24

  Chandra brauchte eine ganze schreckliche Minute, bis sie es auch nur schaffte zu zittern.

Kaya stand die ganze Zeit nur breit lächelnd da und musterte ihre Schwester.

Ich nutzte die Zeit, um all mein Hintergrundwissen über die gemeinsame Geschichte der beiden Schwestern zu sammeln und zu sortieren.

Wie hatte ich nur so blind sein können?

Ich hatte weder Chandra noch Kaya in letzter Zeit selten gesehen und mir war nicht aufgefallen, dass sie einander quasi wie aus dem Gesicht geschnitten waren.

Dieselbe Nase, auch wenn die von Chandra gerade war und Kayas ein kleines bisschen schief. Dieselbe Hautfarbe. Dieselben vollen Lippen.

Und dieselben goldenen Sprenkel in den Augen.

Vielleicht hatte ich diese Tatsache bei Kaya verdrängt, weil ihre Schwester so viele davon besaß, dass die ganzen Augen golden schimmerten, während bei Kaya die anderen Farben dominierten.

Plötzlich kam ich mir unglaublich dumm vor.

Ich hatte Chalency O'Brian in dieser Zeitschleife sogar gesehen und mir war nicht aufgefallen, dass sie aussah wie die Assassinin, die mich in der Gegenwart heimsuchte.

Ich hatte ihre Augen einmal golden, ein anderes mal silbern und ein drittes mal violett funkeln sehen, wie Kayas graue Augen mit den zweifarbigen Highlights.

Tupfen aus Gold und Violett.

Seltsamerweise ergab plötzlich alles einen Sinn.

Chalency hatte fast zwei Jahre lang auf den Straßen von Cyltis gelebt, wo sie eine Ausbildung zur Assassinin absolviert hatte, genau wie Kaya.

Anschließend hatte sie Chandras Liebhaber getötet, weil er in ihren Augen die Schuld an allem trug und sie einen anderen Sündenbock gebraucht hatte als sich selbst.

Ich hatte gesehen, wie Chalency Chandras Macht einfach in Luft auflösen konnte... und ich hatte gesehen, wie Kaya sich selbst einfach in Luft auflösen konnte.

Es musste beides zu ihrer Magie gehören.

Als ihre große Schwester Chalency schließlich aus dem Fenster gestoßen hatte, war sie nie bei den spitzen Felsen unten angekommen.

In ihren Jahren auf der Straße hatte sie ganz einfach lernen können, ein Geist zu werden und war dank dieser heute perfektionierten Fähigkeit vor dem Aufprall aus der Existenz verschwunden...

Es war einfach zu schrecklich, um wahr zu sein.

Anschließend war Chalency wohl von Scyvrar nach Iliris gereist und hatte sich dem erstbesten Königshof angeschlossen, der ihr in den Sinn gekommen war.

Synth.

Es musste ein zu leichtes Spiel für sie gewesen sein, sich einen neuen Namen zu verschaffen und ihre psychopathische Ader als legendäre Assassinin endlich frei ausleben zu können.

Ich erinnerte mich an die Unterhaltung zwischen Onith und Chalency in dieser großen Halle. Daran, wie die junge Prinzessin ihn fertiggemacht hatte, ohne auch nur einen Funken Mitleid zu verspüren.

Damals hatte ich es auf sein Verhältnis mit ihrer Schwester geschoben, aber heute könnte es vielleicht auch daran liegen, dass Kaya schon immer eine kleine Psychopathin mit hübscher Maske gewesen war.

Sie hatte sich ihre Haare gefärbt, eine Dauerwelle machen lassen und ihr Make-Up jedes Mal, wenn sie sich in der Öffentlichkeit zeigte, so heftig übertrieben, dass niemand auch nur die Chance hatte, die Geisterassassinin mit der cyltischen Prinzessin in Verbindung zu bringen.

Was hat dich nur zu so einem Monster gemacht?, hallte meine eigene Stimme in meinem Kopf wider und ich sah den verletzlichen Ausdruck auf ihrem Gesicht vor mir, sobald sie meine Frage gehört hatte.

Ich war immer ein Monster. Seit meiner Geburt, hatte sie geantwortet.

Und vielleicht stimmte das.

Vielleicht hatte sie das alles nur getan, weil sie tief in ihrem Inneren schon immer eine Psychokillerin gewesen war.

Aber ich konnte diese kleine Stimme in meinem Hinterkopf nicht verstummen lassen, die mir einzureden versuchte, dass es ohne Chandra und Onith niemals eine Kaya gegeben hätte.

Dass Freytor, das vernichtete Königreich, vielleicht noch existieren würde.

Aber ich konnte mich nicht dazu aufreißen, diesen Gedankengang zu Ende zu führen.

Nicht, wenn Chandra schockiert nach Luft schnappte und einen Schritt nach hinten taumelte.

Die Kronprinzessin von Cyltis riss mich aus meinen Gedanken.

Sie hatte ihren Schock überwunden und jetzt erkannte ich ein anderes, viel gefährlicheres Gefühl in ihren Augen, spürte es in ihrer goldenen Aura.

Hass.

Hass und Wut ließen ihr Blut brodeln und das Maß der Gefühle war so voll, dass es nur noch eine Frage von wenigen Minuten sein konnte, bis es überlief.

Ich wollte nicht einmal darüber nachdenken, was geschehen würde, wenn Chandra die Kontrolle verlor.

Über diese unendlich große, rohe, goldene Macht.

Aber Kaya hatte das gewusst.

Die Assassinin hatte gewusst, dass Dominic die Kronprinzessin von Cyltis heiraten würde, also hatte sie auch gewusst, dass ihre eigene Schwester die ganze Zeit über in ihrer Nähe gewesen war, sie die ganze Zeit hätte entdecken können.

Vielleicht war ihr das egal.

Sie war eine Psychopathin, eine Killerin, eine Frau ohne Gewissen, die Spaß daran hatte, tödliche Spielchen mit den Leben von anderen zu spielen.

Sie war die Schlächterin von Freytor und sie würde nie wieder die Prinzessin von Cyltis sein.

Vielleicht hatte Chandra doch recht gehabt und Chalency O'Brian war in jener schicksalhaften Nacht gestorben, als sie von ihrer großen Schwester aus dem Fenster gestoßen worden war.

Aber Kaya hatte überlebt und war zu der Legende aufgestiegen, die sie auch heute noch war.

Die Assassinin lächelte immer noch und putzte sich mittlerweile mit einem Messer die Fingernägel.

„Das ist also die Begrüßung, die ich erhalte, wenn du herausfindest, dass ich zum zweiten Mal von den Toten zurückgekehrt bin?", fragte sie.

Alle anderen waren mucksmäuschenstill, wagten es nicht einmal zu atmen.

„Chalency", flüsterte Chandra, spuckte das Wort aber trotz des leisen Tonfalls förmlich in die Richtung ihrer Schwester. „Was ist nur aus dir geworden?"

„Aus mir geworden? Aus mir geworden?!", zischte Kaya sie an. Die Farbe war ein bisschen in Chandras Gesicht zurückgekehrt, als sie ihre Schwester angewidert musterte.

„Das hast allein du aus mir gemacht!", schrie Kaya. „Du und dein dämlicher, dämlicher Liebhaber!"

Chandra zuckte bei der Erwähnung von Onith sichtbar zusammen, ballte jedoch ihre Hände zu Fäusten, sodass ihre Knöchel weiß hervortraten.

„Wage es nicht, so über Onith zu sprechen", murmelte sie gefährlich leise.

Aber Kaya lachte nur barsch. Ein schreckliches, verrücktes Lachen, das nicht von dieser Welt stammen konnte.

„Ach Schwesterherz", spottete die Killerin. „So viele vergangene Jahre und du bist trotzdem noch immer die verklemmte Chandra, die ich kenne."

Diese knirschte bei der offensichtlichen Beleidigung hörbar mit den Zähnen, aber Kaya fuhr unbehindert fort.

„Du hättest mich damals nicht aus diesem Fenster stoßen sollen, meine Liebe."

Chandra sagte nichts, aber ich erkannte Zustimmung in ihren Augen und auch einen Anflug von bitterer Reue.

„Wenn ich dadurch die Erschaffung von diesem Monster hier verhindert hätte, hätte ich dich schon in der Wiege erstechen sollen", fauchte die Prinzessin ihre Schwester an.

Kaya fletschte die Zähne, hielt sich aber unter Kontrolle.

Ich spürte auch ihre Macht aufsteigen und das tiefe Grau, das tiefe Silber verband sich mit dem leuchtenden Gold.

„Das hättest du nicht über dein mickriges Herz gebracht", murmelte Kaya nur, während sie ihre gesäuberten Nägel betrachtete. „Du hast es ja nicht einmal fertigbekommen, in jener Nacht aus dem Fenster zu sehen, um sicherzustellen, dass ich wirklich tot war. Du hast nicht gemerkt, dass ich mich vor meinem Aufprall geschickt aufgelöst habe, weil du deine eigenen Taten nicht verkraften konntest. Weil du schwach bist."

Erneut flackerte Zustimmung in den Augen der Kronprinzessin auf.

„Ein Fehler, den du heute bezahlen musst", flötete die Assassinin und warf einen Blick auf ihre Schwester, der so voller Zorn und Hass und Mordlust war, wie ich es selbst bei Kaya noch nie gesehen hatte.

Ich schluckte.

„Vielleicht würdest du es noch nicht einmal heute schaffen, deine eigene Schwester zu töten, Prinzessin", provozierte Kaya ihre Schwester weiter.

Zu spät bemerkte ich, dass das Gefühl von Chandras Magie plötzlich stärker wurde.

„Das kannst du liebend gerne herausfinden", zischte sie.

Sofort formte sich einen goldenen Energieball in ihrer Handfläche.

Kaya gab ein kampflustiges Geräusch von sich und zückte ein zweites Messer.

„Weißt du was, Aria", knurrte sie mir zu. „Ich habe mir die Sache anders überlegt."

Ich konnte nicht einmal nicken, so schockiert war ich immer noch.

„Du darfst dir nicht aussuchen, welchen deiner Freunde ich als Bezahlung schlachten darf. Ich will Chandra."

Meine Freunde schnappten bei der Brutalität in den Worten der Assassinin nach Luft.

Ich sah aus dem Augenwinkel, wie Cassandra und Dominic mir entschuldigende Blicke zuwarfen, weil sie mir nicht genügend vertraut hatten, um den Preis dieses Handels zu sehen.

Ich war zu gefesselt von dem, was sich vor mir abspielte, um ihre Entschuldigungen mit einer Bewegung zu akzeptieren.

In diesem Moment warf Chandra ihre Macht auf Kaya.

Ich spürte goldene Magie, fühlte goldene Aura.

Macht kribbelte auf meiner Haut, ließ meine Nackenhaare zu Berge stehen und verursachte einen eiskalten Schauder, der über meinen Rücken lief.

Schweiß bildete sich auf meinen Schläfen, in meinem Nacken und in meinen Handflächen, als ich all meine Kraft dafür aufbringen musste, um nicht in diesem magischen Meer unterzugehen.

Zu meinem Glück existierte Chandras Macht nicht lange, bevor Kaya eine Hand ausstreckte und ihre eigene Magie entfesselte.

Eine unsichtbare Welle aus Grau und Silber, Violett und Gold traf mich und ließ mich keuchen, als sich der Ball aus goldener Energie einfach in Luft auflöste, zu Staub zerfiel und für immer aus der Existenz wich.

Ich konnte nicht sagen, welche der beiden Schwestern die stärkere Macht besaß, da beide Gefühle mich einfach überwältigten.

Dominic erhob sich, ein dunkelblauer Feuerball in der Hand und bereit, seiner Verlobten im Kampf zu helfen, aber beide Frauen wirbelten zu ihm herum.

„Halt dich da raus", riefen sie gleichzeitig.

Dann hob Chandra ihre Hände, legte sie übereinander und riss sie in einer öffnenden Bewegung zu beiden Seiten von ihrem Körper weg.

Ich spürte eine letzte Machtwelle von der Kronprinzessin ausgehen, als sich eine goldene Wand aus Magie um die beiden Kämpfenden bildete, die alles andere ausschloss.

Wir konnten nur zusehen, wie die beiden sich gegenseitig fertigmachten.

Weit entfernt spürte ich noch das Gefühl ihrer Macht in der Luft, aber ich blendete es vollständig aus.

Alles, was ich jetzt noch machen konnte, war hoffen, dass Chandra den Kampf gewann.

Ein zweiter Energieball wurde von einer Handbewegung ihrer Gegnerin vernichtet und schon bald folgten weitere.

„Ist das alles, was du drauf hast, Schwesterchen?", provozierte Kaya sie.

Chandra knurrte nur zurück, dass sie sich gerade erst aufwärmte.

Sie nahm ihre Hände vor ihre Brust, verschränkte sie dort, nur um sie dann sofort wieder zu lösen.

Sie führte eine komplizierte Drehung aus dem Handgelenk aus und hielt anschließend ihre Hände gegenüber.

Eine Choreografie, die nur sie kannte, die nur sie beherrschte.

Eine goldene Energie begann, sich zwischen ihren Handflächen zu formen.

Stärker als die kleinen Magiebälle, die sie vorher auf ihre Schwester geworfen hatte. Machtvoller als jeder Einsatz, den ich von Chandras Fähigkeiten bisher miterlebt hatte.

Hätte die wabernde Wand mich nicht von den beiden abgeschirmt, wäre ich von der schieren Kraft in den Händen der Cylterin vielleicht zusammengebrochen.

Der Energieball wurde größer, leuchtete heller und ich konnte ein verängstigtes Glitzern in Kayas Augen spüren.

Die Assassinin setzte bereits ihre Magie ein, um Chandra daran zu hindern, den Ball voll zu entwickeln, doch ihre Schwester ließ so schnell so viel Magie in ihre Hände fließen, dass Kaya nicht den Hauch einer Chance hatte, sie davon abzuhalten.

Chandras Augen strahlten mittlerweile in einem unheimlich hellen Gold und leichte Rinnsale ihrer Macht tropften von dem riesigen Kern aus flüssiger Energie in ihren Händen, der ebenfalls strahlte wie die Sonne.

Ich hielt den Atem an, als sie ihre Hand zurückzog und ihre Kraft losließ.

Der Ball flog schneller auf Kaya zu, als ich blinzeln konnte.

Er traf die goldene Wand, vor der die Assassinin noch eine Sekunde zuvor gestanden hatte.

„Achtung!", rief ich und diese Warnung war das einzige, was Chandra vor dem Messer rettete, das auf ihren Kopf geworfen wurde.

Kaya war hinter ihrer Schwester wieder aufgetaucht und hatte versucht, sie schnell und präzise zu töten, aber Chandra schaffte es, ihren Kopf nach unten zu reißen und dem Todesstoß zu entgehen.

Kaya verschwand wieder aus meinem Sichtfeld, während Chandra einen weiteren kleinen Ball aus Gold in ihren Händen sammelte.

Ein gruseliges Lachen hallte durch den Raum, als die Energie in Chandras Hand verblasste und das goldene Leuchten aus ihren Augen verschwand.

Die Prinzessin versuchte es erneut, konnte jedoch abermals ihre Magie nicht lange genug festhalten, um sie auf ihre Schwester zu werfen.

Außerdem war Kaya immer noch verschwunden.

Ich sah plötzlich am Rand des goldenen Käfigs ein graues Flimmern in der Luft.

Chandra lachte. „Du dachtest wirklich, ich würde dich einfach so gehen lassen? Diese Wand ist so gebaut, dass du in deiner Geistergestalt nicht daraus entkommen kannst."

Ich glaubte, einen frustrierten Schrei zu hören, doch das Flimmern verschwand wieder.

Von Kaya blieb nicht mehr übrig außer Luft und das Gefühl ihrer silbernen, grauen Magie.

Chandra drehte sich langsam um die eigene Achse, wobei sie sich immer weiter an die goldene Wand annäherte, die zumindest eine ihrer vier ungedeckten Seiten schützen könnte.

Kaya schlug schneller zu als ich blinzeln konnte.

Das Messer segelte durch die Luft und bohrte sich in Chandras rechtes Bein.

Die Prinzessin stolperte.

Einen kurzen Augenblick später lag Dominics Verlobte auf dem Boden und presste die Hände über der blutenden Stelle zusammen.

Erneut tönte ein schallendes Lachen durch den Raum.

Chandra richtete sich auf und ging schließlich auf die Knie, von wo aus sie uns allen kurz in die Augen sah.

Unendlich viel Trauer und Schmerz standen in ihrem goldenen Blick und ich konnte Tränen in ihren Augen erkennen.

So viele Tränen, die sie über die Jahre zurückgehalten hatte.

Chandra legte sich beide Hände auf die Brust, direkt über ihr schlagendes Herz, und riss sie von sich, als sie einen herzzerreißenden Schrei ausstieß.

Ein Schrei für ihre verlorene Liebe Onith, für ihre tote Schwester Chalency.

Ein Schrei aus Wut und Trauer und Schmerz.

Ein Schrei aus goldener Macht.

Magie strömte aus Chandras Körper, wie ich es noch nie bei irgendjemandem gesehen hatte.

Energie umgab sie, hüllte sie ein und ließ ihren Schrei lauter und herzzerbrechender klingen als alles Vorstellbare.

Eine Kugel, eine Schutzblase aus Magie und Emotionen bildete sich um Chandras gesamten Körper, hüllte sie ein wie eine Decke, die sie beschützen würde.

Graue Schwaden bildeten sich in der Luft, als Kaya langsam zurück in die Wirklichkeit überging.

Ihr Körper formte sich so langsam, dass ich jeden einzelnen Farbklecks erkennen konnte, aus dem ihr Wesen bestand, das noch wenige Sekunden zuvor vollständig verschwunden gewesen war.

Entsetzt starrte die Assassinin auf die goldene Blase, die Chandra nun komplett verdeckte.

Kaya hatte keine Chance, auch nur darüber nachzudenken, sich erneut aufzulösen, als Chandra auch schon zuschlug.

Tausend goldene Scherben wurden von ihrem Körper weggeschleudert und bohrten sich in die undurchdringliche Wand.

Einige trafen Kayas Körper, doch sie konnte ihre Augen nicht von ihrer Schwester nehmen.

Chandra war die Verkörperung ihrer Magie.

Die Prinzessin war überzogen von flüssiger Energie, die ihre Haut leuchten ließ wie die Sonne.

Ihre Haare wurden von der Macht angehoben und sie schwebten um ihr Gesicht, in dem ihre Augen strahlten wie die hellsten Sterne.

Chandra schwebte in der Luft, umhüllt von ihrem Gold, ihrer Magie, die sie trugen wie Flügel.

In ihrer Hand glänzte eine zweite Sonne, von der ich den Blick abwenden musste, weil sie mich so sehr blendete.

Mit all der Magie, die in ihr steckte, griff Chandra endlich richtig an.

Sie wirbelte herum und warf diese kleine Sonne auf Kaya, die es gerade so noch schaffte, sich aufzulösen, bevor der Ball aus ungeheurer Macht hinter ihr einschlug.

Die Wand schaffte es nicht mehr, mich von der Flut aus Macht abzuschirmen und ich musste meine gesamte Konzentration aufbringen, um mich dem verführerischen Säuseln des Goldes nicht hinzugeben, das mir ins Ohr flüsterte wie ein Geliebter.

Mein ganzer Körper begann zu zittern und ich schwitzte mehr als jemals zuvor, doch ich wandte mich nicht ab, als Chandra die goldene Wand zu sich zog und Kayas Aufenthaltsbereich dadurch immer weiter verringerte.

Wenige Sekunden später hatte die Prinzessin kaum noch Platz, aufrecht in der kleinen Kugel zu stehen.

Sie setzte ihre Füße auf dem goldenen Boden ab und ließ suchend den Blick über den engen Raum gleiten, in dem Kaya sich versteckt hielt.

Es dauerte nicht lange, bis sie sich zeigte.

Sie tauchte urplötzlich auf den Boden gekauert auf, sprang ihre Schwester wie eine Schlange an und riss sie mit sich zu Boden.

Ich hielt den Atem an, als Kaya meiner Freundin ein Messer an die Kehle presste.

Die Assassinin grinste. „Nette Tricks, die du da gelernt hast, aber um mich zu besiegen braucht es schon ein bisschen mehr."

Chandra legte den Kopf schief, so gut es mit dem Messer an der Kehle ging.

Zu spät bemerkte Kaya das Aufblitzen der Magie in den Augen ihrer Schwester.

Zu spät bemerkte sie, dass sie immer noch von Chandras goldener Magie umgeben war.

Zu schnell verformte sich der Abschnitt der magischen Wand hinter ihr zu einem Schwert und wurde von einer unsichtbaren Hand in ihren Hinterkopf gestoßen.

Die leuchtende Spitze drang vorne wieder heraus, Blut und Gehirn klebten daran und spritzten in das Gesicht der cyltischen Kronprinzessin, die ein weiteres Mal ihre eigene Schwester getötet hatte.

Kayas Augen zuckten ein letztes Mal, bevor sie zusammenbrach.

Tot.

Kaya war tot.

Chandra seufzte erleichtert und ließ ihre Magie los.

Die goldene Wand verschwand, als die Prinzessin zu schluchzen begann und ein drittes Mal den Tod ihrer Schwester beweinte.

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Ich ließ sie trauern und schloss mich meinen Freunden nicht an, als sie der Cylterin seelischen Beistand und Trost leisteten.

Stattdessen schlüpfte ich unbemerkt aus dem Raum und machte mich auf den Weg zu meiner Suite, um dieses unangenehme Gefühl mithilfe einer kalten Dusche von meinem Körper zu waschen, das sich dort nach dem Kampf ausgebreitet hatte.

Ein Teil von mir schob es auf die Anstrengung, die es mich gekostet hatte, dem Drang von Chandras Flüstern zu entgehen...

Aber ein anderer Teil wusste, dass mehr dahinter steckte.

Irgendwas an den Ereignissen des heutigen Tages störte mich.

Als ich dem Mann über den Weg lief, der schweißgebadet vor dem Wandteppich auf und ab lief, hinter dem die Treppe zum Mädchenturm verborgen war, verkrampfte sich mein Magen zu einem festen Knoten.

Galle stieg mir die Kehle hinauf, als er mich mit gehetztem Blick ansah.

Ich kannte ihn nicht, aber was auch immer er zu berichten hatte, es konnte auf keinen Fall etwas Gutes sein.

„Ich suche Ariadne Skensnyper", sagte er.

Als ich diesen Namen hörte, erstarrte ich in meiner Bewegung. 

Ich wollte mich einfach nur in einer Ecke erbrechen.

Es gab nur einen Mann, der mich noch mit diesem Namen ansprach.

Ich nickte, als ich die bittere Galle nach einer Weile hinunterschluckte.

„Das wäre dann ich", sagte ich mit vor Angst leicht zitternder Stimme.

Der Mann sah mich verzweifelt an. „Ich soll dir ausrichten, dass du drei Stunden Zeit hast, um an den Ort zu kommen, an dem alles angefangen hat."

Ich begann am ganzen Körper zu zittern, mein Puls beschleunigte sich und mein Atem ging schneller, als ich seine düsteren Worte hörte.

Ein Ultimatum.

„Sonst was?", wagte ich zu fragen.

Bei der Antwort drehte sich mein Magen erneut um und ich musste mich mehr als nur zusammenreißen, um mich nicht augenblicklich in den Flur zu übergeben.

„Ich bin Mitglied der Stadtwache. Ich bin so schnell hergekommen wie ich konnte", keuchte der Mann und ich sah die Panik in seinen Augen. „Sie haben gesagt, ich soll dir diese Nachricht überbringen und wenn du in drei Stunden dort bist, werden sie uns alle verschonen und ihre Truppen abziehen."

Ein letztes Mal brachte ich den Mut auf, die entscheidende Frage zu stellen.

„Wer?", hauchte ich.

Der Mann zuckte deutlich zusammen. „Die synthischen Soldaten", antwortete er. „Ich weiß nicht, wie sie es geschafft haben, aber sie haben die ganze Stadt umzingelt. Es sind mindestens eine halbe Millionen. Alle bewaffnet."

Ich konnte mein Mittagessen nicht länger zurückhalten.

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