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Ich war mir sicher, dass ich träumte.
Ein Albtraum.
Ich wollte aufwachen, doch ich konnte nicht.
Weil ich nicht träumte.
So absurd die Situation sich auch anfühlte, sie war real.
Jasmine, die hinter mir anfing, herzzerreißende Geräusche von sich zu geben. Die schwarzen Kreaturen, die sich aufrichteten und ihre Köpfe in unsere Richtung drehten. Der seltsame Mann, der die Türe aufgestoßen hatte.
Ich wusste, dass alles real war.
Ein Albtraum.
Ein realer Albtraum.
Es dauerte nur den Bruchteil einer Sekunde, aber das war genug Zeit.
Sobald der Pfiff verstummt war, stürzten sich die Styryo-Dämonen auf die Wachen, Kellner und Adeligen.
Sie hatten nur einen Gedanken im Sinn. Töten.
Hinter mir wurden die angsterfüllten Schreie lauter. Meine Brust zog sich zusammen.
Ich stand nur da und sah zu, wie meine Freundin ein schweres Trauma erlitt und die Leute, die ich eigentlich beschützen sollte, von gruseligen Monstern attackiert wurden. Unfähig mich zu bewegen.
Schuldgefühle schnürten mir die Luft ab, weil ich genau wusste, dass das alles nur meinetwegen passierte. Nur meinetwegen.
Ich wollte mich zusammenrollen und in einer Ecke so lange weinen, bis mir schlecht wurde oder ich in Ohnmacht fiel.
Aber ich musste jetzt stark sein.
Ich hatte es zwar nicht ausgesprochen, aber dennoch hatte ich Jasmine ein Versprechen gegeben.
Ich hatte mir selbst ein Versprechen gegeben.
Die Schattenmagierin würde nicht noch länger meinetwegen leiden.
Und es gab nur einen Weg, das zu erreichen. Den Mann töten.
Naja, eigentlich war Mann der falsche Ausdruck, um ihn zu beschreiben.
Es war zwar definitiv ein Mensch, aber es lag nichts in seinen Bewegungen, kein Funke in seinen Augen, keine Gefühlsregung in seinem Gesicht, das ihn auch nur annähernd menschlich erscheinen ließ.
Wer war das nur?
Und wieso reagierte Jasmine so heftig auf seine Präsenz? War da irgendetwas vorgefallen zwischen ihr und... diesem Mann?
Ich konnte zwar gut verstehen, dass der Kerl mehr als angsteinflößend sein konnte, aber so schrecklich war es eigentlich nicht.
Er war schließlich nur ein einfacher Zirkusclown.
Doch ich sollte vermutlich nicht hinterfragen, wieso meine Freundin Angst vor einem Clown hatte, wo sie doch selbst so viele Schlachten geschlagen hatte, so viele Horrorszenarien gesehen ohne mit der Wimper zu zucken, so viele Leichen und Monster einfach belächelt.
Denn ich wusste, dass sie ihre Gründe hatte.
In diesem Moment schwor ich mir, nie danach zu fragen. Jasmine hätte mir davon erzählt, wenn sie gewollt hätte, dass ich davon wüsste. Und sie würde mir davon erzählen, wenn sie irgendwann in ferner Zukunft vielleicht dazu bereit war.
Nein, ich würde niemals nachfragen.
Als ich diese Entscheidung ein für alle Mal getroffen hatte, wandte ich mich endlich dem Kampfgetümmel zu.
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Es war quasi unmöglich, den gruseligen Clown ausfindig zu machen, wenn man nichts als Schwerter, Klauen und Magiefunken vor den Augen hatte.
Ich schluckte meine Frustration hinunter und beschloss, später nach dem Mann zu suchen, der die Dämonen kontrollierte.
Jetzt wandte ich mich erst einmal Spencer zu, der in ein intensives Duell mit einem der schwarzen, katzenartigen Monstern verwickelt war.
Ich runzelte die Stirn, weil es mir rätselhaft erschien, dass er alleine kämpfen musste, während andere Styryo-Dämonen von mehr als fünf Personen attackiert wurden.
Hatte niemand bemerkt, dass Spencer vielleicht Hilfe benötigen könnte?
Oder interessierte es einfach niemanden und jeder wollte nur seinen eigenen Arsch retten?
Ich hätte mein gesamtes Geld auf zweiteres verwettet.
Wieso schon helfen, wenn man sich das Leben auch leicht machen konnte?
Das Knurren der Bestie beförderte mich zurück auf den Boden der Tatsachen und schlagartig wurde mein Hass auf die Palastbewohner ersetzt, der seit meiner Anreise hier zwar geschrumpft war, aber dennoch manchmal in mir brodelte wie kochendes Wasser. Ersetzt durch kühle Distanz und eiserne Entschlossenheit ersetzt.
Die Distanz half mir dabei, meine persönlichen Gefühle, meinen körperlichen und seelischen Schmerz, meinen Hass auf den seltsamen Zirkusclown auszublenden und zu denken wie ein Killer.
Wenn du etwas töten willst, hatte Jasmine immer gesagt, darfst du kein Gefühl, keine Erinnerung und keinen Schmerz zulassen. Denn sie werden nichts weiter tun als dich von deinem Ziel abzulenken.
Die Entschlossenheit hingegen hatte sich bereits in mir gebildet, als meine Eltern vor einigen Jahren ihr Leben verloren und mich alleine auf dieser Welt zurückgelassen hatten. Seither war es nur eine Frage der Zeit gewesen, bis der heutige Tag endlich eintreffen und seine Rache beginnen würde.
Bei dem schrecklichen Gedanken an all das, was sich zwischen uns in dieser Nacht zugetragen hatte, drehte sich mir der Magen um.
Aber ich hatte gelernt, dass ich kein Mitleid mit jemandem wie ihm haben konnte, auch wenn ich selbst teilweise für sein Leid verantwortlich war.
Diese Erkenntnis hatte nur eine weitere Frage offen gelassen.
Wessen Rache wäre die größere?
Seine?
Oder meine?
Ich grübelte darüber schon seit mehreren Jahren, aber nie war die Frage so... greifbar gewesen. So leicht zu beantworten.
„Meine", flüsterte ich gefährlich leise, während ich mein Schwert in der Hand herumwirbeln ließ und es anschließend auf den Dämon richtete. „Meine Rache wird größer sein."
Als ich diese Worte aussprach, hatte ich wieder Jasmines angstverzerrtes Gesicht vor Augen.
Ein zweites Mal an diesem Abend gab ich mir das stumme Versprechen, dass ich meine Freunde vor ihm beschützen würde.
Vor ihm und vor allen anderen Gefahren, die unseren Weg kreuzen würden.
Unseren gemeinsamen Weg.
Ich würde nicht zurückschrecken, das ganze Königreich für einen von ihnen bis auf die letzte Mauer niederzubrennen.
Bis vor kurzem hatte ich Freundschaft noch für Schwäche gehalten, aber mittlerweile hatte sich meine Meinung drastisch geändert. Freunde waren Stärke, gaben Stärke und holten das Beste aus einer Person hervor. Durch sie hatte ich Seiten in mir entdeckt, die ich selbst nie für möglich gehalten hatte. Von denen ich selbst nicht einmal zu träumen gewagt hatte.
Sie waren mir tatsächlich ans Herz gewachsen.
Cassandra, deren strahlendes Lächeln es jedes Mal, wenn es mir schlecht ging, schaffte, mich anzustecken.
Jasmine, deren trockener, sarkastischer Humor mich öfter an den Rand des Wahnsinns trieb als ich zählen konnte.
Spencer, dessen kühle Art einfach unverbesserlich war und dessen Blindheit, wenn es um Cassandras Schwärmereien für den Eismeister ging, mich immer wieder aufs Neue überraschte.
Finn, Savannah, in gewisser Weise sogar Hayley.
Und Dominic.
Ja, sogar Dominic war mir noch so wichtig, dass ich fast alles für ihn getan hätte.
Selbst nach allem, was in letzter Zeit zwischen uns vorgefallen war. Nach allem, was er mir in gewisser Weise angetan hatte.
Schmerz erfüllte mein Herz, doch ich schloss das brennende Gefühl aus und konzentrierte mich auf den Kampf.
Distanz und Entschlossenheit.
Ich wusste nicht, wie viele Sekunden der Styryo einfach so dastand und knurrte, als wolle er eine Warnung ausstoßen, dass wir uns besser vor ihm in Acht zu nehmen hatten. Aber es kam mir verdammt lange vor.
Jeder Augenblick, den ich nicht damit verbrachte, diesen Clown aufzuschlitzen, schien reine Zeitverschwendung zu sein.
Frustriert erwiderte ich das leise Knurren, um ihn ein wenig zu provozieren. Sollte das große Kätzchen ruhig in die Reichweite meines Schwertes kommen.
„Was tust du denn da?", zischte Spencer neben mir.
Ich wusste nicht, wie oft wir beide nun schon Seite an Seite gekämpft hatten. Ich kannte seine Bewegungen im Kampf quasi auswendig, konnte an seinem Gesicht ablesen, was er als nächstes vorhatte. Und ich war mir sicher, dass es andersrum genauso war.
„Ich lenke ihn zu uns."
Spencers Stimme klang ziemlich aufgebracht. Sie klang sogar so aufgebracht, dass ich Angst hatte, gerade den größten Fehler meines Lebens gemacht zu haben, als er flüsterte: „Du lenkst ihn zu uns? Verdammt, Aria, Styryo-Klauen sind die Quelle von Fluchtschatten-Gift!"
Meine Augen wurden groß. „Du meinst..."
„Eine Berührung befördert dich vermutlich in einen tieferen Schlaf als Dornröschen", erklärte er zornig.
Ich hob eine meiner Augenbrauen, als er hinzufügte: „Und du kannst vergessen, dass ich derjenige sein werde, der dich wachküsst."
„Schon gut, schon gut", murmelte ich nur. „Ich halt schon die Klappe. Kein Grund, persönlich zu werden."
Spencer schnaubte nur missbilligend.
Für mehr blieb ihm auch keine Zeit, denn der Dämon schien nun endlich bereit für einen Angriff zu sein.
Wie eine Katze – nur auf eine grauenhafte, angsteinflößende Art und Weise – schob er seine Hinterbeine nach hinten und drückte den Brustkorb ganz nah an den Boden. Dann rutschte er auch mit den Vorderbeinen nach hinten und streckte somit die Stelle, an der bei einer Katze der Schwanz wäre, immer weiter nach oben.
Der Dämon machte sich sprungbereit.
Und dann griff er an.
Es ging alles so schnell, dass ich es kaum mitbekam. In der einen Sekunde befand sich der Styryo noch kampfbereit mir gegenüber, in der nächsten segelte er in unglaublichem Tempo auf Spencers Kopf zu.
Einen Augenblick später überzog ihn eine dicke Eisschicht und er krachte mit voller Wucht neben mir zu Boden, was das elementare Eis zum Brechen brachte.
Wie benommen schüttelte der Dämon sich und reckte sein Gesicht langsam in Richtung Himmel. Der Kopf zuckte immer wieder leicht zurück, als würde das Wesen nach irgendetwas schnüffeln.
Blut.
Ich verzog angewidert das Gesicht und gab Spencer stumm ein Signal, dass er sich um die Klauen und die Zähne des Biestes kümmern sollte, während ich es erledigte.
Ich wusste zwar nicht, wie ich das anstellen würde, aber mir musste einfach etwas einfallen.
An eine andere Möglichkeit wollte ich nicht denken.
Der Eismagier und ich bildeten ein eingespieltes Team, das durch monatelanges Training perfekt aufeinander abgestimmt war. Denn seit Dominic der neue König von Mavar war, erschien er eher selten zu den Trainingseinheiten, die jeden Mittwoch in den Kellergeschossen des riesigen Palastes abgehalten wurden.
Ich übernahm seine Rolle als Spencers ebenbürtige Gegnerin.
Es dauerte nicht lange, bis die Krallen des Dämons am Boden festgefroren waren und er sich nicht mehr bewegen konnte. Sein hässlicher Kopf zuckte wütend von mir zu Spencer und wieder zurück.
Dabei knurrte er und fletschte die rasiermesserscharfen Zähne.
Ich wirbelte herum und versuchte, dem Styryo mit dem Schwert den Kopf abzuschlagen, doch meine Klinge prallte nur von der pechschwarzen Haut des Ungeheuers ab und hinterließ nicht den kleinsten Schnitt.
Als auch der zweite Hieb, in den ich noch viel mehr Kraft steckte als in den ersten, nichts bewirkte, änderte ich die Taktik.
Ich warf Spencer einen ratsuchenden Blick zu. Doch der war viel zu sehr damit beschäftigt, den Kopf des Dämons von mir abzulenken, damit sich die messerscharfen Zähne nicht in meinen Körper bohren konnten.
Ich war auf mich allein gestellt.
Und noch viel schlimmer.
Ich war völlig ratlos.
Ich schlug den Styryo-Dämon noch zwei weitere Male mit meinem Schwert, wobei ich einmal auf seinen Rücken, einmal auf den Bauch zielte, über den sich die schwarze Haut so straff spannte, dass ich mich wunderte, wieso sie noch nicht gerissen war.
Vergeblich.
Dennoch musste es einen Weg geben.
„Spencer?", fragte ich. Dabei versuchte ich so gut wie möglich über den Lärm des Kampfes hinweg zu brüllen. „Wie töte ich so ein Vieh?"
Spencer hob den Kopf kurz in meine Richtung, ließ den Blick jedoch nicht von dem schwarzen Dämon vor sich. Er wollte nicht das Risiko eingehen, von den spitzen Zähnen in zwei Teile gerissen zu werden.
„Es gibt nur eine Möglichkeit", antwortete der Adelige.
Ich musste mich zusammenreißen, ihn nicht anzuschnauzen, dass ich gefragt hatte, wie man ihn töten konnte, nicht wie viele Möglichkeiten es gab.
„Du musst ihm ein Messer aus purem Gold in den Rachen rammen."
Was?
„Was?!", rief ich. „Wo soll ich denn jetzt ein Messer aus purem Gold hernehmen!? Dachtest du vielleicht, ich würde immer eins bei mir tragen!?"
„Du hast doch gesagt, dass du dich um ihn kümmerst. Ich bin davon ausgegangen, dass du einen Plan hast!", erwiderte der Eismeister.
„Hatte ich auch! Aber zufälligerweise beinhaltet mein Plan kein Messer aus purem Gold!" Aufgebracht warf ich die Hände in die Luft.
Ich konnte erkennen, dass Spencer schluckte. Sein Kehlkopf bewegte sich überdeutlich auf und ab. „Und was machen wir jetzt?", fragte er.
„Das weiß ich doch nicht!", kreischte ich zurück.
Aber da kam mir plötzlich eine Idee.
Der Styryo-Dämon war schließlich nicht echt. Er konnte auf keinen Fall echt sein.
Zumindest hoffte ich das.
Aber eigentlich musste ich recht haben. Er war von ihm erschaffen worden, um Jasmine Angst zu machen. Um mich zu warnen.
Er war erschaffen worden. Nicht geboren. Erschaffen.
Nein, dieser Styryo war nicht echt und genauso auch all die anderen hier im Saal.
Sie waren nur hier, weil jemand sie geschickt hatte, weil jemand sie geformt hatte.
Mit Magie geformt.
Meine Idee schien plötzlich weniger wahnsinnig als noch vor wenigen Augenblicken.
„Halt die Zähne von mir fern!", rief ich Spencer zu. „Ich habe eine Idee!"
Dann hechtete ich nach vorne und warf mich auf den Dämon.
Ich packte seinen Rücken mit beiden Händen und blendete den Kopf vollständig aus, obwohl dieser andauernd versuchte nach mir zu schnappen.
Ich konzentrierte mich nur auf die Magie, die den Kern des Dämons bildete und schob sie ins Zentrum meines Bewusstseins.
Bald nahm ich nichts mehr weiter wahr. Nur noch den giftgrünen Kern der Macht, der die Existenz des Styryos bildete.
Und dann entzog ich ihm diesen Kern.
Ich sandte meine Magie aus, um sein Leben zu beenden, um seinen Körper zu Staub zerfallen zu lassen.
Meine Wellen schwappten in seinen Körper, ergriffen sich den Kern der Macht und zogen ihn mit sich.
In meinen Körper.
Ich spürte die düstere, gespenstische Magie, vor der ich so viel Angst hatte.
In meinen Händen, meinen Füßen, meinem Herzen.
Alles schien sie zu verschlingen und auszulöschen. Alles Gute in meinem Körper schien sie zu töten.
Aber ich blendete das ätzende Stechen aus, das diese fremde Macht in mir auslöste, und konzentrierte mich nur auf mein Ziel.
Eiserne Entschlossenheit bildete den perfekten Einklang mit kühler Distanz.
Wenige Augenblicke später war alles vorbei und der Styryo-Dämon zerfiel einfach vor meinen Augen zu Staub.
Ich hatte ihm seinen magischen Kern, seine magische Existenz geraubt und sie dazu genutzt, sein Leben zu beenden.
Erleichtert atmete ich auf und ließ die abscheuliche Macht in mir los.
Sie verschwand einfach.
Und ich war froh darüber.
Schweiß rann meinen Rücken hinunter und hatte sich auch an meinen Schläfen gebildet. Meine Kehle war wie ausgetrocknet und das Adrenalin flutete meinen Körper.
Aber meine Aufgabe war noch nicht vorbei.
Also schenkte ich Spencer ein angedeutetes Lächeln, wirbelte herum und machte mich endlich auf die Suche nach diesem Clown.
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Diesmal dauerte es nicht lange, bis ich ihn fand und mir meinen Weg zu ihm freigekämpft hatte.
Ich musste zugeben, dass er wirklich ziemlich gruselig war, wenn man ihn genauer betrachtete.
Er hatte so weiße Haut, dass sie wie Porzellan wirkte. Sie war so straff gespannt, dass ich mich fragte, ob er überhaupt den Mund öffnen konnte, ohne sich die Haut abzureißen. Tiefe Falten zogen sich über seine Stirn und seine runden, ekelhaft rosafarbenen Backen bildeten neben den Lippen und der Nase den einzigen Farbklecks auf seinem Gesicht, das eine grauenerregende Mischung aus schwarz und weiß darstellte.
Ein eiskalter Schauder lief mir den Rücken hinunter, als ich den Clown länger anstarrte.
Er trug die roten, verfilzten Haare nach hinten gekämmt. Ich verzog angewidert den Mund, weil ich erkannte, dass diese so fettig waren, dass man dafür mindestens drei Monate ohne Dusche verbracht haben musste.
Eher länger.
Doch als wäre das noch nicht gruselig genug, waren da auch noch die rote Nase, die in dem blassen Antlitz wirklich enorm fehl am Platz wirkte, und die zu einem fauligen Grinsen verzogenen Lippen, welche den Blick auf seine grauenhaft großen Zähne freilegten.
Blut klebte dem Mann in den Haaren und befleckte seine Kleidung und sein Gesicht. Blut, das mit Sicherheit nicht sein eigenes war.
In seinen pechschwarzen Augen sah ich nicht den kleinsten Funken Freundlichkeit. Nichts als Wahnsinn, sadistischer Genugtuung und verdrehter Freude war zu erkennen. Die Schwärze schien das gesamte Licht aufzusaugen und es in Dunkelheit zu verwandeln. Die gesamte Hitze zu absorbieren und sie als eisige Kälte wieder freizusetzen.
Ich schluckte meinen Schrecken hinunter und versuchte mich nicht auf die vollkommene Absurdität dieser Situation zu konzentrieren.
Denn obwohl er ein Clown war, war er deshalb noch lange nicht weniger gefährlich.
Vor allem die rasiermesserscharfen Zähne und Fingernägel zogen meine Aufmerksamkeit auf sich. Blut triefte aus dem immer noch grinsenden Mund und einige hautfarbene Fetzen hingen meinem Gegenüber zwischen den Zähnen.
War das Menschenfleisch?
Ich zuckte ein klein wenig zurück, als er die spitzen Finger fester um eine eiserne Kette schlang, die er hinter sich herzog. Auch an ihr klebten Blut und Hautfetzen.
Es war fast so als hätte er... als hätte er... als hätte er damit irgendetwas festgehalten und es dann aufgefressen.
Oder irgendjemanden.
Ich schluckte die Galle hinunter, die mir in der Kehle nach oben gestiegen war, und konzentrierte mich stattdessen darauf, nicht daran zu denken, wer oder was da an dieser Kette gehangen hatte.
Oder wie lange es gedauert hatte, bis das scheinbar endlose Leiden ein Ende nahm.
Spätestens jetzt konnte ich die Angst meiner Freundin mehr als verstehen. Vor diesem Kerl musste einfach jeder vernünftige Mensch Angst haben.
Jeder.
Ich wusste zwar nicht genau, weshalb er gerade ihr so starke Panik bereitete, aber ich konnte mir vorstellen, dass die Wege der beiden sich in diesem Leben bereits gekreuzt hatten.
Oder besser gesagt die Wege von Jasmine und dem echten Killerclown. Mit den echten Killer-Styryo-Dämonen.
Nicht diese billigen Kopien, die nur aus ihrer Angst kreiert worden waren, die nur aus Magie und Luft bestanden und die nur meinetwegen erzeugt worden waren.
Erneut drohten drei bekannte Gefühle, mich zu überwältigen.
So große Schuld. So unerträglich große Schuld lastete auf meinen Schultern, dass ich mich fragte, wie lange ich sie noch aushalten könnte, ohne einfach unter dem Gewicht zusammenzubrechen.
Meine Wut war sogar noch größer. Der ungebändigte Zorn brodelte in meinen Arterien, meinen Venen, meinem Herzen. Ich hieß die pfeffrige Röte willkommen, vereinte sie aber dennoch mit der kühlen, eisblauen Wut, die sich in meinem Inneren versteckte. Jene Wut, dank deren Hilfe ich immer noch am Leben war.
Aber nichts konnte meinen Hass aufhalten.
Hass auf ihn, weil er einfach meine beste Freundin traumatisierte.
Hass auf die Styryo-Dämonen, weil sie alle nur nach seiner Pfeife tanzten, genauso wie der gruselige, hässliche Clown, dem ich am liebsten das bescheuerte Grinsen aus dem Gesicht geprügelt hätte.
Hass auf mich selbst, weil ich verdammt nochmal so dumm gewesen war. Weil ich so naiv gewesen war, zu glauben, dass alles in Ordnung wäre. Weil ich Schuld an seiner Grausamkeit, seiner Leere war.
Weil ich ihm all dieses schreckliche Leid angetan hatte und ihn verdammt nochmal verstand.
Ich verstand seinen Hass auf mich genauso wie er meinen Hass auf sich verstehen musste.
Und dafür hasste ich mich selbst mehr denn je.
Weil ich ihn verstand, weil ich Mitleid mit ihm gehabt hatte.
Aber diese Zeit war lange vorbei.
Diese Zeit war vorbei gewesen, als er mir damals alles genommen hatte.
Alles.
Meine Familie. Mein Zuhause. Mein ganzes verdammtes Leben.
Ja. Die Zeit des Mitleids war vorbei.
Klirr-Ratsch-Rizz-Klirr.
Das Geräusch der Kette, die über den Boden geschleift wurde, ließ meine Gedanken erneut klar werden.
Wieso ließ ich mich heute nur so leicht ablenken?
Im letzten Moment wich ich geschickt einem Hieb aus und warf mich zu Boden. Fast hätten mich die schweren Eisenglieder der Kette im Gesicht getroffen und dort mehr Schaden verursacht als ich mir heute erlauben konnte.
Ich wirbelte auf dem Boden herum, warf den Pferdeschwanz mit Schwung über meine Schulter, während ich den Kopf in einer halbwegs eleganten Bewegung nach oben riss, und nutzte meine jahrelange Erfahrung, um die Füße anzuwinkeln, einen Tritt in Richtung der Kniekehle meines Angreifers zu machen und schließlich mit erhobenem Schwert zu landen.
In meinen Augen brodelten der Zorn und der Hass, die sich so viele Jahre lang angestaut hatten, und drohten mit jedem meiner Atemzüge in Form eines heißen Feuerstrahls aus meinem Rachen zu strömen.
Ich fletschte die Zähne, riss den juwelenbesetzten Schwertgriff in einer geschwungenen Bewegung in die Richtung des Clowns und sprang währenddessen auf meinen Gegner zu.
Ich schluckte und erkannte plötzlich den metallischen Geschmack von Blut in meinem Mund. Wenn ich mich darauf fokussierte, fühlte ich sogar den Schmerz.
Ich hatte mir im Laufe des Kampfes wohl irgendwann auf die Zunge gebissen.
Aber das war mir egal.
Es war mir alles egal.
Ich nahm nicht mehr richtig wahr, dass das Kampfgeschehen um mich herum immer heftiger tobte oder dass immer mehr Adelige zu Boden stürzten – tief schlafend.
Ich nahm nicht mehr wahr, wie die Elementarmagie sich feurig prickelnd im Raum verteilte oder wie meine eigenen Wellen der Übertragung sich nach dem Gefühl der Macht reckten.
Ich nahm nicht mehr wahr, wie sich die schwere Eisenkette direkt auf mein Gesicht zu bewegte oder wie einer der schwarzen Styryo-Dämonen sich aus dem Kampf löste, um seinen Meister zu verteidigen.
Ich nahm nicht einmal mehr wahr, wie besagter Dämon zum Sprung ansetzte und mit ausgefahrenen Krallen auf mich zuhechtete.
Ich blendete alles aus und konzentrierte mich ausschließlich auf mein Ziel, das mir so kurz vor der Nase niemand mehr wegschnappen würde.
Ein seltsames Brüllen verließ meinen Rachen, als ich dem angestauten Hass und Zorn, der Verzweiflung und Trauer, dem Blutdurst und der Mordlust endlich nachgab.
Ich ließ all das an die Oberfläche, was ich so lange in mich hineingefressen hatte. Was ich vor allen versteckt gehalten hatte.
Mir schwebte nur noch ein Gedanke im Kopf.
Nur noch ein einziger, gleichzeitig schöner, trauriger und schrecklicher Gedanke.
Ich dachte nur daran, was das Leiden eines Freundes für ein Monster aus einem Menschen machen konnte. Zu was es ihn fähig machen konnte und wie viele Grenzen es ihn einfach überschreiten ließ, ohne nachzudenken.
Ich lächelte, als ich dem gruseligen Zirkusclown die Klinge in die Kehle rammte und mich im selben Moment die einschläfernden Krallen des Dämons am Unterarm streiften.
Der Blutdurst ließ urplötzlich nach und die Mordlust verschwand schlagartig, als sich endlich alle Dämonen in grauen Rauch auflösten.
Ich hatte die erste Runde unseres Kampfes gewonnen.
Ich hatte den ersten seiner verdammten Tests bestanden.
Das war der letzte Gedanke, den ich zu fassen bekam, bevor der Fluchtschatten seine Wirkung entfaltete und die Welt in Dunkelheit versank.
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