Kapitel 65
Jungkook
Ich höre Stimmen. Poltern reißt mich aus dem Schlaf. Als ich meine Augen aufschlage, habe ich die Hoffnung auf Taes Tiefbraune zu treffen. Zu meiner. Enttäuschung ist von dem Älteren keine Spur mehr zu erkennen.
Tief seufze ich, lasse meinen müden Blick, der bemerkenswert klar ist, durch den Raum gleiten. Ein nasser Fleck an der Zimmerwand gegenüber meines Bettes lässt mich die Brauen verziehen.
Langsam kehren die Erinnerungen an die unzähligen Glasscherben zurück.
„Nein!"
Die Stimme klingt von Angst zerfressen. Erschrocken zucke ich zusammen und schauen gegen verschlossene Tür.
Was das wohl war?, frage ich mich und schwinge meine dürren Beine aus dem Bett. Taehyung mag mich zwar erst zu Bett gebracht haben, möchte ich den Geräuschen dennoch auf den Grund gehen. Es beunruhigt mich, vor allem, da der Ältere wohl das Zimmer verlassen haben muss. Vielleicht weiß er ja, woher die Geräusche stammen. Er würde es mir sicher verraten.
„Tae?", rufe ich den Flur entlang, als ich in Hausschuhen und in einen dünnen Mantel gehüllt, aus meinem Zimmer trete - das erste Mal allein seit Wochen.
Jeder Schritt schmerzt ein wenig, da die Schnitte schließen noch ganz frisch sind. Langsam bewege ich mich fort, da ich allgemein etwas wackelig auf den Beinen bin. So stütze ich mich an der Wand des Flures und nähere mich der Gabelung, die einen zu allen anderen Bereichen dieser Station bringen kann.
„Lass Sie mich gehen. S-Sie verstehen nicht."
Taes Stimme macht mich hellhörig.
Kaum habe ich die Gabelung erreicht, erklingt die aufgeregte Stimme des Älteren. Ich halte inne.
„Was ist hier nicht zu verstehen? Sie Perverser finden gefallen an wehrlosen Kranken, die ihnen aufgrund ihres Charmes nur so aus der Hand fressen."
Vorsichtig schaue ich in den anliegenden Flur, der mir ein Bild offenbart, welches ich sehr wahrscheinlich nie mehr aus meinen Erinnerungen löschen kann.
Taehyung, fixiert von zwei großen und breiten Männern, kniet vor Schwester Ni.
Als der Ältere zum erneuten Widersprechen ansetzt, verpasst ihm einer der beiden Männer einen harten Faustschlag in die Magengrube.
Erschöpft lässt er sein Haupt hängen. Widerstandslos lässt er sich anschließend von den Männern davon schleifen, bis sie aus meinem Blickfeld verschwinden.
Fest haben sich meine Nägel in das Holz gekrallt, auch kullern schwere Tränen meine Wangen herab. Das Schluchzen vermag ich zu unterdrücken.
Wer weiß, was geschehen würde, würden sie mich entdecken.
„Jungkook."
Eine zarte Hand legt sich auf meinen Mund, bevor ich ein erschrockenes Quieken von mir geben kann.
Die Stimme zuvor klang bedacht leise und alles andere als darauf aus, mich zu erschrecken.
„Psst, bitte, folge mir", führt der junge Mann flüsternd fort. Er langt nach meiner Hand und führt mich in einen kleinen Nebenraum. Schwerfällig humpele ich ihm nach, doch jeder Ort scheint in diesem Moment besser, als in Gegenwart der Schwester und dem deckungslosen Flur.
„Gott sei Dank, habe sie dich nicht bemerkt", seufzt der Fremde, als er die Tür hinter uns verriegelt.
Erst jetzt wird mir bewusst, dass ich einem Wildfremden in eine wortwörtliche Abstellkammer gefolgt bin, während Taehyung in großer Gefahr schwebt. Angst beginnt in mir zu keimen und ich weiche hastig einige Schritte zurück, sodass ich beinahe zu Boden stürze.
„Oh! Bitte, i-ich tue dir nichts", entgegnet er Hände hebend. Sein Ausdruck wird weich.
„M-mein Name ist Namsung. Ich bin ein Freund von Sato... Also Kim Taehyung, wie er anscheinend wirklich heißt."
Ich traue ihm nicht ganz, doch ist er im Moment meine einzige Chance etwas für Taehyungs Sicherheit auszurichten.
„Wo... Wo haben sie ihn hingebracht, was tun sie mit ihm?", stelle ich sofort die Frage, die auf meiner Seele brennen.
Namsungs Augen werden darauf größer, als wäre ihm eine bahnbrechende Idee gekommen.
„Ich weiß es nicht genau, aber Taehyung hat in diesem Korb hier, den habe ich aus der Küche retten können, bevor Fr. Ni und ihre Begleiter es ausfindig machen konnten, zurechtgemacht", erklärt er und deutet auf den braunen Korb, der auf dem Beistelltisch des Raumes platziert worden ist, „darin befindet sich ein Handy. Es hat mehrere male gebrummt und vibriert. Vielleicht solltest du rangehen."
Ich gehe ein Stück den Korb zu und erkenne die unzähligen, verpassten Anrufe auf dem Display des Geräts. Neben Anrufen einer mir unbekannten Juri, erkenne ich auch Namjoon, Yoon, aber auch Jin und Hobi, der bereits vermehrt Taehyung angerufen haben.
Als das Teil erneut beginnt zu klingeln, nehme ich den Anruf ohne zu zögern entgegen.
„Na endlich, Tae. Wo steckst du denn? Seit Stunden versuchen wir, dich schon zu erreichen. Ist alles in Ordnung?"
Die weibliche Stimme überrennt mich förmlich mit ihren Fragen. Verwirrt, wer diese Frau ist, antworte ich ihr zaghaft.
„H-hallo, ich bin Jungkook. T-tae kann nicht ran gehen. Sie haben ihn mitgenommen. Sie h-haben ihm weh getan und anschließend mitgenommen. Helfen sie uns, bitte."
Stille herrscht einen Augenblick, bevor die Stimme erneut erklingt, diesmal aber nicht an mich gerichtet.
„Yoon! Yoongi, schnell! Es ist Jungkook!"
Erschrocken, dass die Frau den Namen meines besten Freundes kennt, lasse ich das Smartphone beinahe fallen.
„Koo! Sag, geht es dir gut?!", überschlägt sich beinahe die Stimme des Älteren, als er das andere Handy an sich nimmt. Derart habe ich ihn noch nie zuvor sprechen hören.
Es macht mir Angst.
„Yoon, hilf Tae, bitte. Mir geht es soweit gut, aber er. I-ich will ihn nicht verlieren, bitte", beginne ich zu schluchzen, als die Angst um Taehyung endlich meinen Verstand einnimmt.
„Beruhige dich, Koo. Wir sind unterwegs. Wir holen euch da raus."
~•~
„Schämen sollten Sie sich, Kim. Ist es ihnen nicht bereits genug gewesen, den Jungen von ihnen abhängig zu machen?"
Ein unterdrückter Laut ist zu hören, dicht gefolgt von tiefem Röcheln.
Ein Schmarotzer sind Sie, der sich in diese wohlhabende Familie eingeschlichen hat, um sich seine Vorteile zu sichern. Das sind Sie, mehr. Nicht."
Namsung und ich haben uns gerade das Treppenhaus heruntergeschlichen, vorbei an Personal anderer Stationen und fremden Patienten, die, um eine zu rauchen, unterwegs gewesen sind. Niemand hat uns entdeckt. Als wären wir Schatten, sind wir an ihnen alles vorbeigehuscht.
Mein Herz rast seitdem unaufhörlich. So beben auch meine Finger, schwächeln meine Beine.
„Erbärmlich sind Sie, Hr. Kim. Eine Schande."
Ein kleiner Nebenhof des Klinikumskonstrukts, befindet sich an der Längsseite des Gebäudes und ist einfach zu erreichen, wenn man den dazugehörigen Schlüssel für ein versperrendes Gittertor besitzt.
Kaum haben Taes Kollege und ich gesagtes Gitter erreicht, vor dem Hecken und alle Art Gestrüpp wächst, stellen wir erleichtert fest, dass Taes Entführer das Tor nicht wieder verschlossen haben.
„Hier muss es sein. Schick deinem Freunden unseren Standort", fordert Namsung mich auf, als er sich an das Tor macht, um es leise für uns und die anderen zu öffnen.
Währenddessen greife ich nach Taehyungs Handy, dessen erschöpfte Augen sich von zuvor in meinen Verstand gebrannt haben.
Meine Sicht ist verschwommen, als ich das Display einschalte. Anstatt jedoch den Homescreen zu Gesicht zu bekommen, lächelt mir ein bekanntes Wesen listig entgegen.
„V-verschwinde", hauche ich gereizt, wovon Namsung seinen Kopf hebt und mich fragend mustert.
„N-nicht jetzt", senke ich meine Stimme, zuvor dem Pfleger einen beschwichtigenden Blick schenkend.
Das Monster, dieses elende Biest, zeigt bloß amüsiert die Zähne. Rot funkeln seine drachenartigen Augen.
„Zisch ab!", fauche ich es an und schüttele heftig das kleine Gerät auf und ab, aus der Hoffnung, das Vieh würde sich verziehen. Überrascht weite ich meine Augen, als von ihm anschließend keine Spur mehr nach diesem kleinen Wutanfall zu finden ist.
„Alles in Ordnung?", hakt Namsung nach, als er zu mir aufschließt und sich an meine Seite gesellt. Ich versichere ihm alles unter Kontrolle zu haben. Das Schwindelgefühl und die Wankelmütigkeit meiner Beine lasse ich da außer Acht.
Als ich auf Yoongis Kontakt tippe, erklingt ein Laut, eher ein Jaulen, das mir alles Haar zu Berge treibt. Ich lasse das Gerät beinahe fallen.
„B-bitte", flehte Taehyung, seine Stimme verzerrt von Schluchzen und Keuchen.
Anstatt mich weiter darum zu kümmern, die anderen korrekt herzu lotsen, drücke ich meiner Begleitung das kleine Gerät hastig in die Hände und stürme ohne einen weiteren Gedanken zu verschwänden auf die Stimmen zu. Das Rufen von Namsung überhöre ich, die Vernunft in meinen Gedanken überhöre ich.
„Tae!", rufe ich verzweifelt, als sich das erschütternde Bild vor meinen Augen zusammensetzt.
Zusammengekauert, zitternd und nach Luft ringend, kniet Taehyung vor diesen beiden Männern. Sie schauen aus, als würden sie den Spaß ihres Lebens haben, während Schwester Ni gehobenen Hauptes das Spektakel mit einigen Metern Entfernung beobachtet.
Mir selbst entkommt beinahe selbst ein Schluchzen, als Tae sein geschundenes Gesicht hebt, mir mit roten, geschwollenen Augen und unzähligen Wunden und Schrammen im Gesicht entgegensieht.
„Jungkook, v-verschwinden...", fordert er mich mit brechender Stimme auf.
Protestierend schüttele ich den Kopf, während etliche Tränen meine Wangen herab rennen.
„Hr. Jeon, was tun sie hier?!", verlautet Pflegerin Ni entsetzt.
„In ihrem Bett sollten Sie liegen. Sie müssen sich doch ausruhen."
Sie tritt einige Schritte auf mich zu.
„Sie sind krank und dieser Kerl hat Sie bloß ausgenutzt, gehen Sie bitte wieder zurück auf ihr Zimmer."
Sie hebt beschwichtigend die Hände.
Ich ignoriere ihre Worte, ihre Aufforderungen. Zu sehr ist mein Blick an den verletzten Taehyung gebunden, dessen Anblick mein Herz in unzählige Teile springen lässt. Es schmerzt ihn so zu sehen.
„So fühlte er sich, als er uns das erste Mal kennenlernte. Am See, als er uns zum Sterben zurückließ."
Erschrocken zucke ich zusammen, als ich die altbekannte Stimme meines Schattens erkenne. Kopfschüttelnd ignoriere ich sein erneutes Eingreifen.
„Hr. Jeon, ich wiederhole mich ein letztes Mal. Gehen Sie bitte auf ihr Zimmer, sofort!", beharrt die ältere Dame. Diesmal überschneiden sich die Worte dieses Dämons und der Frau. Spottet der Schatten jedoch über Pflegerin.
„Haltet die Klappe!"
Meine Stimme gleicht dem Knurren und Kläffen eines Hundes. Ich bin es so leid gesagt zu bekommen, was ich zu tun und zu lassen habe.
Seit diesem Vorfall habe ich alle Rechte eines Erwachsenen verloren. Ich bin ewig ein Kind geblieben.
Entschlossen bewege ich mich auf Tae zu, der zu schwach ist, sich für uns einzusetzen.
Beschützend, platziere ich mich zwischen ihm und diesen Männern. Ich habe keine Angst mehr.
„Was hast du jetzt vor?"
Einer der Männer legt den Kopf schräg und verschließt seine Augen. Als er sie jedoch einen Moment später wieder öffnet, blicke ich in das Rot des Monsters.
Die Sonne beginnt gerade aufzugehen.
„Denkst du, du kannst ihn beschützen?"
Es spottet.
„Lächerlich."
Es nimmt mich nicht ernst.
„Du hast doch mehr Angst als Verstand, Kind."
Meine Hände ballen sich zu Fäusten. Schneller als ich realisieren kann, was gerade geschieht, hole ich zum Schlag aus und treffe das Monster mit der Faust direkt in die bestialische Visage.
Grunzend geht es zu Boden.
Als es jedoch auf dem Grund aufkommt, zerspringt die Hülle des Biestes, als wäre es aus Glas. Unzählige Partikel zerstreuen sich.
Erschrocken beobachte ich dieses Schauspiel.
Habe ich es besiegt?
Wo zuvor mein Schatten lag, befindet sich nun ein k.o. gegangener Mann, dessen Schläfe einen roten Kratzer aufweist.
Schockiert, zu was ich imstande bin, trete ich einen Schritt zurück, stolpere dabei noch fast über den am Boden kauernden Tae, der erschöpft den Kopf auf seine Hände stützt.
„Du kleiner Mistkerl!", brüllt keinen Augenblick später der Freund des großen, breiten Mannes, der in seiner Körperform seiner Begleitung nicht um einen Zentimeter nachsteht.
Sein Ausdruck wandelt sich in Hass, wütend verzieht er sein Gesicht.
„Ich zieh dir die Haut ab!", führt er fort und stürmt auf mich und Tae zu, die Faust bereit, zu einem Schlag ausholend.
Schwester Nis Stimme, wie auch das Rufen von Namsung, der das Geschehen von einiger Entfernung hat, beobachtet, erklingen schrill, bevor mich jemand an den Armen packt und aus dem Weg zerrt.
Derart schnell kann ich gar nicht schauen, als Taehyung mich zur Seite drückt und den heftigen Hieb für mich abfängt.
Geschockt kann ich nur zu sehen, wie die geballte Faust Taehyungs Kopf trifft, sich seine Augen verrollen und er regungslos zu Boden geht.
Horror übermannt mich, als ich mich anschließend zu ihm knie, seine Hand halte und seinen Namen bitterlichst weine.
„Tae, wach auf. Bitte! Wach auf! Das Monster ist weg. Hast du gehört. Wir können gehen! Jetzt wach doch auf!", rufe ich weinend und rüttele an dem Körper, der keine Regung mehr von sich gibt.
Blut rennt von Taes Mund zu seinem Kinn.
Es ist mir nicht möglich, meine Tränen weiter zu kontrollieren. So nehme ich Tae einfach in den Arm, halte ihn, schaukele ihn hin und her, dabei wie in einem Mantra bittend, dass er zu mir zurückkommt.
Ich habe keine Augen dafür, wie Fr. Ni ihrem Gehilfen eine Ohrfeige verpasst.
Auch, als sie ihm befielt mich von Tae zu trennen, höre ich nicht hin.
Zu sehr klammere ich mich an die Person, an die ich mein Herz verloren habe. Wimmernd lehne ich meine Stirn an die seine, wie er den Abend zuvor.
„Tae, öffne deine Augen", flehe ich flüsternd und wünsche mir in diesem Moment nichts sehnlicher, als in das Braun seiner Augen zu blicken.
Dieses sanfte Braun, das in allen vergangenen Momenten ein Anker für mich war, die Ruhe spendete, die ich benötige.
Ich habe Angst sie nie wieder zu sehen.
„Halt! Keiner denkt auch nur daran zu flüchten!"
Namjoons Stimme, die urplötzlich, nachdem ein Auto mit quietschenden Reifen zum Stehen gekommen ist, ertönt eindringlich und bringt alle anwesenden Personen zum Innehalten.
Bis auf Yoongi.
Dieser stürmt aus dem Auto heraus, direkt auf mich und Taehyung zu.
Weinend schaue ich meinem besten Freund entgegen.
„Yoon, hilf uns. E-er möchte einfach nicht aufwachen!", schreie ich vor Schmerz.
„Es wird alles gut", versichert der Ältere und kniet sich zu uns.
Währenddessen steigen Hobi und Jin ebenfalls aus dem Wagen und eilen auf uns zu.
Entfernt höre ich erneut Namjoon, wie er erklärt, dass das Geschehnis von ihm gefilmt worden ist und die Polizei bereits auf dem Weg ist.
Ich schenke dem allen allerdings keine Beachtung.
„Tae... Bitte, komm zurück", weine ich stattdessen und drücke seine Hand so fest wie möglich.
„Ich hab das Monster doch für uns besiegt."
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