10

  Der Palast war ein Friedhof aus Feuer und Stein.

Calin, Spencer und ich erreichten das Bedienstetendorf, das den Palast wie ein Schutzschild umringte, als die Flammen gerade dabei waren sich auch im gesamten Erdgeschoss auszubreiten.

Die Palastbewohner, die sich hier wie eine verängstigte Schafherde versammelt hatte, tuschelten aufgeregt. Viele schluchzten, weil sie um verlorene Freunde und Familienmitglieder trauerten, die von den Flammen verschluckt worden waren.

Rauch und Feuer stiegen in den Nachmittagshimmel auf und verursachten einen seltsamen Rotschimmer, der von Gefahr und Tod zu sprechen schien.

Jenem Tod, dem wir vor wenigen Augenblicken um ein Haar entkommen waren.

Ich ließ meinen suchenden Blick über die aufgewühlte Menge gleiten, auf der Suche nach einem bekannten Gesicht.

Ich spürte eine Leere in mir, die nichts mit den Schuldgefühlen wegen Saraphinas Tod zu tun hatten.

Wo war Cassandra?

Wo waren Jasmine und Dominic?

Zumindest Spencer war hier bei mir. 

In Sicherheit vor den tödlichen, heißen Flammen.

Aber ich wusste, dass wir uns noch nicht entspannen konnten. Wir durften uns nicht zurücklehnen und ausruhen, während Neun Rosen weiterhin in Flammen stand.

Jemand musste handeln.

Aber ohne meine Freunde gesehen zu haben, ohne zu wissen, dass sie am Leben waren, konnte ich nicht dieser jemand sein.

Also suchte ich weiter nach einem Aufblitzen von violettem Haar, einem weißen Hosenanzug oder einer goldenen Krone. 

Nach einem Lebenszeichen meiner Freunde.

Ich hörte einen Raubvogel kreischen, der über dem Palast seine Kreise zog und alles unter sich abzusuchen schien. Nach Überlebenden, die es nicht aus den Trümmern geschafft hatten und jetzt darauf warteten, von den Flammen verschlungen zu werden.

Neben mir hörte ich Calin hörbar ausatmen.

Ivory Star hatte es geschafft. 

Sie hatte die Explosionen und das Feuer überlebt und drehte jetzt als Greifvogel ihre Runden, um nachzusehen, ob irgendwo noch ein Lebensfunke im Palast steckte.

Ich sah auch Savannah Queens, die sich eine Hand an die Brust presste, die mit Brandblasen überzogen war, obwohl sie eine Wassermagierin war. Es musste höllisch schmerzen.

Hayley Dilan war in ihrem grünen Blazer und der schwarzen Jeans damit beschäftigt, ihre Naturmagie dazu einzusetzen, abgerissene Gliedmaßen nachwachsen zu lassen, Platzwunden zu schließen und böse Schnitte zu verarzten. Weitere Naturmeister, egal ob Adeliger, Dienstmädchen oder Wachmann, hatten sich ihr angeschlossen und versorgten die Verwundeten.

Ich erkannte Lyane McCourtney, die sich um jene Leute zu kümmern schien, die ein schweres Trauma erlitten hatten. In Lyanes Händen schimmerte ich rote Energie, die um ihre Finger floss und ihren Zielpersonen schöne Gedanken zuflüsterte.

Aber keine Spur von Jasmine, Dominic oder Cassandra.

Keine.

In diesem Moment kam mir eine Idee, mit der ich zuvor nie auch nur gespielt hatte. Eine Idee, die ich nicht für möglich gehalten hatte, weil ich nie auch nur einen Gedanken daran verschwendet hatte.

Andererseits war ich auch noch nie so voller Sorgen gewesen, dass mein Magen sich umdrehte und ich nur zusammenbrechen wollte, bis einer von den dreien mir wieder auf die Beine half.

Aber bei Spencer hatte es funktioniert. 

Ich hatte Spencers Macht folgen können und ihn schließlich gefunden.

Er hatte sie eingesetzt und weder Dom, noch Cas oder Jasmine benutzten ihre Macht im Moment, aber das war eine Tatsache, die ich einfach ignorieren musste.

Der König hatte mir so oft gesagt, dass ich mit meiner Übertragungsmagie so viel mehr anstellen konnte als einfach nur andere Mächte zu stehlen.

Vielleicht war ich ja endlich bereit, den Schritt ins Unbekannte zu wagen und meiner Magie freien Lauf zu lassen.

Ich blieb abrupt stehen, was mir einen verwirrten Blick von Spence und Calin einbrachte, aber das war mir egal.

Ich schloss einfach die Augen und sandte meine Wellen aus.

Zum ersten Mal in meinem Leben stellte ich mir meine Macht nicht als Wasserwelle vor, sondern als Ortungswelle. 

Fledermäuse benutzten diese Art von Wellen, um ihre Beute aufzuspüren, also konnte ich meine Magie einsetzen, um die meiner Freunde zu finden.

Zu schade, dass es absolut nicht funktionierte.

Ich konzentrierte mich so sehr auf die Aufgabe, wie ich mich noch nie zuvor auf etwas konzentriert hatte. 

Schweiß bildete sich auf meiner Schläfe und ich musste die Zähne zusammenbeißen, weil es so verdammt anstrengend war.

Eine Welle, die in meinem Inneren anfing und sich dann kreisförmig ausbreitete, wie bei einem Stein, der ins Wasser fällt.

Aber es wollte mir einfach nicht gelingen. 

Ich spürte eine Barriere in meinem Körper, eine Grenze meiner Magie, die ich mit bloßer Willenskraft einfach nicht überschreiten konnte.

Vielleicht hätte es funktioniert, wenn mein Leben davon abhing, aber nicht einmal dabei war ich mir sicher.

Ich knurrte frustriert, als ich mir immer mehr Ortungswellen vorstellte, die das gesamte Dorf überfluteten.

Doch erneut waren all meine Versuche vergebens.

Bis...

Ich spürte eine kalte Hand an meiner Schulter und wenige Augenblicke später fühlte ich auch eine an meiner anderen.

Ich wusste, dass die kalte Hand, die mich mit dem Boden zu verbinden schien, die mich auf der Erde halten wollte... dass diese Hand Spencer gehörte.

Ich spürte die angenehme Kälte seiner Eismagie, als er mich stützte, mir Kraft gab und seine Macht mit meiner verband.

Ich wusste auch, dass die andere Hand, die mich in den Himmel und die Hölle schießen wollte, die mich vom Erdboden lösen konnte und mir ewige Freiheit versprach... dass diese Hand die von Calin war.

Ich fühlte das warme Kribbeln seines Charismas in der Berührung und die schiere Stärke seiner Kraftfelder. Grau und Blau erfüllten mich gleichermaßen und ich verlor mich in der sternenklaren Nacht und der grauen Leere, die sein Blick immer versprachen.

Spencer stützte mich, gab mir Kraft. Calin gab mir den Schwung, den ich benötigte, um dieser Kraft freien Lauf zu lassen.

Und mit der Berührung der beiden schaffte ich es.

Meine Magie durchbrach diese unsichtbare Grenze und flutete das gesamte Dorf.

Es war beeindruckend und furchteinflößend zugleich.

Ich wurde von Reizen überschwemmt, musste alle Impulse unterdrücken, um nicht zusammenzubrechen, weil die Last meiner eigenen Macht so sehr auf mich drückte.

Ich atmete schwer und versuchte, all die Magiekerne, die ich spürte, in mir zu sortieren und mich auf drei Farben zu konzentrieren.

Violett, die Farbe der Zeit, die für Cassandras Macht so typisch war.

Schwarz, die Farbe der Schatten und der Dunkelheit, die Jasmine in mehr als einer Hinsicht als ihre Farbe bezeichnen konnte.

Dunkelblau, die Farbe des Feuers meines Königs, das mir immer einen angenehmen Schauder über den Rücken jagte.

Ich suchte die Menschenmenge mit meinen Ortungswellen ab und fokussierte mich auf meine Freunde.

Diese Mächte, die mir vertrauter waren, als irgendwelche anderen, die mein Leben verändert und gerettet hatten.

Ich wollte schon fast aufgeben, weil ich keinen einzigen von ihnen spürte, als ich ganz am Rand, dort, wo das Dorf aufhörte und der Palast anfing, endlich das spürte, was ich so von Herzen gesucht hatte.

Violett.

Schwarz.

Dunkelblau.

Und eine weitere Farbe, die mir nur zu bekannt war.

Ich schlug die Augen auf und gab die Richtung vor, in die meine Magie mich navigierte.

Spencer und Calin folgten mir.

---

Chandra sah mich zuerst.

Die Wüstenprinzessin schenkte mir ein leichtes Nicken, wobei sich der grimmige Ausdruck auf ihrem Gesicht kein bisschen veränderte.

Eine Sekunde später wusste ich auch, wieso nicht.

Spencer hatte nicht nur seine Mutter gehabt, die ihm etwas bedeutete.

Nein, es gab auch zwei weitere Menschen, mit denen er über die letzten Monate stärker zusammengewachsen war, als er zugeben würde.

Schock traf mich wie ein Schlag ins Gesicht.

Zu Chandras Füßen lagen zwei Körper, die beide über und über mit Blut besudelt waren.

Brandblasen zogen sich über Arme und Beine und Dreck verschmierte die normalerweise so hübschen Gesichter.

Mir blieb das Herz stehen, als ich neben Cassandra auf die Knie sank, die rasselnd atmete.

Ihre violetten Augen trafen meine eigenen und so viele Worte wurden übermittelt, so viel Schmerz geteilt.

Ich verfiel in einen Schockzustand, als ich die tiefe Schnittwunde erkannte, die sich über ihren Oberschenkel zog, und den Steinsplitter sah, der sich in ihre Seite gebohrt hatte.

Sie hatte ihn nicht entfernt, was vermutlich der einzige Grund war, dass sie noch nicht tot war.

Ihr Gesicht war kreidebleich, in ihrem Blick lag ein Schmerz, den ich so niemandem wünschte, nicht einmal demjenigen, der ihr das angetan hatte.

Aber sie lebte und das war alles, was zählte.

„Hol Hayley", wies ich Calin an. „Und beeil dich. Vielleicht können wir die beiden retten."

Als er weg war, legte mir Chandra eine ihrer Hände auf den Rücken. „Mag sein, dass wir die Seherin retten können", sagte sie.

Und obwohl ich wusste, was als nächstes kommen würde, tat es so verdammt weh, dass ich dachte ich würde an den Schmerzen sterben.

„Aber für ihn ist es zu spät."

Ich wagte es nicht, den Blick von Cassandras violetten Augen abzuwenden, wagte es nicht, ihn anzusehen.

Ich wusste genau, was mich erwartet hätte.

Braune Haare, die vor Asche und Schmutz fast schwarz waren.

Ein hübsches Gesicht, das über und über mit Schrammen und Schnitten überzogen war.

Grüne Augen, die nie wieder das Licht der Welt sehen würden.

Finn war tot.

Finn war tot, tot, tot.

Und es gab nichts, was ich dagegen machen konnte, dass Spencer neben mir auf die Knie ging und einen weiteren Schock erlitt, als seine größte Angst endlich vollständig wahr wurde.

„Was für ein Albtraum ist das?", flüsterte er, seine Stimme so gebrechlich und voller Kummer, dass es mir das Herz zerriss.

„Deiner", antwortete ich flüsternd. „Es ist deiner."

Und das stimmte.

Ich begann zu weinen.

---

Etwa eine halbe Stunde später stand ich vor einem Friedhof aus Feuer und Stein.

Ich richtete die zusammengekniffenen Augen auf das lodernde Feuer, das den Palast noch immer eroberte.

Ich atmete tief ein, bevor ich die Luft wieder ausstieß und die Hände in die Hüften stemmte.

Wir hatten Arbeit zu verrichten.

Ich würde am liebsten in meine Suite laufen, mich unter tausenden Decken verstecken und einfach für immer weinen, über die Verluste, die wir heute erlitten haben.

Aber wir hatten Arbeit zu verrichten.

Also verbannte ich alles, was Aria Pencur war, in die hintersten Winkel meines Bewusstseins und wurde einmal mehr die kühle Straßendiebin, die eiskalte Anführerin der königlichen Garde.

Finns Tod hatte mich ziemlich mitgenommen. Mehr als ich es zugeben wollte.

Aber über die Jahre, in denen ich meine beste Freundin, meine Eltern und dann meine zweite Mutter verloren hatte, hatte ich außerdem gelernt, wie man mit Verlusten umgehen konnte.

Und ich war schon immer eine Kämpferin gewesen, die bereit war, das zu tun, was nötig war, auch wenn das eigene Herz in Scherben lag und man nur noch weinend zusammenbrechen wollte.

Also richtete ich meine Aufmerksamkeit auf den zerstörten Palast und sammelte meine Kräfte für das, was bevorstand.

Vielleicht machte mich das kalt. Emotionslos.

Aber vielleicht war gerade diese Kälte, diese Emotionslosigkeit das größte Zeichen meiner Liebe, meiner Freundschaft.

Freundschaft zu Finn. Freundschaft zu Cassandra. Freundschaft zu Spencer.

Die Seherin war von Hayley in eines der Häuser am Dorfrand gebracht worden, um die Heilung über sich ergehen zu lassen, während Spencer und Dominic bei dem Meister der Elektrizität zurückgeblieben waren, um von ihrem Freund Abschied zu nehmen.

Finn war auch mein Freund gewesen, aber wir hatten nie die Gelegenheit gehabt, uns genug kennenzulernen, als dass mich die Trauer nun so überwältigte wie die beiden Adeligen.

Deshalb konnte ich handeln. Deshalb musste ich jetzt handeln.

Ich warf einen Blick nach rechts, wo sich gut zweihundert Elementarmagier aufgereiht hatten, die nun alle auf meinen Befehl warteten.

Direkt neben mir stand Savannah, die Wassermacht bereit zum Einsatz, während sie die Flammen mit grimmiger Entschlossenheit betrachtete.

Savannah hatte in einer Schlacht vor wenigen Monaten ihren Vater Arin an Blair und ihre Verschwörung verloren und seither erinnerte sie mich immer ein wenig an mich selbst. Tapfer war das Mädchen aufgestanden und hatte weitergekämpft, obwohl sie an diesem Tag alles verloren hatte.

Neben Savannah hatte sich Ivory eingereiht, deren Augen schelmisch funkelten, als sie meinen Blick in ihre Richtung bemerkte. Ich nickte ihr zu.

Dann wandte ich den Kopf nach links, wo ebenfalls mehr als zweihundert Magier standen, alle bereit, das Chaos zu bereinigen. 

Auf dieser Seite erblickte ich Chandra und Jasmine, aber auch Garry, der das Feuer wohl oder übel auch überstanden hatte.

Neben mir stand Calin, dessen hübsches Gesicht mir ein grimmiges Lächeln entlockte.

Oh ja, ich war definitiv bereit.

Ich tauschte ein Nicken mit Jasmine aus, in deren Augen dasselbe grausame Funkeln lauerte, das auch ich verspürte.

Dann begann ich, Befehle zu erteilen und die Elementarmagier – Adelsleute, Bauern und Geschäftsmänner gleichermaßen – schienen nur meine Worte zu hören, als sie in Aktion traten.

Vermutlich hätten wir das Feuer längst löschen können, doch es fehlte einfach jemand, dessen Befehle man befolgen konnte. Jemand, der alles strukturierte und aus einer Löschaktion eine echte Aktion machte und nicht nur einen halbherzigen Versuch.

Diese Person war ich.

Diese Person, die jetzt kalt und gefühlslos sein musste. 

Das war ich.

Ich hatte nämlich immer einen Plan.

Mein Plan war einfach.

Wassermagier wurden den Gärten und Gewächshäusern zugeteilt, die von den feindlichen Flammen vernichtet worden waren, und sollten dort die Flammen löschen. 

Ich sah Savannah in diese Richtung eilen, ihre Hände glühten bereits in einem meergrünen Ton, der so typisch für Wassermacht war. Auf ihrem Gesicht erkannte ich eiserne Entschlossenheit, die mir ein wölfisches Grinsen ins Gesicht jagte.

Eismagier hingegen übernahmen die unteren Stockwerke. 

Sie froren alles ein, was die Flammen zu erreichen versuchten und ließen keinerlei Gnade walten. Es wurden Eiswände erschaffen und wieder in kleine Scherben gesprengt, bis nichts mehr von ihnen übrig war. Das Meer aus Feuer wurde zu einem Gebirge aus Eis, das die Stockwerke des Palastes eroberte. 

Die Flammen hatten keine Chance.

Die oberen Geschosse waren ein anderes Thema, aber die wenigen Luftmagier, die Akar zu bieten hatte, leisteten volle Arbeit. 

Mithilfe der Moleküle, die sich in der Luft befanden, war es ein Leichtes für sie, in den Himmel aufzusteigen und über dem Palast zu schweben. So kamen sie perfekt an die Türme und Obergeschosse heran, die von Flammen verwüstet wurden.

Aber ohne Sauerstoff hatte das Feuer kein Lebenselixier. 

Die Flammen erstickten bis auf die letzte Glut.

Chandra setzte ihre goldene Magie dafür ein, Feuerlöscher zu erschaffen, mit denen sie die magielosen Männer und Frauen ausstattete, die ebenfalls beim Löschen des Feuers helfen wollten.

Die Tore der Palastmauern waren geöffnet worden und jeder, der uns auch nur irgendwie behilflich sein konnte, wurde einer Aufgabe zugewiesen. 

Löschen, Verletzte heilen oder den Palast langsam wieder aufbauen.

Ich wies jeden, der kein magisches Talent hatte, an, sich einen Feuerlöscher bei Chandra zu schnappen und den Eismeistern in den unteren Geschossen zur Hilfe zu eilen.

Es überraschte mich, wie viele Bürger Akars dazu bereit waren, ihr Königshaus zu verteidigen, zu retten

Aus jedem Haus des Bedienstetendorfes strömten die Stallburschen, Küchenjungen und Schneiderinnen und griffen zu den Wasserschläuchen der Gärtner.

Es war eine große, wundervolle Teamarbeit, wie ich sie mir niemals hätte erträumen können.

Alle Elementare arbeiteten zusammen, um die Vernichtung von Neun Rosen zu verhindern.

Alle anderen halfen den Elementaren so gut sie konnten und waren sogar bereit, ihr eigenes Leben dafür an die Flammen zu verlieren.

Stolz erfüllte mich. 

Warmer Stolz auf die Palastbewohner und die anderen Stadtbewohner.

Wir waren eine Einheit, ein Volk, das für dasselbe Ziel kämpfte.

Und ich führte dieses Volk an.

Metallmagier stellten Treppengeländer und Torbögen wieder her, restaurierten Rüstungen und brachten den Palast an denjenigen Stellen wieder auf Vordermann, an denen die Eis- und Luftmeister ihre Arbeit erfolgreich verrichtet hatten. Geschmolzenes und gesprengtes Eisen und anderes Metall wurde neu geformt und in seine ursprüngliche Gestalt zurückgebracht.

Steinmeister reparierten Treppen und Wände, Böden, Decken und Balkone, sowie Terrassen, bis alles wieder aussah wie vorher. 

Hunderte von Schneidern und Webern reparierten die Teppiche und Vorhänge, die die Flammen verschlungen hatten.

Es hätte ewig dauern sollen, wären wir nicht über dreitausend Leute gewesen, die alle nur für ein Ziel arbeiteten.

Außerdem war Gott sei Dank der Großteil des Palastes immer noch unbeschädigt.

Ivory nutzte ihre Fähigkeiten, um innerhalb der Mauern Verletzte aufzufinden. 

Die Gestaltwandlerin arbeitete Hand in Hand mit Jasmine zusammen, indem sie ihr ihre Informationen weiterleitete. 

Wo die Verletzten sich genau befanden, wie viele es waren und wie stark das Feuer diesen Teil des Palastes gerade gefährdete.

Jasmine hingegen setzte ihre Schattenmagie ein, um von außerhalb des Palastes nach innen zu springen und jeden Verletzten in Sicherheit zu bringen. 

Sie zögerte keine Sekunde, in die lodernden Flammen zu tauchen, wenn sie dadurch das Leben ein paar Unschuldiger retten konnte.

Naturmagier waren angewiesen, sich in den Häusern am Rand des Bedienstetendorfes zu versammeln und die Verletzten zu heilen. 

Die provisorischen Krankenhäuser agierten schnell und effizient. Brandwunden wurden geheilt, Schürfwunden geschlossen und Schnittwunden verschwanden ebenfalls vollständig in dem grünen Glühen der Macht.

Alle übrigen Naturmeister waren dafür zuständig, die Bäume und Pflanzen wieder aufblühen zu lassen, die das Feuer zerstört hatte. 

Blumenbeete erwachten erneut zum Leben, Gärten wurden gerettet.

Als ich das grüne Glühen der Elektrizitätsmacht durch den Palast strahlen sah, schnürte mir Schmerz die Kehle zu, weil ich an Finn denken musste. 

Der spielerische Elektromagier war mir immerhin sehr am Herzen gelegen und ich hätte gelogen, wenn ich etwas anderes behauptet hätte

Ich blinzelte die Tränen, die erneut in meine Augen getreten waren, so gut es ging beiseite.

Weinen konnte ich später noch.

Ich musste mich jetzt auf meine Aufgabe als Koordinatorin der Löschaktion konzentrieren, also hatte ich keine Zeit, mir über meinen toten Freund Gedanken zu machen.

Oder all die anderen Toten.

Feuermagier...

Feuermagier hatten die schwerste Aufgabe von allen.

Sie waren zuständig für die Beseitigung der Leichen und Leichenteile.

Köpfe wurden eingeäschert, Körper verbrannt und schließlich beweint. 

Die Feuermeister leisteten ganze Arbeit und verdrängten ihre Trauer und ihren Schmerz ebenfalls, bis die Aufgabe erledigt war. 

Ich musste schlucken, als ich die vielen Urnen sah, in denen die Asche der Toten gesammelt wurde.

Wir würden sie alle hier auf dem Schlossgelände begraben und dann würden wir ein Denkmal errichten, das uns für immer an diesen schicksalhaften Tag erinnern würde, an dem der synthische König den Palast abgebrannt hatte.

Ich war wütend, aber gleichzeitig war ich auch entschlossen.

Entschlossen, ihm zu zeigen, dass er uns nicht so leicht unterkriegen konnte.

Aus diesem Grund setzte ich meine Übertragungsmacht an jeder Ecke, an jeder Kante dazu ein, den Palast zu retten. 

Ich löschte das Feuer mit Wasser und Eis und Luft, stellte den Palast mit Stein und Metall wieder her, kümmerte mich mit der Natur um die Verletzten und die Pflanzen.

Aber am meisten äscherte ich mit Feuer die Toten, die Opfer des Attentats ein und prägte mir dabei jedes Gesicht ein.

Dafür würde er bezahlen. 

Für jedes dieser leeren, ausdruckslosen, verbrannten Gesichter würde er bitter, bitter bezahlen.

Und wenn es das letzte war, was ich tat.

---

In weniger als sieben Stunden war alles erledigt. 

Mehr als eintausendfünfhundert Elementare hatten ihre Macht gewirkt, mehr als dreitausend Menschen hatten insgesamt geholfen und mehr als dreißig hatten bei der Rettungsaktion ihr Leben verloren, um Neun Rosen wieder zu dem Platz zu machen, der es vorher gewesen war.

Aber jeder wusste, dass es das nie wieder sein würde. 

Jeder wusste, dass es das nie wieder sein konnte.

Nicht ohne Saraphina.

Nicht ohne Finn.

Nicht ohne die ganzen anderen Toten.

Und nicht solange er noch am Leben war.

Nicht solange mein unendlicher Hass meine Adern und mein Herz verbrannte, so wie die Flammen heute den Palast verbrannt hatten.

Aber die Erde drehte sich weiter, weil es der Erde verdammt nochmal scheißegal war, ob in Neun Rosen, dem Palast von Mavar, ein paar Leute gestorben waren.

Oder ein paar hundert Leute.

Und genau so, wie es der Erde egal war, wie das Volk von Akar, vielleicht von ganz Mavar heute gelitten hatte, war es auch demjenigen egal, der das alles zu verantworten hatte.

Demjenigen, der mir eine Nachricht hatte übermitteln wollen: Er würde vor nichts zurückschrecken, bis alle meine Freunde tot und begraben waren.

Er würde mit mentaler Folter durch ihre Albträume anfangen und dann würde er sie alle abschlachten. 

Jeden einzelnen, einen nach dem anderen und mich würde er bei seinen grausamen Spielchen zusehen lassen, bis ich mir die Augen aus dem Kopf geheult hatte.

Mit einem bitteren Geschmack wandte ich mich von dem Spiegel in meiner Suite ab, in dem ich mich betrachtet hatte.

Braune Haare, die durch einen strengen, hohen Pferdeschwanz aus meinem Gesicht gehalten wurden.

Magentafarbene Augen, in denen Hass und Zorn glänzten wie ein giftiges, tödliches Versprechen.

Ein paar Kratzer im Gesicht, die bei einer Berührung heiße Schmerzen durch meinen Körper jagten, doch nichts allzu Dramatisches.

Eine kalte, eiskalte Dusche hatte den Schmutz und den Gestank des Rauches von mir abgewaschen, hatte die Sorgen, die tief in mir schlummerten weggespült und mir die Augen geöffnet, um endlich zu sehen, was ich nie gesehen hatte: Das hier war kein Katz-und-Maus-Spiel.

Denn er war keine Katze und ich war nicht die Maus.

Er mochte zwei Spielzüge ausgeführt haben, doch ich hatte sie mit ebenso kalten, tödlichen Zügen erwidert.

Er hatte den Clown auf Jasmine gehetzt.

Ich hatte ihn vernichtet.

Er hatte den Palast in die Luft gejagt.

Doch das hatte nur dazu geführt, dass ich endlich meine Position als Anführerin der Wachen und Soldaten akzeptiert hatte.

Dennoch wusste ich natürlich, dass all das mich in keinster Weise darauf vorbereiten konnte, was er noch für mich und meine Freunde bereithielt.

Ja, die optischen Merkmale hatte das Wasser der Dusche fortgespült. Aber die seelischen Wunden würden niemals ganz verheilen, auch wenn sich die Kratzer schlossen.

Ich betrachtete die dunklen Augenringe, die von zahlreichen schlaflosen Nächten zeugten, in denen ich wach gelegen hatte, weil ich mir ausmalte, was er uns als nächstes antun würde.

Ich hatte mit einem weiteren Clown gerechnet, oder mit den Spinnen, vor denen Cassandra so viel Angst hatte. Ich hatte mit einer Schlange gerechnet oder einem Raubtier. Vielleicht sogar ein kleines Feuer.

Aber damit hatte ich nicht gerechnet.

Dass er so weit gehen würde.

Damit hatte niemand gerechnet.

Aber ich wusste, dass er noch weiter gehen würde, und ich wusste, dass ich bereit sein musste.

Dass ich bereit sein würde.

Ich warf einen weiteren Blick in den Spiegel, um mich noch einmal zu vergewissern, dass meine Verletzungen wirklich keine Heilung durch Hayley brauchten...

Halluzinierte ich etwa?

Ich sah im Spiegel ein seltsames Flimmern, das sich auf meinem Sofa ausbreitete, als würde heiße Luft in der Ferne über dem Asphalt aufsteigen.

Aber hier war keine Straße und außerdem war es auch nicht heiß.

Wurde ich jetzt etwa verrückt?

Aber nein. Da war eindeutig ein hellgraues Schimmern, das immer dunkler wurde.

Hatte es nicht die Gestalt einer Frau?

Und kam mir diese Frau nicht irgendwie bekannt vor?

Erst als sie sich vollständig aus dem Flimmern entwickelt hatte und ich sah, wem ich gegenüberstand - als ich sie wiedererkannte - wurde mir klar, dass ich träumte.

Vor mir saß ein Geist.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top