Kapitel 22
Taehyung
„Hr. Kim-"
Seine Aussage bringt mich dazu, innezuhalten, wenn auch nur für einen Moment.
Hätte ich auf ihn böse sein dürfen? Wenn ja... Habe ich dennoch das Recht dazu, über Aussagen von ihm zu richten? Er ist krank.
Liegt der Fehler dann bei mir, da ich mir sein Verhalten zu sehr zu Herzen genommen habe und nehme? Falls ja... habe ich dann bereits versagt?
Der Stuhl knirscht, als ich mich von ihm erhebe, um dem anstehenden Gespräch aus dem Weg zu gehen. Nun bin ich derjenige der vor der Konfrontation davonläuft. So sollte es nicht sein. Ich sollte ihm zuhören, was er zu sagen hat, eine Lösung für das Ganze finden. Professionell bleiben. Das ist meine Aufgabe.
„Es tut mir wirklich vom Herzen leid, Hr. Jeon. Ich werde mein Verhalten ihnen gegenüber überdenken und mich entsprechend in Zukunft verhalten."
In meinem Inneren spüre ist, dass dies nicht das ist, was er hören möchte... sollte. Es ist falsch.
Ich sollte so vieles, doch bin ich auf einmal zu schrecklich unsicher. Weiß ich überhaupt was ich tue? Warum lässt mich alles momentan so zweifeln?
Noch nie habe ich so oft in Folge eine Abfuhr in meinem Beruf erlebt. Immer wieder beiße ich bei dem Jungen auf Stein.
Wird das die Antwort sein?
„Nimm es ihm nicht übel, kleiner Bruder. Du weißt, was ich meine."
Meine Schwester. Eine der wenigen Personen, die mir seit dem Halt gibt, mir der Fels in der Brandung ist.
Wenn sie bloß wüsste, wie sehr ich einfach wieder davonrennen möchte. So, dass mir der Regen ins Gesicht peitscht und die verdienten roten Striemen zurücklässt. Wie Peitschenhiebe, da mich bestrafen. Gestern habe ich davon eine Kostprobe bekommen. Nun sitze ich hier. Wie ironisch.
„Tae... Ich... B-bitte, bleib."
Meine Augen treffen die seinen. Er schaut so verloren aus, so hoffnungslos. Seine Hand, die keinerlei Farbe mehr an sich trägt und nur noch aus, Haut straff über spitzen Knochen gezogen ist, besteht, hat die Meine gepackt. Er zittert. Es kostet ihn offenkundig eine Menge Kraft, dennoch lässt er mich nicht los. Er ist aufgesprungen und hat mich daran gehindert, zu flüchten. Sein Getränk ist dabei umgekippt und die Flüssigkeit rinnt nun von der Tischplatte auf den teuren Parkettboden.
So dünn.
„Ich wusste, dass dieser Job hier nicht einfach werden würde", gestehe ich ihm, unsere Augen noch immer ineinander verfangen. „Und... vielleicht bin ich doch der Falsche für dich."
Selten habe ich einen Ausdruck derart schnell wechseln gesehen. Die zuvor dominate und beunruhigende Verlorenheit gibt ihre Position auf und hinterlässt der Angst alles, was sie besessen hat. Diese Emotion, dieses Gefühl, lässt Jungkooks Gesichtszüge versteifen, verspannen. Als würde er in die Lunte einer geladenen Waffe blicken, mustert er mich. Kälte überzieht meinen Körper, wie Raureif das Land nach einer eisigen Nacht.
„Nein! .... Bitte. Geh nicht. D-du machst das toll."
Um den Tisch herum kommend und unsere Hände nicht voneinander lösend, verkleinert er den Abstand zwischen uns. Es scheint, als hätten wir die Positionen getauscht. Ich lasse mich von meinen Ängsten überwältigen. Genau das, worauf ich trainiert worden bin, nicht zu tun. Innerlich lache ich höhnisch über mein Fehlverhalten. Aber sind meine Ängste nicht legitim? Sind sie nicht menschlich? Meine Gedanken machen mich wahnsinnig. Ich möchte ihm nicht mehr schaden, als er bereits worden ist.
„B-bitte, Taehyung. Es... Es tut mir so leid. Ich verhalte mich auch." Er hält inne und packt nun mit beiden seiner zitternden Hände zu, so stark es ihm möglich ist. Er wirkt so klein, so schwach.
Lässt sich die Zeit auch wirklich nicht zurückdrehen?
„Ich habe jemandem-" beginne ich. Sein Griff wird immer fester. „Ich habe versprochen, dir zu helfen. Aber du kannst mich damit nicht allein im Regen stehen lassen. Du musst gegen diesen ganzen Spuk ankämpfen. Ich kann dir keine Wunderpille dagegen geben. Wir beide müssen zusammenarbeiten und das-"
„Es ist ein Monster", unterbricht er mich, seine Hände lassen währenddessen von mir ab, als hätte ihn die Erkenntnis unvorhergesehen getroffen. Rote Abdrücke sind die einzigen Beweise, die an meinen Gelenken zurückbleiben. Sie tun nicht weh.
„Ein was?" Ich verstehe zuerst nicht ganz. In meinem Kopf kreist so viel umher, doch eine fast vergessene Erinnerung trifft mich wie ein Schlag.
„Du kennst mich nicht. Du kennst dieses... du hast keine Ahnung."
Ist es das, was er meint? Ein Monster?
Die Ärzte, die seine mehr als merkwürdige Akte verfasst haben, erwähnten etwas von Halluzinationen, die auf seine schizophrene Züge zurückzuführen sind. Doch waren auch viele Angaben über seinen Zustand geschwärzt, sodass ich natürlich nichts Weiteres über den Patienten lernen konnte. Warum ist mir diese Sache nicht von Anfang an aufgefallen? Bin ich wirklich so blind?
Ist es mir egal gewesen?
„E-es ist wie ein Schatten. Es i-ist... immer da, überall", spricht er. Wie ein Kind, das vor der gesamten Klasse vorgeführt wird, steht er vor mir. Nervös reibt er sich dabei über den Arm, sein Blick ist auf das Parkett gerichtet.
„Ich sehe es in jeder erdenklichen Spiegelung, in Reflexionen der Schaufenster - ja selbst in Pfützen. Es ist immer da, beobachtet mich und lauert. Es wartet nur darauf." Tränen rennen ihm über die Wangen. „E-es wartet, dass ich in seine Fänge laufe, einen Fehler begehen, dass es mich endlich holen kann. I-ich weiß nicht, ob ich es mir nur ausdenke. E-es wirkt so echt. Nein! Ich bilde mir das nicht ein. Jeder sagt mir, dass ich nur krank bin. Nur bin i-ich nicht dumm! Ich weiß, was ich sehe, höre, spüre, sogar rieche. Warum glaubt mir denn keiner? Habe ich euch alle derart angelogen, dass ihr mir nicht mehr glauben könnt? Ich war immer ehrlich. I-ich war immer gefügig. Ich war gut. Ich bin gut."
Nun rennen die Tränen wie Sturzbäche und benetzten sein eingefallenes Gesicht, das so weiß ist wie der Schnee. Die starken Augenringe, die mir bislang nicht aufgefallen sind, verdunkeln sich immer weiter. Er schaut aus wie eine Leiche.
„Und diese Psychologin. Diese Tabletten. Sie steckt doch mit meinen Eltern unter einer Decke! Denken Sie wirklich, ich bin so fern von dieser Welt, dass ich nicht merke, wie sie mich manipulieren? I-ich kann keinem mehr trauen. Jeder macht mich verrückt. I-ich bin nicht krank! Keiner sieht das, was ich sehe, aber ich bilde es mir nicht ein! Alles hat angefangen, als mich etwas an diesem See gepackt hat und Unterwasser zog. I-ich weiß nicht, was dann passiert ist. Das nächste, woran ich mich erinnern kann, ist Yoongi. Er war da. Doch selbst er glaubt mir nicht! Ich habe ihn nie angelogen. Nie!"
Schluchzend sackt der Junge vor mir auf die Knie und hält sich die Hände schützend vor sein Gesicht. Seine Laute füllen den Raum mit Schmerz.
„Ich glaube dir."
Sein Vulkan-artiger Gefühlsausbruch, der eine Gänsehaut auf meiner Haut verursacht, bricht mir das Herz in zwei. Doch erschreckt mich sein Verhalten so sehr, dass ich nur verzögert darauf reagieren kann. Ich muss ihm helfen. Langsam gehe ich ebenfalls in die Knie, lasse von der Kücheninsel ab. Wir sind nun wieder auf einer Ebene.
Das Schluchzen übertönt alles.
„I-ich glaube dir, Jung-" Ein Aktion seinerseits lässt mich verstummen, denn unvorhergesehen fällt er mir um den Hals. Seine Arme liegen auf meinen Schultern. Schluchzend und wimmernd presst er sich an meine Brust. Reglos lasse ich ihn in Frieden. Ich weiß in diesem Moment nichts mit mir anzufangen.
„Danke... Danke dir, Tae." Seine Stimme ist ganz nah an meinem Ohr. Ein sanftes Lächeln setzt sich auf meinen trockenen Lippen fest. Es spendet mir Kraft, dass ich in der Lage bin, mich endlich zu regen. Zärtlich fahre ich dem so verlorenen Jungen durch das Haar. Es ist verknotet. Seine Atmung beruhigt sich nach einigen Momenten und das Weinen ebbt ab.
„Danke, dass du bei mir bleibst." Es ist nicht mehr als ein Flüstern, doch das zuvor entstandene Lächeln stirbt.
Ich soll bleiben? Bin ich mir überhaupt sicher? Ich glaube ihm, aber kann ich diese Verantwortung weiter tragen?
Bin ich dafür überhaupt in der Lage? Es hat nicht viel benötigt, dass ich bereits die Flucht ergreifen wollte, ihn mit diesem Monster allein lassen wollte. Doch habe ich gesagt, dass ich ihm glaube, aber bin ich wirklich in der Lage, ihm zu helfen? Ich habe gedacht, ich wüsste, worauf ich mich einlasse. Wie so oft... der Irrtum haftet mir an den Versen.
„Ich verspreche, ich versuche mein Menschenmöglichstes."
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