Kapitel 59

Taehyung

Laut knallt die Tür hinter mir ins Schloss.
Beachtung, dass andere Mitarbeiter, des Klinikums das Geräusch hören könnten, verschenke ich nicht daran. Zu groß ist das Rauschen in meinem Schädel. Als hätte sich ein Strick um meinen Körper - besonders um meinen Hals - gelegt, schnürt mich der Anblick von Jungkooks geisterhafter Erscheinung noch immer völlig ein. Ich fühle mich ohnmächtig.

„Geh ran, verdammt", spreche ich mit brüchiger Stimme, die Hände zitternd, als wäre ich Zeuge eines Unfalls gewesen. Der Schreck sitzt mir tief in den Knochen, er reißt an ihnen, beißt an ihnen.
Mit einem Uff lasse ich mich auf die Sitzgelegenheit inmitten der Umkleide fallen, unfähig mich weiter auf den Beinen zu halten.

„Ja?", ertönt es auf einmal von der anderen Seite der Leitung, doch ist es nicht Juri, die da gerade zu mir spricht, sondern Yoongis tief-zarte Stimme.

„Yoongi? I-ist Juri in der Nähe. I-ich..." Ich breche mein Vorhaben zu sprechen ab, gezwungen durch den erdrückenden Klos in meinem Hals. Der Strick zieht sich zusammen, die Blockade dichtet alles ab.

„Alles in Ordnung...? Was ist passiert? Krieg dich wieder ein. Wenn du die jetzt schon Nerven verlierst - aus mir nicht ersichtlichen Gründe - hilft das Koo nicht weiter."

Die Erwähnung seines Namens bringt den Damm zum Brechen. Der Knoten löst sich um meinen Hals und leises Schluchzen entfernt sogar den Klos in meiner Kehle.

„E-er stirbt. Das ist kaum noch Jungkook. Das ist eine Hülle...", gestehe ich ehrlich, verzweifelt und fassungslos. Mein Schluchzen lässt mich beinahe über meine eigenen Worte stolpern.

„Ach, Taehyung", seufzt es von der anderen Leitung und ich kann mir bildlich vorstellen, wie Yoongi in diesem Augenblick sein Nasenbein massiert.

„Tae, hör mir zu", beginnt der Ältere, als würde er einem Kind den Tod seines Hundes erklären wollen. Missmutig ziehe ich die Nase hoch und trockne meine Tränen. Es interessiert mich, was er zu sagen hat.

„Was du getan hast, war falsch, aber seit dem versuchst du stets deinen Fehler wieder gutzumachen, was die Wenigsten von sich behaupten können. Während andere Koo auf ewig seinem Schicksal überlassen hätten, bist du zurückgekehrt und noch viel weitergegangen", er macht eine kurze Pause „und standest ihm während seiner dunkelsten Zeiten treu bei."

Ich nicke, auch wenn der Ältere es nicht sehen kann.

„Jetzt ist wieder einer dieser dunklen Momente. Jungkook braucht dich, mehr als je zuvor. Dafür liebt er dich. Vergiss das niemals."

Ich erinnere mich an prägende Situationen mit Jungkook zurück, was mir allerdings am hartnäckigsten im Gedächtnis geblieben ist, ist unser erster Kuss, dem wir beide voll eins zugestimmt haben (aber auch unser allererster tritt aus dem Schatten der Erinnerungen hervor).

„Er ist", schluchze ich ein letztes Mal, „in der dritten Station. Dies ist der Ort, von dem alle Gerüchte stammen, die einem das Fürchten lehren. Ich war bereits in beiden anderen Stationen und habe mir dort die Leute und die Umstände angesehen. Dort ist mir nichts Auffälliges ins Auge gestochen. Es ist Station drei, sie ist unser Problem."

Es dauert einen kurzen Moment, bis Yoongi antwortet.

„Na siehst du! Dann mach dich auf in Station drei und sammele die Beweise, die wir benötigen. Verschwende keine Tränen, du schaffst das schon."

Ich schlucke hart, als ich auf Yoongis erheiterte Worte nur mit einem weiteren Problem antworten kann.

„Da gibts ein Problem", Schweigen steht für einen Moment zwischen unserem Gespräch. Wofür einfach, wenn es kompliziert geht „Ich darf nicht in diese Station. Diese ist ausschließlich für speziell geschultes Personal und nicht für irgendeinen dahergelaufenen Krankenpfleger, wenn du verstehst, was ich meine."

Yoongi seufzt erneut. Ich kann mir seine Enttäuschung kaum übel nehmen, denn mir geht es nicht anders. Natürlich muss es irgendwo wieder einen Haken geben.

„Es wird Monate dauern, bis ich den Status erarbeitet habe, um für Station drei zugelassen zu werden."

Wir beide sind uns schnell einig, dass Jungkook keine weiteren Monate hat. Um ihm noch rechtzeitig zu helfen, haben wir höchstens noch Wochen. Seinem körperlichen Zustand nach zu urteilen, dauert es nicht mehr lange und sein Zustand erreicht den Bereich des Kritischen.

Über seinen seelischen Zustand wage ich es nicht einmal ein Urteil zu fällen.

~•~

Der Arbeitstag vergeht weitestgehend ordinär.
Nach dem Telefonat mit Yoongi habe ich mich, wie er es ausdrückte: am Riemen gerissen. Nach einem kurzen Mittagessen in der Mensa, leitete mich Namsung an, mich mit den Patienten auf Station eins anzufreunden und ins Gespräch zu kommen. Das Wichtigste für die stationär behandelten Patienten hier ist, dass sich gewollte Veränderungen ihnen eigenständig nähern und sie nicht damit überrannt werden.

Von neugierigen; zu ängstlichen; zu grimmigen Augen beobachtete mich alles.
Ein freundliches Lächeln allerdings zog meine Aufmerksamkeit auf sich.
Es erinnerte mich an Jungkook.
Namsung verriet mir, dass sein Name Jongdae lautet.

In einen dicken Mantel gehüllt, den mir Jin geliehen hat, stehe ich an einer Bushaltestelle in der Nähe der Klinik. Es ist kalt um acht Uhr abends, doch die Sterne sind nicht zu sehen. Es kann bald schneien.

„Kann man Sie mitnehmen?"

Irritiert wende ich mich der Stimme zu. Ein Lächeln bildet sich auf meinen Lippen, als ich die Person im Auto auf der gegenüberliegenden Straßenseite erkenne.
Die Haare zerzaust und einen dicken Schal tragend, sitzt Namjoon hinter dem Steuer seines Wagens.

„Was tust du hier?", frage ich ihn, während ich zügig zu ihm auf die andere Seite schreite.

„Die Klinik liegt beinahe auf dem Weg von der Unibibliothek nach zu Hause. Ich fahre seit dem Koo hier ist beinahe täglich aus Hoffnung vorbei. Man kann nie wissen."

Noch immer etwas ungläubig, ob es wirklich stimmt, dass die Klinik auf seinem Weg liegt, nicke ich dem Älteren zu, die Brauen etwas gehoben.

„Steig' ein, ich bring dich heim."

Anstandslos greife ich nach dem Türgriff und stiege anschließend ein. Eine angenehme Wärme begrüßt mich gleich, als Namjoon auch das Fenster schließt und die Heizung einschaltet.

Wir fahren ein kurzes Stück und hüllen und jeweils in Schweigen. Während der Ältere das Lenkrad locker mit einer Hand bedient und seine Aufmerksamkeit voll auf den drängelnden Verkehr der Stadt gerichtet hat, beobachte ich die Passanten, Fahrradfahren oder vereinzelte Wildtiere neben der Straße. Als wir uns dem Zentrum der Stadt immer stetiger nähern, werden gelbe Lichter veralteter Leuchtmittel zu grellbunt-strahlenden Neon oder LED-Reklamen.
Die Stadt lebt um diese Uhrzeit wie keine andere, was die unzähligen Personen auf den Gehwegen nur bestätigen können.

„Ich habe eine Lösung zu deinem Problem mit der dritten Station gefunden."

Verwundert über das plötzliche Brechen der Stille, schnellt mein Blick plötzlich zu Namjoon hinüber. Starr sieht er nach vorn.

„Wirklich? Wie?"

Unsere Gesichter werden in sattes Rot getaucht, als wir vor einer Ampel zum Stehen kommen.

„Was wir tun ist, dass ich dir ein Zertifikat besorge, was dich für die Arbeit dort mehr als passend qualifiziert. Das begünstigt deine Chance, schneller für die Station zugelassen zu werden."

Das Rot wandelt sich zu Grün und der Wagen setzt sich wieder in Bewegung.

„Wenn du dann dort bist, kannst du dich nach möglichen Beweisen umsehen und natürlich ein besseres Auge auf Koo haben", erklärt er zielsicher „aber halte dich dennoch von ihm fern. Wenn er dich erkennt, kann das gefährlich für dich werden."

Ich nicke verstehend, doch ist es mir unwohl dabei. Es wird schwer werden, Jungkook von einer Distanz aus zu beobachten und seinem schlechten Zustand dabei ausgeliefert zu sein.
Seine dürre und ausgemergelte Gestalt hat mir bereits einen heftigen Schlag verpasst.

„Yoongi und Jimin werden von nun an abwechselnd Koo besuchen kommen und sind dafür zuständig, seine Medikamente weitestgehend verschwinden zu lassen. So können wir wenigstens ein wenig gegen seinen Verfall steuern", erklärt er und ich habe Hoffnung, dass wir den Jungen davor bewahren können, sich selbst zu verlieren. Ich bin zwar nicht gläubig, doch bete ich in diesem Moment zu allen Göttern.

„Das könnte klappen", spreche ich meinen Gedanken unbeabsichtigt laut aus. Darauf richtet Namjoon seinen Blick auf mich. Sein Ausdruck ist warm und voller Zuversicht.

„Das könnte nicht nur, das wird."

Er hat recht.

„Ich habe auf der Station einen weiteren Pfleger kennengelernt, von dem wir vielleicht noch Weiteres in Erfahrung bringen könnten. Er hat sich sogar jetzt schon kritisch gegen Station drei geäußert", ich mache eine kurze Pause „Er und seine Kollegen mögen es so gar nicht dort zu arbeiten. Ich bin mir sicher, er weiß viel mehr, als er momentan von sich gibt."

Wir kommen vor der Wohnung von Jin und Juri an. Namjoon schaltet den Motor ab.

„Dann frag' ihn am besten etappenweise aus und werde sein Freund", schlägt er kurzerhand vor.

„Werde ich."

Ich schnalle mich ab und öffne die Tür, um endlich nach Hause zu kommen.
Als ich mich verabschiedet habe und gerade die Tür schließen möchte, spricht Namjoon mir noch einmal zu.

„Und Tae, pass auf dich auf. Du bist unsere einzige Chance, Koo zurückzubekommen."

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top