Prolog
Jungkook
Müde stehe ich vor dem Spiegel, betrachte das Rot, was sich um meine glasigen Augen gebildet hat. Vereinzelt laufen noch salzige Tränen über meine Wangen und verschwinden im Kragen meines Hemds.
Es sind nicht die ersten Tränen dieser Woche, selbst nicht diesen Tages. Ich habe aufgehört zu zählen und dagegen anzukämpfen, denn alles ist bereits geplant, laut meiner Eltern. Die zwei Menschen, denen ich es bislang immer recht machen wollte. Doch warum mussten sie mich in dieses enge Geschirr spannen?
Eine Hochzeit?
Ich bin erst 22, stehe am Anfang einer hart erarbeiteten Karriere, für die ich bereits mit allen Mitteln kämpfen musste, und möchte es endlich in meinen Leben einmal darauf ankommen lassen, ein Szenario nicht von A bis Z durchgeplant zu erleben.
Wieder spüre ich, wie die heißen Tränen ihren Weg auf das Neue antreten, in meinem Kragen zu versickern, und diesen langsam durchnässen.
Ich verhalte mich beinahe wie ein Kind, das einfach nicht spuren möchte.
Ich kenne das Mädchen, welchem das Gleiche Schicksal bevor steht wie mir. Wir beide kennen uns verhältnismäßig lange und haben bereits einige Zeit miteinander verbracht. Wir sind Freunde, wenn nicht sogar gute Freunde.
Aber eine Ehe?
Meine Eltern halten sie für eine gute Partie. Wohlhabend, aus gutem Haus und hübsch. Sehr hübsch sogar.
Ich mag sie gern. Mit ihr kann man lachen und Späße treiben. Aber eine Ehe mit ihr, das geht mir alles viel zu schnell.
Ich weiß noch nicht einmal mehr genau, wie lange mich meine Eltern dazu gedrängt haben, ihr einen Antrag zu machen. Und ich Idiot habe einfach nachgegeben. An ihr überraschtes Gesicht und die ätzende Stille danach, daran kann ich mich noch erinnern, als wäre er gestern gewesen.
Sie begann nicht vor Freude zu lachen oder vor Überraschungen zu weinen.
Gott bewahre!
Ihr Ausdruck wurde kalt und ich habe schnell erkannt, dass sie es innerlich so bereute, ja sagen zu müssen, wie ich selbst.
Einen Rückzieher haben wir uns beide nicht leisten können, denn das Ereignis war bereits von meinen, wie auch von ihren Eltern in die Wege geleitet.
Wie Püppchen haben sie uns von Laden zu Laden kutschiert, von Location zu Location und von frei zu gefesselt.
Es ist alles zu plötzlich geschehen, viel zu schnell, um überhaupt zu realisieren, was uns bevorsteht.
Seit dem Antrag habe ich sie kaum mehr lächeln sehen. Auch habe ich ihr einfach nicht mehr unter die Augen treten könne, um sie aufzumuntern. Ich schäme mich für das alles.
Sie ist erst 21 geworden. Wir haben sogar noch alle zusammen ihren Geburtstag gefeiert.
Wir, meine Freunde, sie und ich.
Wir haben Spaß gehabt und sie hat mich an diesem Abend sogar geküsst, wie ein verliebtes Schulmädchen, schüchtern auf die Wange. Ich habe mich so rot gefärbt, wie meine verweinten Augen nun ausschauen.
„Das ist alles meine Schuld", schluchze ich und stütze mich auf dem Waschbeckenrand ab, die Luft flatternd einziehend. Ich kann mir nicht einmal mehr selbst ins Gesicht schauen.
Es ist mir doch schon einmal erfolgreich gelungen gegen meine Eltern zu rebelliert, um dadurch meine Freiheit, wie auch meinen Studienplatz und Anstellung in Seoul zu erlangen.
Warum bin ich dieses Mal bloß zu schwach gewesen?
Was war der Grund?
„Hey, Jungkook, alles in Ordnung bei dir? Die Anderen fragen schon, wo du bleibst", kommt es von der anderen Seite der Badezimmertür.
Yoongi.
Wir kennen uns seit Ewigkeiten und es überrascht mich keines Wegs, dass er nach mir schaut. Ich sollte ihm dankbar sein.
Selbst unsere Väter pflegen eine lange Freundschaft, die sie in einem gemeinsamen Auslandsjahr, vor etliche Jahre, unerwartet begonnen haben.
Ich atme einmal tief durch, richte meinen feuchten Kragen und wasche mir die verbliebenen Tränen aus dem Gesicht. Da ich gegen die Röte leider nichts ausrichten kann, muss ich damit wohl oder übel wieder unter die anderen treten.
„Komme", rufe ich ihm gespielt positiv entgegen, während ich in Richtung Tür laufe. Mein Blick ist wieder auf den Spiegel gerichtet und ich wage es doch, in meine Augen zu schauen.
Wie falsch kann man bloß sein, wenn man das seinen Freunden und Familie vorspielt und keine Stärke und Willen beweist, aber hinterrücks in Tränen ausbricht?
Auf einmal wird das Öffnen der Tür eine Sache der Überwindung. Es kostet mich viel die Klinke nach unten zu drücken, um Yoongi vor das besorgte aber freundliche Gesicht zu treten.
„So schlimm?", kommt es in einem sanften Ton von ihm, als ich die Tür hinter mir ins Schloss fallen lasse.
Ich schüttele den Kopf, doch innerlich ist mir klar, dass ich es vor ihm nicht geheim halten kann. Er legt seine Hand auf meine Schulter und schaut mich für einen Moment bloß an. Ich erwarte, dass er etwas sagt, denn es sieht so aus, als würde er sich einen gut durchdachten Satz zurechtlegen. Anstatt seiner Worte nimmt er mich in den Arm. Er wuschelt mir durch das Haar und ich spüre, wie ich mich durch seine Wärme etwas entspanne.
„Atme einmal tief durch. Du schaffst das."
Yoongi spürt, dass es mir innerlich elend zumute ist. Das schätze ich sehr an ihm, denn er weiß immer, was und wie ich fühle.
Ich nicke zögernd, doch meide trotz dessen seine Augen.
„Komm, wir gehen zurück in den Garten. Ich kann doch nicht zulassen, dass du bei deinem Junggesellenabschied den ganzen Spaß verpasst."
Mit Spaß meint Yoongi, die anderen dabei zu beobachten, wie sie sich gegenseitig unter den Tisch trinken. Bei dieser Vorstellung muss ich dann doch lächeln, denn ich kann es mir immer noch schlecht vorstellen, wie Namjoon, Hoseok, Jin oder sogar Jimin, sich gegenseitig bei einem Trinkspiel den Gar ausmachen.
Ich kichere kurz auf mit heißerer Stimme, verstumme danach jedoch sofort und schaue Yoongi mit überraschten Blick an.
„Lachen kannst du noch. Also komm, der Spaß hat zu 100% bereits angefangen", grinst er sachte und packt mich am Arm, um mir jede Möglichkeit einen Rückzieher zu machen, zu nehmen.
Wir laufen den langen Flur, der vom Wohnzimmer zu den Badezimmern führt, zurück. Die Wände sind mit abstrakten Kunstwerken dekoriert, die mir nach Jahren der Bekanntschaft mit Jin noch immer Rätsel aufgeben.
Kim Seokjin, ein Freund der Familie, hat angeboten, den Junggesellenabschied meinerseits, in seinem Elternhaus und dem dazugehörigen Garten stattfinden zu lassen.
Es ist ein riesiges Anwesen mit Zimmern zum darin Verirren. Doch der geräumige Garten und der gemütliche Außenbereich hat alle Beteiligte schneller überzeugt, als bei gewöhnlichen Entscheidungen. Wir sind uns alle Schlag auf Schlag einige gewesen. Wir hätten die Feierlichkeiten auch bei mir zu Hause in der Stadt stattfinden lassen können. Meine Wohnung ist groß genug, doch Jin hat darauf bestanden. Er hat nicht mehr mit sich reden lassen, also haben die Sachen frühzeitig festgestanden.
Namjoon, dessen Brille schief auf seiner Nase thront, schaut uns breitgrinsend entgegen, als wir zurück zur Gruppe stoßen. Yoongi schaltet noch das Licht im Wohnzimmer aus, bevor er seinen Blick auf ihn richtet. Er scheint es jedoch schnell zu bereuen.
Zwischen etlichen Kissen, der gesamt dreiteiligen Couch, die um die Feuerstelle platziert ist, sitzt Namjoon. Sein weißes Hemd, das sich zu Beginn des Abends noch ordentlich an Ort und Stelle befand, hängt nun beinahe völlig aufgeknöpft um seine Schultern und ist mit einem tiefroten Fleck versehen. Die Stirn runzelnd, tritt Yoongi etwas näher zu dem halb entblößten jungen Mann.
„Es sind keine 15 Minuten vergangen. Was habt ihr bitte angestellt. Schaut ihn euch doch mal an", beklagt er sich und knöpft seinem Freund das Hemd wieder zu. Namjoon wehrt sich jedoch etwas unbeholfen und schüttet den Rest den seines Weinglases auf Yoongis Schuhe.
„Upsi..", antwortet er beschwipst und spitzt die Lippen, während er in Yoongis vielsagende Augen blickt. Der Betroffenen atmet leidig durch und schaut mit ebenfalls verzogenem Mund auf seine einst weißen, nun roten Schuhe.
„Wenn man dreimal in Folge verliert, ist das nicht unsere Schuld", kommt es von der gegenüberliegenden Couchecke. Jimin, der sein Weinglas elegant zwischen seinen Finger hin und her schwanken lässt, beobachtet die beiden mit einem schelmischen Grinsen.
Ich sehe deutlich, wie er damit zu kämpfen hat nicht in tosendes Gelächter zu verfallen.
Doch so ergeht es auch Hoseok und Jin, die sich den letzten Teil der Couch teilen.
Es ist auch ein wirklich lustiges Bild und es lässt mich ein wenig vergessen, was die Tage auf mich zukommen wird.
Ich setzte mich an Jimins Seite und greife nach meinem Glas, was noch immer voll geschenkt auf dem Couchtisch vor uns steht.
„Sei froh, dass es noch steht, wo es steht, mein Hase. Bei der letzten Runde ging uns beinahe der Wein aus und Joon hatte komischerweise wieder den Kürzeren gezogen."
Ich blicke Jimin etwas ungläubig an, als er sich zu mir lehnt und die Beichte in mein Ohr flüstert. Das passt so ganz und gar nicht zu Namjoon, aber das macht die Tatsache noch lustiger.
„Ich habe einen... Schlechten... Tag erwischt. Wartets ab. Euch gehts gleich... Genauso, wie mir. Wartets einfach ab", gibt Joon mühselig von sich, um nicht betrunkener zu wirken, als er ohnehin schon ist. Er mag zwar einige Gläser Intus zu viel haben, doch taub ist er keineswegs.
„Schuldig", antwortet Jin und hebt sein Glas, um danach einen großen Schluck daraus zu trinken. Hoseok tut ihm gleich, hebt ebenfalls das Glas und die beiden stoßen gemeinsam an.
„Sorry, wegen deinen Schuhen... Das geht bestimmt wieder raus...", murmelt Namjoon und nimmt Yoongis Hand, nachdem dieser sich zu ihm gesetzt hat. Er zählt dessen Finger, denn wer weiß. Vielleicht hat Yoongi ja einen auf dem Weg mich zu finden, verloren.
„Sicher, Joon."
Yoongi verdreht die Augen und lässt sich zurück in die etlichen Kissen fallen.
Der Himmel ist sternenklar und bis auf das Licht des Lagerfeuers und schwach leuchtender Lampions, stört nichts diesen schönen Anblick. Ich tue Yoongi Hyung gleich und lehne mich zurück, schaue nach oben in die Sterne.
Ob es diese Nacht wohl noch Sternschnuppen regnen wird, um sich etwas zu wünschen?
~•~
Es muss weit nach Mitternacht sein, denn die Runde wird immer schweigsamer. Auf Namjoons Revanche müssen wir wohl noch etwas warten, denn seine Lider scheinen immer schwerer zu werden. Selbst Yoongis Hand zu halten, wird ihm langsam zu mühselig.
„Hmm, der Alkohol geht wohl bereits in die Endphase", kichert Hobi Hyung und blickt den schlafenden Jin an seiner Schulter lächelnd an. Namjoon scheint inzwischen auch den Kampf gegen die Müdigkeit und den Alkohol verloren zu haben, denn zwischen dem Berg an Kissen kommt kein Mucks mehr hervor.
Mein Blick wandert von Hobi und Jin, zu Namjoon und dann zu Yoongi, der noch immer gen Himmel schaut und die Hände, nun gefaltet, auf seinem Bauch liegen hat.
„Wenn mich nicht alles täuscht, dann ist selbst Jimin schon eingeschlafen", gibt er von sich, ohne den Blick zu senken. Schnell wird er allerdings eines Besseren belehrt.
„Da täuschst du dich aber gewaltig. Ich ruhe nur meine Augen etwas aus, du Fuchs."
Yoongi lacht leise auf, bevor er seine Arme empor streckt. Er scheint nach den Sternen zu greifen.
„Wohin gehen eigentlich eure Flitterwochen? Hattet ihr wenigstens dabei freies Spiel", rüttelt mich Hoseok aus meinen Gedanken, während ich stumm auf meinem Platz sitze und Yoongi dabei beobachte, wie er zum Sternenfänger wird.
Etwas überfordert beiße ich auf meine Unterlippe und suche nach einer gerechten Antwort für ihn.
„Also— ich..., also wir", stottere ich ihm etwas vor. Als sich unsere Blicke treffen, wird es ihm allerdings klar und er nickt mir alles sagend zu. Meine Augen haben ihm erzählt, was er wissen will.
Natürlich hatten wir kein Mitspracherecht. Woher auch?
„Sowas sollte meiner Meinung nach verboten werden", beginnt Jimin Hyung murmelnd, aber mit einem bissigen Unterton.
„Denkt einer doch an das arme Mädchen", beklagt er sich und stellt sein geleertes Weinglas auf dem Tisch vor uns ab, verliert sich ein Wenig in den ruhig flackernden Flammen, die sich tanzend hin und her bewegen.
„Hast du dir bereits etwas für die Hochzeitsnacht überlegt?"
Daraufhin richtet sich auch Yoongi wieder auf und schaut mit giftigem Blick, wie der einer Viper, in Jimin Hyungs Richtung. Dieser hebt ergebend die Hände, denn er weiß, dass mit dem Jungen aus Daegu nicht zu spaßen ist.
„Jetzt lass ihn in Frieden. Bist du nicht noch zu nüchtern für diesen einen Abend?"
Yoongis Stimme klingt dominanter, als wolle er mich vor den Fragen. Ich bin ihm dafür dankbar, doch bin ich kein Kind mehr und auf keinen Fall auf den Mund gefallen.
„Und was, wenn doch?", bluffe ich in die Runde, die darauf hin mit einem Raunen antwortet.
Das ist geschwindelt und das wissen sie alle genau...
Der Gedanke an diese Nacht treibe ich absichtlich vor mir her, wie eine Katze ihre Beute. Aber insgeheim bin ich doch die Beute und der Gedanke die hungrige Katze.
Yoongi blickt mir währenddessen leidig entgegen. Er war bislang und wird es auch bleiben, der Einzige, dem ich meine ganzen Sorgen anvertraut habe. Er weiß genau, was mich nachts nicht mehr schlafen und tagsüber erstarren lässt.
„Ja, einfach so mit ihr ins Bett hüpfen, ist bei dir nicht drin. Was hast du denn bitte vor?"
Ich spüre, wie sich meine Fingernägel in den Jeansstoff meiner Hose bohren. Jimin und Hoseok Hyung treffen mich mit ihren Fragen auch wirklich genau an den Stellen, mit denen ich nur verlieren kann.
Ich fühle mich in die Ecke gedrängt. Vermutlich haben die Beiden das gar nicht beabsichtigt, aber er ist trotzdem so unangenehm, dass ich am liebsten einfach zu Asche zerfallen würde.
„Was erwartet ihr denn von ihm als Antwort? Dass er sie... Ach vergisst es."
Abwinkend lässt sich Yoongi wieder in die Kissen fallen. Er ist verärgert und steht kurz davor Jimin, wie Hobi, eines der Kissen entgegenzuwerfen.
„Ist schon in Ordnung", murmele ich einige Zeit später und trinke den letzten Schluck aus meinem Glas. Innerlich wünsche ich mir etwas Stärkeres zur Hand zu haben, denn die aufsteigende Nervosität, die langsam aber sich in Angst umschlägt, ist schwerer mit Wein zu bändigen, als mit anderen Arten von Alkohol.
„Wie würdet ihr das denn an meiner Stelle tun?"
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