Kapitel 43

Taehyung

Tageslicht begrüßt mich, als ich aus meinem Schlaf erwache. Zu meiner Überraschung hat mich dieses Mal nicht ein störrisches Weckerklingeln aus dem Land der Träume gerissen, sondern das warme Licht der strahlenden Sonne. Ich liege bequem und weich und als ich die Augen endgültig aufschlage, um auf den Wecker neben meinem Bett zu schauen, bemerke ich, dass dies gar nicht mein eigenes ist. Erschrocken springe ich auf, falle beinahe samt Decke, die um meinen Körper liegt, von der Matratze. Der Boden begrüßt mich hart, als ich mit Handballen und Knien aufkomme. Mein Aufprall hinterließ einen plumpen Schlag, den man ich halben Haus gehört haben muss. Noch immer neben der Spur entfessele ich mich dem Stoff und richte mich auf. Erst jetzt setzt sich das lückenhafte Puzzle in meinem Kopf zusammen.

Ich bin in Jungkooks Bett aufgewacht.

Müde fahre ich mir durch das Gesicht, um der Schläfrigkeit Herr zu werden. Dieses Schlaftrunkene ist ja kein Zustand.
Ob es an diesem verdammt bequemen Bett liegt, in dem ich gerade erwacht bin?

Den Blick hastig durch den Raum gleitend, kommen die Erinnerungen an die vergangene Nacht zurück. Ich sollte bei dem Jüngeren bleiben und die Zeit genießen... Die uns noch bleibt.
Seine Worte haben einen faden Geschmack hinterlassen.

Ich mustere das Bett, in das ich den Jungen am Vortag gelegt habe, um ihm bei seiner Genesung zu helfen. Die Wasserschlacht, die wir uns geleistet haben und mein anschließendes Verschwinden, als jage mich der Teufel, hat ihm stark zugesetzt. Das Fieber hat alles Böse in ihm hervor gekratzt, das Wesen geweckt, das seine Chance direkt beim Schopf packte.

Das ist alles meine Schuld.

Noch über den Rückfall des Jüngeren grübelnd, übersehe ich die Tatsache, dass er sich augenblicklich nicht in diesem Raum befindet. Von ihm fehlt jede Spur.

„Bist du alleine aufgestanden?", frage ich die Leere und werfe einen Blick auf meine Armbanduhr. Es ist kurz vor elf. Der Schreck holt mich wieder ein und lässt meinen Körper verspannen.

Noch immer verschlafen stürme ich aus dem Zimmer, lassen den Flur hinter mir und steure schnaufend auf die Küche zu.
Wer weiß, wie lange er schon wach ist — völlig unbeaufsichtigt. Die Sorge um den Jungen lässt mich die Stimmen überhören, die aus dem Küchenbereich in das Innere des Hauses hallen. Sind klingen fröhlich.

Stolpernd und mit zerzaust Haar komme ich an meinem Ziel an. Ich treffe auch direkt jemanden an, handelt es sich dabei aber nicht um den Erkrankten. Gekleidet in ein rotes Karohemd, dessen Ärmel bis zu den Ellenbogen aufgekrempelt ist, steht Jungkooks alter Freund in der Küche und kocht. Yoongi hebt den Blick und mustert mich. Seil Urteil über mich kann ich nicht entschlüsseln.

„Guten Morgen, Taehyung. Ich hoffe, du hast gut geschlafen."

Verwirrt nicke ich der Person, die im Schneidersitz auf der Couch sitzt und ein Skizzenbuch wie Bleistifte auf dem Schoß liegen hat, zu und trete auf sie zu. Erleichterung überkommt mich.

„J-ja, sehr. Aber hab verschlafen... Tut mir leid...", antworte ich ihm und geselle mich zu ihm. Der junge Mann im Karohemd beobachtet uns stumm.

Ich setzte mich an die Seite des Jungen, dessen dunkles Haar frisch gekämmt ausschaut. Yoongi muss sich diesen Morgen um ihn gekümmert haben.

„Kommt nicht mehr vor, entschuldige."

Kaum sitze ich an seiner Seite, da rückt Jungkook bereits von mir ab. Warum überrascht es mich so sehr?

~•~

„Iss' bitte noch etwas Ei", richtet Yoongi das Wort an den Jüngsten, bevor ich die Tatsache ansprechen konnte, dass sein Teller noch immer fast unberührt ist. Er tut sich wieder einmal sehr schwer.

Zu dritt sitzen wir zu Tisch und halten uns mit Worten zurück. Bis auf Blicke und einige wenige Waffeln wird nichts ausgetauscht. Anspannung liegt in der Luft, sodass man sie förmlich schneiden könnte. Yoongi wirkt starrer als sonst und sein Ausdruck mir gegenüber feindlich. Jungkook muss ihm alles gesagt haben.
Seufzend greife ich nach meiner Tasse Kaffee und trinke einen Schluck der widerlich, tiefschwarzen Brühe. Ich kann dieses Gebräu nicht ausstehen.

„Jungkook, denk daran, dass kommendes Wochenende, an Jimins Geburtstag, der Junggesellenabschied im Café Rouge stattfindet." Die Gabel, die der Jüngste krampfhaft in seiner Hand gehalten hat, prallt auf das weiße Porzellan. Es ist Jungkooks Idee gewesen, die stumpfen Plastikteller endlich gegen das richtige Geschirr in den Schränken zu tauschen, nachdem es mit seiner Gesundheit bergauf gegangen war. Das teure Porzellan glänzt durch seine Politur.

„Jin wird dich deswegen noch einmal anrufen, um all deine Frage zu beantworten. Jimin würde sich sehr freuen, wenn du sie begleitest."

Er nickt bloß, den Blick auf den Teller gerichtet, auf dem ein Esslöffel an Rührei liegt. Viel zu wenig, um durch den Tag zu kommen.

~•~

Das Geschirr ist gerade in die Spülmaschine gewandert, da kündigt Yoongi an, sich leider verabschieden zu müssen. Müde schaue ich von meinem Platz auf der Couch auf und beobachte, wie Jungkook versucht seinen Freund daran zu hindern nach Hause zu gehen. Wie ein Kitten klammert er sich an ihn.

„I-ich muss wirklich gehen, Koo. Mein Vater braucht meine Hilfe in der Firma, solange er außer Landes ist. Versteh' das doch." Er gibt dem Jungen einen Kuss auf dessen dunklen Haarschopf. Dies scheint den anhänglichen Freund etwas zu besänftigen. Leidig nickt Jungkook und drückt den Älteren noch einmal, bevor dieser wortlos verschwindet. Er widmet mir keinen einzigen Blick.

Es dauert nicht lange, da gesellt sich der Jüngere wieder zu mir auf die Couch. Nach dem Frühstück habe ich mich etwas zurückgezogen, um den Freunden nicht in die Quere zu kommen. Immer hin bin und bleibe ich ein Angestellter des Hauses. So muss es einfach bleiben.

„Ich hoffe, du hast kein falsches Bild von ihm", spricht Jungkook, als könne er meine Gedanken lesen. Es stimmt. Der alte Freund meines Schützlings ist für mich das reinste Rätsel. Ich werde nicht schlau aus ihm

„Er zeigt es Fremden kaum, doch er ist ein ganz ehrlicher und herzlicher Mensch, wenn man ihn erstmal länger kennt."
Fremder. Bei diesem Wort atme ich belustigt aus.

„Yoongi und ich kennen uns schon unser ganzes Leben lang. Mein und sein Vater leiten die Firma, die ich und Yoongi eines Tages erben sollen."
Jungkook scheint mir über diesen Teil seiner und der Yoongis Familie erzählen zu wollen. Neugierig setze ich mich aufrecht hin, um ihm in das blasse Gesicht zu schauen. Das Fieber hat ihn geschwächt.

„Während ich mich gegen dieses Erbe seit Beginn gewährt habe, hat Yoongi keine Anstalten gemacht, sich dem Wort seines Vaters zu widersetzen. Niemals."
Das passt zu dem in-sich-gekehrten jungen Mann, der fast jede freie Minute bei seinem besten Freund verbringt, um für ihn zu sorgen. Was ich tue, ist sozusagen mein Beruf — ich erhalte Geld dafür. Was er tut, tut er aus freien Stücken. Irgendwo muss dort allerdings ein Haken sein.

„Nach der Schule hat Yoongi direkt angefangen zu studieren, um den Platz seines Vaters in Zukunft zu übernehmen. Ich habe ihn früher sagen hören, dass er eigentlich etwas in die Richtung Psychologie oder sogar Architektur tun wollte. Davon hat er schon seit Jahren nicht mehr gesprochen. Manchmal frage ich mich, ob er es vielleicht vergessen hat." Er senkt die Stimme gegen Ende, die Gedanken abschweifend.

„Nachdem ich krank geworden bin, ist Yoongi kaum noch von meiner Seite gewischen. Bevor du gekommen bist, hat er sich fast rund um die Uhr um mich gekümmert. Das hat ihn bei seinem Studium ziemlich aus dem Tritt gebracht und sein Vater war außer sich. Um Yoongi zu entlasten, nach Protest seines Vaters, wurdest du eingestellt."

Ich schlucke hart.

„Warum hat er das denn getan? Also sich so für dich aufgeopfert. Er hatte das schließlich nicht tun müssen." Der Jüngere nickt verstehend.

„Erwähne es nicht bei ihm, dass ich dir das gesagt habe, aber... Yoongi gibt sich die Schuld an meinem Unfall."

~•~

Die Bäume rauschen an mir vorbei, als ich mit dem Motorrad die Schnellstraße erreiche, die mich zurück in die Stadt führt. Es ist kurz nach zehn am Abend und die Sterne leuchten bereits hell. Nachdem Jungkook zu Bett gegangen war, schlich ich mich aus dem Hinterausgang nach draußen, darauf bedacht Madam Lim nicht über die Füße zu fallen.

In meinem Kopf kreisen seither Jungkooks Worte über Yoongi. Dieses Wissen kratzt in meinem Inneren wie kleinste Glaspartikel. Das Atmen fällt immer schwerer.

Yoongi gibt sich die Schuld an Jungkooks Unfall. Die Erkenntnis löst Angst in mir aus. Durch Yoongis gebrochenes Gewissen hat er sein Studium gefährdet, seine Zukunft und den Zorn seines Vaters auf sich gezogen.

Ich halte das Motorrad am Straßenrand an, den Helm zügig vom Kopf ziehend. Ich bekomme keine Luft mehr.
Auf der Straße ist kein anderes Fahrzeug weit und breit zu erkennen.
Mit bebenden Fingern hole ich mein Smartphone aus der Jackentasche und gebe, nachdem ich meine Hände von den dicken Lederhandschuhen befreit habe, die Nummer meiner Schwester ein.

Trotz der späten Stunde geht sie sofort ran.

„Warum rufst du an? Ist etwas passiert?"
Ihre Stimme klingt müde, doch beruhigt es mich sie zu hören.
„I-ich... Ich musste einfach deine Stimme hören", lüge ich. Ihr wissender Gesichtsausdruck erscheint mir in den Gedanken. Es nützt nichts sie anzulügen.
„Ist er wieder ausgeklinkt?", erkundigt sie sich, worauf ich sie beruhige. Die Worte über die Wahrheit allerdings haften an meiner Zunge wie Kaugummi.

„Spann' mich nicht auf die Folter, Tae. Sag' mir, was geschehen ist."

Ich schütte ihr mein Herz aus.

„Dann sag es ihm, bevor es noch zu spät ist. Zieh' es wie einen Pfeil aus deiner Brust." Mit dieser Antwort habe ich bereits gerechnet. Wird meine Schwester langsam berechenbar?

„Dadurch stoße ich ihn endgültig von mir fort...", gestehe ich und fahre mir dabei mit der Hand durch das von Sorge gezeichnete Gesicht.

„Tae, ist es nicht das, was du willst?"

Ich bin mir nicht mehr sicher. Seit geraumer Zeit fühle ich mich so, als wüsste ich gar nichts mehr. Das ist nur dieses eine Gefühl.

„Oder ist da noch was anderes?"

Schweigen. Sie ist auf die wahre Spur gekommen und folgt ihr, wie ein Jagdhund die erspürte Beute.

„Du liebst ihn."

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