19

  Als ich erwachte, war das erste, worauf mein Blick fiel das vertraute Deckenfresko im Krankenzimmer des Palastes.

Ich musterte das Gemälde, das die tragische Legende zweier Jungen erzählte, die am Ende ihrer Reise in einen weißen und einen schwarzen Hund verwandelt worden waren und dazu verdammt, sich für immer zu bekriegen.

Währenddessen spukte mir immer wieder dieselbe Frage im Kopf herum.

Wie? Wie war ich hierher gelangt?

Ich erinnerte mich noch vage an einen Mann, der mich vor drei anderen zwielichtigen Gestalten gerettet hatte, indem er sie mit seinen Messern ins Jenseits beförderte. Dann hatte er mich geheilt.

Ich verdankte ihm mein Leben.

Ich bewegte mich bewusst nicht, und tat für etwa zwei Minuten so, als würde ich noch schlafen, die Augen offen und auf das Fresko über mir gerichtet.

Aber so sehr ich mich auch bemühte, ich konnte mich nicht darauf konzentrieren, weil meine Gedanken immer wieder zu meinem mysteriösen Retter mit der Krähenmaske abschweiften.

Als ich schließlich endlich alles halbwegs verarbeitet hatte, was innerhalb der letzten – ja was eigentlich? Stunden? Tage? - geschehen war, bewegte ich meinen Arm, wobei ich besonders viel Wert darauf legte, möglichst authentisch gerade erst aufzuwachen.

Außerdem unterstrich ich meine Bewegung mit einem leichten Stöhnen, als würde die Müdigkeit noch wie eine Decke auf mir lasten – was ja strenggenommen sogar stimmte, zwei Minuten hin oder her.

„Du fragst dich bestimmt, was passiert ist", meinte eine Stimme neben meinem Bett, die ich dort keinesfalls erwartet hatte.

Ich wiederholte mein Stöhnen und ließ mich zurück in das viel zu weiche Kissen fallen.

Ein seidiges Lachen. „Ich werde das einfach mal als ‚Ja' werten."

Ich murmelte nur irgendetwas, das damit zusammenhing, dass ich es sowieso erfahren würde, auch wenn ich verneint hätte.

Wieder ein Lachen. „Ich muss dich leider enttäuschen. Ich weiß es selbst nicht so wirklich. Keiner von uns, eigentlich."

Ich verdrehte die Augen, als ich meine gesamte Willensstärke dazu verwenden musste, mich auf einen Ellenbogen zu stützen.

Das Krankenzimmer sah genau so aus, wie ich es in Erinnerung hatte: Schlichte weiße Wände, die an manchen Stellen von Metallregalen und -schränken gesäumt wurden. Etwa ein Dutzend unbenutzte Betten, die alle dieselbe hässliche Bettwäsche hatten wie in einem echten Krankenhaus. Piepsende Geräte, deren Zweck ich lieber nicht kannte oder wieder vergessen wollte.

In einem einfachen Holzstuhl am Bettrand saß Prinzessin Chandra O'Brian von Cyltis und sah mich stirnrunzelnd an.

„Weißt du denn, was genau passiert ist?", fragte sie mich, wobei sie sich mit einer Hand durch die braunen Haare fuhr. Ihre gold gesprenkelten Augen funkelten interessiert.

Ich schüttelte den Kopf und spürte sofort einen stechenden Schmerz in meinen Schläfen, was mich dazu brachte, die Bewegung sofort zu unterbrechen.

Ich griff nach dem Glas mit Wasser, das auf dem weißen Nachttisch stand und trank einen Schluck, ließ die eisige Flüssigkeit meinen Rachen befeuchten und meine Stimme wieder geschmeidig werden.

„Absolut nicht. Ich erinnere mich an gar nichts", log ich.

Ich wollte nichts über meine Rettung und diesen seltsamen Krähenmann erzählen, der allem Anschein nach die Unterwelt der Stadt auslöschen wollte.

Für Drogenkartelle, Bordelle und andere zwielichtige Geschäfte hatte schon bald das letzte Stündlein geschlagen.

Chandra seufzte leicht. „Na dann stehen wir wohl ebenso planlos da, wie noch vor wenigen Minuten."

Ich zuckte mit den Schultern, was ihr ein Lächeln entlockte.

„Dass du dich nicht schämst", meinte sie scherzhaft. „Erst bist du drei Tage verschwunden, dann auch noch sieben Stunden bewusstlos und jetzt weißt du nicht einmal, was passiert ist."

„Moment, hast du gerade gesagt? Ich war drei Tage bewusstlos?", fragte ich ungläubig.

Chandra schüttelte den Kopf. „Du warst drei Tage verschwunden."

Drei Tage?

Wie tief war diese Wunde gewesen, dass der Mann mit der Maske so lange gebraucht hatte?

Andererseits war er kein Heiler gewesen und hatte ausschließlich auf diese kleine Tube mit Heilsalbe gesetzt, die er mir gezeigt hatte...

„Aria?", fragte Chandra. „Ist alles in Ordnung?"

Besorgnis flackerte in den Augen der Wüstenprinzessin auf und obwohl sie mit den dünnen Goldband auf ihrem Kopf immer noch majestätisch wirkte, war sie mehr Mensch als je zuvor.

Ich hätte es nicht für möglich gehalten, aber ich lächelte Chandra tatsächlich an.

„Ja, mir geht es gut", entgegnete ich. „Ich bin nur noch nicht ganz wach."

Die Lüge glitt leicht über meine Lippen.

„Okay."

Chandra entspannte sich ein wenig, hielt die goldenen Augen aber dennoch wachsam auf mein Gesicht gerichtet. Nach etwa einer halben Minute legte sie den Kopf schief.

„Weißt du", sagte sie. „Es ist echt erstaunlich, dass du einen gesamten Königshof für über eine Woche getäuscht hast, als du vorgetäuscht hast, dass-"

„Ja ich weiß", unterbrach ich sie leicht lächelnd. „Kein Grund, die Details zu erläutern."

Chandra formte einen Schmollmund mit den vollen Lippen, die mit rotem Lipgloss bedeckt waren. „Wieso denn nicht?", fragte sie.

„Ich schäme mich ein bisschen dafür", gestand ich. Es tat gut, die Wahrheit endlich auszusprechen. „Für alles, was ich in meinem früherem Leben getan habe. Wer ich gewesen bin."

Die Prinzessin lachte. „Du schämst dich dafür, dass du überlebt hast, meine Liebe."

Ich zog nur eine Augenbraue hoch, die stumme Frage schwebte zwischen uns im Raum.

Chandra seufzte erneut, diesmal fast ein wenig traurig. „Wenn du wüsstest, für was ich mich alles schäme, würdest du stolz auf das sein, was du gewesen bist."

Ich schluckte. „Wenn du darüber reden willst..."

Sie lachte bitter. „Da gibt es wenig, über das ich reden kann. Ich habe einen fatalen Fehler gemacht. Einen Fehler, der nicht nur mein Leben außer Balance gebracht hat, sondern auch das meiner Liebe und meiner Schwester."

„Du hast eine Schwester?", fragte ich.

Ich erinnerte mich nicht daran, dass Chandra jemals eine Schwester erwähnt hatte.

„Ich hatte eine", erwiderte sie. In ihrer Stimme lag ein Kummer, den ich nie verstehen würde, den ich noch nie bei einem anderen Menschen gesehen hatte.

„Was ist geschehen?", flüsterte ich.

Tränen glänzten in Chandras Augen, als sie mich voller Bedauern ansah. „Ich habe sie getötet. Ich habe sie über den Rand einer Klippe gestoßen, wo sie von den spitzen Felsen tief unter uns aufgespießt wurde."

Meine Hand zitterte, als eine Träne über Chandras Wange kullerte.

Ich hatte die Prinzessin noch nie so verletzlich gesehen wie in diesem Moment.

Sie holte zitternd Luft, als sie mit einem ihrer schlanken Finger über ihre Wange wischte, um ihre Emotionen zu verbergen, doch ich hatte sie bereits gesehen.

„Manchmal ist Weinen keine Schwäche sondern eine unfassbare Stärke", flüsterte ich und beugte mich vor, um Chandras Hand zu ergreifen.

Ihre goldene Aura versuchte mich zu fluten und ich musste jede meiner Körperzellen von einem Schutzwall überziehen, damit das Gold nicht in mich eindrang und meine Wellen überwältigte.

Ich spürte so viel Kraft, Magie und Stärke, dass mir der Atem wegblieb.

Irgendwie gelang es mir jedoch, diesen Sog, dieses tödliche Verlangen meiner Magie nach dieser goldenen Kraft zurückzudrängen und ihre Hand leicht zu drücken.

„Wieso hast du es getan?", wagte ich zu fragen.

Sie lächelte schwach. „Ich war quasi noch ein Kind und sie... sie war damals auch noch so jung. Zwei Jahre jünger als ich."

Ich nickte. Das beantwortete meine Frage nicht, doch ich hakte nicht weiter nach.

Sie würde es mir erzählen, wenn sie irgendwann dazu bereit wäre.

Chandra hob den Kopf und sah mir in die Augen.

Gold auf Magenta.

„Ihr Name war Chalency", flüsterte sie.

„Chalency", wiederholte ich den Namen. Den Fluch. Den Geist ihrer Vergangenheit.

„Das ist ein typisch cyltischer Name. Genau wie meiner."

Ich konnte mich nicht davon abhalten, die nächste Frage zu stellen. „Was bedeutet er?"

Jetzt lächelte sie mich an, als würde sie an glückliche Zeiten mit ihrer Schwester zurückdenken.

„Chandra bedeutet ‚die Flamme der untergehenden Sonne'. Meine Eltern haben mich als ihre Erstgeborene so genannt. Im ewigen Andenken an die Hitze und die Sonne in Cyltis. Chalency bedeutet ‚Liebe zur Wüste' oder ‚ewiges Licht'. Der Name passte zu ihr wie die Faust aufs Auge."

Ich grinste. „Klingt ziemlich episch."

Chandra schnaubte. „Wenn sie eines war, dann episch."

„Na siehst du. Es gibt also auch schöne Erinnerungen an Chalency", ermutigte ich sie. „Außerdem sind Tränen Wasserverschwendung."

Sie lachte, auch wenn es durch die Tränen, die immer noch über ihr Gesicht strömten, eher ein fröhliches Zischen war.

„Weißt du, Aria. Ich verstehe wirklich nicht, weshalb du dich für deine Vergangenheit schämst", erklärte sie, wobei sie eine Hand auf meine Schulter legte. „Du bist eine Meisterdiebin, vielleicht sogar die beste von allen. Du hast es geschafft, einen gesamten Königshof mit einer einfachen Lüge zu täuschen, was dich zu einer gefährlichen Gegnerin macht, denn deine Schauspielkünste sind echt herausragend."

Ich lächelte bei dem Kompliment, ein warmes Gefühl breitete sich in meiner Brust aus.

„Außerdem macht dich diese Fähigkeit zu einer mächtigen Verbündeten, die durch deine Magie noch viel viel wertvoller für Mavar werden kann", fuhr sie fort. „Ich bewundere dich, Aria. Ich verstehe nicht, wieso du nicht das in dir siehst, was ich dort sehe."

Ihre Augen glänzten, als sie mir ein zitterndes Lächeln schenkte.

„Was siehst du?", stellte ich die unausweichliche Frage.

Chandra lehnte sich in ihren Stuhl zurück und verschränkte die Arme, wobei sie außerdem ihren Kopf schief legte. „Weißt du noch, als ich dir gesagt habe, dass in jedem Menschen eine Prinzessin oder eine Königin steckt, wenn wir uns nur darauf einlassen?"

Ich runzelte die Stirn, nickte aber.

„Ich mag vielleicht Chandra, Prinzessin der Wüsten sein. Aber in dir sehe ich Aria, die Königin aller Diebe."

„Die Königin aller Diebe?", fragte ich. „Ist das nicht ein bisschen dramatisch?"

Chandra schmunzelte. „Wenn dir etwas besseres einfällt, wäre ich für Vorschläge offen."

„Hm", murmelte ich nachdenklich. „Ich werde auf jeden Fall darüber nachdenken."

„Gut", antwortete sie grinsend. „Sehr gut."

Ich lehnte mich gegen mein Kissen und sah die Prinzessin am Rand des Krankenbettes an.

Vielleicht war sie ja wirklich nicht so übel.

Es war, als würde eine Last von mir abfallen, als ich daran dachte, dass Dominic eine gute Karte gezogen hatte, als er Chandra versprochen hatte, sie zu heiraten.

Die beiden würden ein schönes Paar abgeben, auch wenn mein Magen sich bei dem Gedanken an die Hochzeit noch immer umdrehte.

Egal, wie sehr ich Chandra mittlerweile mochte. Egal, wie lange ich mich mit dem Gedanken hatte anfreunden können. Egal, wie sehr Calin sich auch bemühte, mein Herz für sich zu gewinnen...

Ein dunkler Teil von mir wusste, dass Dominic immer diesen besonderen Platz dort haben würde. Diesen einen Fleck, den ich für meine erste richtige Liebe aufbewahren würde.

Chandra kicherte, was mich aus meinen Gedanken aufschrecken ließ. „Ich weiß, woran du denkst", murmelte sie verschwörerisch.

Ich wappnete mich, machte mich bereit, um ihr meine Gefühle für ihren Verlobten zu bestätigen, weil ich die ganzen Lügen satt war.

Ich öffnete den Mund und wollte mich gerade entschuldigen, als Chandra fortfuhr: „Er ist ein guter Kerl, Aria."

Ich blinzelte.

Dann ein weiteres Mal.

„Tut mir leid, ich fürchte, ich kann dir nicht ganz folgen", meinte ich verdattert.

Redete sie von Dominic?

„Ich rede von Calin."

Gut, das erklärte so einiges.

„Ich weiß, dass er das ist", seufzte ich.

„Ehrlich", erklärte Chandra. „Weißt du, wie viel lieber ich ihn manchmal heiraten würde? Ich meine, Dominic ist nett und ein süßer Kerl, aber Calin ist anders. Er hat dieses gewisse Etwas, das Dominic einfach nicht hat. Dieses Etwas, das mir ein Kribbeln im Bauch verursacht."

Bei mir war es dummerweise genau andersrum.

„Bist du in Calin-", wollte ich fragen, wurde aber durch ein Handwedeln unterbrochen.

„Zwischen Calin und mir läuft nichts", erwiderte sie. „Vielleicht hätte daraus mal etwas werden können, aber meine Pflichten als Prinzessin sind einfach nicht sein Stil. Er steht mehr so auf die ungezähmte Wildheit eines Messers, nicht auf die elegante Schönheit eines Kleides mit Blumenmuster."

Ich wusste nicht weshalb, doch ich fühlte mich seltsam erleichtert, als Chandra mir sagte, dass zwischen Calin und ihr nichts lief.

„Ich kann zwar sowohl mit Messern als auch mit Kleidern umgehen, aber Calin hat meine Liebe für ihn nie bemerkt. Also habe ich begonnen weiterzuleben und ich habe gelernt, ihn wie einen Bruder zu lieben. Nicht weniger, aber auch nicht mehr."

Ich nickte einmal, ehe ich antwortete: „Danke, dass du mir das erzählt hast. Es bedeutet mir viel."

„Gern geschehen", entgegnete sie grinsend, doch dann schien auf einmal eine unendlich große Last auf ihren Schultern zu liegen.

Die Erkenntnis traf mich wie ein Blitz.

Ich war so fokussiert auf Dominics mögliche Gefühle für Chandra gewesen, dass ich das Wesentliche nie bemerkt hatte.

„Du liebst ihn nicht", flüsterte ich.

Chandra lächelte traurig. „Nein. Ich liebe ihn nicht."

Ich schnappte nach Luft, die Emotionen drohten mich zu überwältigen.

Chandra liebte Dominic nicht.

„Aber ich werde", sagte sie mit leiser Stimme. „Ich werde lernen, ihn zu lieben und dann werden wir deine Heimat zusammen zu einem besseren Ort machen."

Ich schmunzelte bei diesem Versprechen. „Ich bin froh, dass du meine Königin sein wirst, Chandra."

„Und ich bin froh, dass Calin immer noch einen guten Frauengeschmack hat."

Wir lachten beide, als plötzlich die Tür aufging und mit einem leisen Klicken ins Schloss fiel.

Jemand räusperte sich und Chandra wischte die letzte Träne von ihrem Gesicht, die dort noch immer geglänzt hatte.

„Störe ich?", fragte der König von Mavar, seine Stimme tief und rau, als hätte er einen Kloß im Hals – was in seiner aktuellen Situation ja auch nicht ganz verwunderlich war.

„Natürlich nicht, Liebling", meinte Chandra nur und erhob sich von ihrem Stuhl neben meinem Bett. „Ich wollte dich sowieso gerade holen gehen."

Ich hob die Augenbrauen, aber Chandra zwinkerte mir verschmitzt zu. „Dominic hat uns allen das Versprechen abgenommen, ihn sofort über dein Aufwachen zu informieren. Und du hättest ihn erst sehen sollen, als du nicht da warst!"

Ich grinste bei dem Anblick der leichten Röte, die in Dominics Wangen schoss.

Doch das Grinsen erstarrte auf meinem Gesicht, als er sich hinunterbeugte und Chandra auf die Stirn küsste.

Ich biss die Zähne zusammen, um nicht zu knurren.

So viel zum Thema sie passen gut zusammen.

Chandra murmelte ihm etwas ins Ohr, woraufhin Dominic leicht nickte und sich zu mir drehte.

Die Prinzessin winkte mir ein letztes Mal zu, bevor sie sich abwandte und die Tür öffnete.

„Ach und Aria", rief sie mir von ihrer Position aus zu. „Heute gebe ich dir aus offensichtlichen Gründen frei, aber morgen erscheinst du gefälligst pünktlich zu deinem Training. Wir haben noch viel zu tun!"

Mit diesen Worten warf sie die Tür hinter sich ins Schloss.

Ich fluchte nur.

Ich wusste nicht, ob der Fluch Chandra galt, deren Schritte sich schnell vom Krankenzimmer entfernten, oder Dominic, der sich auf die Bettkante setzte.

Die Stelle, an der sein Körper die Matratze hinunterdrückte, schien mich anzuziehen wie ein heißer Magnet.

„Du hast also darum gebeten, dass man dich rufen lässt, sobald ich wach bin?", fragte ich ihn provokant, wobei ich mein Grinsen kaum zu verbergen versuchte.

Er lächelte, betrachtete mein Gesicht, suchte es nach Verletzungen ab, strich mit Blicken liebevoll darüber.

Er sagte nichts, doch das musste er auch nicht.

In diesem Blick lagen so viele Gefühle, die er mit Worten einfach nicht ausdrücken konnte.

So viele Emotionen, die ich teilte aber ebenfalls niemals zugeben konnte.

Schließlich wurde sein Lächeln zu einem breiten Grinsen, das seine tiefblauen Augen funkeln ließ wie einen Ozean im Mondlicht oder Regentropfen in der Sonne.

Ich schüttelte schmunzelnd den Kopf und setzte mich aufrecht hin, um zumindest ungefähr auf seiner Augenhöhe zu sein.

Er räusperte sich, aber als er schließlich sprach war seine Stimme immer noch belegt. „Wie geht es dir?"

„Besser", antwortete ich heiser.

„Gut."

Stille.

Seltsame Stille, die irgendwie trotz allem angenehm war.

So viele unausgesprochene Dinge hingen zwischen uns in der Luft, doch niemand wollte den ersten Schritt machen und all den Schmerz ansprechen, den wir jedes Mal beide fühlten, wenn wir uns in die Augen sahen.

Schließlich machte er den ersten Schritt.

„Es tut mir leid Aria", sagte er. „Ich weiß nicht, ob ich es je gesagt habe, aber es tut mir ehrlich und aufrichtig leid. Alles."

Mein Herz schmolz bei seinen Worten dahin und ich verlor mich in den tiefen des blauen Feuers in seinen Augen.

Das war alles, absolut alles, was ich je von ihm hatte hören wollen.

„Ist in Ordnung, Dominic", flüsterte ich, da ich meiner Stimme nicht mehr als genau diese Worte in genau dieser Lautstärke zutraute.

Er schien jedoch nicht erleichtert. „Nein, ist es nicht. Ich hätte dir sagen sollen, dass ich Chandra heiraten würde, sobald ich es gewusst hatte. Ich hätte es dir sagen sollen und nicht irgendjemand anderes, der es zufällig aufgeschnappt hat."

Noch mehr der Worte, die ich in den letzten Wochen so oft zu hören gehofft hatte.

„Ich war ein Idiot. Es tut mir so unglaublich leid."

Ich zuckte mit den Schultern. „Wir alle machen Fehler."

„Manche sind unverzeihlich."

„Wenn du mir verzeihst, dass ich dich ausrauben wollte und dir fast zwei Wochen lang etwas vorgegaukelt habe, dann kann ich dir auch verzeihen, dass du eine andere heiratest", meinte ich. Meine Stimme klang so viel gleichgültiger als ich mich fühlte.

„Wir lieben uns nicht", murmelte der König.

„Ich weiß", sagte ich. „Aber Chandra ist eine wirklich gutaussehende Frau, deren Inneres ebenso rein ist wie ihr Äußeres. Sie verdient einen Mann wie dich."

Er seufzte. „Ich weiß, dass Chandra super ist. Aber ich kann mich nicht einfach so in sie verlieben, nur weil ich will."

Ich nickte, weil ich ihn mehr verstand, als er sich vorstellen konnte.

„Außerdem", fuhr er fort und richtete den Blick auf seine Hände, während er an seinen Nägeln herumspielte wie ein nervöser Teenager.

„Sag es nicht", flüsterte ich.

Resigniert schüttelte er den Kopf und stieß schließlich den Atem aus, den er offenbar angehalten hatte.

„Ich will ehrlich mit dir sein, Dominic", sagte ich. „Ich war echt stinksauer auf dich. Stinksauer!"

Er richtete die Augen wieder auf mein Gesicht und schien erneut durch mich hindurch zu blicken.

„Wie konntest du nur so dumm sein und mir nicht erzählen, dass du eine andere heiraten willst und das, obwohl du wusstest, dass ich Gefühle für dich hatte? Und versuch gar nicht erst zu leugnen, dass du es wusstest oder dass du sie erwidert hast. Wir wissen beide, dass das gelogen wäre."

Er zuckte kaum merklich zusammen, aber die leichte Röte in seinen Wangen verriet ihn.

Ich hatte mit jedem Wort, das ich gesagt hatte, nur Wahrheit gesprochen.

Schließlich seufzte ich. „Aber ich bin nicht mehr sauer und ich bin auch nicht enttäuscht. Ich weiß jetzt, dass es das Richtige ist. Ich weiß, dass du es als guter König tun musstest und dass dein Reich wichtiger ist als alles andere auf der Welt."

Er lächelte leicht. Ein trauriges, kummervolles Lächeln, das mir das Herz zerriss.

„Ich weiß jetzt, was es bedeutet, ein Opfer zu bringen."

Es war mir in dem Moment klar gewesen, als ich mich bereit gemacht hatte, um mein Leben an Ryn zu verkaufen, um das meiner Freunde zu retten.

„Und auch wenn du sie im Moment nicht lieben kannst, so kannst du es lernen und ein guter König werden. Der beste, den Mavar je hatte."

Jetzt lächelte er. Ein echtes, fröhliches Lächeln, das mich erneut zum Schmelzen brachte, ob ich wollte oder nicht.

„Ich weiß, dass Chandra eine wunderbare Königin sein wird", stimmte er zu. „Sie ist schlau und weise, gutherzig und die beste Kriegerin, die ich je gesehen habe. Sie hat Magie, von der viele Leute nur träumen können und außerdem einen messerscharfen Verstand. Sie ist einfühlsam, kann aber auch eisig kalt werden, wenn es sein muss."

Ich grinste ihn an. „Na also! Da ist doch deine Königin!"

Sein Lächeln verblasste. „Aber ich bin nicht der Mann, mit dem sie den Rest ihres Lebens verbringen möchte."

„Du wirst es hinbekommen", flüsterte ich. „Ich weiß, dass du es schaffen wirst, Dominic. Sie wird dich lieben lernen und du wirst lernen, wie du diese Liebe erwidern kannst."

Er seufzte nur, als würde eine tonnenschwere Last auf seinen Schultern liegen.

Ich hatte diese Haltung heute schon einmal gesehen.

Bei Chandra.

Als sie über Dominic nachgedacht hatte.

„Manchmal denke ich darüber nach, was passiert wäre, wenn die Königin von Cyltis dieses Angebot nicht gemacht hätte. Wenn Chandra nicht hier wäre und ich nicht verlobt", überlegte er laut. „Was wäre dann... zwischen uns?"

Er war näher an mich heran gerutscht und hatte meine Hand zwischen seine genommen.

Hitze bereitete sich von der Berührung aus und es lag nicht an dem Feuer, das unter seiner Haut schlummerte wie eine tödliche Schlange.

Ich wollte ihm meine Hand entziehen, doch er hielt sie fest wie die einer Sterbenden.

„Was wäre dann zwischen uns, Aria?", fragte er heiser. „Wären wir... ein Paar?"

Ich musste schlucken, um überhaupt eine Stimme zu haben, so heftig war das Gefühl seiner Berührung. So intim.

„Ich weiß es nicht", flüsterte ich. „Ich weiß es einfach nicht, Dominic..."

Er schauderte und stieß erneut zitternd den Atem aus.

Dann rückte er von mir weg, als wäre ich ein zerbrechliches Stück Glas, das er besser nicht anfasste, da es ansonsten kaputt gehen würde.

Ich spürte die kalte Luft erst auf meiner Haut, als das warme Gefühl seiner Hände verschwunden war.

Ich musste mich gegen jeden Impuls meiner Muskeln wehren, meine Hand erneut in seine zu legen.

Verlobt, ermahnte ich mich. Er ist verlobt.

Dominic schüttelte den Kopf, als würde er ebenfalls dagegen ankämpfen, mich an sich zu ziehen und seine Lippen auf meine zu pressen.

Wir hatten eindeutig ein ernstes Problem.

Vor allem ich.

Er war verlobt, verdammt nochmal! Er würde heiraten! Wie konnte ich da auch nur einen einzigen Gedanken an uns beide verschwenden?!

Außerdem war da noch Calin, in dessen Gegenwart mein Herz langsam auch begann, schneller zu schlagen.

Oh ja, ich hatte eindeutig ein verdammt ernstes Problem.

„Hast du je darüber nachgedacht, wie dein Leben verlaufen wäre, wenn du dich nie als diese vindrische Botschafterin verkleidet hättest? Wenn du noch auf den Straßen leben würdest, um dort Gold und Juwelen zu stehlen?", fragte er mich mit einem interessierten Glitzern in den Augen.

„Ständig", gestand ich lachend. „Jeden Tag, jede Stunde, jeden verdammten Augenblick!"

„Und?", hakte er nach. Seine Stimme war schon wieder heiser, was mir einen angenehmen Schauder über den Rücken jagte.

Ich presste die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen. „Ich komme immer zu demselben Schluss."

„Zu welchem?", stellte er die unvermeidliche Frage.

„Dass es die beste Entscheidung meines Lebens war."

Seine Augenbrauen schossen so schnell nach oben, dass ich die Bewegung nicht einmal registrierte.

Ich lachte. „Ich meine, es hat natürlich seine Nachteile. Trays Tod war das schlimmste, was ich seit diesem letzten Tag am synthischen Königshof erlebt habe, und der Kampf gegen Blair ist nicht angenehm gewesen, absolut nicht."

„Wieso also war es die beste Entscheidung deines Lebens?"

Ich zuckte mit den Schultern. „So habe ich dich kennengelernt."

Er wurde ein weiteres mal verdächtig rot.

„Also nicht nur dich, sondern euch alle", fügte ich hastig hinzu, was ihm erneut ein umwerfendes Lächeln entlockte. „Cassandra, Spencer, Jasmine, ja sogar auf irgendeine verdrehte Weise Chandra und ihre Leute. Und dafür bin ich mehr als für alles andere in der Welt dankbar. Das kann mir keiner mehr nehmen."

Dominic sah mich erneut mit diesem Blick an, der mich festzunageln schien.

So viele unausgesprochene Worte, so viel Liebe.

„Ich würde dich gerade höllisch gerne küssen", flüsterte er geistesabwesend.

Ich zog eine Grimasse und versteifte mich ein wenig. „Ich fürchte, das ist keine sonderlich gute Idee."

Als würde er aus einer Trance erwachen schüttelte er plötzlich den Kopf und sein Blick wurde klar. „Natürlich nicht. Verzeih mir."

Kurz dachte ich, er würde sich trotzdem vorbeugen und mich küssen.

Dieser kleine, dunkle Teil in meinem Inneren wollte es sogar.

Aber er ballte nur die Hände zu Fäusten und entspannte sie wieder, um sich abzureagieren.

Mein Herz verkrampfte sich ein wenig.

In diesem Moment klopfte es an der Tür und Dominic und ich sagten gleichzeitig „Herein", woraufhin er mich angrinste.

Ich lächelte zurück, aber der Ausdruck gefror auf meinem Gesicht, als ich sah, wer dort in der Tür stand.

Dominic war augenblicklich auf den Beinen, als er Calins blonde Locken erkannte.

„Es.. ähm... ich... also", stotterte der König von Mavar und ich tauschte ein Grinsen mit Calin, das man nur verschwörerisch nennen konnte.

„Ich sollte jetzt besser gehen." Dominic räusperte sich und verabschiedete sich schließlich, immer noch etwas durch den Wind wegen des plötzlichen Auftauchens des Cylters.

Nachdem er schneller verschwunden war, als ich winken konnte, prustete Calin los und ich schenkte ihm ein Grinsen, das das schelmische Funkeln wiedergab, das in seinem Blick schimmerte.

„Dein neuer Liebhaber?", fragte er beiläufig, mit diesem überheblichen Selbstbewusstsein, das ein Herr des Charismas anscheinend automatisch an den Tag legte.

Ich wedelte wegwerfend mit der Hand. „Dominic gehört ganz deiner Prinzessin. Wir sind nur Freunde."

Ich fragte mich, wie Calin wohl reagieren würde, wenn er wüsste, dass Dominic und ich keineswegs „nur Freunde" waren.

„Aha", murmelte der Dualmeister und ließ sich auf der anderen Seite des Bettes nieder, gegenüber der leichten Mulde, in der ich immer noch Dominics Körperwärme spüren konnte.

Dominic Rays und Calin Feign.

Zwei Seiten derselben Medaille.

Zwei Männer, zu denen ich mich seltsam hingezogen fühlte und bei denen ich meine Gefühle nicht mehr leugnen oder ordnen konnte.

Ich wusste nicht, in wessen Gegenwart mein Herz schneller schlug, in wessen Gesellschaft mein Lächeln konstanter war oder in wessen Nähe ich mich lieber aufhielt.

Ich atmete Calins Duft ein, den ich mit Worten einfach nicht beschreiben konnte.

Er roch nach Sand und Trockenheit und Sommer und Hitze und irgendwie nach einem Hauch von...

... Grapefruit?

„Ich habe mir schon fast Sorgen gemacht, dass du nicht mehr lebst", meinte Calin mit einem dieser schiefen Grinsen, die meine Brust kribbeln ließen.

„Ich bin eine Meisterin des Überlebens", prahlte ich. „Du willst nicht wissen, wie schlecht es schon um mich stand."

Calin nickte. „Das weiß ich. Deshalb habe ich mir ja auch nur fast Sorgen gemacht."

Ich zog eine Augenbraue hinauf. „Hast du mich etwa fast vermisst?"

Er zwinkerte mir zu. „Ich vermisse dich, sobald ich den Raum verlasse, in dem du dich aufhältst."

Ich konnte ihm nicht anmerken, ob er das ernst meinte oder scherzhaft.

Der Teil meines Herzens, den er sich in der letzten Woche immer mehr erobert hatte, hoffte auf ersteres.

„Aber jetzt mal ehrlich", sagte er vollkommen ernst. „Mach sowas ja nie wieder! Du hast mir eine Heidenangst eingejagt!"

Bei dem Gedanken daran, dass er mich wirklich vermisst hatte, dass er sich Sorgen um mich gemacht hatte, obwohl er es nicht zugeben wollte, wurde mir warm ums Herz.

„Ich kann nichts versprechen", murmelte ich. „Aber ich kann mein Möglichstes tun."

„Das reicht mir", erwiderte er mit einem Lächeln, das mir einen kalten Schauder über den Rücken laufen ließ.

„Ich wollte mich noch bei dir bedanken", meinte ich und setzte mich auf. „Für die Hilfe mit dieser Statue. Ohne deine Kraftfelder hätten wir es nicht geschafft."

„Machst du Witze?", fragte er. „Ohne dich hätten wir es nicht geschafft. Nur dank dir konnte Marlon das... tun, was er getan hat."

Ich schüttelte nur den Kopf und lächelte.

Ich lächelte nicht zum ersten Mal heute, aber zum ersten Mal fühlte es sich befreiend an.

Und das, obwohl Marlon tot war.

Tot.

Meinetwegen.

All meine Sorgen waren für diesen einen Moment verschwunden.

Ich versuchte, mich vorzubeugen, doch ich verlor das Gleichgewicht und fing an zu husten, weil die plötzliche Gewichtsverlagerung sich schlecht auf meine frisch geheilte Wunde auswirkte.

Sofort schlossen sich starke Hände um meine Schultern und stabilisierten mich.

Calin zog mich zu sich, ehe er mich wieder unendlich sanft auf die Matratze des Krankenbettes drückte.

Als ich mich wehren wollte, drückte er meine Schultern auf den weichen Untergrund und näherte seinen Kopf so weit an meinen an, dass er mich hätte küssen können, ohne dass ich irgendetwas dagegen unternehmen konnte.

Ich ließ ihn mit stockendem Atem und schnell schlagendem Herzen gewähren.

Da seine Brust meinen Körper berührte, konnte ich spüren, dass auch sein Puls schneller ging.

Sein Atem war flach.

„Liegen bleiben, bis du wieder gesund bist", wies er mich an.

Ich bleckte spielerisch die Zähne. „Eigentlich sollte ich diejenige sein, die die Befehle erteilt, Feign."

Er stieß nur irgendein Brummen aus, das mich erneut zum Lachen brachte.

„Was war das denn? Ein Bär?"

Er zwinkerte mir zu. „Ein Tiger."

„Shira ist ein besserer Tiger."

„Shira ist ein Tiger", entgegnete er.

„Sag ich doch." Ich verdrehte die Augen, aber er grinste nur weiter.

Trotz allem hielt er mich immer noch fest, seine Hände auf einmal unnatürlich warm auf meinen Oberarmen. Er machte keine Anstalten, mich loszulassen.

„Gehst du etwa mit jeder Frau so um?", fragte ich mit hochgezogenen Augenbrauen. „Wie ein Tier mit seiner Beute?"

Seine Augen funkelten, als er sein magisches Charisma rief.

„Ich dachte, du wolltest das mit dem Charisma lassen?", fragte ich.

„Ich habe noch am selben Abend aufgegeben. Direkt als ich gesagt habe, ich würde darauf verzichten", antwortete er.

„Also werde ich jetzt um den Finger gewickelt?"

„Ich hab dich sowieso schon auf das Bett genagelt, wieso sollte ich dich noch um den Finger wickeln?", fragte er mit knisternder Stimme.

Ich lachte nochmal, bevor ich ihm mit einer Handbewegung zu verstehen gab, dass das Gewicht seines Körpers auf meinem langsam schwer wurde und er mich schließlich freigab.

Ich seufzte, wusste aber nicht, ob es ein erleichtertes oder ein bedauerndes Seufzen war.

Vermutlich beides.

„Du schuldest mir noch ein Date", sagte Calin jetzt und sah mich an.

Sah mich richtig an.

Ohne spielerisches Funkeln in den Augen, ohne magisches Charisma und ohne schelmisches Glitzern.

„Ich weiß", meinte ich.

Er erhob sich von seinem Stuhl.

„Heute in einer Woche?", schlug er vor.

Zu nah, flüsterte diese kleine, ängstliche Stimme in meinem Hinterkopf, die ich einfach nicht ganz ignorieren konnte.

„Übermorgen in zwei Wochen", verhandelte ich.

„Übermorgen in einer Woche", konterte Calin.

Ich seufzte, plötzlich zu müde, um noch weiter zu argumentieren. „Gut. Übermorgen in einer Woche also."

Calin grinste, als er die Tür öffnete. „Ich freue mich schon", hörte ich seine Stimme ein letztes Mal, bevor die schwere Eisentür hinter ihm ins Schloss fiel.

„Ich mich auch", sagte ich, mehr zu mir selbst als zu ihm.

Seltsamerweise tat ich das wirklich.

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