Kapitel 66
Taehyung
Das Licht auf meiner Haut ist warm und zart, wie die Berührung junger Grashalme, als wenn man bei frischem Wind auf einer Wiese liegt. Die Luft ist so frisch.
Ich spüre auf meiner Haut eine kalte Brise, die eine angenehme Gänsehaut über meinen Körper sendet.
Tief atme ich ein und wieder aus, die Augen noch immer verschlossen, und mein Körper ist so entspannt, wie seit langem nicht mehr.
Kein Ziehen ist zu spüren, nicht die Last, die auf den Körper natürlich wirkt.
Schwerelos.
Die Gedanken sind befreit und erleichtern mir das Liegen und Genießen der Ruhe.
Ich verschränke die Arme hinter meinem Kopf und bette ihn darauf. Ein zufriedenes Lächeln ruht dabei auf meinen Lippen. Der Geruch des Grases tanzt entlang meiner Nase, das Zwitschern der Vögel hallt an meinen Ohren vorbei.
Ein Seufzen verlässt entspannt meine Kehle.
Beinahe jeder Sinn ist auf meine Umgebung fokussiert, während meine Augen die Einzigen sind, die keinerlei Arbeit in diesem Moment verrichten müssen - als würden sie eine verdiente Pause einlegen.
„Du liebst ihn."
Die weibliche Stimme kommt mir mehr als nur bekannt vor. Sie ist tiefer, als die anderer Frauen, denen ich begegnet bin. Eine gewisse Resonanz weist sie vor. Wie eine Umarmung fühlt sie sich an.
Den Kopf etwas zur Seite neigend, um das Gesprochene besser zu verstehen, lausche ich ihren Worten. Wer sie wohl ist?
„...weil er dich liebt."
Inzwischen ist die Stimme zu einer männlichen übergangen, welche ebenfalls eine gewisse Tiefe aufweist. Sie schallt von einem anderen Punkt aus auf mich zu. Als würde sie sich zu meiner Rechten in einem Wald befinden. Auch das Rascheln dünner Äste ist zu hören. Wieder wende ich den Kopf.
„So wie du ihn."
Ich weiß nicht, wovon diese Stimmen genau sprechen. Erscheinen durch sie keine Gesichter in meinem geistigen Auge, die ich ihnen zuordnen könnte. Es bleibt dunkel - das Nichts.
„... Du musst Onkel ... sehr lieb haben, wenn du ihn so vermisst."
Die Stirn in Falten legend, lausche ich der Stimme eines kleinen Mädchens. Ich könnte schwören, ihren Namen zu kennen, sogar ihr Aussehen erscheint mir schemenhaft.
Dunkel ist ihre Haar, eine kleine blumenartige Spange haltet den geflochtenen Zopf beisammen. Ihre Augen sind dunkelbraun, wie die Rinde einer alte Eiche. Ihre Augen wirken, wie die eines Drachen, der über einen altertümlichen Tempel wacht.
Ein kostbares Lächeln.
Das Bild des Mädchens, das ein so herzliches Lächeln trägt, verblasst, als ich die sachte Berührung einer Hand auf der meinen spüre. Zärtlich streicht der Daumen über meinen Handrücken.
„Wach auf, Tae... Komm zu mir zurück."
~•~
Mit einem Satz öffne ich meine Augen. Es ist hell, er ist kalt. Der beißende Geruch von medizinischem Alkohol liegt in der Luft.
Das unerträgliche Gefühl etwas vergessen zu haben, haftet an meinem Inneren, sodass mein Herz sogleich beginnt wie verrückt zu schlagen. Es benötigt einige Augenblicke, bis ich realisiere, in welcher Umgebung ich mich befinde - vor allem wer ich überhaupt bin.
Wie aus einem tiefen Winterschlaf erwacht, so fühle ich mich.
Für einen kurzen Moment kneife ich die Augen zusammen, um dem gedimmten, doch immer noch zu grellen, Licht zu entkommen. Meine Lippen sind gespalten und tiefe Atemzüge lassen meine Lungen sich ausbreiten. Der Druck in meinem Brustkorb spricht davon, dass ich seit einer Ewigkeit nicht mehr tief Luft geholt habe.
Während ich mich versuch zurück in die Realität zu kämpfen, realisiere ich nicht einmal das zu Beginn rhythmische Pingen des Pulsmessgeräts, noch dass es nach meinen Erwachen an Geschwindigkeit und Stärke zugenommen hat.
Auch, dass durch den angestiegenen Geräuschpegel die weitere Person im Raum beinahe aus ihrem Schlaf geweckt worden ist.
Müde gähnt der Junge, der den gesamten Tag bereits an meiner Seite gewacht haben muss. Sein Oberkörper ruht auf der Bettdecke, unter der ich versteck worden bin, und schläft seelenruhig.
„H-hallo?", rufe ich verängstigt, da ich mir einfach nicht zusammenreimen kann, wo ich mich gerade befinde, noch was passiert ist, dass sich meine Erinnerungen anfühlen, wie zerlaufenes Wachs.
Ich lenke meinen Blick, der sich anfühlt, als wäre er von einem schrecklichen Muskelkater befallen, auf das Geschöpf zu meiner Rechten. Unsicher mustere ich ihn, nicht sicher, um wen es sich genau bei dieser Person handelt.
Einige Sekunden des Starrens vergehen, bis der besagte Junge seine Kopf zur Seite neigt und ich in sein vom Schlaf entspanntes Gesicht blicken kann.
Kaum erkenne ich die zarten Lippen, die langen Wimpern und feinen, aber mageren Gesichtszüge, trifft es mich wie ein Schlag.
„Ich liebe dich, aber warum du mich nicht?
Tränen bilden sich in meinen Augen, als ich den so friedlich schlafenden Jungkook einfach beobachte. Ich fühle mich unfähig, auch nur einen Laut von mir zu geben.
„Das tue ich schon so lange, Jungkook."
Ich stimme meiner Erinnerung zu und nicke, ein Schluchzen nicht verhindern könnend. So strecke ich meine Hand aus und streiche behutsam durch sein stumpfes Haar. All seinen Glanz hat es verloren.
„I-ich liebe d-"
Das Öffnen einer Tür bringt mich zum Innehalten. Erleichterung keimt in mir auf, als ich das vertraute Paar Augen eines jungen Vaters erkenne, der seine kleine Tochter auf dem Arm trägt.
„Schatz, geh doch bitte für einen Augenblick noch zu Yoon, wenn ihr beide zurückkommt, wird Onkel Jungkook und Taehyung bestimmt wach sein", flüstert er dem Mädchen zu, das ihm darauf ein liebliches Lächeln schenkt.
Mit einem Kuss auf die Wange, setzt Namjoon seine Tochter auf dem Boden ab, damit sie sich aufmachen kann, um Yoongi zu finden. Dieser wird nicht weit sein.
„Siehst gut aus."
Das Kommentar des Älteren, nachdem er die Tür hinter sich verschlossen hat, bringt mich zum Lachen. Lächelnd wische ich die Tränen aus den Augen. Eine unergründliche und über aus starke Freude beginnt in meinem Inneren zu blühen.
„Darf ich mich setzten?", spricht Namjoon, bevor er sich auf den Stuhl zu meiner Linken setzt. Ich nicke selbstverständlich.
Sein Blick gleitet von den piependen Gerätschaften zu Jungkook, der noch immer tief zu schlafen scheint.
„Er ist völlig erschöpft, der Arme. Aber geweigert hat er sich wie ein Weltmeister, da er nicht deine Seite verlassen wollte."
Ein stolzes Lächeln legt sich auf die Lippen des Mannes, dessen einst lilafarbenen Haare zu einem blassen Flieder verblasst sind.
Ich nicke und widme meine Aufmerksamkeit wieder dem Jüngsten. Ein leises Wimmern ist von ihm zu hören. Sein Griff um seine Hand wird fester.
„W-Was ist passiert, Namjoon?"
So viele Fragen stelle ich mir, sie überrennen mich förmlich. Dem Vater einen Hilfe suchenden Blick zuwerfend, bitte ich um Antworten. Er muss doch etwas wissen.
„Man hat dich ziemlich böse am Kopf erwischt, mein Freund. Fr. Nis Gehilfe hat seine Schläge nicht von schlechten Eltern gelernt, aber könnte man dies von unserem Koo beinahe auch behaupten."
Ich verstehe nicht ganz und lege daraufhin die Stirn in Falten.
„Bevor man dich ausgeknockt hat, verpasste Koo einem der beiden einen so heftigen Schlag, dass dieser k.o. zu Boden ging. Das hat seinen Freund jedoch so aus der Fassung gebracht, dass er das urplötzliche Verlangen auf Rache verspürte. Wirklich filmreif."
Ich nicke, die Erinnerung bildlich vor Augen habend.
„Ich habe mich zwischen sie geworfen", entgegne ich, den Blick starr ins Leere gerichtet.
„Das hast du. Hat dieser Kerl dich aber dermaßen auf die Matte geschickt, du warst für fast zwei Wochen nicht ansprechbar."
Meine Augen weiten sich aufgrund Namjoons Worten. Irritiert mustere ich den Älteren, der seine Lippen zu einem schmalen Strich in die Breite zieht.
„Du warst ab und an wach, doch hast du nichts als Brocken gebrabbelt und vor allem nichts und niemanden um dich herum wiedererkannt. Das... Na ja, das war hart für ihn", gesteht der Vater und schenkt dem Jüngsten ein gequältes Lächeln.
Mir wird förmlich schlecht.
„Mach dir keine Sorgen, Tae. Du bist wieder zurück, das ist die Hauptsache. Lass ihn erst einmal wachwerden und dann sprecht ihr euch erst einmal aus. Ihr habt euch so einiges zu sagen."
Der Ältere kichert leise und klopft mir aufmunternd auf den unter Decken versteckten Oberschenkel.
„Was ist mit den Beweisen? Hat das wenigstens zu etwas geführt? War das alles bitte nicht umsonst...", spreche ich eher zu mir selbst, als zu Namjoon.
Als dieser sich erhebt, um Jungkook, aber vor allem mir Ruhe zu gönnen, legt sich etwas Zufriedenes auf dessen Gesicht nieder.
„Jungkook ist ein freier Mann."
~•~
Es hat noch eine ganze Weile gedauert, bis der Jüngste seine Augen sachte aufschlug.
Die Sonne ist mittlerweile schon längst hinter dem Horizont verschwunden, auch Namjoon, Miga und Yoongi haben sich allesamt bei mir bereits verabschiedet und sind nach Hause gefahren. Bevor sie allerdings aus meinem Sichtfeld verschwunden sind - wir haben uns alle zusammen auf dem Flur unterhalten, auf den ich mich langsam gequält habe, um Jungkook nicht zu wecken -, habe ich noch gesehen, wie der Kleinere der beiden sich auf die Zehnspitzen gestellt hat, um den Jüngeren liebevoll auf die Wange zu küssen.
Auch Miga hat daraufhin einen Kuss erhalten.
Bei diesem Anblick ist mein Herz aufgegangen und genügend Wille hat sich in mir gebildet, damit ich zurück in mein Bett komme. Es ist ziemlich anstrengend in meinem aktuellen Zustand umherzuirren, das muss ich den Ärzten zugestehen.
Vorsichtig drücke ich die Türklinke nach unten, um den Raum so leise wie nur irgend möglich zu betreten.
Kaum habe ich jedoch einen Fuß in das Zimmer gesetzt, höre ich hektisches Rascheln.
„Tae! Tae, wo bist du!?"
Irritiert verharre ich in meiner Position am Türrahmen und beobachte großäugig, wie der Jüngere Schlaftrunken, aber auf voller Alarmbereitschaft die Bettdecke aus meinem Bett reißt. Angst spiegelt sich in seinen Augen wider.
Er schaut schrecklich aus.
„Jungkook, beruhige dich", spreche ich ihm besänftigend zu und trete auf ihn zu. Als er seinen panischen Blick hebt, treffe ich auf Tränen und auf zitternde Lippen.
„I-ich dachte, sie hätten dich geholt", schluchzt er und stolpert keinen Augenblick später auf mich zu, die Arme ausgebreitet, um mich anschließend in eine innige Umarmung zu ziehen.
Ich erwidere sein Handeln und presse ihn so fest an mich, wie an dem Abend, an dem ich ihn eigentlich habe befreien wollen.
„E-Es tut mir so leid", schluchze nun auch ich heiser und verstecke mein Gesicht in seiner Halsbeuge, seinen Geruch dabei verinnerlichen. Ich habe ihn so schrecklich vermisst.
„Ich hatte solche Angst um dich", gesteht er, worauf wir uns ein Stück voneinander trennen, nur um unsere Stirnen anschließend aneinander zu lehnen. Meine Hände ruhen verschränkt hinter seinem Kreuz. Er atmet ganz ruhig.
„Ich wollte nichts mehr, als dich zu beschützen." Meine Worte entlocken ihm ein schwaches Nicken.
„Das weiß ich. Das ist mir jetzt klar. Ich danke dir so sehr, dass du mich nicht aufgegeben hast, Tae."
Seine Worte überraschen mich. Er weiß doch ganz genau, dass es mein schlechtes Gewissen gewesen ist, das mich dazu trieb, ihn als Pfleger zu begleiten. Und waren es die anderen, die die Kraft aufgebracht haben, um Jungkook anschließend aus dieser Klinik zu befreien.
Ich bin und bleibe ein -
„Denk nicht einmal daran, dich kleinzureden. Ohne dich würden Yoon und ich noch immer tagtäglich an den Gattern zu den Weiden stehen, meterweit von den Tieren entfernt und zurück im Haus würde ich vor Angst nicht ruhig schlafen können."
Er lächelt.
„Und auch du bist es gewesen, der in der Klinik stets auf mich aufgepasst hat, sobald dir die Möglichkeit geboten wurde. Ich weiß ganz genau, dass du all deine Verdienste von dir schiebst, aber du bist ein Idiot, wenn du es tust, Tae", stellt er fest und küsst mich anschließend auf den Lippen.
Ich bin unfähig ihm zu widersprechen, eher lasse ich mich in seinen Worten und Gesten einfach gehen.
„So etwas wie dich, habe ich nicht verdient."
Es braucht eine ganze Weile, bis ich es schaffe, ihm zu antworten. Ist meine Stimme allerdings ziemlich heiser und belegte von aufkommenden Tränen und Schluchzen.
Jungkook bemerkt, dass meine Beine so langsam nachgeben. Das zweiwöchige Liegen im Bett hat schließlich seine Spuren hinterlassen. Behutsam geleitet er mich zum Bett, um sich danach an meine Seite zu setzten. Unsere Hände liegen in denen des jeweils anderen.
Kaum habe ich meinen Kopf auf mein Kissen gebettet, so legt sich der Jüngere auf meinen Oberkörper, wie in dieser Nacht, in welcher wir ihn befreien wollten.
„Dein Herz geht ziemlich schnell, mein Lieber", flüstert er, seine Finger streicht dabei zärtlich über meinen Handrücken.
„Es ist alles gerade etwas viel...", antworte ich und verschließe meine Augen.
„Es ist immer da, beobachtet mich und lauert."
Das verängstigte Gesicht des Jungen an meiner Seite erscheint vor meinem geistigen Augen. Eine Erinnerung.
„Jungkook, kurz bevor i-ich in Ohnmacht gefallen bin, dort, neben der Klinik. D-da hast du irgendetwas von deinem Biest gesprochen. Ich kann mich nur nicht mehr erinnern", hake ich nach, denn Erinnerungen um Erinnerungen an dieses Wesen tauchen urplötzlich in meinem Verstand auf.
„I-ich war dein Dämon, der dich befallen hat... Als ich dich im Park der Klinik besucht habe, bin ich die Sache so falsch angegangen, so hätte das alles niemals ablaufen sollen. Auch, dass Yoongis Mutter uns erwischt hat, dass dein Vater dich hat einsperren lassen. Und es tut mir so unendlich-", führe ich fort, doch unterbricht mich der Jüngere ein erneutes Mal.
„Tae... Du brauchst mir nicht aufzuzählen, was bei uns vorgefallen und mehr als nur schiefgegangen ist."
Er richtet sich ein Stück auf, um mir in die Augen zu sehen. Fest umklammere ich seine Hand.
„Obwohl... Obwohl ich dank der Medikamente nicht wirklich bei Sinne war, habe ich verstanden, was du an diesem Tag gemeint hast. Wie du sicherlich verstehen kannst, hat mich das alles dennoch hart getroffen. Von allen auf dieser Welt hätte ich erwartet etwas damit zu tun zu haben, doch nicht du."
Ich nicke verstehend, den Blick trüb senkend.
„Ich hatte danach viel Zeit zum Nachdenken, auch wenn mich die Behandlungen immer weiter geschwächt haben. Und mein Sturkopf hat mir dabei auch nicht in die Karten gespielt."
Ein sanftes Lächeln legt sich auf meine Lippen und so strecke ich meine Hand aus, um seine Wange zu erreichen.
„Es stimmt, ich war unglaublich wütend auf dich, doch habe ich mich geweigert irgendetwas zu mir zu nehmen, da es schließlich nicht von dir gewesen ist.
Tief in mir drin, so taub ich mich auch gefühlt habe, wusste ich, dass ich dich dennoch liebe."
Er schmiegt sich an meine Hand und schließt die Augen, um anschließend nach ihr zu greifen und sie zu küssen.
„Jungkook ich...", beginne ich, nicht wissen, wie ich es formulieren soll.
„Es... Gott, verdammt! Ich liebe dich auch, so sehr. So unendlich sehr..."
Diese Worte haben endlich meine Zunge verlassen. Mit ihnen können sich meine Tränen jedoch auch nicht mehr halten.
„Ich weiß", haucht der Jüngere und lehnt sich zu mir, um mir einen hauchzarten Kuss auf die Lippen zu geben.
„Wie kannst du diese Liebe einfach so erwidern, Jungkook. Ich habe dir so viel... Ich bin dein Dämon in allen Spiegeln gewesen."
Die Schuld übermannt mich immer mehr. Wo mein Herz aufblüht vor Liebe für diesen Jungen, so bricht es auch in zwei, als ich an meine Fehler zurückdenke.
„Tae, verstehe. Nicht jeder kann makellos sein. Zum Erfolg gehört auch das Versagen. Und ich habe gelernt zu vergeben."
Ich sehe nur ihn, ich fühle nur ihn, seine Wärme und Nähe, bevor ich in einen tiefen Schlaf falle.
Wenn ich meine Augen jedoch wieder aufschlagen werde, wird Jungkook an meiner Seite sein.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top