Taehyung
Der Parkplatz im Angesicht dieses ziemlich einschüchternden Gebäudes hat bereits so einige meiner Nerven gekostet.
Erleichtert beiße ich nun doch in die glücklicherweise noch dampfende Waffel, welche ich in der Innenstadt, für eindeutig zu viel Geld, erstanden habe. Ausrutscher wie diese darf ich mir mit meinem momentanen Kontostand nicht weiter leisten, doch diese süßen Dinger haben aber auch verboten gut geduftet.
Mich bemühend den Innenraum des Autos, dessen Stärke und Motorheulen mich in unbekannte Höhen katapultiert haben, nicht wie eine Schneelandschaft aussehen zu lassen, aufgrund der ungesunden Menge an Puderzucker auf der Waffel, genieße ich die verbliebene Zeit. Es ist bereits zehn Minuten nach Ende des Gesprächstermins, doch von dem Dunkelhaarigen fehlt bislang jede Spur.
Es wird schon nichts passiert sein.
~•~
Ein Klopfen an Glas reißt mich aus den Gedanken, lässt mich den Kopf eindeutig zu flott zur Seite schwenken, dass sich die Welt etwas zu drehen beginnt. Zuvor befreie ich noch meinen Mund von dem weißen Puderzucker, der sich darum angesammelt hat.
Der Knopf der Zentralverriegelung ist schnell gefunden und mit einem unverkennbaren Klacken kann sich die Beifahrertür des Wagens öffnen. Stumm lässt sich Jungkook in seinen Sitz fallen. Seine Augen wirken stumpf und sein Ausdruck reglos. Falls er in diesem Moment etwas fühlt oder sieht, spielt er hervorragend das Gegenteil.
Besorgt mustere ich ihn, die Augenbinde bereits in der Hand.
„Alles in Ordnung?", erkundige ich mich und reiche ihm die Stoffbinde. Weiter schweigend nimmt er sie entgegen und legt sie sich selbst um.
„Es... Ich bin erschöpft und möchte jetzt nach Hause."
Er legt sich den Anschnallgurt selbst an und wendet sich mir ab, so weit es eben möglich ist. Jungkooks Privatwagen ist nicht wirklich groß, doch der Sportwagen hat es faustdick hinter den Ohren.
Der Jüngere lehnt dem Kopf zur Seite, sodass ich mir eigentlich sehr sicher bin, dass die Sehnen an seinem Genick schmerzen müssen.
Nur erschöpft sein sieht anders aus.
„Sie wollen mir bestimmt nicht von dem Gespräch berichten? Verschieben wir das eben auf später. Wie wäre es mit einer heißen Scho-"
Es ist mir nicht möglich meinen Satz zu beenden, seine bissigen Worte bringen mich augenblicklich zum Schweigen.
„Würden sie bitte einfach ihre Arbeit tun und mich wieder zu dem Anwesen meiner Eltern bringen? Zu meinem Zuhause werden sie mich... ach, vergessen sie es. Ich möchte Nachhause, jetzt."
Ich schlucke hart. Der Ausdruck eines erschrockenen Welpen muss wohl nun meine Mimik in alle Himmelsrichtungen verziehen. Schweigend drücke ich auf den Startknopf des teuren Wagens und steuere ihn aus der Parklücke. Jungkook hat derweil seine Hände verschränkt zwischen seinen Oberschenkeln eingeklemmt. Dieser Anblick, er macht mich traurig.
Der Laut des Blinkers ist das Einzige, das von dem Abrollgeräusch der Räder auf dem rauen Asphalt ablenkt. Mir geht vieles durch den Kopf. Von den Vorstellungen, was Jungkook in der Sprechstunde mit dieser Frau Jung so zerstreut haben muss, oder, ob ihm auf dem Weg, in der ich ihm nicht zur Hand gehen gekonnt habe, widerfahren sein könnte.
Die Männchen in meinem Kopf schuften pausenlos.
Die Körpersprache der Jungen zu meiner Linken spricht eindeutiges dazu, dass es ihm augenblicklich grässlich geht. Nervös kaut er an seiner Lippen. An den schroffen Bewegungen seines Kiefers kann ich es deutlich erkennen. Dass sein Kopf gesenkt ist und sein Pony ihm bis zur Nasenspitze dadurch reicht, unterstreicht diese Vermutung nur noch mehr.
„Sie sagen mir doch, wenn es ihnen gesundheitlich wieder schlechter geht?"
Wir beiden wissen womöglich recht deutlich, was ich mit dieser Eisbrecher artigen Aussage bezwecken will. Ein kleiner Stoß könnte Jungkook in die richtige Richtung bringen.
Ich höre meinen Nebenmann verstärkt ausatmen. Es ist kein Schnauben, kein Seufzen oder ähnliches die Unzufriedenheit bedeuten könnte. Es ist ein Seufzen, dass bedeutet, dass dem jungen Mann an meiner Seite etwas auf der Seele lastet, ihm aber etwas abhält, um nach Hilfe zu fragen. Das weiß ich zu ändern.
An der nächsten Abfahrt betätigte ich wieder den Blinker und verlasse so den schnellsten Weg zurück in das abgelegene Vorstädtchen, in dem die Jeons ihr imposantes Reich errichtet haben. Der Anblick des Herrenhauses lässt mich jeden Morgen auf das Neue staunen und meine wenigen Kröten im Geldbeutel verzweifeln.
„Was machen Sie, Taehyung?"
Mit diesen schweren Gedanken würde ich den ehemaligen Studenten, dessen Eltern mich nach meiner Hilfe gebeten haben, nicht nachhause lassen.
„Ich bin zwar momentan blind, doch kenne ich diesem Weg mittlerweile auswendig", bemerkt er und ich spüre wie die Furcht vor dem Ungewissen neue Kraft ihn ihm erzeugt. Ein Schmunzeln muss ich mir wahrlich verkneifen, als sich mein Nebenan unzufrieden bemerkbar macht. Scheu steht ihm trotz Augenbinde ins Gesicht geschrieben.
„Lassen Sie sich einmal überraschen. Ich bin auf dem Weg, sie aufzumuntern. Vertrauen sie mir, Jungkook"
Mir ist es ein Rätsel, was diese Frau Jung mit dem Jungen angestellt hat. Oder was er sich bedauerlicherweise wieder vorgestellt haben muss, dass nun alle Freude für diesen Tag verloren gegangen ist. Wir haben trotz des Vorfalles in den vergangenen Tagen Fortschritte gemacht. Darum möchte ich ihm nun etwas Gutes tun, ihn für die harte Arbeit belohnen.
Und was hilft bei Bauchschmerzen bereitenden Gedanken mehr, als eine heiße Schokolade mit Sahne. Was ein Zufall, dass ich früher an diesem Tag an einem Laden vorbeigekommen bin, der so etwas verkauft.
~•~
„Ich bin jeden Moment wieder zurück, also keine Sorge. Lassen Sie die Augenbinde lieber auf. Es wird auch nicht lange dauern."
Der augenblicklich so verletzlich wirkenden junge Mann bleibt stumm, nickt mir nur zaghaft zu. Am liebsten würde ich ihm aufmunternd auf die Schulter klopfen und ihm erklären, dass er nichts zu befürchten hat, da ich aber nichts über den Sturm in seinen Gedanken weiß, verlassen ich einfach das Auto und mache mich auf, einen Becher an heißer Schokolade für ihn zu ergattern.
Es ist Mitte der Woche, doch tummelt sich eine Vielzahl an Passanten in der Innenstadt. So schlängele ich mich zwischen den etlichen Fremden hindurch, versuch niemanden anzurempeln oder auch nur zu streifen.
Der wolkenverhangene Himmel wirkt wie ein schlechtes Omen und lässt mich noch einen Zahn zulegen und komme er abrupt zum Stehen, als ich das kleine Café erreiche, dass so herrliche heiße Schokolade brüht.
Das Klingen eines kleinen Glöckchens kündigt mein Eintreten an und lässt die junge Dame hinter dem Tresen hellhörig werden.
Es befindet sich neben mir nur noch zwei weitere Kunde in dem gemütlichen Stübchen. Es befinden sich viele grüne Topfpflanzen in dem erhellten Raum. Auf eine rustikale Einrichtung haben die Eigentümer gesetzt, das eine schon fast heimische Atmosphäre schafft. Schade, dass offensichtlich nur wenige Leute diesen Laden hier wertschätzen.
„Guten Tag, was kann ich ihnen brühen?", spricht mich die brünette Dame heiter an, schenkt mir mit ihren rosaroten Lippen ein herzliches Lächeln. Augenblicklich erwidere ich ihr ebenfalls mit einem Schmunzeln und betrachte die Auswahl, die das kleine Café so bietet. Es ist eine Menge, doch ich weiß genau, was mein Schützling in diesem Augenblick benötigt.
„Guten Tag, eine große heiße Schokolade mit Sahne und Zimt."
Bestätigend nickt sie, tippt die Bestellung flink in den Kassenautomat und klärt mich darauf über den Preis des Getränks auf. Ein Klos bleibt mir im Halse stecken, als ich den Preis der Schokolade entziffere. Mit einem Knoten im Magen opfere ich meine letzten Pennys und verlasse im Anschluss den Laden mit einem wirklich kochend-heißen Becher.
Hoffentlich gibt das keine Blasen, so heiß wie das ist.
„Das war jetzt die letzte 'aus der Reihe Ausgabe', die ich diesen Monat betätige. Anders muss ich mir mit Titus doch das Katzenfutter teilen", murmele ich vor mich hin, als ich mich wieder, einer Schlange gleich, an den Passanten vorbeiwinde. Der Deckel ist fest auf dem Pappbecher befestigt und nur ein Sturz würde mein Vorhaben noch aufhalten können. Aber das passiert nicht vor meinen Augen und vor allem nicht heute. Dieser Tag ist bislang zu akzeptabel, dass mir ihn ein solches Ungeschickt vermiesen würde.
Sachte klopfe ich an die verschlossene Fensterscheibe des Sportwagens und betätige darauf die Türverriegelung. Das Piepsen verrät mir, dass ich die Beifahrertür nun öffnen kann. Ich gehe nun in die Hocke, um mit dem schweigsamen Beifahrer auf Augenhöhe zu sein.
Der braunhaarige Junge, der noch immer die Augenbinde umgebunden trägt, schaut starr in meine entgegengesetzte Richtung.
Verwundert und etwas erschrocken, erkenne ich glänzende, durchsichtige Striemen auf seinen fahlen Wangen.
Er hat geweint?
„Jungkook? Alles in Ordnung bei ihnen? Ich habe eine kleine Aufmunterung für Sie, wegen der vergangenen Tage."
Keine Reaktion. Nicht mal ein Mundwinkelzucken ist zu sehen.
Es besorgt mich zu tiefst, sodass ich meine Hemmung, eine Distanz zu dem Jüngeren zu wahren, zunächst hinten anstelle.
„Ich dachte das könnte ihnen guttun", gebe ich mit bedrückter Stimme von mir und lange nach seiner zierlichen Hand. Sie wirkt zerbrechlich und schaut beunruhigend knochig aus. Als meine, von der heißen Schokolade erhitzte Handfläche, die seine erreicht, schnellt sein Haupt ruckartig auf. Trotz Augenbinde blickt er zu mir. Auch seine Lippen beginnen zu zittern.
Für kurze Zeit harrt der Jüngere so aus und lässt es zu, dass meine Hand die seine berührt, doch als ich die Stimme erheben will, um ihn weiter danach zu fragen, was auf seiner Seele augenblicklich so schrecklich zu brennen scheint, befreit er sich ruckartig.
Unbeabsichtigt steift er dabei den Becher des heißen Getränks, stößt ihn mir aus der Hand. Mit einem Platschen kommt es auf dem Bordstein zwischen meinen Füßen auf, bildet eine hellbraune Pfütze und versickert zwischen den Rillen. Der Zimt haftet noch immer auf der zerrinnenden Sahne.
„Ich möchte nach Hause!"
Er versucht mit fester Stimme seinen Willen durchzusetzen. Ungläubige betrachte ich den kranken Jungen, wage es nicht ihm zu widersprechen. Als wären meine Stimmbänder verknotet, bleibe ich stumm, aber der Ärger in meinem Inneren scharrt, einem wilden Tier ähnlich.
Darf ich meine Gefühle zeigen, so wie er es tut?
Dieser Einfall lässt mich erstarren. Mein Temperament hat bislang keine Rolle mehr gespielt. Die Erinnerungen an mein Versprechen haben solche Situation jedes Mal auf ein neues entschärft. Ich habe alles daran gelegt es zu halten, mich zu halten.
Habe ich mich wieder einmal überschätzt?
Wie im falschen Film erhebe ich mich, den gestürzten Kakao nicht weiter beachtend. Diese nette Geste hat der Sohn meines Auftraggeber ohnehin nicht verdient. Diese Tatsache kratzt an mir, als würde ich mich aufschürfen. Es ist ermüdend, doch habe ich gewusst, worauf ich mich einlasse. Warum fühle ich mich auf einmal so taub?
Als die Türen ins Schloss gefallen sind und der Gurt fast schon zu eng um meinen Hals liegt, starte ich den Motor. Die Hände liegen fest um das lederne Lenkrad, sodass jede Bewegung ein wenig quietscht. Mein Blick ist starr auf die dicht befahrene Straße der Innenstadt gerichtet. Nicht einmal das Knurren des Motors vermag mein Empfinden zu ändern. Doch weiß ich selbst nicht wirklich, was ich fühle.
Ein Seufzen entkommt meinem Nebenmann, als ich gerade dabei bin einen Pkw zu überholen, als sich die Möglichkeit ergibt.
„Nehmen Sie sich bitte heute früher Feierabend. Ich benötige ihre Hilfe nicht", entkommt es rau Jungkooks Kehle.
Seine Worte lassen mich schlucken, doch wage ich es nicht den Patienten anzusehen. Der zuckerartige Geruch seines Parfüms in meiner Nase reicht mir völlig. Meine Hände legen sich noch fester um das kostbare Lenkrad, dass sich selbst meine Fingerknöchel verfärben.
„Wie Sie wünschen, Herr Jeon."
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