruch nach Wald wahr, der den Gestank nach Blut und Erbrochenem verdrängt hatte.
Es roch nach Kiefernharz und Winterregen.
„Beeindruckend", murmelte jemand hinter mir. „Wirklich ziemlich beeindruckend."
Ich wirbelte herum, wobei ich blitzschnell einen Dolch aus einer Scheide an meinem Gürtel zog und die Spitze auf den König richtete, der mich aus funkelnden Augen musterte.
Sein Blick war kälter als die Luft, die meinen Nacken küsste und all meine Haare zu Berge stehen ließ.
„Bist du dann mit Angeben fertig oder willst du vielleicht noch etwas anderes explodieren lassen?", fragte Ryn mit gelangweilter Stimme.
Mir fiel auf, dass er nicht mehr lächelte, dass seine Schultern etwas angespannter wirkten, dass in seinem Blick etwas lauerte, das ich dort noch nie gesehen hatte.
Angst.
„Ich hätte nichts dagegen, wenn du auch noch in die Luft fliegst", entgegnete ich achselzuckend. „Würde meine Probleme schneller lösen als ein Messer in deiner Kehle."
Ryn stieß ein harsches Lachen aus, das ein Beben durch meinen Körper sandte. „Du würdest es niemals schaffen, mir ein Messer in die Kehle zu stoßen, Ariadne. Dafür kämpfe ich viel zu gut."
„Mein Name ist Aria", knurrte ich mit zusammengebissenen Zähnen.
Ryn wedelte wegwerfend mit der Hand. „Wie auch immer. Namen sind nur Worte."
Ich hatte nichts darauf zu erwidern.
Also griff ich an.
Ich schnellte nach vorne, wirbelte die Klinge durch die Luft und fletschte die Zähne, als ich das Klirren hörte, mit dem mein Messer auf seinen Dolch traf.
So standen wir schließlich da, in einem Kräftemessen, das sich von der physischen Ebene auch in die magische, in die emotionale ausbreitete.
Sein Atem war genau wie meiner gleichmäßig und ruhig, als wäre er nicht im Geringsten erschöpft.
Entweder machte ihn das zu einem guten Krieger oder zu einem noch besseren Schauspieler.
„Außerdem", fuhr er nach dieser kurzen Einheit fort, in der wir unseren Gegner getestet hatten.
Ein Vorgeschmack auf das, was kommen würde.
„Wäre ein Messer in der Kehle nicht etwas zu gut für mich, nach allem, was ich dir doch anscheinend angetan habe? Wärst du damit nicht unzufrieden?"
„Du wirst für alles bezahlen, was du mir angetan hast."
Ryn bleckte nur die Zähne, während sich ein giftgrüner Ball aus Magie in seiner freien Hand bildete. „Dann lass mich zahlen."
Eine Herausforderung.
Eine Drohung.
Aber ich grinste nur, als ich meine Wellen aussandte, um die Macht in seiner Hand zu ersticken.
Er lächelte schmallippig zurück, auch wenn er diesen kleinen Anflug der Angst erneut nicht ganz verbergen konnte.
„Das wird Spaß machen", schnurrte ich bösartig.
Ich wartete nicht mehr, was er darauf zu erwidern hatte.
Stattdessen griff ich erneut an, schlitzte mit einem geschickten Schnitt seinen Unterarm auf und schaffte es anschließend, meine linke Hand über seine Wange streifen zu lassen.
Es war nur eine kleine Berührung, ein Bruchteil einer Sekunde.
Aber es war genug für meine Wellen, den Kern seiner Macht zu finden, dieses grüne Leuchten zu berühren und zu beanspruchen.
Ich leitete seine Angstmagie in meinen Körper, vereinte sie mit der Schwärze und der Dunkelheit, die sich in meinem Herzen, in meiner Seele ausgebreitet hatte.
Dann sprang ich zurück, um einem tödlichen Hieb mit dem Dolch zu entgehen, der mir glatt die Kehle aufgeschlitzt hätte, wenn ich nicht zuvor reagiert hätte.
Ich wich blitzschnell aus, griff mit der anderen Hand nach einem meiner Wurfsterne und warf ihn mit möglichst hoher Präzision auf sein rechtes Knie.
Er schaffte es natürlich, meinen Zug vorherzusehen und somit dem verheerenden Angriff zu entgehen, der das Spiel zu meinen Gunsten hätte drehen können.
Aber je länger wir kämpften, desto sicherer wurde ich mir.
Ich war nicht mehr diejenige, die nur davonlief, nur Hiebe parierte, nur Klingen auswich.
Ich griff an, schlug mit Messern nach Ryn und erstickte jedes noch so kleine Fünkchen Macht, das er in seiner Handfläche zu sammeln versuchte, indem ich meine Wellen einfach darüber gleiten ließ und die Energie ausblies wie eine Kerze.
Meine Hände waren überzogen von pinkem Licht und Nebel, der in der Schwärze der Nacht leuchtete.
Während wir kämpften wurde dieses Leuchten immer heller, wurde meine Macht immer größer, brannte mein Feuer immer heißer.
Ich stellte sicher, dass sich unsere Haut immer wieder direkt berührte, sodass ich meine Wellen weiter durch seinen Körper schicken konnte.
Ich schöpfte seine Magie in meinen Körper, stahl ihm immer mehr davon, bis der grüne Kern in seinem Inneren an Lebenskraft verlor.
Es war nur eine leichte Veränderung, ein winziger Unterschied, als das Grün etwas weniger strahlte, als der Kern etwas weniger zu mir flüsterte.
Aber es war deutlich erkennbar, deutlich spürbar, dass etwas in ihm zerbrochen war, dass er etwas für immer verloren hatte.
Blut lief über meine Arme, über mein Gesicht.
Blut, das zum Teil mir gehörte und zum Teil von Ryn stammte.
Ich ignorierte es einfach.
Seine Macht war kleiner geworden.
Ich hatte so viel davon gestohlen, dass der hell leuchtende Kern in seinem Inneren nie wieder so strahlen würde wie zuvor.
Und ich hatte nicht vor, meine Wellen jetzt zurückzuhalten.
Im Gegenteil, ich hatte gerade erst mit meinem Werk begonnen.
Wir kämpften weiter, schafften es gleichermaßen, dem anderen ein paar oberflächliche Wunden zuzufügen, die noch lange nicht tödlich waren.
Ein Schnitt am Arm, auf der Brust, am Unterschenkel.
Wir tanzten miteinander wie zwei Geliebte. Eine Choreografie, die niemand außer uns jemals beherrschen konnte.
In meinen Ohren war das Klirren der aufeinandertreffenden Klingen wie Musik, mein Körper reagierte darauf wie auf einen Rhythmus, den nur ich hören konnte.
Hier ein Angriff, da ein Ausweichmanöver. Dann rechts antäuschen, links herumwirbeln und meine Hand über seinen Unterarm gleiten lassen.
Das Ganze ging eine Weile gut.
Ich, die versuchte, ihn irgendwie mit meinen Messern auszuschalten, ohne dabei selbst zu sterben.
Er, der dasselbe Ziel verfolgte.
Bis er schließlich ebenfalls spürte, dass seine Macht ihm immer mehr entrissen, dass die Kraft in ihm immer schwächer wurde und dass auch er selbst dadurch an Stärke verlor.
Denn die Bindung zwischen Magier und Magie war eine obligatorische.
Er runzelte die Stirn, als er fühlte, wie sich sein Energiekern erneut verdunkelte, wie seine Macht dauerhaft ein weiteres Stück schwand.
Als wir das nächste Mal auseinander gingen, um uns gegenseitig zu umkreisen wie Tiere vor dem tödlichen Duell, runzelte er die Stirn.
Er bleckte die Zähne, Wut schimmerte in seinem Blick, deutlich heller als seine schwächer werdende Macht.
Ich lächelte nur provokant.
„Stimmt etwas nicht, Majestät?", fragte ich gespielt unschuldig, wobei meine Stimme die Melodie in meinem Kopf nicht zum Verstummen brachte.
Ich hörte den Rhythmus, passte meine Schritte daran an und ließ mich treiben.
Ryn kniff die Augen zusammen und ballte die Hände zu Fäusten, wobei er zusätzlich auch noch die Zähne zusammenbiss.
„Du kleines Miststück", knurrte er. „Dachtest du wirklich, dass ich es nicht merken würde, wenn du mir meine Magie klaust wie verdammte Juwelen aus einem Museum?"
Ich zuckte mit den Achseln. „Hat ein Weilchen gedauert, oder etwa nicht?"
Er hob kurz seine Mundwinkel, lächelte mich für eine Sekunde böse an, bevor sein Gesicht sofort wieder ernst wurde. „Nicht lange genug."
Mir wurde kalt, als ich das Eis, den frostigen Hass in seiner Stimme hörte.
Ich bekam eine Gänsehaut, die mich schaudern ließ und all meine Haare standen zu Berge, als ich das Versprechen in seinem Blick erkannte.
Das Versprechen von Schmerz und Verwüstung und Tod.
Meine Kehle wurde trocken und ich konnte für einen Moment nicht atmen, schaffte es nicht, meine Emotionen, meine Panik zu kontrollieren.
Ich war für einen kurzen Augenblick, für einen Wimpernschlag, einen Atemzug zurück in dieser Hütte, umgeben von den Leichen meiner Freunde, von ihren toten, geschundenen Körpern.
Und diesen einen Augenblick nutzte Ryn, um die letzten Reste seiner Magie zu sammeln, seine Hände leuchten zu lassen wie ein Feuerwerk des Grauens und des Todes.
Mein Magen krampfte sich zusammen, als ich die Energie, die Macht, das schiere Ausmaß an roher Magie um mich herum spürte, als der Schweiß auf meiner Stirn plötzlich eiskalt wurde.
Mein Herz schlug rasend schnell.
Mein Atem ging keuchend.
Im einen Moment stand ich vor ihm, beobachtete wie das giftgrüne Leuchten die Dunkelheit immer weiter zurückdrängte, wie das Licht immer heller strahlte und mich einlud, mich ihm hinzugeben und einfach zusammenzubrechen, damit der Tod mich wie ein Vater holen konnte.
Es war so verlockend, dass ich kurz davor war, genau das zu tun.
Aber im nächsten Moment warf er seine gesamte Macht auf mich und die Welt verschwand.
Ich sah nur noch grün, hörte dieses grausame, blutige Flüstern, das mir einen schmerzhaften Tod versprach, das mich schaudern und zittern ließ wie nie zuvor.
Ich spürte den Sturm um mich herum tosen, wagte es aber nicht, die Augen zu schließen.
Meine größte Angst...
Ich wusste, dass die Hütte niemals das gewesen war, was ich am meisten fürchtete, dass sie nie mein wahr gewordener Albtraum hatte sein können.
Aber jetzt...
Dieser grüne Wirbelsturm würde mir endlich offenbaren, was ich schon eine ganze Weile gewusst hatte.
Ich warf den Kopf in den Nacken und lachte.
Ich lachte wie eine Verrückte, weil ich endlich gewonnen hatte.
Meine größte Angst war niemals ein Clown gewesen oder eine Spinne.
Als das Grün um mich herum verblasste, stand ich immer noch auf der Lichtung, umgeben von Bäumen, deren Äste sich im nächtlichen Wind leicht bewegten und wie anklagende Finger versuchten, den Mond zu erreichen.
Ich lächelte, als ich den Schock in Ryns Augen sah.
Blanke Panik leuchtete darin.
Kein kleiner Funken mehr, sondern ein Feuer, eine Flut aus Flammen, die von seinem Verstand Besitz ergriffen hatte.
„W-W-Wie...", brachte er stotternd hervor.
Ich schenkte ihm ein aalglattes Lächeln.
„Hast du es immer noch nicht verstanden?", fragte ich. „Wie ich es geschafft habe, deine Macht so einfach zu vernichten und ihr immer wieder zu entkommen? Wieso ich diese Hütte gesprengt habe als wäre sie ein Luftballon?"
Er starrte mich nur verwirrt und verängstigt an.
War er wirklich so blind?
Erneut lachte ich laut. Harsch. Bitter.
„Du hattest nie eine Chance gegen mich, König Ryn. Deine Magie hatte nie eine Chance."
Er verstand es offensichtlich immer noch nicht, was nur dazu führte, dass ich genervt die Augen verdrehte.
„Du kannst meine größte Angst nicht real machen, weil sie bereits existiert. Hier und jetzt."
Ein kleiner Anflug von Verständnis in seinen Augen.
„Alles, was ich fürchte. Alles, wovor ich Angst habe", erklärte ich. „Das warst schon immer nur du."
Jetzt hatte er die Augen aufgerissen, als die Wahrheit ihn plötzlich wie ein Blitz traf.
„Meine größte Angst bist du, Ryn Toxxalver. Und deshalb kannst du nicht gewinnen", fuhr ich fort. „Weil deine Macht bei mir wirkungslos ist. Weil ich der Schwachpunkt deiner unendlich großen Macht bin."
Ryn starrte mich nur weiter schockiert an, als ich auf ihn zu schlenderte, wobei ich mir einen leichten Hüftschwung nicht nehmen ließ.
Er wehrte sich nicht, als ich sein Gesicht zwischen meine Hände nahm. Das Schwert hatte er lange zuvor fallen gelassen.
Ich stellte mich auf die Zehenspitzen, beugte mich langsam nach vorne, bis meine Lippen seine Stirn berührten und ich ihn zum Abschied dort leicht küsste.
„Du hattest recht", flüsterte ich, mein Mund so nahe an seinem Gesicht, dass er meinen Atem spüren musste. „Ein Messer in der Kehle wäre viel zu gut für dich. Aber ich vergebe dir."
Ich holte zitternd Luft.
„Ich vergebe dir, weil ich nicht so sein will wie du."
Mit diesen Worten entriss ich ihm seine Magie.
Er schrie, als ich meine Wellen aussandte, um den Kern seiner Macht vollständig zu ersticken, bis nichts mehr in ihm war, das ihn am Leben hielt.
Ich spürte, wie seine Haut unter meinen Händen Blasen warf, wie seine Wangenknochen immer schärfer unter meiner Berührung hervortraten.
Er schrie weiter, als das Grün in seinen Augen verblasste und sein Blick immer glasiger wurde.
Als der Kern seiner Macht verschwand und nie mehr zurückkehren würde.
Ich wollte mir gar nicht ausmalen, wie schmerzhaft es sein musste.
Seine Schreie reichten aus.
Ich konnte die einzelne Träne nicht zurückhalten, die mein rechtes Auge verließ, als ich ihn so sah.
So zerbrechlich, so schwach, so...
Verloren.
Ich hatte Mitleid mit dem Menschen, der er einmal gewesen war.
Mit diesem Jungen, den ich einst geliebt hatte.
Ich schluchzte, als seine Schreie erstarben.
Der Kern in seiner Brust zersplitterte einfach, bis nichts mehr von seiner Macht übrig war. Seine Augen wurden glasig und sein Körper erschlaffte zwischen meinen Händen.
Ich ließ ihn sanft zu Boden sinken und wischte mir schließlich die Feuchtigkeit von den Wangen.
Ich war kein schlechter Mensch.
Ich hatte diesen Jungen, diesen längst verschwundenen Jungen von dem Monster befreit, zu dem er geworden war.
Dieser Gedanke war es, der die Dunkelheit in meiner Seele, die Dunkelheit in meinem Herzen in die giftgrüne Magie gleiten ließ, die ich in meinem Körper gesammelt hatte, und sie schwarz und neblig machte.
Furcht wurde zu Finsternis.
Wut wurde zu Trauer.
Es war einfach, mit den Schatten zu verschmelzen und all meine Sorgen für den Bruchteil einer Sekunde einfach hinter mir zu lassen.
Ich fühlte mich frei, als die Welt um mich herum in Schwärze verschwamm und ich mit den Schatten zurück nach Akar sprang.
Ich schaffte es, gerade noch lange genug aufrecht zu stehen, um mich einmal in meiner Suite umzusehen und den Schock, die Überraschung auf den Gesichtern meiner Freunde zu erkennen.
Ein Stein fiel mir vom Herzen, als ich sie alle sah. Unverletzt und wartend.
Ich verlor das Bewusstsein.
Zum ersten Mal seit langer Zeit verfolgten mich seine giftgrünen Augen nicht.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top