8
Das Aufeinandertreffen mit ihren Eltern beim Abendessen verlief zu Marinettes Erleichterung kurz und schmerzlos.
Sie konnte das alltägliche Tischgespräch sogar genießen, denn es hatte nichts zu tun mit magischen Schmuckstücken, kosmischen Kwami-Wesen, Superheldenkämpfen, geheimen Identitäten oder ungeplanten Schwangerschaften.
Trotzdem war sie froh, als sie danach allein auf ihrem Zimmer war und ihren Eltern nichts mehr vorspielen musste.
Sobald sie die Bodenluke ihres Zimmers hinter sich geschlossen hatte, stieß sie geräuschvoll die Luft aus und ließ zu, dass das unterdrückte Gefühlsgemisch in ihrem Innern wieder an die Oberfläche kam.
Zu ihrer Überraschung waren es aber weder Überforderung noch Erschöpfung, was sie nun überfiel.
Stattdessen war es Beklemmung.
Ihrem Zimmer fehlte auf einmal die Wärme und Gemütlichkeit. Und es war viel zu still.
Sie wusste, woran das lag: Tikki war nicht da.
So würde es in Zukunft immer sein.
Kein schöner Gedanke.
Gerade jetzt, wo es so viele wichtige Entscheidungen zu treffen gab und ihre Gefühle so aufgewühlt waren, hätte Marinette den Rat und Trost ihres Kwamis gebraucht.
Sie hatte keine Ahnung, wie sie all das ohne Tikki hinbekommen sollte.
Sie sah hinüber zum Bett, doch auf einmal zog es sie nicht mehr dort hin. Sie würde in der nächsten Stunde sowieso keinen Schlaf finden. Und Tikkis Kissen neben ihrem würde sie nur umso schmerzhafter daran erinnern, was – beziehungsweise: wer – an diesem Abend fehlte.
Einem spontanen Impuls folgend ging Marinette zu ihrer Truhe hinüber, in der sie gut versteckt die Miraculous-Schatulle aufbewahrte.
Sie hielt die Stille einfach nicht mehr aus und fürchtete sich vor den düsteren Gedanken, die bereits aus den Winkeln ihres Kopfes nach oben gekrochen kamen.
Wenn es eine passende Ablenkung von der Stille gab, dann war es ein Haufen aufgedrehter Kwamis.
»Marinette!«, riefen sie alle wild durcheinander, sobald sie die Schatulle geöffnet hatte, und stürmten auf sie ein.
Sofort wurde es ihr warm ums Herz.
Trixx, Pollen, Sass, Longg, Mullo und all die anderen flogen wie ein kleiner Wirbelsturm ausgelassen um sie herum, stupsten sie immer wieder sanft an und stießen kleine Jubelschreie aus.
Es war schon viel zu lang her, dass sie die Schatulle geöffnet hatte.
Wayzz, das Kwami des Schildkröten-Miraculous, war der Erste, dem Tikkis Fehlen auffiel.
Er stoppte vor Marinettes Gesicht und fragte: »Wo ist Tikki?«
Dann fiel sein Blick auf Marinettes Ohren und er kreischte laut auf: »Deine Ohrringe!«
Alle Kwamis hielten augenblicklich in der Bewegung inne und starrten sie mit großen Augen an.
Für drei Sekunden war es vollkommen still.
»H..Hawk Moth?«, hauchte Mullo, das Kwami des Mäuse-Miraculous.
Marinette lächelte beruhigend und schüttelte den Kopf.
»Ich musste sie einer neuen Trägerin übergeben.«
»Aber warum?«, fragte Pollen.
Mittlerweile schwebten alle Kwamis eine Armlänge von Marinettes Gesicht entfernt in der Luft und sahen sie aufmerksam an.
»Weil ich es nicht mehr benutzen kann.«
»Aber du warst doch so eine tolle Ladybug!«, meinte Trixx.
Marinette lächelte Alyas ehemaligem Kwami dankbar zu.
»Ich wäre auch gern Ladybug geblieben. Aber leider ist das nicht möglich.
Ich ... bin schwanger.«
Fünfzehn Kwami-Augenpaare sahen sie voller Überraschung an.
Orikko, das Kwami des Hahnen-Miraculous, war der Erste, der wieder etwas sagte.
»Ich lieeeeeeeeebe Kinder!«, krähte er und überschlug sich zweimal vor Freude.
Und nun stimmten auch die anderen Kwamis ein.
»Herzlichen Glückwunsch!«, sagten Wayzz und Xuppu beinahe gleichzeitig.
»Was für eine Neuigkeit!«, rief Trixx aus und Daizzi stieß ein freudiges Quieken aus.
Marinette konnte nicht anders, als aus ganzem Herzen zu lächeln.
Das war genau das, was sie gerade brauchte.
»Ich hatte auch mal eine Trägerin, die schwanger geworden ist.«, meinte Pollen, als sich die größte Aufregung unter den Kwamis gelegt hatte.
»Ich war traurig, weil ich sie nicht mehr verwandeln konnte, aber es war auch unheimlich schön, das mitzuerleben.«
»Schade, das Tikki nicht dabei sein kann.«, sagte Trixx und lächelte Marinette mitfühlend an.
Sie nickte nur.
»Wie lang weißt du es denn schon?«
Diese Frage kam von Longg, dem Drachen-Kwami.
»Erst seit heute Nachmittag.«
»Ui!«, meinte Orikko mit großen Augen. »Wir können uns wohl geehrt fühlen, dass du uns so schnell davon erzählst!
Hast du denn überhaupt schon Cat Noir Bescheid gegeben?«
Marinette nickte.
»Ich war vorhin bei ihm und habe es ihm gesagt.
Das war gar nicht so einfach! Ich musste eine selbst gebastelte Maske tragen und konnte nur per Notizblock mit ihm kommunizieren.
Ihr habt nicht zufällig eine Idee, wie das noch einfacher möglich wäre, oder?«
Die Kwamis machten nachdenkliche Gesichter und wechselten einige Blicke, doch allesamt schüttelten sie schließlich mit dem Kopf.
»Schade.« Marinette seufzte leise. »Da hab ich schon fünfzehn fantastische Kwamis und keins von ihnen kann mich verwandeln, um meine Identität zu verbergen.«
»Tut uns wirklich leid, dass wir dir nicht helfen können.«, sagte Daizzi.
Marinette lächelte ihn dankbar an, doch da kam ihr eine Idee.
»Tikki hat gemeint, sie kann mich nicht verwandeln, weil ihr Kwamis nur einen Menschen verwandeln könnt.«, begann sie hastig ihre Gedanken auszusprechen, »Würde es also funktionieren, wenn zwei von euch mich verwandeln – quasi einer verwandelt mich und der andere mein Kind?«
Bereits die entschuldigenden Blicke der Kwamis verrieten ihr, dass es wohl nicht so einfach war.
»Wir haben es noch nie probiert,«, meinte Trixx, », immerhin bist du die erste schwangere Hüterin, allerdings wird es wohl nicht funktionieren.
Auch wenn das Kind in deinem Bauch ist, kannst du nicht stellvertretend die Worte für es sprechen. Außerdem ist es noch viel zu klein, um sich zu verwandeln.«
Marinette nickte stumm.
Wäre ja auch zu einfach gewesen, wenn sie tatsächlich mit dem Vater ihres Kindes hätte reden können!
»Verrätst du uns, wie Cat Noir reagiert hat?«, fragte Mullo neugierig.
Marinette verstand, dass das Mäuse-Kwami sie ablenken wollte, und lächelte ihn dankbar an.
»Was hat er gesagt, als er erfahren hat, dass er Vater wird?«, fügte Ziggy hinzu. Und auch die anderen Kwamis sahen Marinette mit großen, neugierigen Blicken an.
»Naja, er war ziemlich überrascht und muss das jetzt erst mal verarbeiten, aber ich denke -«, sie stockte.
Dann kniff sie die Augen leicht zusammen und sah zwischen den Kwamis hin und her.
»Moment mal. Woher wisst ihr, dass Cat Noir der Vater ist?«
Auf einen Schlag sahen die Kwamis allesamt verlegen aus und konnten ihr kaum noch in die Augen sehen.
»Sagt schon!«, forderte Marinette, als auch nach mehreren Sekunden noch niemand etwas gesagt hatte.
»Wir wussten es nicht.«, ergriff schließlich Wayzz das Wort. »Aber die Vermutung lag nahe. Tikki hat uns erzählt, dass ihr euch näher gekommen seid.«
»Tikki?«, fragte Marinette mit gerunzelter Stirn.
Sie wusste, dass ihr Kwami gelegentlich Zeit in der Schatulle verbrachte, aber dass sie dabei von der Beziehung ihrer Trägerin tratschte, klang so gar nicht nach ihr.
»Warum sollte sie euch davon erzählt haben?«
»Und warum seht ihr allesamt so aus, als hätte ich euch gerade bei etwas ertappt?«, fügte sie in Gedanken hinzu.
»Sie hat sich so sehr darüber gefreut und wollte die Freude mit uns teilen.«, antwortete Pollen.
Das klang auch nicht nach Tikki.
Ja, sie hatte Marinette in gewisser Weise ermutigt, auf Cat Noir zuzugehen, aber sie war nie direkt begeistert davon gewesen. Und nach der Trennung war sie – sogar noch viel schneller als Marinette selbst - auf Adrien umgeschwenkt und hatte immer wieder betont, dass es das »Richtige« sei, Cat Noir hinter sich zu lassen.
»Irgendetwas verratet ihr mir nicht.«, sprach Marinette aus, was sie dachte und sah den Kwamis eindringlich in die Augen.
Allesamt wichen sie ihrem Blick aus.
»Gibt es da irgendwelche telepathischen Verbindungen zwischen euch Kwamis, von denen ich noch nichts weiß? Oder habt ihr es irgendwie anders mitbekommen?«
»Das war doch nur geraten.«, machte nun Ziggy wieder den Mund auf. »Bei einer Ladybug-Schwangerschaft ist ein Cat Noir nun mal der nahe liegendste Vater.«
»Ziggy!«, riefen die anderen Kwamis vorwurfsvoll im Chor.
Marinette riss überrascht die Augen auf und sah Ziggy an, der nun einen schuldbewussten Ausdruck auf dem Gesicht hatte.
»Was?«
Weder Ziggy noch eines der anderen Kwamis reagierte, weshalb sie noch einmal deutlicher nachfragte:
»Was hast du da gerade gesagt?«
Es war Fluff, der schließlich das Wort ergriff.
»Hör nicht auf ihn! Ziggy redete viel Unsinn, wenn er aufgeregt ist.«
Ziggy nickte heftig mit dem Kopf.
»Es stimmt! Ich rede wirklich Unsinn! Völlig wirres, unsinniges Zeug.
Ich bin das allerdusseligste Kwami - da kannst du jeden fragen!«
»Du redest tatsächlich Unsinn.«, erwiderte Marinette und sah ihn aus zusammengekniffenen Augen an, »Und zwar jetzt gerade!
Glaubt ihr wirklich, dass ich einfach vergesse, was du da gerade über schwangere Ladybugs gesagt hast?«
»Bitte, Marinette!«, sagte Fluff in flehendem Ton. »Tikki macht uns allen die Hölle heiß, wenn sie erfährt, dass Ziggy sich verplappert hat und wir es zugelassen haben!«
Die anderen Kwamis nickten und sahen sie dabei flehend aus ihren großen Kulleraugen an.
»Na schön. Ich verspreche, dass ich es Tikki nicht verrate. Aber dafür müsst ihr mir alles erzählen, was ihr über die früheren Ladybugs und Cat Noirs wisst!«
»Wir wissen fast gar nichts.«, sagte Daizzi sofort.
»Wirklich! Wir haben allesamt viel seltener Miraculous-Träger als Tikki und Plagg, und sind die meiste Zeit in der Schatulle.
Wenn überhaupt sind das nur Gerüchte, was wir gehört haben.«
»Gerüchte?«, fragte Marinette und sah skeptisch zwischen den Kwamis hin und her. »Ihr seid Kwamis! Von wem solltet ihr denn Gerüchte hören?«
»Von den früheren Hütern.«, antwortete Fluff.
»Die meiste Zeit sind sie der einzige Kontakt, den wir zur Außenwelt haben. Und selbst wenn wir gerade einen Miraculous-Träger haben, bekommen wir kaum etwas davon mit, was bei den anderen Helden passiert.
Ladybug und Cat Noir sind die einzigen Superhelden, die immer als Paar zusammenarbeiten.«
»Und anscheinend ist ihre Superhelden-Partnerschaft nicht das Einzige, was Cat Noirs und meine Vorgänger miteinander verbunden hat, oder?«, fragte Marinette.
Sie wollte endlich wissen, was es mit Ziggys Worten auf sich hatte.
»Damit müsstest du dich doch am allerbesten auskennen!«, meinte Roaar, das Tiger-Kwami, und grinste frech.
»Immerhin bist du seit Neuestem von Cat Noir schwanger. Und wir wissen ja alle, wie so etwas passiert.«
Marinette spürte, wie sie rot wurde.
Die Kwamis waren viel, viel älter als sie selbst, trotzdem fühlte es sich absolut merkwürdig an, diese süßen, kleinen Wesen von ihrem Liebesleben sprechen zu hören.
Während sie noch mit ihrer Verlegenheit kämpfte, bekam Roaar einige strafende Blicke seiner Kwami-Freunde zu spüren.
»Was Roaar eigentlich damit sagen wollte:«, ergriff wieder einmal Trixx das Wort, »Du bist vermutlich nicht die erste Ladybug, die von einem Cat Noir schwanger geworden ist.«
»Vermutlich?«, fragte Marinette.
»Mit ... ziemlicher Sicherheit.«, erwiderte Trixx nach kurzem Zögern.
Und als Marinette ihn weiter forschend ansah, rückte er schließlich heraus:
»Ok, mit absoluter Sicherheit.
Ich habe mehr als eines dieser Kinder gesehen.«
»Also doch nicht nur Gerüchte. Wie viele waren es denn?«
Die Kwamis wechselten einige unsichere, abwägende Blicke und Fluffs knappe Antwort lautete: »Einige.«
Marinette nahm sich nicht erst die Zeit, diese Neuigkeit zu verarbeiten.
Sie war es an diesem Tag längst gewöhnt, von den neuen Enthüllungen in ihrem Leben überfordert zu sein.
Und wenn sie sich jedes Mal die Zeit genommen hätte, um es in aller Ruhe zu verarbeiten, würde sie noch immer mit Tikki auf ihrem Zimmerboden sitzen, während Cat Noir ohne eine Ladybug mit dem Superschurken kämpfen musste.
»Wenn es schon so oft vorgekommen ist, dass unsere Vorgänger ein Paar waren und sogar gemeinsame Kinder hatten, warum wollte Tikki dann, dass ich ihn hinter mir lasse?«, stellte Marinette ihre nächste Frage, doch sie sah nur in ratlose Gesichter.
Darauf schienen die Kwamis auch keine Antwort zu haben.
Bevor Marinette ihre nächste Frage stellte, musste sie schwer schlucken.
Sie war sich nicht sicher, ob sie die Antwort darauf tatsächlich hören wollte – vor allem ausgerechnet heute. Aber sie wollte diese Chance nicht vertun.
Wenn es etwas Wichtiges zu wissen gab, sollte sie lieber früher als später davon erfahren.
»Ist mit diesen früheren Paaren ... irgendetwas Schlimmes passiert?«
Die Reaktionen der Kwamis waren so uneindeutig, dass Marinette daraus nicht schlau wurde.
Einige zuckten mit den Schultern, andere bekamen einen unsicheren Ausdruck im Gesicht und vereinzelt murmelte jemand:
»Etwas Schlimmes?«
Oder: »Schwere Frage ...«
Marinettes laute Stimme ließ einige von ihnen zusammenzucken.
»Was soll denn das bedeuten?«
Sie spürte, wie die Unruhe ihre Geduld verdrängte.
»Ihr müsst doch irgendetwas wissen!«
»Marinette«, sagte Wayzz in beruhigendem Ton, »Wir sind nicht die richtigen, um deinen Fragen zu beantworten. Du solltest dich mit ihnen an Tikki wenden.«
»Aber Tikki ist nicht hier! Außerdem habt ihr zugestimmt, dass ihr mir alles erzählt, was ihr wisst.«
Fluff kam ein Stück näher an Marinette heran geschwebt und sah sie mit einem traurigen Gesichtsausdruck an.
»Wir würden es verstehen, wenn du Tikki von dem hier erzählst und wir deshalb Ärger von ihr bekommen. Aber wir können dir trotzdem nicht noch mehr sagen.
Tut uns wirklich leid!«
Marinette stieß ein Geräusch aus, das wie ein Knurren klang.
»Ihr Kwamis macht mich noch wahnsinnig mit eurer Geheimhaltung! Was für einen Vorteil hat es denn, die Hüterin zu sein, wenn ihr mir ständig wichtige Informationen verschweigt?«
»Alles zu seiner Zeit.«, sagte Sass mit ruhiger Stimme und sah Marinette aus seinen schmalen Schlangenaugen eindringlich an.
»Da kann ich Sass nur zustimmen.«, erklang da eine vertraute Stimme hinter Marinette.
Und gemeinsam mit den anderen Kwamis rief sie freudig aus: »Tikki!«
»Kaum bin ich verschwunden, schon feiert ihr eine große Kwami-Party.«, meinte Tikki und lächelte breit.
Marinette konnte ihr Lieblingskwami nur überwältigt und sprachlos anlächeln.
»Was tust du hier?«, fragte Wayzz und seiner Stimme war die gleiche Freude anzuhören, die auch Marinette empfand.
»Ich dachte mir, dass Marinette mich heute Abend braucht. Also habe ich meine neue Trägerin gefragt, ob das für sie in Ordnung wäre, wenn ich für eine Weile verschwinde.«
»Tikki!«, meinte Fluff mit ungläubigem Ton, »Du vernachlässigst tatsächlich deine Kwami-Pflichten, um deiner ehemaligen Trägerin beizustehen?«
Tikki war anzusehen, dass diese Bemerkung sie traf – immerhin war sie das älteste Kwami und das Pflichtbewussteste noch dazu.
Doch sie reckte selbstsicher den Kopf in die Höhe und meinte: »Marinette ist nicht irgendeine ehemalige Trägerin. Sie ist die Hüterin. Und das bedeutet, dass ihr Wohlbefinden ungeheuer wichtig für uns alle ist.«
Obwohl ihre Worte sachlich und nüchtern klangen, wurde Marinette dabei warm ums Herz.
Schon wieder wurde sie von einer Gefühlswelle überrollt.
Erleichterung und Freude.
Tikki war hier!
Um ihr beizustehen!
»Es ist so schön, dass du hier bist!«, brachte sie endlich einen Ton heraus und griff nach Tikki, um sie an ihre Wange zu pressen.
Ihr Kwami ließ den gefühlvollen Moment zu und sagte mit samtweicher Stimme: »Ich freue mich auch.«
Kurz darauf rief eines der anderen Kwamis plötzlich: »Gruppenkuscheln!«, und Marinette wurde von fünfzehn weiteren kleinen Kwamikörpern überfallen.
Longg, Mullo, Roaar, Daizzi und Ziggy schmiegten sich in ihre Halsbeuge, während Pollen, Trixx, Fluff und Wayzz sich gegen ihre Wange und ihre Hände pressten.
Irgendwo unter ihrem Kinn und in ihren Haaren spürte sie die restlichen Kwamis – Barkk, Sass, Stompp, Kaalki, Xuppu und Orikko.
Marinette lief die unzähligste Träne dieses Tages über die Wange – diesmal vor Rührung.
»Danke, dass ihr für Marinette da seid, während ich nicht hier sein kann.«, sagte Tikki schließlich und sah lächelnd zwischen den anderen Kwamis hin und her.
»Ist doch klar!«, meinte Daizzi.
»Würdet ihr uns jetzt trotzdem allein lassen?«, bat Tikki. »Ich muss einiges mit Marinette bereden.«
Die anderen Kwamis wirkten nicht gerade begeistert davon, zurück in die Schatulle zu müssen.
Aber sie folgten Tikkis Bitte ohne Widerrede.
»Trixx?«, hielt Tikki das Fuchs-Kwami noch kurz zurück.
»Ich soll dir von deiner ehemaligen Trägerin Grüße ausrichten. Sie freut sich schon darauf, dich wiederzusehen, sobald Marinette ihre Ohrringe wieder tragen kann.«
Trixx nickte mit einem dankbaren Lächeln und verschwand dann als letztes in der rot-schwarzen Miraculous-Schatulle.
Es wurde wieder ruhig in Marinettes Zimmer.
Marinette atmete tief durch und lächelte Tikki dann erschöpft an.
»Ich würde dich eigentlich gern bitten, das Gespräch auf einen anderen Tag zu verschieben, aber das ist wohl keine Option, oder?«
Tikki schüttelte mit einem entschuldigenden Gesichtsausdruck den Kopf.
»Ich werde so bald nicht wieder herkommen können. Die anderen Kwamis haben recht. Es ist riskant, dass ich hergekommen bin – selbst mit Alyas Einwilligung.
Ein Kwami sollte nicht so weit von seinem Träger entfernt sein und das Kwami des mächtigsten und wichtigsten Miraculous erst recht nicht.
Außerdem muss ich ohne Verzögerung wissen, wie dein Treffen mit Cat Noir verlaufen ist.
Was hat er gesagt? Und was habt ihr jetzt vor?«
Marinette seufzte leise.
Mittlerweile war ihre Sehnsucht nach ihrem Bett und nach Schlaf umso stärker zurückgekehrt. Und obwohl die Kwami-Therapie wahre Wunder bei ihren aufgewühlten Gefühlen bewirkt hatte, war sie nach wie vor überfordert von dem, was in ihrem Innern alles so los war.
»Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll.«, sagte sie und lehnte sich mit dem Rücken gegen ihr Sofa.
»Zuallererst könntest du mir sagen, wie es dir mittlerweile geht.«
Marinette lachte kurz auf.
»Sehr witzig, Tikki! Das ist die Frage, die ich dir am allerwenigsten beantworten kann.«
»So schlimm?«
Echte Besorgnis war in Tikkis großen Kwamiaugen aufgetaucht.
Von irgendwo her konnte Marinette jedoch ein Lächeln auf ihr Gesicht erscheinen lassen.
»Nicht schlimm. Aber viel!
Ich habe das Gefühl, von einer ganzen Bulldozer-Armee an Emotionen überrollt worden zu sein. Ich bin völlig fertig.«
»Das tut mir ehrlich leid.«, erwiderte Tikki. »Könntest du mir trotzdem davon erzählen? Es ist wichtig.«
Marinette nickte.
Sie warf einen letzten, sehnsüchtigen Blick in Richtung ihres Hochbettes und begann, zu reden.
Es tat Marinette überraschend gut, aussprechen zu können, was im Laufe des Nachmittags und Abends in ihr vorgegangen war.
Sie ließ nichts aus: Ihren Schmerz über Tikkis Verlust, ihre Angst beim Anblick des Superschurken, ihre Anspannung, bei der Übergabe ihres Miraculous an Alya, ihre Sorge während des Kampfes, ihre Verzweiflung vor der verschlossenen Haustür und ihre Erleichterung, als Cat Noirs Arme sich endlich um sie geschlossen hatten.
Erst, als sie bei ihrem komplizierten Gespräch mit ihm ankam, fiel Marinette das Reden auf einmal deutlich schwerer.
Und Tikki spürte das.
»Er hat eigentlich ziemlich gut reagiert, etwas überfordert vielleicht.«
Das waren Marinettes vage Worte gewesen, bei denen Tikki nun vorsichtig nachfragte: »Was genau meinst du mit überfordert? Was hat er gesagt?«
»Eigentlich ... nicht viel.«, antworte Marinette.
Sie wich dem prüfenden Blick ihres Kwamis aus.
»Dass er mich bei allem unterstützen wird.«
»Und das war alles? Mehr habt ihr nicht beredet?«
»Wir haben ausgemacht, dass wir erst morgen im Detail darüber reden wollen. Es war für uns beide etwas zu viel für den Moment.«
»Aber genau deswegen hättet ihr doch miteinander reden sollen! Ihr solltet nicht versuchen, allein damit fertig zu werden. Ihr müsst das als Team angehen!«
»Das ist aber nicht so einfach.«, erwiderte Marinette. »Ich konnte ja nur per Notizblock mit ihm kommunizieren. Und Cat Noir ...«
»Ja?«, fragte Tikki nach, als Marinette nicht weiterredete. »Was ist mit Cat Noir?«
»Wir haben sehr unterschiedliche Dinge in dieser Situation für wichtig gehalten. Also selbst wenn wir versucht hätten, ein längeres Gespräch zu führen, wären wir dabei wohl nicht sehr weit gekommen.«
Tikki runzelte die Stirn und versuchte offenbar, den Sinn von Marinettes Antwort zu ergründen.
»Also wollt ihr bei der Schwangerschaft verschiedene Dinge?«
»Ja ... ich meine, ...nein. Keine Ahnung. Wir haben noch gar nicht richtig darüber geredet. Es ging bei unserem knappen Gespräch eigentlich eher um das Drumherum.«
»Das Drumherum?«
Tikkis Stimme war anzuhören, dass sie langsam die Geduld verlor. Und Marinette konnte es ihr nicht verübeln.
Sie fand es ja selbst ungeheuer anstrengend, sich jeden einzelnen Satz mühevoll abringen zu müssen.
»Er ... er will unbedingt wissen, wer ich hinter der Maske bin.«, rückte sie endlich mit der Sprache heraus.
Und Tikki verstand sofort.
Sie seufzte leise.
»Das habe ich schon befürchtet.«, meinte sie leise und Marinette sah sie aufmerksam an.
»Also ist das ein echtes Problem, oder?«
Sie fürchtete sich vor der Antwort, obwohl sie sie im Grunde schon kannte.
Tikki nickte ganz langsam mit dem Kopf.
Und dann sagte sie die Worte, die Marinette schon so lang aus ihrem Mund hatte hören wollen: »Ich denke, es ist an der Zeit, dass ich dir etwas über eure Vorgänger erzähle.«
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