11
„Bist du hier, um mich umzubringen?"
Die Frau lehnte sich auf dem Sofa lässig zurück und legte ihre schlanken, durchtrainierten Beine auf den kleinen Tisch aus schwarz lackiertem Holz. Sie kreuzte die Füße an den Knöcheln, was bewirkte, dass die schwarze Cargohose, die sie trug, leicht nach oben rutschte und mir einen kurzen Blick auf die vielen Narben an ihren Beinen ermöglichte.
„Wie wäre es denn mit einem Drink?", fragte sie, ohne meine Frage zu beantworten. „Irgendetwas Starkes, bitte."
Mein Gesichtsausdruck gefror, als ich ihr den Rücken zuwandte und so entspannt wie möglich zu dem kleinen Eckschränkchen schlenderte, in dem sich diverse alkoholische Getränke stapelten.
Natürlich hätte ich ihre Bitte einfach ablehnen können, aber das wagte ich nicht.
Erstens, weil ich wusste, dass das für mich nicht gut ausgehen würde.
Und zweitens, weil meine verdammte Neugier dafür sorgte, dass ich wissen wollte, wieso sie hier war. In meiner Suite, in meinem Palast.
„Brandy?", fragte ich über meine Schulter.
„Vodka klingt gut", erwiderte sie nur.
Ich verdrehte die Augen, griff aber nach der durchsichtigen Glasflasche mit dem verzierten Verschluss.
Anschließend ging ich mit möglichst ruhigem Herzschlag in die kleine Küche, die sich mein Eigen nannte, und holte zwei Gläser hervor, in die ich den Alkohol goss.
Danach schlenderte ich mit etwas künstlichem Hüftschwung zurück ins Wohnzimmer und reichte der Frau auf meinem Sofa eines der Gläser. Sie lächelte mich katzenhaft an.
„Also dann", murmelte sie. „Zum Wohl."
Ich hob mein Glas und stieß mit ihr an. Ich konnte nur hoffen, dass das versprochene „Wohl" auch noch anhielt, bis sie wieder verschwunden war.
„Zum Wohl", sagte ich, meine Stimme ruhig und viel entspannter als mein Herzschlag, der trotz aller Bemühungen raste.
Ich hob das Glas an die Lippen und nahm einen Schluck. Die kühle Flüssigkeit glitt meinen Rachen hinunter und verursachte dort ein vertrautes Brennen.
In meinem Magen breitete sich angenehme Hitze aus und ich atmete sofort ruhiger.
Schließlich stellte ich das Glas ab und richtete meinen Blick auf die Frau mir gegenüber.
Sie hatte das ganze Glas leergetrunken, bevor ich auch nur blinzeln konnte, und stellte es nun leer auf den Tisch neben mein volles.
Dann lehnte sie sich zurück und verschränkte die zarten, aber tödlichen Hände hinter dem Kopf.
Sie lächelte. Wartete.
Nach gut einer Minute drückte die Stille so heftig auf meine Schultern, dass ich mich fragte, wie lange ich noch still sitzen konnte.
Nach zwei Minuten musste ich dem heftigen Drang widerstehen, meine Hände nervös zu kneten.
Nach drei Minuten hielt ich es dann nicht mehr länger aus.
„Warum bist du hier?", fragte ich sie.
Keine Spielchen, kein falsches Lächeln.
Ihre Mundwinkel hoben sich, als sie ihr Gewicht so verlagerte, dass ihr Gesicht meinem etwas näher kam.
Ich atmete ihren Duft ein, der mich an Rauch und Pfeffer erinnerte.
„Fällt dir kein Grund ein?", schnurrte sie. Ihre Stimme rollte über mein Bewusstsein und schien mich lähmen zu wollen, bis ich mich nicht mehr bewegen konnte.
„Also bist du hier, um mich umzubringen", schlussfolgerte ich.
Sie lachte. Ein leises, raues, tiefes Lachen, das ich ihr nur zu gern aus dem Gesicht gewischt hätte. „Mein Ruf eilt mir wohl voraus."
Ich nickte kühl, wobei ich weiterhin die vollkommen gelassene Gastgeberin spielte, obwohl auf meinem Sofa die vermutlich gefährlichste Frau des Kontinents saß.
Direkt nach Königin Asaylle Zyndar von Ascalin, natürlich.
„Nun, ich denke, wenn man bereit ist, ein Reich dem Untergang zu weihen und dabei nicht einmal mit der Wimper zuckt, ist ein... Ruf, wie du es nennst, vorprogrammiert."
Sie lächelte wieder. Dieses katzenhafte, hinterlistige Lächeln, als wüsste sie etwas, das ich nicht wusste. „Schön zu wissen, dass die Leute über mich reden."
Meine Augen wurden kälter als jeder Eisberg.
„Du hast ein ganzes Königreich vernichtet."
„Ach, sei nicht so dramatisch. Ich habe nur denjenigen getötet, an dem dieses Reich hing."
Ich lachte. Ein harsches, bitteres Lachen. „Und anschließend den ganzen Königshof bis auf die Grundmauern abgefackelt."
„Kollateralschaden."
„Aber sicher", antwortete ich.
Ich schaffte es nicht, meine Abscheu aus meinen Worten herauszuhalten und verzog angewidert die Lippen.
Ich nahm einen weiteren Schluck von meinem Vodka und schwenkte das Glas anschließend in meiner Hand, wobei ich nicht zuließ, dass meine Finger zitterten.
Mein ausdrucksloser Blick richtete sich wieder auf die Frau, als ich entgegnete. „Ich nehme an, du rechtfertigst das alles auch noch irgendwie. Dass es einem guten Zweck gedient hätte oder so."
Sie zeigte mir ihre Zähne, während sie mir erneut ein Strahlen schenkte, das den heißen Zorn in meinen Adern brodeln ließ. „Ich sehe schon, an Menschenkenntnis mangelt es nicht."
Ich zuckte so gleichgültig wie möglich die Achseln.
„Aber ja, ich rechtfertige meine Tat durchaus damit, dass es einem großen Zweck gedient hat. Vielleicht keinem besonders gutem, wenn man bedenkt, was aus den Bewohnern des armen Königreiches geworden ist, aber einem großen."
Versklavt. Die Bewohner des vernichteten Königreichs waren allesamt versklavt worden. Hunderte, Tausende von ihnen dienten nun als Bergarbeiter in den Minen der Red Mountains.
„Kann ich mir vorstellen", antwortete ich kalt. „Und wie groß genau? Vier Zentimeter? Sieben? Mehr hat er definitiv nicht zwischen den Beinen."
Sie kniff die Augen zusammen, als sie meinen unterschwelligen Vorwurf hörte. „Ich bin nicht sein Schoßhündchen", blaffte sie, die lässige Fassade vollkommen vergessen.
„Nein", antwortete ich. Ein raubtierhaftes Lächeln umspielte meine Lippen. „Aber du kannst dennoch nicht leugnen, dass er nur mit dem Schwanz wackeln musste, um dich auf seiner Seite zu haben."
Sie fletschte die Zähne, sagte aber nichts.
„Sag mir, wie oft musste er mit dir schlafen, bis du für ihn diesen Königshof abgeschlachtet hast? Einmal? Zwei? Oder haben die bloßen Versprechungen auf eine heiße Belohnung dir schon gereicht?"
Ein Knurren entstieg ihrer Kehle und ich wusste noch bevor sie das Messer an meinen Hals presste, dass ich zu weit gegangen war. „Noch ein Wort und ich ziehe dir die Haut vom Körper, Straßendiebin."
Dieses letzte Wort traf mich härter, als ich zugeben wollte.
Straßendiebin.
Ich wagte nicht zu atmen oder zu schlucken, aus Angst, dass sie mir einfach die Kehle aufschlitzte, wie sie es bei ihren anderen Opfern so oft geübt hatte.
In meinem Kopf zählte ich die Sekunden.
Zehn.
In ihrem Blick loderte ein wildes Feuer, das mich verschlingen und verbrennen wollte.
Zwanzig.
Auf ihrer Stirn bildete sich leichter Schweiß, der sich an den Schläfen bereits zu kleinen Tropfen verband.
Dreißig.
Die Hand mit dem Messer an meiner Kehle zitterte, weil sie so viel Beherrschung aufbringen musste, mich nicht an Ort und Stelle aufzuschneiden.
Ich kam genau bis achtunddreißig, ehe sie das Messer von meinem Hals nahm und sich wieder auf das Sofa setzte.
Ihre lässige Maske verzierte einmal mehr das hübsche Gesicht.
„Also bist du nicht hier, um mich umzubringen", sagte ich. Meine Augen funkelten provokant.
Sollte sie mich doch töten und den Zorn ihres Meisters auf sich ziehen.
Dann würde er zumindest meine Freunde in Ruhe lassen.
„Nein", gestand sie. „Ich bin nicht hier, um dich aufzuschlitzen. Du sollst leben."
„Ich schätze, jetzt sollte ich Freudensprünge machen", erwiderte ich. „Wie viele Leute überleben ein Treffen mit der legendären Kaya?"
Kaya zuckte die Schultern und richtete ihre Augen auf mich, in denen das Versprechen von Leid und Tod schlummerte. „Nicht viele."
Und das stimmte.
Jeder kannte die Geschichten, die sich um Kaya, die legendäre Geisterassassinin rankten, die ein ganzes Königreich zerstört hatte, indem sie den König ermordet und den Palast verwüstet hatte.
Kaya, die der Grund war für den Untergang von Freytor und seine Eroberung durch die Synther.
Kaya, die für niemand geringeren arbeitete, als für den synthischen König höchst persönlich.
Seine Killerin. Seine Spionin. Seine kleine Vergnügung.
Ich hatte sie sofort erkannt.
Ich hatte unzählige Male die Abbildung von ihr gesehen, die in eine der Säulen des langen Flurs gehauen war, in dem sich die zahllosen Legenden der Welt sammelten.
Sie war nicht gerade jemand, den man verwechselte.
Kaya hatte dunkelbraune Locken, die ihr bis auf die Schultern reichten. Die feinen Drehungen waren so klein, dass die Locken ihr um den gesamten Kopf standen wie eine Löwenmähne, die man nicht zähmen konnte.
Die Assassinin hatte gebräunte Haut, was auf einen orientalischen Ursprung hinwies, und ihre vollen Lippen wurden von schwarzem Lippenstift betont. Sie trug dezentes, überwiegend schwarzes Make-Up, was die Wirkung einer Untoten noch verstärkte.
Ihre Nase saß etwas schief, als wäre sie vor langer Zeit einmal gebrochen worden und ihre Augen schimmerten in einem dunklen Grau, das an manchen Stellen von violetten und goldenen Sprenkeln durchzogen war.
Sie war in ein klassisches Killeroutfit gekleidet, das eine schwarze Cargohose, ein dunkles Trägertop und schwarze Stiefel beinhaltete.
Abgerundet wurde all es von Haufenweise Messern und Dolchen, sowie zwei Schwertern, die an ihrem schlanken, durchtrainierten Körper befestigt waren.
Alles in allem die perfekte Assassinin.
Ich nahm erneut einen Schluck des Alkohols, als sie mich aus diesen grauen Augen musterte.
Neugier glänzte unverwechselbar in den Tiefen ihres Blicks. „Eines musst du mir verraten", sagte sie.
Ich hob die Augenbrauen.
„Wieso will er dich so dringend leiden sehen? Wieso der ganze Aufwand?"
Ich lächelte. „Er hat es dir also nicht erzählt?"
Sie schüttelte den Kopf, die Lippen fest zusammengepresst, als würde sie ihre Frustration verbergen wollen.
Ich grinste sie jetzt richtig an. „Nun, vielleicht musst du die Antwort auf diese Frage ja einfach aus ihm herausvögeln."
Sie knurrte und zückte erneut eines ihrer silbernen Messer, das im Licht der untergehenden Sonne glänzte. „Oder ich schneide sie aus dir heraus. Was hältst du davon?"
„Dann tötet er dich", gab ich lächelnd zu bedenken. „Vielleicht tut er das aber sowieso, wenn er eine bessere als dich gefunden hat. Er war noch nie gut im Erhalten von Beziehungen."
Widerwillige Zustimmung blitzte in ihren Augen auf, als sie einen ihrer Fingernägel mit der Klinge des Messers säuberte und mich dabei nicht aus den Augen ließ.
„Wer sagt, dass er mich nicht doch geschickt hat, um dich hier und jetzt abzuschlachten, wie ich es mit dem König von Freytor gemacht habe?"
„Wenn das so wäre, würde ich dann jetzt nicht schon längst blutend auf dem Boden liegen?"
Erneut Zustimmung in ihrem Blick.
Nein, Kaya war nicht hier, um mich zu verletzen, geschweige denn zu töten.
Ihr Erscheinen hatte einen anderen Grund.
„Selbst wenn. Denkst du wirklich, ich könnte dir nicht ein paar Kratzer zufügen, ohne dass er es merkt? Er mag der König von Synth sein, aber auch er hat nicht überall Augen und Ohren."
Ich kniff die Augen zusammen. Das würde sie nicht tun.
Sie lächelte nur wieder.
Dieses katzenhafte Lächeln, das mir einen eiskalten Schauder über den Rücken jagte.
Was wusste die Geisterassassinin, das ich nicht wusste?
Was für ein Psychospielchen spielte ihr Meister?
Und viel wichtiger: Welcher meiner Freunde würde darunter leiden?
Ich wusste es nicht, aber Kaya schien es zu wissen.
Vielleicht also konnte ich ihr ein paar Informationen aus der Nase ziehen.
„Wenn du nicht hier bist, um mich zu töten, warum bist du dann hier, Kaya?", fragte ich sie.
In meinem Kopf drehten sich die Zahnräder unablässig, doch es wollte mir einfach nicht einleuchten, was die Assassinin hier machte.
„Ich bin hier, um dich zu warnen, Aria Pencur", schnurrte sie wieder mit dieser Stimme, die mir eine Gänsehaut bereitete.
Ich schluckte. „Wovor zu warnen?"
Kaya griff nach meinem Vodka und trank ihn in einem Zug leer, bevor sie genüsslich ausatmete.
Mir drehte sich der Magen um, als ich das boshafte Funkeln in ihren Augen sah.
„Davor, dass er vor nichts Halt machen wird. Dass er zu allem bereit ist, bis du deinen jämmerlichen Kopf verlierst. Dass all deine Freunde leiden und sterben werden, bis keiner von ihnen mehr übrig ist, um den du dir Sorgen machen kannst. Dass er dich finden wird, egal wo du dich versteckst und egal mit wem du zusammen bist. Und dass er dich dann töten wird. Langsam und qualvoll."
Grauen stieg in meiner Brust auf und ließ mich erneut schlucken.
Ich hatte also recht gehabt.
Kaya war nur eine Botin, die er benutzte, um an mich heranzukommen.
Er würde vor nichts zurückschrecken, keine Grenze nicht überschreiten, um das zu bekommen, was sein verdrehtes, krankes Gehirn wollte.
Und ich konnte nichts dagegen machen außer zuzusehen.
Dieser Gedanke traf mich härter als ein Faustschlag in den Magen es je hätte können.
„Warnung angekommen", flüsterte ich.
Ich konnte meine Angst nicht mehr verbergen.
Meine Angst um meine Freunde.
Meine Angst vor seiner dämlichen Magie.
Meine Angst vor ihm.
Kaya lächelte zufrieden. „Freut mich zu hören", sagte sie.
Ich musste die Zähne zusammenbeißen, um sie nicht anzuschreien, dass sie endlich verschwinden sollte.
Aber die Assassinin hatte andere Pläne.
„Und ich habe eine weitere Warnung für dich, Straßendiebin."
Wieder dieses Wort.
Straßendiebin.
„Was?", flüsterte ich, Angst vor der Antwort schnürte mir die Kehle zu.
„Hüte dich vor den Wünschen eines toten Königs."
Ich runzelte verwirrt die Stirn und wollte schon nachfragen, was sie damit meinte, als sie mir das Wort abschnitt.
„Es wäre schließlich eine wahre Sünde, wenn jemand mit so viel Potential wie du nicht das gesamte Ausmaß seiner Magie erfahren könnte, findest du nicht?"
Und mit diesen Worten begann Kaya, die legendäre Geisterassassinin, sich aufzulösen.
Ihre graue Magie hüllte sie langsam aber sicher ein, als sie den dramatischen Abgang genoss.
Schließlich begann zuerst ihr Bein zu verschwinden, das sie auf den Tisch gelegt hatte, dann der Rest ihres Unterkörpers.
Kaya schenkte mir ein weiteres ihrer katzenhaften Lächeln und winkte zum Abschied mit der linken Hand, während sie mit der Umgebung verschwamm.
Die Luft um sie herum flimmerte immer stärker, umgab sie wie ein zärtlicher Liebhaber.
„Also dann, Aria Pencur", sagte sie. „Man sieht sich immer zweimal im Leben."
Schließlich prostete sie mir mit dem leeren Glas in ihrer rechten Hand zu. „Auf dass unser Wiedersehen ein ebensolches Vergnügen wird wie unser erstes Treffen!"
Dann verschwamm ihr Gesicht und ihre Haare, bis auch dieser Teil ihres Körpers aus der Existenz gewichen war. In Luft aufgelöst.
Das letzte, was ich von der Killerin sah, war die vernarbte Hand, in der sie immer noch das Glas hielt.
Ich war zu schockiert, um es aufzuhalten, als es zu Boden fiel.
Es zersprang mit einem Klirren in hundert kleine Teile.
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