Kapitel 30
Jungkook
Mein Magen schmerzt und das schon seit Wochen. Taehyung habe ich davon noch nichts erzählt, geschweige denn davon, dass ich mich häufig nach eingenommenen Mahlzeiten übergebe. Ist der Blonde damit beschäftigt, sich um den Abwasch zu kümmern, entschuldige ich mich mit einem Vorwand und verschwinde in einem der Badezimmer. Das Brennen in meiner Speiseröhre möchte gar nicht mehr aufhören, weder das Kreisen in meinem Schädel, noch das flaue Gefühl in meinem Magen.
Schweißperlen rennen mir über die Stirn, als ich mich von meinen erhebe, den Toilettendeckel schließe und mich auf wankenden Beinen an das Waschbecken bewege. Keine Spiegelung ist zu erkennen. Ich kann mir aber denken, dass ich schrecklich aussehen muss. Dünn, blass, kränklich.
Bis zur Hochzeit ist es aber nicht mehr lange. Ich muss einfach durchhalten.
~•~
„Ich warte hier draußen auf dich, wie letztens. Mach' dir keine Sorgen." Taehyungs Worte beruhigen mich auf einer gewissen Weise. Sein Ausdruck ist sanft.
„Falls dir die Ärzte zu anstrengend werden, schreibst du mir einfach eine Nachricht über das Handy. Ich bin sofort da." Der Griff um Taes altes Handy wird immer fester. Ich halte es seit dem er es mir gegeben hat immer nahe bei mir. Sehr nahe.
„So, jetzt raus mit dir, sonst kommst du noch zu spät." Ich greife nur zögerlich nach dem Türöffner. Meine Beine sind aneinander gepresst. Ich möchte nicht gehen. Nicht jetzt, nicht dorthin, nicht allein. Es ist nur eine Routine-Untersuchung. Ich bin nur hier, damit sie meinen Zustand prüfen können, um das Rezept für mein Medikament ausgehändigt zu bekommen.
Ich möchte dort nicht hin.
„Tae..." Als ich meinen gesenkten Kopf hebe, treffe ich seine besorgten Augen. Sein vorheriges Lächeln ist verschwunden. Daran bin ich schuld. Das wollte ich nicht.
„Ich möchte nicht allein gehen", spreche ich leise. Mitleidige Augen treffen mich. Die Termine bei meinem Hausarzt verabscheue ich schon fast mehr, als die bei Fr. Jung. Wie oft habe ich schon, einzig in Unterwäsche, vor einem Team aus Ärzten gestanden und vor Angst und Kälte gezittert. Sie haben mich betrachtet und angefasst, als wäre ich ein Tier, bereit zum Schlachten. Mein Puls beschleunigt sich.
„Bitte, I-ich— Die Leute dadrin machen mir Angst."
Mit zitternden Händen greife ich nach Taehyungs Hand. Sie ist angenehm warm und spendet mir Kraft. Ich würde sie am liebsten nie mehr loslassen.
„Warum sagst du das denn nicht gleich, Jungkook?"
~•~
Im Wartezimmer befinden sich bloß wenige weitere Patienten. Taehyung sitzt zu meiner Rechten. Ich halte noch immer seine Hand fest umklammert. Die Sonne scheint von draußen durch das Fenster. Angestrengt schaue ich zu Boden, darauf bedacht keinen Fehler zu begehen. Es mögen sich zwar Personen im Raum befinden, doch ist diesem Wesen alles zuzutrauen. Ich darf nicht an es denken. Ich muss es ausblenden. Mehr wird mir in Zukunft sowieso nicht übrig bleiben. Besser ist es, ich fange jetzt schon damit an.
„Jeon Jungkook."
Mein Name ertönt und ich richtige mich wie ein Wolf bei der Jagd auf, Taehyung ebenso. Unsere Blicke richten sich in Richtung des Flures, von dem die Stimme aus zu uns hervorgedrungen ist. Anschließend erheben wir uns und folgen der Arzthelferin, die uns zu dem Behandlungsraum wird. Schneller als es mir lieb ist, befinde ich mich auf einer Liege und betrachte nervös den Raum. Ich baumele leicht mit den Beinen und erreiche nicht einmal den Boden. Der Blonde sitzt derweil auf einem der Stühle gegenüber des Sitzplatzes des Arztes. Er schenkt mir ein liebes Lächeln. Es beruhigt mich.
„Oh, Hr. Jeon! Diesmal in Begleitung"
Ich nicke und bleibe stumm. Tae übernimmt das Sprechen und stellt sich mit einem Händeschütteln vor.
„Wie mir ihr Pfleger schon berichtete hat, geht es ihnen ein wenig besser, das freut mich. Sehen wir einmal was ihre Werte vom letzten Mal so sagen und was ihr Gewicht so meint. Entkleiden sie sich bitte, bis auf die Unterwäsche."
Mein Ausdruck verrät Taehyung alles, was er wissen braucht, um mir zu helfen. Unverzüglich tritt er an meine Seite und hilft mir, mich aus meiner Kleidung zu befreien. Seine Nähe verhindert, dass ich durch die Bitte des Arztes verängstigt werde. Ich bin weitestgehend entspannt.
„Keine Sorge. Wenn du etwas nicht möchtest, schau mich einfach an. Ich bin da." Nickend bestätige ich seine Aussage und greife kurz nach seiner Hand, nachdem er meine Kleidung zusammengelegt hat. Ich schenke ihm ein Lächeln — gezwungen, aber das bin ich ihm schuldig.
Der Arzt deutet mir den Weg auf die Waage, die sich neben dem Schreibtisch vor der Wand befindet. Ich setzte mich nach kurzem Zögern in Bewegung. Zuvor legte Taehyung noch sachte seine Hand an meinen nackten Rücken, machte mir damit klar, dass ich nichts zu befürchten habe. Mit meiner Kleidung im Arm stellt er sich beiseite und beobachtet zurückhaltend die beginnende Behandlung.
„50, 3 Kg. Sie haben wieder ein wenig abgenommen, Jungkook." Die Stimme des älteren Mannes, dessen Haar sich bereits teilweise grau färbt, klingt befangen. Ich reibe mich über den Ellenbogen, lasse den Kopf hängen. Ich habe schon wieder versagt.
„So leid es mir tut, aber verbessert sich ihr Zustand in den kommenden Wochen nicht rapide, können wir einem stationären Klinikaufenthalt nicht mehr vermeiden. Verstehen sie das?" Die Worte gelte auch Taehyung, der nach Aussage des Arztes näher an mich herangetreten ist. Mit meinem erneuten Gewichtsverlust habe ich Tae von allen am meisten enttäuscht. Er gibt sich immer solche Mühe mit mir. Was tue ich? Ich bin unfähig.
Tränen bilden sich in meinen Augen und drohen meine Wangen herab zu rennen. Mir wird plötzlich so kalt und alle Stimme klingen so fern.
„Laut Berichten ihres Psychologen, ist ihnen Hr. Kim vor wenigen Monaten zugeteilt worden — kurz nach unserem letzten Termin. Hr. Kim hat sich Jungkooks Essverhalten in irgendeiner Weise verändert?" Der ältere Herr setzt sich wieder an seinen Sitzplatz, öffnet mit einigen wenigen Mausklicks eine Datei. Wie versteinert stehe ich noch immer an Ort und Stelle. Die Luft wird immer dünner.
„Ich kann mir eigentlich nicht erklären, wie dieses Ergebnis zustande gekommen ist, da ich schließlich persönlich dafür sorge, dass mein Patient wenigstens zwei Hauptmahlzeiten und vereinzelte Zwischenmahlzeiten erhält. Die Mengen, Nährwerte und zusätzlichen Medikamente sind mit seiner Ernährungsberatung und ihren vorherigen Empfehlungen und Anweisungen für seinen Körperbau und Zustand abgestimmt", erklärt Taehyung in ruhigem Tonfall, doch kann ich eine gewisse Enttäuschung ganz klar heraushören. Ich habs' vermasselt.
„Als nächsten Schritt entnehme ich ihnen noch einmal Blut, Jungkook. Dann können wir einen Abgleich zu ihren vergangenen Werten machen, das verschafft uns vielleicht Klarheit. Sie können sich wieder anziehen und anschließend auf der Liege Platz nehmen." Ohne Vorwarnung spüre ich auf einmal eine warme Hand auf meiner Schulter. Taehyung schaut mir aus sanften Augen entgegen. Eigentlich sollte mir diese Geste Kraft geben, mich beruhigen. Ich spüre die Panik aufkochen, eine Attacke anrollen. Sie können mich nicht einfach in eine Klinik deportieren. Ich möchte das nicht. Alles nur das nicht. Ich habe so eine Angst.
Tae hilft mir dabei wieder meine Kleidung anzuziehen. Mein Körper ist taub — jede seiner Berührungen ist wie ein Impuls, der sich auf meiner Haut ausbreitet wie tausende Ameisen. Ich muss hier raus. Weg von diesem Ort, den Menschen — einfach weg. Meine Atmung beschleunigt mich, der Arzt hat mittlerweile der Raum verlassen. Warum hilft mir keiner gegen diese Angst, die Panik. Ich allein bin zu schwach. Ich allein kann das nicht stemmen.
„Wir danken ihnen für ihre Zeit Hr.Dr. Nim, aber wir müssen für die weitere Behandlung leider einen geeigneteren Moment ausmachen. Wir werden Jungkooks Ernährungsplan noch einmal überarbeiten und dadurch sicherlich feststellen, weshalb sich sein körperlicher Zustand nicht verbessert. Schönen Tag." Mit diesen Worten verabschiedet uns der Ältere und nimmt mich anschließend an der Hand, darauf bedacht die Praxis zu verlassen. Zurück bleibt ein verdutzter Arzt; in seinen Händen hält er verschiedenste Plastikröhrchen, die nur darauf gewartet haben, mit Blut gefüllt zu werden.
Als wir ins Freie vor dem Ärztehaus treten, trifft uns eine kalte Brise. Sie tanzt um uns und jagt mir einen Schauer den Rücken herab. Der Parkplatz, auf dem Taehyung auch mein Auto geparkt hat, hat sich mittlerweile ziemlich gefüllt. Zielstrebig leitet der Ältere mich weiter voran, bis wir unser Transportmittel erreichen. Er öffnet mir die Tür, sodass ich einsteigen kann. Meine Atmung geht immer noch zu schnell und als ich auf dem Beifahrersitz Platz nehme, der Gurt eingerastet ist, beginnen die Tränen ungebremst zu rennen. Schluchzen kommt über meine bebenden Lippen.
„Jungkook, beruhige dich. Weshalb weinst du?" Die Stimme zu meiner Linken klingt stark besorgt. Er nimmt meine Hand in die seine. Er beruhigt mich. „I-ich möchte in keine Klinik. Die... Die lassen mich nie mehr dort raus." Meine Stimme zittert, bricht beinahe völlig, als ich meine Angst gestehe. In wenigen Sachen bin ich mir so sicher, als in der Tatsache, dass, wenn ich jemals einen Fuß in so eine Anstalt setzte, werde ich nie mehr das Tageslicht zu Gesicht bekommen. Nie mehr.
„Ach, rede doch keinen Stuss. Schau nicht auf das, was du bislang nicht geschafft hast. Schau auf deine Erfolge." Ich spüre wie sich zwei starke Arme um mich legen und in eine warme Umarmung ziehen. Mein Kopf ruht nun auf seiner Schulter.
„Die Ärzte dort wissen gar nicht, was du in letzter Zeit geleistet hast." Ich weine ungebremst weiter, ob vor Erleichterung ist, dass Tae trotz meines Versagens an meiner Seite ist, oder die unmessbare Erschöpfung dieses Morgens. Sachte streicht der Ältere über meinen Rücken. Ich möchte ihn nie mehr loslassen. „Wir schaffen das." Seine Stimme ist kaum mehr als ein Hauchen.
„So lange du bei mir bist."
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