Kapitel 64

Taehyung

Ich kehre gerade vom Treffpunkt am Zaun des Klinikumgeländes zurück, an dem Namjoon mir von nun an jeden Abend die benötigten Kleinigkeiten vorbeibringt, um Jungkooks zweites Essen zubereiten zu können. Es ist mir nicht möglich in Worte zu fassen, wie sehr mich die Tatsache freut, dass der Jüngere endlich wieder etwas zu sich nimmt, dies auch soweit verträgt und es ihm wirkliche Kraft spendet, um den Alltag wenigstens wahrzunehmen.

An ihm in naher Zukunft vielleicht wieder teilzunehmen, ist weit gegriffen, aber ein Anfang ist bereits geschafft. Weitere Verbesserung wird folgen, da bin ich mir mehr als nur sicher.

„Ist das Videomaterial geeignet als Beweismaterial?", habe ich Namjoon zuvor noch gefragt, der frierend den gut verpackten Korb mit Lebensmitteln über den Zaun für mich geworfen hatte.

„Zusammen mit den Bildern, die Jimin und Yoon von Koo gemacht haben, die zeigen, wie sehr sich sein Zustand verschlechtert hat, plus den Medikamenten, von denen ich habe Analysen anfertigen lassen, und den Aufnahmen und Berichten deiner Kollegen, sollten wir eine Anklage gegen das Klinikum sehr bald in die Wege leiten können. Ich sitze bereits an einer Formulierung, aber dennoch fuchst mich das Gefühl, dass sie uns Schritte voraus sein könnten, mit denen wir nicht rechnen", erklärte der Ältere, worauf ich verstehen nickte.

„Und Tae, ich habe es Yoon, wie Jimin bereits gesagt, aber behaltet im Hinterkopf, dass es zu Komplikationen mit Jungkooks Absetzung des Medikaments führen kann. Du möchtest wirklich nicht wissen, was diese Substanz so alles lahmlegt und beeinflusst."

Die Mimik des jungen Vaters, der, seit dem ich meine Fehler gestanden habe, stets freundlich und neutral zu mir gestanden hat, verfestigt sich. Ohne ihn möchte ich mir Jungkooks oder meine Lage gar nicht vorstellen. Wir alle verdanken ihm vieles.

„Danke dir, Namjoon. Ich werde darauf achten."

Es ist dunkel draußen und die frische Dezemberluft saust mir eisig um die Ohren. Es herrscht für diese Zeit des Jahres ein wirklich bemerkenswert starker Wind. Dementsprechend beschleunige ich meine Schritte, um schnell wieder in die Wärme zurückzukehren. Der Ältere ist mittlerweile wieder auf dem Weg zurück zu seinem Wagen.

Die Fassade der Klinik ist völlig dunkel, nicht ein Licht ist eingeschaltet. Als ich die Eingangshalle erreiche, heißt mich dieselbe Dunkelheit willkommen. Erst, als die Bewegungssensoren meine Wenigkeit ausmachen, erwacht spärliches Licht, damit ich nicht völlig orientierungslos umherirre.

Ich bewege mich auf das Treppenhaus zu, das mich zu Station drei bringen wird. Von weiten höre ich Personal der anderen Stationen, die in ihren Aufenthaltsräumen sitzen und dort auf Notfälle jeglicher Art warten.

Leichtfüßig bahne ich meine Wege zurück. Die Eingangstür zur dritten Station lasse ich so leise wie möglich ins Schloss fallen. Den Korb fest umklammert, erreiche ich die Küche des Personals und beginne mein Spiel von letzter Nacht erneut.
Beruhigt, dass, wenn jemand den Raum betreten würde, dass es sich dabei nur um Namsung handeln kann, widme ich mich meinem Vorhaben zu 100 Prozent.

Als ich gerade alles fein säuberlich verpackt habe, um es anschließend wieder in meinem Spind zu verstauen, zieht ein dumpfer Laut und anschließendes Klirren meine Aufmerksamkeit auf sich.
Ich schalte reflexartig das Herdlicht aus, schiebe den Korb samt Bentoboxen zur Seite, damit niemand auf den ersten Blick etwas verdächtig, und strecke den Kopf neugierig in den Flur. Bis auf die grünen Notausgangschilder, hüllt sich alles in Dunkelheit.

Schon mit dem Gedanken abschließend, dass ich mir die Laute nur habe eingebildet, wende ich mich wieder ab, als ein kaum hörbares Wimmern durch den Flur direkt auf mich zukommt.
Meine Augen weiten sich.
Erst schaue ich noch einmal den gesamten Flur auf und ab, ob sich nicht doch einer der Pfleger irgendwo umhertreibt, oder ein Patient sich auf Erkundungstour begeben hat, darauf trabe ich jedoch zügig nach links den Gang herab, um an der folgenden Weggabelung auch in die anderen Flure blicken zu können.

„Jungkook...", hauche ich, als mir die geöffnete Zimmertür, den Jungen ins Auge fällt.
Nicht einen Wimpernschlag später erklingt sein unverkennbares Schluchzen.

Wie von der Tarantel gestochen, stürme ich auf das Zimmer zu. Dadurch wird auch das Wimmern und Schluchzen des Jungen immer lauter.

„Verschwinde doch endlich."

Seine Worte lassen mich innehalten.
Wieder verstecke ich mich an der Seite des Türrahmens und lausche einzig den Worten innerhalb des Zimmers.

Ein kalter Windzug saust an mir vorbei und das schwache Licht des Mondes flackert durch den kleinen Raum. Es ist, als wäre das Fenster des Jungen geöffnet und der Vorhang würde im Einklang des Windes tanzen. Eine angenehme Vorstellung ließe man Jungkooks Angst vor den Schatten und Spiegelungen außer Acht.

„Er ist nicht mehr da. Du hast gewonnen!", faucht er schmerzerfüllt und von Tränen beinahe erstickt.

„Es ist seine Schuld, dass ich hier bin, dass du hier bist. Alles ist seine Schuld."

Zorn strömt durch seine Worte. Er beißt die Zähne aufeinander und spricht dadurch. Verletzt lasse ich den Kopf hängen - verdient.

„Seit Beginn hat er gelogen, mich hintergangen. Ich weiß nicht einmal, wer er überhaupt ist." Jungkooks Worte verhallen gegen Ende in ein einziges Hauchen. Fiebrig zieht er anschließend die Luft ein.

„Er wäre auch ganz sicher nach Ende des Vertrages gegangen, hätte mich wie jetzt zurückgelassen. Nein! Das Essen war nicht von ihm! Das weißt du doch, hör auf...", weint er, sich dabei in Rage sprechend.

„Yoongi muss gelogen haben. Tae kümmert sich nicht darum, wie es mir geht. Yoongi muss gelogen... Aber Yoon würde mich niemals anlügen. Das hat er geschworen. Das würde er nie tun!"

Das Rascheln von Decken ist zu hören, wie auch der dumpfe Ton, wenn nackte Füße den Boden berühren.

„Ich vermisse ihn, Monster. Egal, wie oft du mir auch zeigst, was Tae uns angetan hat. I-ich vermisse ihn, so sehr."

Ich halte mir die Hand vor den Mund, um mir einen unmännlichen Ton zu verkneifen, um das Gespräch zwischen dem Jungen und diesem Dämon in seinen Gedanken nicht zu unterbrechen.

So schwer es mir auch fällt, aber der Jüngere muss sich endlich gegen diese Bestie wehren, die ich auf ihn losgesagt habe.

„Weißt du, ich vermisse seine Stimme, sein Lächeln, seine Angewohnheit mir meine Sorgen von den Lippen zu lesen. Ich vermisse seine Umarmungen, seine Nähe. Wie gerne ich einfach wieder seine Hand halten möchte."

Meine Fingernägel krallen sich in das Holz des Türrahmens, gegen diesen ich nun auch meinen Kopf gelehnt habe.

Diese Worte des Jungen schmerzen mehr als seine Vorwürfe über meine vergangenen Fehler.

„Nein, das ist keine Lüge. Hör auf! Sag das nie mehr! Du hast keine Ahnung", setzt sich Jungkook zu Wehr. Seine Stimme wird dunkler. Wie das Grollen eines Raubtiers.

„Nimm noch einmal seinen Namen in den Mund! Verschwinde endlich!"

Im gleichen Atemzug erklingt ein ohrenbetäubendes Klirren, als würde eine der Wasserkrüge, die jeder Patient auf seinem Zimmer finden kann, zerschellen.
Aus Angst, der Junge könnte sich verletzt haben, verlasse ich meine Deckung und stürme in das kleine Einzelzimmer.

„Jungkook, hör auf!", rufe ich, die Hände gehoben und die Augen versenkten in Furcht.

Was mich erwartet ist ein weinender, junger Mann, auf dessen abgemagertem Körper ein dünnes Hemd ruht. Seine Haare sind wild zerzaust, tiefe Augenringe zieren sein Gesicht.

„Tae...", haucht der Junge, in den ich mich verliebt habe, bevor er auf die Knie sinkt.
Von der Angst, er könnte sich schwer verletzen, haste ich auf ihn zu. Meine Schuhe treffen auf Glasscherben, die sich zuhauf auf dem Boden verteilt befinden. Es knirscht, als ich mich zu Jungkook beuge und den schwachen Körper zurück in sein Bett lege.

Erschrocken stelle ich fest, wie leicht er nur noch ist.

„Es tut mir so leid", hauche ich einen Kuss auf seine Schläfe und setze mich zu ihm, die Hände halte ich dabei fest in den meinen. Sein Körper zittert stark, auch umgibt ihn kaum noch Wärme. Immer enger presse ich ihn an mich, aus Angst ihn erneut zu verlieren.

„Ich bin hier. Ich lass' dich nicht mehr allein. Ich bin immer bei dir, versprochen", wimmere ich, dem Schmerz in meiner Brust nachgebend.

Viel hat die vergangene Zeit geschmerzt. Unzählige Tränen sind geflossen und Frust zerfraß förmlich mein Inneres.

Wie es in Jungkook ausschaut, wage ich kaum vorzustellen.

„Warum bist du erst jetzt gekommen. Ich hatte solche Angst", schluchzt das kleine Bündel in meinen Armen.

„I-ich war nie weg, mein Herz. Ich bin dir gefolgt, hörst du. Ich habe alles getan, um zu dir zu gelangen. Der Weg war schwer, doch du weißt, ich bin immer für dich da. Immer." Die Stirn an die seine lehnend, schließe ich meine Augen.
Der Geruch der Klinik hat den Jungen beinahe völlig eingenommen. Noch ganz schwach ist sein eigener Duft zu erkennen. Er beruhigt mich. Es fühlt sich nach zu Hause an.

Er ist mein Zuhause.

„Es tut mir leid, mein Herz, was ich dir angetan habe. Durch mich, leidest du tagtäglich so sehr. Ich weiß, ich werde es nie mehr gut machen können, aber glaube mir, wenn ich sage, dass ich diese Nacht, an dem ich deine Leben so rücksichtslos verdorben habe, mehr als alles auf dieser Welt bereue. Und ich werde alles tun, damit es dir in Zukunft gut geht. Ich lasse die nie mehr zurück."

Meine Worte, beeinflusst von Tränen und Hass auf mein Selbst, sind wahr. Innerlich bete ich, dass der Jüngere spürt, wie viel er mir bedeutet und, dass ich alles in meiner Macht Stehende tun werden, dass er endlich frei ist.

„Küss mich endlich."

~•~

Arm und Arm liegen wir in dem schmalen Bett, wobei der Jüngere mehr auf meinem Bauch liegt und seine Finger
zarte Kreise auf meiner Brust ziehen.

Ich streichele ihm währenddessen durch das zottelige Haar. Meine Gedanken kreisen noch um den zärtlichen Kuss, der, gefolgt von vielen weiteren, einiges an Last von meinen Schultern gehoben hat.
So zufrieden wie in diesem Moment dacht ich, würde ich nie mehr werden.

Nachdem wir uns voneinander gelöst haben, zuckte Jungkook leicht zusammen. Er anschließend habe ich die Scherben und Schnitte an seinen Füßen erkannt, die seine Bettlaken bereits rot verfärbten.

Zügig habe ich Verbandmaterial besorgt und den Jungen anschließend von den Glassplittern befreit.
Kein Wort hat er währenddessen verloren. Sein Blick haftete fraglich an mir und meinem für ihn ungewohnten Aussehen.

„Ich habe dich kaum wiedererkannt", gibt er nach kurzer Zeit der Stille und dem Genießen meiner Bewegungen in seinen Haaren von sich.
Ein Kichern verlässt darauf meine Lippen.

„Das war Namjoons Idee, mein Herz. Keiner sollte mich so wirklich wieder erkennen. Nicht einmal du", gestehe ich und lange nach seiner zierlichen Hand.

„Wie lange bist du schon hier? Beziehungsweise... Wie lange bin ich schon hier?", erkundigt er sich und seine Stimme wird schwächer.

„Etwas über einen Monat bist du schon hier. Ich bin dir wenige Wochen später gefolgt."

Er nickt, sein Griff an meinem Hemd wird stärker.

„Jungkook, ich... Du hast zuvor mit diesem Wesen gesprochen, nicht wahr?"

Ein Zucken fährt erneut durch den schwachen Körper zwischen meinen Beinen. Zuerst denke ich, dass ich doch eine der Glasscherben in Jungkooks Fuß vergessen haben könnte, antwortet der Jüngere mir jedoch gleich darauf.

„Viele böse und schlechte Dinge hat es über dich gesagt. Alles, was mich verletzte, hat es genannt und wieder an die Oberfläche gebracht. Und gelacht hat es dabei."

Ich nicke und ziehe ihn anschließend näher zu mir, die Absicht hegend, ihn zu wärmen, ihm die Nähe zu geben, wo meine Lügen einen Keil zwischen uns getrieben hat.

„Das wollte ich nie", gestehe ich mit gebrochener Stimme, die Augen schließend, um den Tränen Einhalt zu gebieten.

„Ich weiß... Das ist mir jetzt klar. Ich habe mich aber an das Schöne erinnert, das wir erlebt haben. Es war wirklich schön", flüsterte er, die Wange an meine Brust schmiegend, „und ich möchte, dass es wieder so wird."

„Ich liebe d-"

Schritte und das Licht einer Taschenlampe lassen mich hellwach werden. Ohne zu zögern, rutsche ich aus dem Bett und lege anschließend sie Bettdecke über den verdutzten Jungkook.
Um ihn zu beruhigen, halte ich den Finger vor meine Lippen und symbolisiere, dass er leise sein soll.

Ich knie halb neben und halb unter dem Bett, als eine ältere Dame den Raum betritt. Scharf bohren sich die Glassplitter in meine Knie. Feste beiße ich die Zähne zusammen.

„Was ist denn das Fenster offen!", faucht Fr. Ni, die ich von allen Schwestern am wenigsten in dieser Nacht erwartet habe.
Mein Herz schlägt mir bis zum Hals.

Sie vermeidet, das Licht einzuschalten, um den angeblichen schlafenden Jungkook nicht zu wecken.
Glücklicherweise treffen ihre Schuhe auch nicht auf die weiteren Glassplitter, die ich zuvor noch zusammengekehrt habe. Bin ich es jedoch, der auf vergessenen Partikeln nun kniet und Tränen in den Augen hat. Ich könnte förmlich aufjaulen.

„Gott", stöhnt die Dame genervt aus und verlässt anschließend das Zimmer.
Die Tür verschließt sie hinter sich.

Zittrig erhebe ich mich und setzte mich auf die Matratze zu dem ängstlichen Jungkook.

„Alles in Ordnung?", erkundige ich mich und lege meine Hand an seine kalt schweißige Wange. Er nickt schwach und verschließt darauf hin die Augen.

„Ruh dich aus mein Herz, schlafe", flüstere ich und küsse ihm anschließend noch einmal auf die Stirn bevor ich gehe.
Es dauert keine Minute mehr, bis der Junge tief und fest eingeschlafen ist. Seine Hand, die noch nach der meinen greifen wollte, liegt inzwischen schlaff auf seinem Bauch.

Ein angetanes Lächeln breitet sich auf meinen Lippen aus.

Ich liebe ihn.

Behutsam ziehe ich die Tür hinter mir ins Schloss und betrete den Flur. Meine Gedanken kreisen um den Jungen, seine Lippen, seine Worte, sein zartes Gesicht.
Völlig woanders, bemerke ich zu spät die Person, in die ich ungebremst renne, als ich an der Weggabelung in den anliegenden Flur einbiegen möchte.

„Namsung!", gebe ich erschrocken von mir und springe schnell wieder auf die Beine, um dem anderen ebenfalls aufzuhelfen.
Verwirrt reibt er sich die Handballen, als er wieder auf beiden Füßen steht.

„S-Sato", stammelt er, die Stimme durchzogen von Nervosität. Suchend gleiten seine Augen an mir vorbei.

„Alles in Ordnung?", hake ich nach.
„Ja, ja, alles bestens. D-du solltest gehen, Sato. Schnell."
Verwirrt mustere ich ihn.
„Alles klar, dann bis morgen. Die Boxen sind..."

Ich vermag nicht zu Ende zu sprechen, als sich jeweils eine Hand von hinten auf meine beiden Schultern legen. Meine Augen weiten sich.

„E-Es tut mir leid, sie haben mir keine Wahl gelassen", spricht Namsung den Tränen nahe und den Kopf gesenkt.

Erst jetzt wird mir der Ernst der Lage bewusst. Vor Schreck fahren ich herum und blicke in die düsteren Gesichter zweier breit gebauter Pfleger. Hinter ihnen tritt Fr. Ni in den Vordergrund.

„Habe ich es doch gewusst", krächzt sie und funkelt mich bösartig an.

„Zuerst lügen Sie über ihre Identität und dann vergehen Sie sich ein erneutes Mal an dem Patienten, den Sie derart zugerichtet haben. Selbst, als seine Familie ihn hier hergeschickt hat, um seine Genesung zu gewährleisten, lassen Sie nicht von ihm ab! Schämen Sie sich, Hr. Kim! Meine geschätzte Kollegin Fr. Dr. Jung hat mich glücklicherweise vorgewarnt, als Sie mir bereits aufgefallen sind."

Vor Unglaube ist er mir nicht möglich zu antworten. In einer Schockstarre gefangen, gaffe ich die beiden Schränke, wie auch die zierliche, alte Dame an.

„Hier wird ein anderes Spiel gespielt, als sie es gewohnt sind, Hr. Kim", betont sie meinen Namen mit solch einem Ekel, dass es selbst mir schlecht wird", „Meine Herren, zeigen Sie diesem Perversen, wie es sich mit Pack wie ihm gehört."

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top