Kapitel 34
Taehyung
Es sind jetzt gut drei Wochen vergangen, in denen ich Stück für Stück Jungkooks Medikamente mit einfachen Zusatzvitaminen ausgetauscht habe. Bislang sind keine sichtbaren Veränderungen zu bemerken. Das heißt aber nichts. Jungkooks Gesundheitszustand ist wankelmütiger als ein Fähnchen im Wind. Wenn ich könnte, würde ich mit vier Augen über ihn wachen. Falls etwas passiert, ist das meine Schuld.
Ich könnte es mir nie verzeihen.
„Tae, hast du mein Handy gesehen?"
Ich schaue von meinem Platz auf der Couch auf und beobachte den jungen Mann dabei, ein weiter Pullover und eine dicke Jogginghose halten ihn warm, wie er zwanghaft nach diesem kleinen Teil sucht. Unwissend zucke ich mit den Schultern. Ich weiß über einiges in seinem Leben Bescheid — mehr als ich sollte — aber nicht alles.
„Weißt du wenigstens, wo ich in den letzten 20 Minuten gewesen bin?"
Seufzend erhebe ich mich von dem weichen Polster und befreie mich von der Decke, unter der ich mich zuvor versteckt habe. Sie hat mich warmgehalten. Der Herbst ist die Tage gekommen.
„Ich muss Namjoon gratulieren und Jimin noch etwas wegen der Hochzeit fra—"
Ein fliegendes Objekt bringt den Jüngeren zum Innehalten. Mit geweiteten Augen beobachten wir beide das alte Tastenhandy, wie es im hohen Bogen durch das Wohnzimmer fliegt.
Woher hätte ich bitte wissen sollen, dass sich das Teil direkt in der Decke auf der Couch befindet. Unwissend habe ich vorhin nach ihr gegriffen.
Als das Handy schlussendlich auf dem Parkett landet, schreitet Jungkook seufzend auf es zu. Die Landung hinterließ einen lauten Knall, doch hat sich der Junge davon nicht beeinflussen lassen.
„Anstatt es zu werfen, hättest du mir sagen können, dass du es hast, Tae."
~•~
„Jungkook, wie kann es sein, dass ich dir tagtäglich koche und du dennoch... Du weißt schon. Ist da was, was du mir verheimlichst?"
Der Dunkelhaarige verschluckt sich beinahe an der Portion Nudeln, die er sich gerade in den Mund schieben möchte. Ich erhalte von ihm für eine Weile keine Antwort, als würde er nach den rechten Worten suchen.
Es ist mir wirklich ein Rätsel, wie er es geschafft hat weiteres Gewicht zu verlieren. Gut, es mag zwar sein, dass er sich um einiges aktiver verhält, seit dem er um meine Bestätigung kämpft, auf die Hochzeit seines Cousins gehen zu dürfen, aber ich sehe ihn doch tagtäglich wenigstens die kleine Portion essen, die ich ihm bereitstelle. Wir sitzen an ein und demselben Tisch. Ich räume doch anschließend immer einen leeren Teller vom Tisch. Hier rennt auch kein Hund umher, dem er es zuschieben könnte.
„I-Ich... Wie soll ich das—" Er bricht ab und legt sein Besteck zu Seite. Ich möchte ihm gerade Mut zusprechen, ihm versichern, dass er nichts zu befürchten hat, als Madam Lim, der Blick so streng wie eh und je, den Essbereich des Hauses betritt. Die Laute ihrer Absätze sind allgegenwärtig.
„Hr. Jeon, ihr Arzt rief gerade an. Die Befunde der letzten Untersuchung sind eingetroffen. Er bittet, dass sie heute noch zu einer Besprechung in die Praxis kommen. Es sei dringend."
Eine Hitze geht augenblicklich von dem Jungen auf der anderen Seite des Esstisches aus. Alle Farbe verschwindet aus seinem Gesicht. Jungkook hat Angst, schreckliche Angst.
Ich bedanke mich bei der älteren Dame und gehe anschließend auf den Jungkook zu, dessen Blick starr auf seinen Schoß gerichtet ist.
Da ist wieder der zerbrochene Junge, den ich vor wenigen Monaten getroffen habe.
„Ich lege dir deine Lieblingskleidung zurecht und anschließend bringen wir das zusammen hinter uns. Es wird dir nicht geschehen, Jungkook. Ich bin bei dir."
Ich kann mir nicht erklären, weshalb mich die Neuigkeiten nicht aus der Ruhe bringen. Es ist, als würde die Neugierde über die Furcht siegen.
Was möchte der Arzt gefunden haben?
~•~
Ein Wrack sitzt neben mir. Es zittert, es wippt mit dem Bein, es spielt mit seinen Fingern, es weint im Stillen.
Ich verstehe seine Furcht. Der Arzt besitzt die Macht ihn dort hinzubefördern, von welchem Ort er nie mehr zurückkehren würde. Sie würde ihn nicht mehr gehen lassen.
Besänftigend reiche ich dem Jüngeren meine Hand, als wir im Wartebereich der Praxis sitzen. Niemand anderes ist hier. So verängstigt wie jetzt, habe ich meinen Schützling seit langem nicht mehr gesehen. Er hat sich in den vergangenen Wochen wirklich gemacht. Wenn er bloß sehen könnte, wie stolz er auf sich sein kann.
Er braucht einfach Zeit, die er auch hat.
Ich bitte Jungkook, als seine Angst droht ihn endgültig zu übermannen, mir in das anliegende Badezimmer zu folgen. Fuchsige Blicke der Frauen an der Rezeption folgen uns.
Kaum ist die Tür jedoch ins Schloss gefallen, packe ich Jungkook an den Armen und setze ihn kurzerhand auf das große Waschbecken. Er wiegt wirklich kaum etwas.
„Jungkook, hör mir zu", spreche ich und lege meine Hände an seine Wangen. Die Augen schließend, schmiegt er sich in meine Berührung. Sein zitternder Atem besänftigt sich ein wenig.
„Du musst das gleich irgendwie durchhalten. Dass du Angst hast, das ist nicht schlimm. Sie werden dich nicht wegsperren." Bei dieser Erwähnung zuckt der Kleinere zusammen.
„Dein Zustand, der sich tagtäglich bessert, ist völlig in Ordnung. Und vertrau' mir, wenn ich dir sage, dass es bald noch besser sein wird. Was auch immer der Arzt gleich sagen wird, ist falsch!" Ich lehne meine Stirn an die des Jüngeren. Dieser hat derweil seine Augen geschlossen. Seine Hände krallen sich in die Keramik des Waschbeckens.
„Wir schaffen das. Ich bin bei dir."
Diese Worte scheinen Jungkook die nötige Kraft zu geben, die er braucht, um das Gespräch mit dem von seinen Eltern beauftragten Arzt überstehen zu können. Er lässt allerdings nicht von meiner Hand ab, auch als wir das Badezimmer verlassen und anschließend in ein Behandlungszimmer geführt werden. Selbst als Jungkook sich auf die Liege in dem kleinen Zimmer des Arztes setzt, dessen Einrichtung einem Katalog entsprungen sein könnte, lässt es meine Hand nicht los.
Es dauert nicht lange, bis der Mann, den Jungkook selbst einmal während eines kleinen Mittagsschlafs voller Angst erwähnt hat, das Zimmer betritt. Ich spüre die Fingernägel des Jüngeren in meiner Haut.
„Guten Tag und ich danke ihnen, dass sie so schnell erscheinen konnten. Das Labor hat schneller gearbeitet als erwartet, und die Ergebnisse möchte ich ihnen nicht weiter vorenthalten."
Als er sieht, wie wir einander die Hände halten, verzichtet der Arzt auf ein Händeschütteln aus Höflichkeit. Sein augenblicklicher Ausdruck macht ihn noch unsympathischer als zuvor.
„Wie Sie wissen, Hr. Jeon, befand sich ihr Gewicht dem letzt in einem kritischen Bereich. Auch die Ergebnisse aus ihrem Blutbild sprechen dafür, dass ihnen ein Aufenthalt in einer Klinik besser tun würde, als weiter von Zuhause aus behandelt zu werden." Ich spüre den herablassenden Blick des Arztes über meine Haut kratzen. Von diesen Worten lasse ich mich aber nicht einschüchtern. Jungkooks Hand packt immer fester zu.
„Wie Sie vermutlich wissen, ist es nicht in Hr. Jeons Interesse, in eine Klinik eingewiesen zu werden. Auch, wenn sein vergangener Zustand dafür spricht. Um Ihnen zu beweisen, dass es auch mir möglich ist, dem Patienten zu helfen, bitte ich Sie, sein aktuelles Gewicht noch einmal zu prüfen. Ich denke, nein, ich weiß, dass wir in der Zwischenzeit des letzten Termins einige Erfolge verzeichnen konnten." Ich trage ein überzeugtes Lächeln.
Der Mann, dessen Haare mit Gel aus seinem Gesicht gehalten werden, möchte gerade widersprechen, als Jungkook sich von seinem Platz erhebt und sich in Richtung Waage bewegt. Er entkleidet sich dabei von Schuhe, Jacke, Pullover und Hose. Wenn er wüsste, wie stolz er mich mit dieser Aktion macht.
Er ist wirklich stärker als alle denken.
Der Arzt verdreht die Augen und erhebt sich kurz darauf. Schweigend misst er das Gewicht des Jungen nach, das sich in kurzer Zeit um ein ganzes Kilo gebessert hat. Lächelnd dreht sich Jungkook zu mir. Er sieht erleichtert aus.
„Wir melden uns bei ihnen für einen Folgetermin in ein paar Wochen."
~•~
„Hast du sein Gesicht gesehen?"
Wir lachen, wir lachen als gäbe es kein Morgen. Kaum sind wir in das Auto eingestiegen, konnten wir unser Gelächter nicht mehr zurückhalten.
Es tut so gut anderen beim Verlieren zuzuschauen.
„Wie er aber noch darum gebeten hat einen weiteren Termin bei Fr. Jung auszumachen und sicherzugehen, dass du regelmäßig diese verdammten Pillen schluckst", kichere ich und schalte dabei den Motor ein. Jungkook hält, als er sich den Gurt umlegt, einen kleinen Umschlag in der Hand. Dieser ist für seine Eltern.
Ich bin überglücklich, dass der Verstand des Jüngeren endlich wieder zu Kräften kommt. Er wird wieder gesund, da bin ich mir mehr als sicher. Dieser Tag hat es schließlich mehr als bewiesen.
„Wieso verdammten Pillen? Seit wann weißt du..." Er legt sich die Augenbinde um und vollendet seinen Satz nicht. Ich
„Gib mir und vor allem dir noch etwas Zeit, dann erkläre ich dir alles." Ich lege ihm die Hand auf die Schulter. Der Verkehr auf den Straßen ist ruhig.
„Solange du mich nicht allein lässt, ist mir alles recht."
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