Kapitel 7

Taehyung

Mulmige Gefühle schlurfen mir auf Schritt und Tritt nach, als ich am nächsten Morgen das beeindruckende Hauptgebäude meines neuen Arbeitsplatzes betrete. Vorbildlich, wie ich eben so bin, schlüpfe ich in die bereitgestellten Hausschuhe und trete dabei in die imposant-protzige Eingangshalle. Beinahe verliere ich einen der schwarzen Pantoffeln, als ich zügig die große Treppe nach oben trabe. Dabei fällt mir ein großer Wandspiegel auf, welcher mit goldenen Verzierungen ummantelt ist.

Die müssen ja wirklich im Geld schwimmen.

Ein plumpes Laken hängt eher schlecht, als recht auf den gefliesten Treppenstufen. Wie ein gefallener Engel in seinen Tüchern liegt es da. Wieder machen sich die mulmigen Gefühle bemerkbar, und so trotten sie mir gemächlich die Treppen nach. Als ich die offene Küche im zweiten Stock erreiche, komme ich etwas schnaubend zum Stehen. Mein Blick wandert umher. Die Vorhänge sind noch immer zugezogen und kein Lichtstrahl wagt sich hinein, in die offenen Räume.

„Bevor ich's noch vergesse."

Murmelnd komme ich auf die zugezogene Fensterfront zu. Eine meiner Aufgaben ist es, dafür zu sorgen, das Licht entweder aus dem Raum zu bannen, oder hereinzulassen. Also tue ich, wie mir geheißen.

Schwungvoll lasse ich das Licht in die gesamte Etage, welche aus Küche und Wohnzimmer besteht. Die großen Fenster ermöglichen eine klare Sicht auf den gesamten Innenhof, wie auch auf die angrenzenden Gebäude.
Ein Lächeln setzt sich auf meine Lippen, als ich daran denke, wie ich diesen morgen einen kleinen Abstecher in die Ställe, dieser offensichtlich so verarmten Familie, gemacht habe. Meine Ironie lässt wirklich zu wünschen übrig.

Trotz dessen, dass mir Madam Lim die Herumtreiberei strengstens untersagt hat, hielt mich das diesen morgen nur wenig auf. Gemütlich und sorglos bin ich bei den Tieren vorbeigeschlendert, habe ab und an ein paar Öhrchen gekrault und die großflächige Reithalle von innen begutachtet. Aus dem Staunen wieder herauszufinden, war eine wortwörtliche Herkulesaufgabe.

Die Spucke bleibt mir immer noch etwas im Halse hängen, wenn ich mir das Bild erneut in das Gedächtnis rufen, als ich mich auf meinem Weg zurück in das Hauptgebäude befunden habe. Mein Blick wanderte an der hellen Fassade des Gebäudes entlang. Ich war neugierig, wollte wissen, was mich nichts anging.

Als ich an der Fensterfront des zweiten Stockes anlangte, blieben meine Augen jedoch ungewollt an etwas hängen. Besser gesagt; an jemanden.
Diesen morgen habe ich mich absichtlich dazu entschieden, um einiges früher zu erscheinen, um eben ein Wenig umher zuschnüffeln. Doch hatte es der Zufall spitzbübisch auf mich abgesehen.

Unschuldig und völlig in seine Sache vertieft, schälte sich mein zugeteilter Patient diesen morgen aus seiner Kleidung. Mit dem Rücken dem Fenster zugewandt, die Vorhänge anscheinend selbst aufgezogen, stand er da. Etwas verdutzt begaffte ich ihn dabei, wie ein einfältiges Schulmädchen. Ein seltsames Gefühl ließ mich nach etlichen Sekunden das Weite suchen.

Hoffentlich hat das keiner bemerkt.

Bedenklich beiße ich mir auf die Lippe und schwinge mich dabei auf die Kücheninsel im Zentrum des Raums. Ein herzliches Seufzen entweicht meinen Lungen und ich streiche mir die blonden Strähnen hinters Ohr.

„Das kann ja noch lustig werden."

Sorge schwingt in meinen Satz mit. Der Anblick des jungen Mannes hat nicht nur pralle Früchte getragen. Dünn hat er ausgesehen. Blass und so dürr.
Es besorgt mich zutiefst. Nicht nur der Vorfall am vorherigen Tag hat mich nicht gut schlafen lassen, sondern nun beklemmt mich auch noch der Anblick des hageren Kranken von zuvor. Ich möchte mir nicht ausmalen, was er die vergangene Zeit durchgemacht haben muss.

Seit dem Tag, an dem sich für ihn alles geändert hat. Man hat mir nur das Geschönte erzählt, was mir aber schon dicke gereicht hat.

Kopfschüttelnd patsche ich mit meinen beiden Handballen auf die Arbeitsfläche, auf welche ich mich zuvor bugsierte.
„Ein guter Tag, kann nur mit einem ordentlichen Frühstück beginnen", spreche ich mir selbst etwas Zuversicht zu und mache mich an die Arbeit, mein Vorhaben in die Tat umzusetzen Frühstück zuzubereiten.

~•~

Es ist ein wahrer Drahtseilakt einen Teller mit herrlich duftenden Pfannkuchen, ein Glas voll Milch und ein Schächtelchen an seltsam roten Tabletten, den dazugehörigen Anleitungen, den Flur entlangzutragen, wenn man sich noch nicht auch nur einen Hauch in diesem Irrgarten auskennt.
Es mag zwar sein, dass mich die Haushälterin den Tag zuvor an das Zimmer meines Patienten geführt hat, jedoch ist mein Gedächtnis manchmal so effektiv, wie ein Sieb. Hier sieht jeder Flur aus, wie das perfekte Ebenbild eines anderen. Als Außenstehender gerät man im Angesicht dieser immer gleich strukturierten Einrichtung ins Schwitzen.
„Welche Abzweigung hatte Madam Lim noch einmal gemeint?"

Zögerlich stehe ich nun an einer solchen Weggabelung aus Fluren und Türen und weiß nicht so ganz, ob ich meinem Verstand vertrauen soll, oder meinem Gefühl.

Oder ist es das Herz?

Ich unterbreche mich selbst, als mir eine Tür ins Auge springt, in deren Holz sich mehrere Einkerbungen befinden, die nicht gewaltfrei das feine Material derart verletzt haben. Es müssen kraftvolle Hiebe gewesen sein. Augenblicklich zieht sich meine Kehle etwas zusammen, sodass ich unwohl schlucken muss — neugierig zugleich trete ich näher, bis ich das beschädigte Holz erreiche.
Diese Schrammen und Kratzer sind mir am Tag zuvor nicht im Geringsten aufgefallen.

War die Aufregung wirklich so groß?

Mit dem Tellerrand stoße ich sachte gegen die geschundene Tür, mich meiner Neugierde ergebend. Zu meiner Verwunderung lässt sich diese ohne Problem öffnen und betreten. Sie knarrt zwar ein wenig, doch bringt mich das nicht aus der Ruhe. Ich hoffe innerlich, dass ich nun nicht in eine Falle tapse, wie eine unschuldige kleine Maus. Doch wer würde mich schon einsperren wollen. Nach höchstens zwei Tagen wäre ich wieder auf freiem Fuß.

„Es ist leer?"

Verwunderung verzieht meinen Ausdruck und der Teller in meiner Hand gerät, mitsamt der frischen Pfannkuchen, bösartig ins Schwanken. Das spärliche Tageslicht offenbart einen karg eingerichteten Raum. Ein Bett bildet das Zentrum, ein Nachttisch befindet sich rechts davon und etwas Staub liegt in der Luft — nicht das, was ich mir vorgestellt habe.
Seufzend trete ich zurück in den Flur. Hier habe ich nichts zu suchen, auch, wenn es mir unter den Nägeln brennt, weitere Orte in diesem Palast zu erkunden.

Leidig schreite ich also den ausgewählten Flur weiter entlang, um das Schlafzimmer des jungen Herren Jeon zu erreichen. Das Laminat unter meinen Sohlen ist ziemlich glatt. Meinem Schicksal bewusst, schlurfe ich vorsichtig weiter. Der Boden wird mich schon früh genug in Empfang nehmen.

„Ich gebe der Sache höchstens eine Woche, dann liege ich das erste Mal hier flach", spaße ich mit mir selbst und erreiche darauf erleichtert das Ende des Flures.

„War ich gestern wirklich so unachtsam?"

Das Verlangen, mir mit flacher Hand auf die Stirn zu schlagen, keimt in mir auf und lässt meine Wange etwas erröten. Kein Wunder, denn in bunten Farben steht der Name meines Patienten auf dem weißen Holz der letzten Tür, in diesem unendlich lang erscheinenden Flur. Wie das X auf der Schatzkarte prangt der Name vor mir. Am Tag zuvor habe ich bis spät in die Nacht an genau dieser Blockade namens Tür ausgeharrt, geduldig auf ein Lebenszeichen des Jungen gewartet, doch nicht ansatzweise die Markierung des Zieles bemerkt.

Erst, als die Haushälterin mich samt meinem Schuldgefühl, den Jungen nicht aus dem Zimmer gelockt zu haben, vor die Tür gesetzt hat — die Sterne haben schon am Himmel getanzt — hat mein Feierabend offiziell für mich begonnen. Jedoch der neue Tag ebenfalls.

„Bitte, lass' es nicht so sein wie gestern...", hauche ich bangend und malträtiere dabei meine weiche Unterlippe. Die Nervosität, die mich umgibt, ist beinahe zu schneiden.

„Ja?"

Ein großer Schluck Milch schwappt, wie die Wellen eines tosenden Meeres, aus dem Glas auf das frisch gewienerte Parkett, als ich vor Schreck zusammenfahre.
„Bitte?", verlässt es heiser meine Kehle und ohne, dass ich es eigentlich beabsichtigt habe.

Urplötzlich öffnet sich die Tür. Was oder wer zum Vorschein kommt, lässt mich nun völlig den Faden verlieren. Zwei verboten schöne Augen schauen mir entgegen und betrachten mich gleichgültig. Die Angst ist aus ihnen völlig verschwunden. Sie strahlen Wärme aus.

Meine Knie werden etwas weich, was ich sagen wollte, das ist mir seltsamerweise entfallen.

„Sie sind Kim Taehyung, liege ich da richtig?"

Seine Stimme ist sanft und völlig ruhig. Nicht zu vergleichen mit dem angsterfüllten Keuchen, am Tag zuvor.

„Äh... Ja! Das bin ich. Tae— Taehyung. Aber nennen Sie mich bitte Tae."

Ein sanfter Ausdruck lässt sich auf seinem Gesicht nieder und seine Mundwinkel zucken leicht nach oben. Die etwas zerzausten Haare, richtet er sich die Sekunde darauf.

„Darf ich ihnen das abnehmen? Nicht, dass es noch fällt", bietet er höflich an und reicht mir seine Hände. Zustimmend schüttel ich den Kopf und überreiche ihm Teller und Glas.

„Dankeschön", klettert es fast lautlos von meinen Lippen. Die Medikamente behalte ich noch einen kurzen, weiteren Moment bei mir, bis ich sie ihm stutzig überreiche.

„Oh... die hab' ich ja fast vergessen."

Freundlich lässt er das Schächtelchen in seiner Hosentasche verschwinden, nachdem er den Teller, plus halb vollem Milchglas, im Inneren des Zimmers abgestellt hat.

Er mustert mich anschließend ausgiebig. Ich spüre seinen Blick, wie er wohl versucht aus mir schlau zu werden. Diese Situation ist für uns beide ein kleines Spektakel, denn wir beiden spielen prinzipiell doch auf der gleichen Seite. Zumindest hoffe ich das.

„Ach! Wie unhöflich von mir. Mein Name ist Jungkook. Jeon Jungkook."

Ein zartes Lächeln umschmeichelt seine pinkfarbenen Lippen. „—wie man an der Tür vermutlich schon erkennen konnte."

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