Kapitel 63

Taehyung

Das kleine Licht der Küchenabzugshaube taucht das kochende Gemüse in der Pfanne vor mir in ein unangenehmes weiß-gelb. Es ist aber die einzige Möglichkeit nicht in völliger Dunkelheit mein Vorhaben in die Tat umzusetzen.
Neben der Tatsache, dass ich mir bereits zum wiederholten Male die Finger verbrannt habe, worauf ich unter großem Aufwand ein Aufjaulen unterdrücken musste, bin ich aber bislang unentdeckt geblieben.

Es ist spät, 22:34 Uhr, um genau zu sein, und alle Kollegen, bis auf das für die Nachtschicht eingeteilte Personal, haben die Station verlassen. Laut der Vorgesetzten Ni befinden sich 5 Pfleger verteilt auf die drei Stockwerke der letzten Station. Ob es stimmt, kann ich nicht beurteilen. Seit Stunden habe ich keine andere Seele mehr an diesem Ort angetroffen.

Ist die Bettruhe erreicht, ist es hier wie ausgestorben.

Ein Glück, meinte Namjoon zuvor, der von den anderen dazu auserkoren wurde mir alles nötige an Lebensmitteln und Arbeitsutensilien vorbeizubringen. Nach Feierabend ist er in den nächstgelegenen Laden gestürmt und hat eine Liste abgeklappert, die ihm Yoongi per Handy hat zukommen lassen. Der Zweitälteste von uns ist wie gewohnt sehr genau gewesen und war sich keiner Anweisung zu schade.

Es geht hier schließlich um Jungkook.

Nun stehe ich hier, Stunden nach meinem eigentlichen Schichtende in der kleinen Küche im Pausenraum.
Mondlicht scheint klischeehaft durch die Fenster und hüllen den Raum in ein blasses Blau.

„Was tust du da?"

Den Kochlöffel beinahe in die Luft werfend, schnelle ich der Stimme entgegen. Mein Herz rast förmlich aus meiner Brust.
Freundliche Augen, die einen Hauch von Neugier tragen, sind auf mich gerichtet. Erst jetzt erkenne ich das mir bekannte Lächeln der Person im Dunkeln.

„Namsung! Was suchst du denn hier? Du hast mich erschreckt..."

Überrascht von der Anwesenheit des jungen Pflegers, verschränke ich skeptisch die Arme, dennoch ruht auf meinen Lippen ein fröhliches Grinsen.

„Seit dem du hier her versetzt wurdest, sind zwei neue Pfleger eingestellt worden, um deine Lücke zu füllen", beginnt er, die Augen starr auf mich gerichtet.
„Da blieb also nicht mehr viel Arbeit für mich übrig. Um auf meine üblichen Stunden zu kommen, wurde mir angeboten, Nachtschichten auf Station drei zu übernehmen. Da du ja hier bist, dachte ich, das wäre keine schlechte Idee. Leider arbeitest du ja zumeist nur tagsüber." Er steckt die Hände in die Taschen seines Kittels und trennt seine Augen von meinem in Sorge gewandeltes Gesicht.

„Das tut mir leid, Namsung. Ich habe dich leider noch nicht bemerkt. Seit wann arbeitest du denn schon hier? Und wie geht es dir damit? Persönlich habe ich kaum einen Unterschied bemerkt. Die Patienten sind nett", erkläre ich und hoffe, dass Namsung die gleichen Erlebnisse gemacht hat wie ich.

„Nun ja, nachts schlafen ja alle. Ich achte eigentlich nur darauf, dass keine andere durch die Flure irrt, wenn du verstehst."

Ich nickt und schalte dabei den Herd endlich aus, bevor Jungkooks Essen noch anbrennt.

„Genug von mir, was tust du um diese Uhrzeit am Herd hier? Hast du daheim keine Küche?", hakt er nach und legt den Kopf schräg.

„Eine Küche habe ich zu Hause, aber das Essen ist nicht für mich", kichere ich und beginne das Gemüse in die bereitgestellte Box zu füllen, die Namjoon ebenfalls mitgebracht hatte.

„Ein Patient hatte sein Essen ausgelassen und hat mich anschließend gefragt, ob er noch etwas haben darf. Ich weiß, es nicht erlaubt, aber wir sollten froh sein, dass diese Person von sich aus etwas essen möchte."

Diese Aussage ist nicht einmal gelogen, dennoch fühle ich mich schlecht Namsung hinters Licht zu führen. Er ist von Beginn nett und ehrlich zu mir, das werde ich ihm nie vergessen.

„Normalerweise würde ich ja von Zuhause etwas mitbringen, aber auf Station ist es vor kurzem verboten worden, Lebensmittel von zu Hause mitzubringen. Manche Patienten könnten schließlich neidisch werde auf das, was wir von außerhalb bringen", spinne ich zusammen und hoffe, dass Namsung den Köder schluckt. So gelogen ist dieser nämlich nicht.

Es ist uns verboten, Lebensmittel von außen einzuschleusen. Frau Ni hat mir dies persönlich einige Tage nach meinem Wechsel unter vier Augen berichtet.
Die Skepsis fließt seither durch meine Adern.

„Oh", entgegnet der andere und tritt noch einen Schritt auf mich zu.

„Wenn das so ist, dann störe ich dich nicht weiter. Ich wünsche dir jetzt schon mal eine schöne Nacht. Komm gut nach Hause." Seine Stimme klingt etwas bedrückt. Er lächelt noch einmal schwach, bevor er mir den Rücken zukehren möchte.

„Namsung, warte! Wenn du möchtest, kannst du mir helfen, diese Bentoboxen morgen an jemanden zu übergeben. Meine Schicht beginnt erst kurz nach zwei."

Ich habe nach dem Arm des anderen gegriffen. Großäugig mustert er mich, als ich ihn an Ort und Stelle festhalte.

„I-ich... Also, ja... Ich kann das für dich machen", stolpert er über seine Worte. Trotz des schlechten Lichts kann ich erkennen, wie seine Wangen ein zartes Rosa annehmen.

„Gut, ich gebe dir den Schlüssel zu meinem Spind. Gegen 12 wird ein junger Mann mit dunklen Haaren, der etwas kleiner ist als du und grüne Ohrringe trägt, vor die Tür zur Umkleide kommen. Gib sie ihm, über den Rest brauchst du dir keine Gedanken zu machen."

Ich lange in meine Hosentasche und hole den klimpernden Schlüsselbund hervor. Nachdem ich den Kleinsten von allen des Bundes entfernt habe, reiche ich ihn weiter an Namsung. Er schaut etwas unsicher drein. Als unsere Hände sich berühren, halte ich die seine fest. Kalt sind sie.

„Mach' dir bitte keine Sorgen. Du tust dem Patienten und mir einen riesigen Gefallen. Ich bin dir was schuldig, mein Freund."

Das zuvor aufblühende Lächeln verblasst, als ich meinen Satz zu Ende spreche.

~•~

„Und deshalb soll ich die Ohrringe deiner Schwester tragen? Auffälliger geht es wohl nicht", entgegnet Yoongi, als er sich aufmacht, um die Wohnung meiner Schwester und Jin zu verlassen und um Jungkooks Essen von Hansung entgegenzunehmen.
Es ist so früh, dass ich selbst noch meinen Schlafanzug trage und den Schlaf von letzter Nacht in den Augen. Halb eins ist es gewesen, dass ich vergangene Nacht zu Hause angekommen bin.
Dementsprechend lange habe ich geschlafen und wurde vor wenigen Momenten von Juri unsanft aus dem Bett geschüttelt.

„Mir ist auf die Schnelle nichts ausschlaggebendes eingefallen, damit dich Namsung auch ganz sicher erkennt", erkläre ich mich, die Hände dabei ergebend heben.
Yoongi verrollt bloß die Augen und wirft noch einen letzten Blick in den Spiegel im Flur.

„Du hättest auch einfach meinen Namen nennen können. Ich denke nicht, dass es viele weitere Yoongi in meiner... Statur und mit meiner Haarfarbe in dieser Klinik gibt."

Ich lege meine Hand auf die Schulter des anderen, dem die etwa fünf Zentimeter langen Ohrringe mit grünen Steinen seltsamerweise hervorragend stehen.

„Sie schmeicheln dir, Yoongi. Wenn das alles vorbei ist, darfst du dich an mir lange genug rächen, in Ordnung?", wimmele ich den Älteren ab.
Er nickt noch einmal und begibt sich anschließend auf den Weg.
Als die Tür ins Schloss fällt, atme ich erleichtert aus, dass alles so weit nach Plan läuft.

Die Nachricht, die Yoongi allerdings vorhin von Namjoon hat, überbracht, brennt mir noch immer auf der Seele.

~•~

„Morgen, Sato!", grüßt mich ein Kollege aus Station zwei, als ich die Treppenstufen erklimme, um zu Station drei zu gelangen. Ich grüße freundlich zurück und wünsche dem Jungen einen schönen Tag.
Kurz bevor ich den Eingang erreiche, halte ich allerdings noch einmal inne.

Es ist jetzt über einen Monat vergangen, dass ich den Anruf erhalten habe, für die Klinik arbeiten zu können.
Ein Monat des falschen Spieles ist vergangen.
Ein Monat und viele kräftezehrende weitere Tage ist Jungkook bereits hier gefangen.
Nach all dieser Zeit weiß ich schon gar nicht mehr, wie sich seine Lippen auf den meinen anfühlen. Sein zarter Geruch, der mich von Tag zu Tag mehr an eine Art Zuhause erinnert hat, ist beinahe völlig aus meinen Erinnerungen verschwunden.

Wenn selbst ich den Kampf gegen das Vergessen so langsam verliere, wie schaut es dann bei dem Jüngeren aus?

„Halt die Klappe!"

Eine laute und alles durchdringende Stimme lenkt meine Aufmerksamkeit auf das Epizentrum der harschen Worte.
Meine Schritte verlangsamen sich und vor einer Tür im Nebengang, der das Personal zu den Ärztezimmern, deren und Privaträumen führt.
Ich halte meine Umhängetasche fest, aus Angst sie könnte unvorhergesehen ein Geräusch von sich lassen.

Mein Herz nimmt an Fahrt auf, als ich den Ton erkenne, der einzig entstehen kann, wenn eine flache Hand auf ein Stück Haut trifft. Ein klägliches Aufjaulen wie Schluchzen folgt.

„Das hast du dir alles selbst eingebrockt. Wer sich nicht an Regeln hält, braucht die Konsequenzen nicht fürchten."

Ein weiterer Schlag folgt, worauf das Wimmern der geschlagenen Person kein Ende finden möchte.
Ich nehme all meinen Mut zusammen und linse um den Türrahmen und mir ein Bild des Ganzen zu machen. Erschrocken krallen sich meine Fingernägel in die Verkleidung meines Verstecks, als ich Schwester Ni erkenne, die neben einer Liege steht, dabei mit flacher Hand einem Patienten androht, ihm noch eine Bestrafung zu erteilen, wenn dieser nicht seine verschiedenen Medikamente einnimmt.

„N-nein, bitte... Bitte, ich möchte das einfach nicht..."

Das Bild vor meinen Augen ist passend zu den Geschichten, die Namjoon seit Jungkooks Einlieferung zutage bringen konnte.

Der Klos in meinem Hals nimmt mir die Luft zum Atmen.

Wären die Umstände anders, würde ich dieser hilflosen Person ohne zu Zögern zu Hilfe eilen, doch würde dies nur temporär etwas für sie ändern.
Mit zitternden Händen lange ich in meine Jackentasche und ziehe mein Smartphone hervor. Es dauert nicht lange, da führt Fr. Ni ihr Handeln fort, doch diesmal halte ich ihre Tat auf Video und Bild fest.

Den Kopf abwendend, um das zitternde Geschöpf vor ihren Füßen, das sich mit letzter Kraft gegen diese Bestie wehrt, nicht weiter anschauen zu müssen, lenke ich meinen verschwommenen Blick ab.

Kreaturen wie diese Frau oder Jungkooks Vater und Psychologin, sie sind die wahren Monster wehrloser Personen, die sich nach nichts mehr als Hilfe und Heilung sehnen. Durch diese Monster wird den Erkrankten auch noch ihre letzte Hoffnung aus Besserung genommen.

Als ich genug Beweismaterial gesammelt habe, schleiche ich mich leichtfüßig von dem Ort des Geschehens weg. Tief durchatmend, blicke ich noch einmal zurück. Das Schluchzen hallt noch immer in meinen Ohren.

Bevor ich den Gang verlasse, um über einen Umweg zu den Patientenräumen zu gelangen, greife ich in meiner Tasche nach einem kleinen Gegenstand, der sich als ein altes Spielzeug von Titus herausgestellt. Erleichtert, dass diesen rote Ding noch immer darin ist, hole ich weit dem Arm aus, um es so weit wie möglich in den Flur zu werfen.

Das feste Plastik wird durch seinen Aufprall die Aufmerksamkeit von Fr. Ni auf sich ziehen, dem Patienten eine kurze Pause einräumen, ihm die Zeit geben, die er benötigt, um sich zu sammeln, zu wehren.

~•~

Da mich dieser Tag in seinen wenigen Stunden bereits mehr Kraft gekostet hat, als beinahe alle Tage des Monats zuvor, mache ich mich nach dem Anziehen meiner Pflegermontur auf direkten Weg zu Jungkooks Zimmer. Ich lange nach einem Wischmopp und mache mich daran, den Boden zu reinigen. Solange ich in der Nähe der Jüngeren bin, kann die Arbeit auch noch so belanglos sein.
In diesem Moment, in dem meinen Gedanken um die Bilder von vor wenigen Minuten noch kreisen, ist mir die einfache Nähe des Jungen fast schon wie eine tröstende Umarmung.

Ich vernehme Yoongis gedämpfte Stimme, die durch das Holz der Zimmertür dringt. Ein fröhliches Kichern folgt ihr. Ist dieser Laut jedoch nicht von dem Älteren. Meine Ohren spitzen sich und ich trete näher an die Tür heran, als ich Jungkooks Lachen wiedererkenne.

Warm wird es mir, als ich ihn freudig zu Yoongi sprechen höre. Es ist wie Musik in meinen Ohren und der Schreck von Namjoons bedrückender Nachricht heute Morgen und dem Vorfall mit Fr. Ni fällt einfach so von mir ab.

Laut Namjoon handelt es sich bei Jungkooks Medikamenten, um ein Nerven schädliches Psychopharmakon.
Es besteht bei Einnahme die Gefahr der Chronifizierung der Erkrankung aufgrund der Unterdrückung der bestehenden Symptome. Ist aber nach Beenden der Behandlung nicht garantiert, dass Beschwerden nicht wieder auftauchen können. Von den Nebenwirkungen und einer möglichen Abhängigkeitsentwicklung hat Namjoon es gemieden zu sprechen.

„Versprich mir in Zukunft wenigstens das zu essen, was man dir mitbringt, verstanden?", erklärt Yoongi seinem besten Freund zutraulich. Seine Stimmlage ist so völlig anders, wenn er zu dem Jüngeren spricht. Beinahe liebevoll.

„Über diese Pillen brauchst du dir auch keine Gedanken mehr zu machen. Halte bitte noch etwas durch, wir werden dich hier bald raus haben. Es wird alles gut."

Er hört sich so an, als wolle Yoongi gleich wieder gehen. Schritte kommen auf die Tür des Zimmers zu.

„Yoon... Heute ist der erste Tag seit langem, an dem ich etwas klarer denken kann und... Vielleicht ist es unpassend, aber... Wie geht es ihm?"

Vor Schreck fällt mir beinahe der Besen aus der Hand, als Jungkook noch einmal die Stimme erhebt.

„Das Essen hat dir doch geschmeckt, oder?", entgegnet Yoongi darauf hin, mit einen Spur von Witz in seiner Stimme.
„Bilde dir dein eigenes Urteil, Koo."

Mit diesen Worten verlässt Yoongi das Zimmer und tritt zu mir auf den Flur.

„Danke dir, Tae", flüstert der Ältere, als er an mir vorbei schreitet, nachdem die Zimmertür ins Schloss gefallen ist.

Wie versteinert stehe ich an Ort und Stelle und vermag mich nicht für Yoongis Worte erkenntlich zu zeigen.
Erst, als mir die gesammelten Beweise von zuvor einfallen, kann ich mich aus meiner Starre lösen.

„Hier, gib die Aufnahmen darauf zu Namjoon. Er wird wissen, was wir damit bezwecken können", spreche ich im Vorbeigehen und stecke ihm mein Smartphone zu.

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