Kapitel 9
Taehyung
Mein dritter Arbeitstag ist über mich hereingebrochen und wird wie erwartet von strömendem Regen verschönert. Es kübelt wirklich aus allen Eimern und das Spritzwasser auf der Straße peitscht nur so gegen meinen in Leder gehüllten Körper. Ein Motorrad zu besitzen und zu fahren, ist eben nur in nicht vom Regen dominierten Jahreszeiten vom Vorteil.
Im Gegenteil zum letzten Tag muss ich zwar erst um zehn Uhr mit meinen Füßen in diesen Pantoffeln stecken und die Marmorstufen erklimmen, um meinen imposanten Arbeitsplatz 'die Küche', zu erreichen. Mit diesem geräumigen Kochparadieses samt Wohnzimmer, muss ich mich wohl in Zukunft zufrieden stellen. Doch mit dieser Ausstattung an Kochutensilien ist das wirklich nicht allzu schwer. Ich bin aber nicht nur hier eingestellt worden, um des jungen Herren Jeons Küchenjunge zu spielen.
Ich habe ein Versprechen zu halten.
Ein Schmunzeln steht mir auf den Lippen, als ich den Innenhof des Anwesens erreiche und mein Motorrad unter dem kleinen Unterstand abstelle. Der Schotter knirscht höllisch laut unter meinen Sohlen. Ein schwarzer und vor allem teuer ausschauender Geländewagen fällt mir das Auge, der press vor der großen Eingangstür geparkt ist. Wäre ich nicht schon viel zu spät dran, würde ich meiner Neugierde nachgehen und einen kleinen Blick in die protzige Karosse werfen —und noch lieber würde ich mich hinter das Steuer werfen.
Mich in kleinen Träumchen verlierend, vergesse ich beinahe ein weiteres Mal an diesem Morgen die Zeit. Der Wagen muss bestimmt Unmengen an PS besitzen, dann noch der Fakt, dass man damit durch Wald und über Wiesen hetzten könnte, lässt mein Herz höher schlagen.
Dieses Auto ist ein Traum, das steht fest.
„Machs' ihm bitte nicht so schwer. Er scheint sich ja anscheinend Mühe zu geben."
Fremde Stimmen lassen mich aus meinen Kleinkindträumereien erwachen und setzten mich wieder in die Realität. Der Blick auf die Uhr am Handgelenk lässt mich fast an meiner Spucke verschlucken. So eile ich, wie von der Tarantel gestochen, durch den Dienstboteneingang in das Anwesen, hüpfe aus meiner Motorradkluft, schlüpfe in die bereitgestellten Hausschuhe und komme erst zum Stehen, als ich die Tür zur Eingangshalle erreiche. Dort angekommen, erblicke ich durch einen kleinen Spalt meinen Schützling. Dieser verabschiedet sich gerade von einem mir Unbekannten, lässt darauf die Haustür sachte ins Schloss fallen.
Er ist gehüllt in einen weiten schwarzen Pullover, eine enge gleichfarbige Leggins und himmelblaue Pantoffeln. Sein dunkles Oberteil reicht ihm fast bis zu den Knien. Das Haar, was ich als nicht gefärbt vermute, sieht gekämmt aus und glänzt durch das warme Licht der Deckenlampen.
Ein leichtes Seufzen entkommt Jungkooks Lungen, als er die ersten Stufen im Foyer erreicht und mit einem undeutbaren Blick diesen mir suspekten Spiegel betrachtet. Das gigantische Laken scheint ihn wieder ordentlich zu verhüllen, doch wirkt es, als würde der Junge dem Frieden nicht ganz glauben. Er schüttelt anschließend kurz den Kopf, als wolle er sich von einem unangenehmen Gedanken befreien.
„Yoongi hat es befestigt. Es kann nicht mehr herunterfallen... Mein Hyung hat sich darum gekümmert", spricht er sich zu, es einem Fremden, nicht anwesendem, erklärend. Ich runzele leicht die Stirn, da mir bewusst wird, dass er sich damit selbst Mut zuspricht. Die geballten Fäuste, der abgewendete Blick und das leichte Zittern seines linken Beines deutet nur darauf hin, dass er große Unbehagen in diesem Moment verspüren muss. Er tut mir leid.
„Guten Morgen, Hr. Jeon."
Mit der Tür ins Haus fallend, spreche ich den Jungen einfach an. Dieser entgegen mir mit großen Rehaugen mustert mich überfallen. Ich muss ihn ziemlich überrumpelt haben. Daran wird er sich wohl oder übel in Zukunft gewöhnen müssen.
Er befindet sich auf der dritten Stufe der Treppe und blickt von dort aus erhaben auf mich herab, trotz dessen, dass ich ihn mit meinem abrupten Erscheinen zutiefst erschrecken haben muss. Ich habe kein Händchen für gutes Timing, das muss ich ihm noch beibringen.
„G-guten— Morgen, Hr. Kim."
Der starke junge Mann, der mir am gestrigen Tag die Tür unerwartet vor der Nase geöffnet hat und sich mit mir unterhalten hat, als wären die zuvor geschehenen Ereignisse nie geschehen, scheint nun unter dem großen schwarzen Pullover verschollen. Unauffindbar in dem Stoff versunken. Die Unsicherheit seinerseits steht in der Luft, dass man sie beinahe schneiden kann.
„Wie ich sehe, wurde der Spiegel wieder verdeckt. Ich habe wirklich die böse Vermutung, dass das meine Schuld war... Hoffentlich habe ich ihnen damit nicht noch weiter geschadet", spreche ich, ihm ein höfliches Lächeln schenkend. Er schüttelt hektisch den Kopf, die Lippen dabei zu einem Strich zusammengepresst. Seine Hände krallen sich derweil in den dicken Pullover.
Er lügt.
Das leichte Glänzen in seinen hübschen Augen verrät ihn und es bringt mich zum Schmunzeln. Jungkook ist stark, das sehe ich. Er weiß seine Gefühle zumeist zu kontrollieren, nur seine Augen scheinen davon nichts zu wissen.
Die Tatsache, dass er mich bei meinem Nachnamen nennt, finde ich recht lustig.
„Und bitte, nennen Sie mich einfach Taehyung.", füge ich Entgegenkommen hinzu.
„Ich bin von nun an wie ihr zweiter Schatten. Formalitäten ihrerseits sind also nicht so wichtig, wenn Sie es gestatten." Seine Augen weiten sich, wie die eines Kindes, wenn es zu spät vom Spielen nach Hause gekommen ist und dessen Mutter beinahe krank vor Sorge eine Standpauke in der Rechten bereithält.
„Sie haben bestimmt schon gefrühstückt", wechsele ich abrupt das Thema. „Wollen Sie vielleicht bis zum Mittagessen etwas zur Ruhe kommen und mir dann am Mittagstisch im Esszimmer etwas Gesellschaft leisten? Das würde mich sehr freuen."
Wieder nickt er und die zuvor entstandene Unruhe, die in ihm sauste, scheint langsam zu verblassen. Der schwarze Stoff um seinen Körper scheint ihn nicht weiter zu verschlingen, zumindest vermute ich das.
„Wenn Sie mich entschuldigen", spricht er heiser, auf dem Absatz kehrtmachend. Ich kann ihm nur noch nachschauen, wie er die Treppen herauf trabt und schnellen Schrittes im Dunklen des Flures verschwindet. Das Knallen seiner Tür verrät mir, dass das anstehende Mittagessen noch so eine Herausforderung werden wird. Seufzend fahre ich mir durch die Strähnen.
~•~
Fluchend stehe ich am Herd, tue meiner Großmutter alle Ehre und bereite das Essen für Jungkook und mich vor. Am Tag zuvor habe ich alle Schränke in der Küche durchstöbert, um herauszufinden, wo alles so seinen Platz hat. Madam Lim hat sich seit gestern Morgen nicht mehr aus ihrem Versteck gewagt, als würde sie mir aus dem Weg gehen.
So muss ich mich hier wohl allein zurechtfinden.
Hoffentlich beobachtet mich keiner, wie ich bei fremden Leuten in den Schränken herumwühle.
Als der Tisch endlich fein säuberlich gedeckt ist, das Essen auf dem Herd in den letzten Zügen steht und die Tablettenschatulle wieder neu aufgefüllt ist, widme ich mich etwas, womit ich meine Patienten vielleicht ein wenig ablenken könnte. Ich rechne schon damit, dass ihn unser gemeinsames Essen ziemlich anstrengen wird. Aber ich wäre ja nicht ich, würde ich mir keinen Trick aus dem Ärmel schütteln können.
Ein warmes Lächeln umspielt meine Lippen, als ich Jungkooks geöffnete Zimmertür erreiche. Etwas verwundert darüber, dass die Tür sperrangelweit geöffnet ist, beobachte ich den in dunkle Kleidung gehüllten Jungen, wie er konzentriert an seinem Schreibtisch sitzt, Kopfhörer auf seinen Ohren und das kratzende Geräusch von Bleistift auf Papier steht im Raum. Er jetzt fallen mir etliche weitere Bilder an den Wänden auf, die verschiedenste Gesichter, Landschaften und vor allem Pferde zeigen. Von galoppierenden, bis grasenden Tieren hat Jungkook alles künstlerisch festgehalten.
Wäre ich bloß so begabt...
„Oh, das müsste klappen", murmele ich, als ich einem kleinen Spielzeughund auf einer weißen Kommode rechts neben dem Türrahmen wahrnehme und nach ihm greife. Es ist ein Aufziehspielzeug, das umherlaufen kann, wenn man an seinem goldenen Schlüssel dreht.
Gedacht, getan.
Überzeugt drehe ich ordentlich an dem Schlüssel, stelle dem Hund Richtung Jungkook auf dem Boden ab und lasse ihn voran laufen. Durch die Kopfhörer auf seine Ohren hat er mich noch immer nicht bemerkt. Zügig stelle ich mich wieder in den Flur und warte, bis der kleine Spielzeughund den jungen Mann erreicht.
Als gesagtes endlich in die Tat umgesetzt wird, schaut Jungkook verwirrt zu Boden und erkennt den Hund, der an sein Fußgelenk gestoßen ist. Schmunzelnd hebt er das Spielzeug auf und betrachtet es skeptisch. Zuvor entledigt er sich noch seiner Kopfhörer.
„Essen wäre fertig", spreche ich ihn an, als sein Blick in meine Richtung wandert. Ich habe damit gerechnet, dass er sich dennoch erschrickt.
Falsch gedachte, Taehyung.
Mit einem unschuldig monotonen Blick nickt er mir zu und erhebt sich darauf von seinem Stuhl, den Hund auf seinem Schreibtisch abstellend.
„Ich hoffe Sie haben Hunger."
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top