37
Marinette öffnete die Augen.
Sie wusste nicht, was sie geweckt hatte, doch es war ein sanftes, angenehmes Erwachen.
Trotz des vorzeitigen Endes ihres Nachtschlafes fühlten ihre Augenlider sich leicht an, ebenso wie ihre Stimmung.
Sie spürte ein zartes Lächeln auf ihren Lippen - die Nachwirkung eines Traumes, den sie bereits wieder vergessen hatte? Oder nur die Reaktion auf die Realität, die sie neuerdings nach jedem Aufwachen erwartete?
Marinette wusste es nicht, aber es spielte auch keine Rolle. Sie genoss es einfach nur, wie unbeschwert sie sich gerade fühlte.
Ihr Blick glitt hinauf zum Fenster über ihrem Bett.
Der Nachthimmel dahinter war wolkenlos, aber trotzdem eher grau als schwarz.
In dem begrenzten Ausschnitt, den das Fenster ihr zeigte, konnte sie drei blasse Sterne sehen - die einzigen, die mit ihrem Licht gegen die nächtliche Beleuchtung von Paris ankamen.
In ihrer momentanen Stimmung hätte Marinette nur zu gern einen volleren Sternenhimmel betrachtet; so wie er weit draußen auf dem Meer, fernab von jeder Zivilisation, aussah.
Überwältigend, bezaubernd und wunderschön.
Dennoch konnte sie die künstliche Beleuchtung der Stadt wertschätzen, denn sie machte nicht nur die allermeisten Sterne unsichtbar, sie machte auch das Innere ihres Zimmer sichtbar.
Marinette drehte den Kopf.
Ohne, dass sie dafür ihre Augen anstrengen musste, konnte sie das Gesicht der Person erkennen, die neben ihr lag.
In den vergangenen Tagen hatte sie schon mehr als einmal gedacht, dass sie Adrien in all seiner Schönheit zu sehen bekommen hatte.
Früh am Morgen, als die ersten Sonnenstrahlen sich in seinem blonden Haar verfangen hatten und er mit einem liebevollen, noch etwas verschlafenen Lächeln zu ihr aufgesehen hatte.
Beim Abendessen im Kerzenschein, als ihm vor Lachen die Tränen in die Augen gestiegen waren und er so ausgelassen und glücklich ausgesehen hatte, wie noch nie zuvor.
Während eines ihrer Nachmittags-Nickerchen, als er sich direkt vor ihren Bauch gelegt und vermeintlich unbeobachtet mit ihrem ungeborenen Kind gesprochen hatte; die Augen voll funkelnder Aufregung, Vorfreude und Liebe.
Jetzt gerade erlebte Marinette einen weiteren Moment dieser Art.
Einen Moment, in dem Adriens Anblick sie das Atmen vergessen ließ.
Der Schlaf ließ seine Gesichtszüge unheimlich sanft aussehen - noch sanfter als sonst.
Seine geschlossenen Lider versperrten den Blick auf seine Augen, in denen normalerweise seine Emotionen sichtbar wurden, und auch seine Gesichtsmuskeln waren vollkommen entspannt. Trotzdem konnte Marinette seinen Gemütszustand erspüren.
Sie konnte ihm eine Zufriedenheit ansehen, die so fest und tief in ihm verankert war, dass selbst der Schlaf sie nicht von ihm nehmen konnte.
Die gedämpfte, nächtliche Beleuchtung unterstrich diesen Eindruck noch.
Die ganze Szene strahlte eine sanfte Ruhe aus, die Marinette am liebsten aufgesaugt und für die Zukunft aufgehoben hätte. Sie versuchte, sich den Anblick des schlafenden Adrien einzuprägen, wohlwissend, dass es in ihrer Erinnerung nicht dasselbe sein würde.
Es machte den Moment umso wertvoller.
»Du bist wach.«, erklang auf einmal eine leise Stimme.
Ruckartig setzte Marinette sich auf und sah in das Halbdunkel am Fußende ihres Bettes.
»Tikki!«, rief sie aus. Trotz ihrer Überraschung schaffte sie es gerade noch, ihre Stimme auf Flüsterlautstärke zu senken.
»Hallo, Marinette.«, sagte Tikki und kam auf sie zugeschwebt.
»Ich habe mir so sehr gewünscht, dass du kommst!«
Marinette griff mit beiden Händen nach ihrem geliebten Kwami und drückte den kleinen Körper an ihre Wange – die innigste Art einer Umarmung, die sie miteinander teilen konnten.
»Ich habe dich unheimlich vermisst. Vor allem in den letzten Tagen!«
»Ach ja?«
Tikkis Stimme war anzuhören, dass sie lächelte, und als Marinette sie endlich wieder freigab und sie ansah, fand sie das Lächeln nicht nur in ihren Gesichtszügen vor, sondern auch in ihren großen, dunkelblauen Augen.
»Ich dachte, gerade in den letzten Tagen hättest du keine Zeit gehabt, mich zu vermissen. Und auch gar keinen Grund dazu.«
Sie warf einen bedeutsamen Blick in Richtung Adrien.
Dann fuhr sie fort: »Apropos Cat Noir: Ich bin vermutlich die allerletzte, von der ihr das zu hören bekommt, aber ich will euch trotzdem noch sagen, wie sehr ich mich für euch freue!«
Marinette zog die rechte Augenbraue in die Höhe und verpasste ihrer Stimme eine gespielt scharfen Tonfall: »Du freust dich also darüber? Schwer zu glauben, da du ja neben Plagg die Einzige warst, die es die ganze Zeit wusste und nichts gesagt hat.«
Drei Sekunden konnte sie den vorwurfsvollen Blick noch aufrecht erhalten – dann begann sie breit zu grinsen.
Tikki war die Erleichterung anzusehen.
»Wenn ich dir sage, dass es manchmal kaum auszuhalten war, das mit euch beiden mit anzusehen: Glaubst du mir das?«
»Ach, jetzt beschwerst du dich auch noch? Du kannst froh sein, dass ich viel zu glücklich bin, um mich über dich zu ärgern!«
Auch diesmal war Marinettes Entrüstung nicht ernst gemeint.
Sie konnte sich nur zu gut vorstellen, wie schwer es in all der Zeit für Tikki gewesen sein musste.
Nachdem sie eine Weile stumm die Gegenwart des andern genossen hatten, meinte ihr Kwami: »Es freut mich sehr, das zu hören.
Dass du glücklich bist, meine ich. Du hast es verdient.«
»Danke, Tikki.«
»Erzählst du mir, wie dein Leben mittlerweile aussieht? Ich bekomme ja immer nur die Teile davon mit, wenn Alya gerade bei dir ist. So wie gestern.«
Marinette stieß ein Stöhnen aus und vergrub kurz das Gesicht in beiden Händen.
»Jetzt hast du mich an das Gespräch mit ihr erinnert!«
Als sie Tikki wieder ansah, hatte diese einen mitfühlenden Gesichtsausdruck aufgesetzt.
»So schlimm war es nun auch nicht.«
Marinette konnte ihr da nicht zustimmen.
»Ich hatte gedacht, das Gespräch mit meinen Eltern würde schwer werden, aber das war ein Klacks im Vergleich zu Alyas Verhör! Ich glaube, ich habe im Sitzen noch nie zu viel geschwitzt, wie in dieser einen Stunde.«
»Dafür hast du dich aber ziemlich gut geschlagen.«, meinte Tikki. »Ich war ehrlich beeindruckt, wie souverän du ihr die alternative Geschichte aufgetischt hast.«
»Reden wir noch vom selben Nachmittag?« Marinette runzelte die Stirn. »Es gab keine einzige Frage, bei der ich ihr ohne Rumzustottern eine zufriedenstellende Antwort geben konnte.«
Leise murmelnd fügte sie hinzu: »Wie auch, bei diesem verworrenen Beziehungschaos.«
»Also, ich finde, du hast das Beste daraus gemacht. Und am Ende hat Alya ja auch Ruhe gegeben.«
Marinette sah ihr Kwami mit zusammengekniffenen Augen an.
»Hat sie wirklich Ruhe gegeben oder hat sie nur aufgehört, mich zu löchern?«
Tikki antwortete nicht, also fragte sie noch einmal genauer nach.
»Hast du irgendetwas mitbekommen? Hat sie mit dir darüber geredet?«
»Falls du dir Sorgen machst, dass sie Verdacht geschöpft und dich und deine Schwangerschaft mit Ladybug in Verbindung gebracht hat, kann ich dich beruhigen.
Aber es stimmt, dass deine Antworten und Erklärungen nicht alles wieder zwischen euch gut gemacht haben. Alya ist noch immer verletzt. Und sie vertraut dir nicht mehr so wie früher.«
»Natürlich tut sie das nicht.«
Marinette Stimme klang gepresst. Je länger sie über ihre beste Freundin und das, was sie ihr angetan hatte, nachdachte, desto größer wurde der Kloß in ihrem Hals.
»Sie glaubt, dass ich sie – meine beste Freundin - monatelang über meine Beziehung mit Adrien angelogen habe. Und das auch noch ohne guten Grund!«
Tikki widersprach ihr sofort.
»Dass ihr beide erst einmal prüfen wolltet, ob es etwas Ernstes mit euch ist – ohne die ganzen Blicke und Kommentare eurer Freunde -, ist doch ein ziemlich guter Grund.«
Marinette schnaubte nur.
Diese Erklärung war genauso kläglich wie all die anderen, die sie mit Adrien während ihres Treffens am Samstagmittag zusammengebastelt hatte.
Tikki schien zu spüren, dass ihre Stimmung immer weiter absank. Statt die Sache einfach so stehen zu lassen, redete sie ihr weiter gut zu.
»Alya weiß, dass nicht jede Beziehung so einfach und unkompliziert ist, wie ihre Beziehung mit Nino. Sie würde gern verstehen, warum Adrien und du solche Schwierigkeiten hattet und sogar zeitweise getrennt wart, aber sie weiß auch, dass sie es gar nicht verstehen kann.
Vermutlich wird sie dir noch das eine oder andere Mal eine Frage dazu stellen. Aber du musst ihr keine vollständige, bis ins Detail plausible Erklärung geben.
Im Grunde will sie nur hören, wie es dir geht und wie sie dir helfen kann.
Sie war nur so hartnäckig, weil du ihr wichtig bist.«
Marinette senkte den Blick.
»Ich weiß.«, sagte sie leise.
»Ich hasse es trotzdem, dass wir ihr gegenüber auf ewig dieses Märchen aufrecht erhalten müssen. Ich will nicht, dass sie unsere Beziehung für etwas Instabiles und Schwieriges hält. Denn das ist sie nicht!
Ohne diese ganze Identitäten-Verwirrung wäre von Anfang an alles zwischen uns klar gewesen.
Wir hätten nie etwas verbergen müssen. Hätten uns nie getrennt. Hätten niemals gelogen.«
»Dann zeig ihr das.«
Marinette sah wieder zu Tikki auf und ihr Kwami redete mit sanfter Stimme weiter.
»Zeig ihr, wie glücklich du bist. Lass sie mit eigenen Augen sehen, wie eure Beziehung aussieht. Und teile so viel mit ihr, wie dir möglich ist.
Diese ganzen Halbwahrheiten scheinen zwischen euch zu stehen, aber das tun sie nur, wenn du das zulässt, Marinette.
Es fühlt sich vielleicht nicht so an, aber es ist genauso wie früher. Du lügst sie nicht an, weil du es willst, sondern weil du es musst.
Auch diesmal ist der Grund für deine Geheimnisse, dass du Ladybug und die Hüterin bist. Es sagt nichts über deinen Charakter, deine Aufrichtigkeit oder deine Qualitäten als Alyas Freundin aus.«
Ein getrübtes, aber liebevolles Lächeln erschien auf Marinettes Gesicht.
»Wie soll ich noch so viele Monate meinen Alltag ohne deine weisen Ratschläge überstehen?«
»Du hast eine ganze Schatulle voller Kwamis. Du kannst dich an sie wenden, wenn du Rat brauchst.«
»Willst du etwas behaupten, dass sie genauso weise sind wie du?« Ein kleines Grinsen tauchte in Marinettes Mundwinkel auf.
»Einzeln nicht.«, antwortete Tikki, »Aber in der Summe? Vielleicht.«
Marinette wurde sogleich wieder ernst.
»Und was ist mit Trost? Du weißt am allerbesten, was du sagen musst, um mich wieder aufzubauen. Die anderen Kwamis kennen mich nicht einmal ansatzweise so gut wie du.
Ich bezweifle, dass sie mir weiterhelfen können, wenn ich entmutigt bin oder so bedrückt wie jetzt gerade.«
»Mag sein. Aber für solche Situationen hast du jetzt jemand anderen an deiner Seite.«
Sie sah hinüber zu Adrien und Marinette folgte ihrem Blick.
»Er kennt dich genauso gut wie ich. Und er weiß besser als jeder andere, wie es sich anfühlt, große Geheimnisse zu haben.
Von nun an kannst du mit ihm über all das reden, was du sonst mit mir besprochen hättest.«
Marinette war sich nicht sicher, was für das plötzliche Gefühl von Wärme in ihrem Innern verantwortlich war – Tikkis Worte oder der Anblick des friedlich schlafenden Adrien.
Vermutlich eine Mischung aus beidem.
»Du sagst das alles jetzt aber nicht nur, weil du mich darauf vorbereiten willst, dass du dich gleich verabschiedest, oder?«, wandte sie sich schließlich wieder ihrem Kwami zu.
Tikki lächelte sie herzlich an.
»Keine Sorge. So schnell verschwinde ich nicht. Du musst mir doch erst noch erzählen, wie es dir geht.
Ich weiß bereits, dass du glücklich bist und dass die Unterredung mit deinen Eltern weniger schlimm war, als die mit Alya. Verrätst du mir noch ein bisschen mehr?«
Marinett nickte. Dann rutschte sie vorsichtig weiter in Richtung Bettende und lehnte sich mit dem Rücken gegen die Zimmerwand.
Anschließend hielt sie einige Sekunden inne und lauschte auf Adriens gleichmäßigen Atem.
Als sie sicher war, dass er nicht aufwachte, begann sie zu erzählen.
»Als meine Eltern mich aus dem Krankenhaus abgeholt haben, waren sie viel zu aufgewühlt, um das mit der Schwangerschaft richtig zu realisieren. Sie waren vor allem erleichtert, dass es mir gut ging, und in dieser Nacht haben sie gar nicht viel dazu gesagt.
Das Einzige, was sie wissen wollten, war, von wem ich schwanger bin.«
Tikki hatte sich auf Marinettes aufgestelltem Knie niedergelassen und fragte nun: »Waren sie überrascht, von dir und Adrien zu erfahren?«
»Ja, waren sie. Aber das war noch nicht Freitagnacht. Da war ihnen nur wichtig, wie ich zum Vater des Kindes stehe.«
Bei den folgenden Worten senkte Marinette den Blick und zupfte mit der Hand am Saum ihres Schlafanzuges.
»Es war ein ziemlich ungünstiger Zeitpunkt für einen Krankenhausbesuch. Am Vortag waren Adrien und ich zusammen in der Wohnung ... also, Cat Noir und ich. Und er hat ...«
Sie stockte.
Bevor sie weiterreden konnte, musste sie tief Luft holen.
»Naja, sagen wir einfach, dass es etwas ... heftig geworden ist. Als die Ärztin mich untersucht hat, sind ihr blaue Flecken auf meinen Oberschenkeln aufgefallen.
Sie hat mich danach gefragt und ich konnte sie beruhigen, aber sie hat es auch meinen Eltern gesagt und die waren nicht so leicht davon zu überzeugen, dass alles in Ordnung ist.
Ich musste ihnen ziemlich lang zureden, bis sie mir geglaubt haben, dass ich in einer glücklichen, gewaltfreien Beziehung bin und das Kind aus Liebe entstanden ist.«
Marinette schaffte es noch immer nicht, den Blick ihres Kwamis zu erwidern.
Am liebsten hätte sie schnell weitergeredet und das unangenehme Thema hinter sich gelassen, doch da stelle Tikki ihr eine Frage.
»Hast du ihm davon erzählt?«
»Adrien? Ja, hab ich. Er wollte alles über das Gespräch wissen.«
»Und was hat er dazu gesagt?«
»Er hatte ein furchtbar schlechtes Gewissen und hat sich immer wieder dafür entschuldigt. Er hat nicht mitbekommen, dass er mir mit seiner Miraculous-Stärke blaue Flecken verpasst hat.«
Daraufhin sagte Tikki nichts mehr.
Marinette hob den Kopf, um in ihrem Blick lesen zu können, doch es gelang ihr nicht.
Erst, als Tikki nach einer Weile wieder das Wort ergriff, erfuhr sie, was gerade in ihrer kleinen Freundin vorging.
»Ich bin froh, dass du es ihm gesagt hast. Nur, weil er es nicht bemerkt hat, war es trotzdem nicht in Ordnung, und ich hätte mir Sorgen gemacht, wenn du es ihm weiter verschwiegen hättest.«
»Im ersten Moment wollte ich es.«, gab Marinette zu, »Ich wollte nicht, dass er sich selbst Vorwürfe macht. Aber irgendwie hatte ich das Gefühl, dass es wichtig ist.
Dass er es wissen sollte.«
Tikki nickte zustimmend.
»Ihr werdet euch in eurer Beziehung noch häufiger gegenseitig verletzen – nicht körperlich, aber seelisch. Es ist wichtig, dass du ihm auch davon erzählst; von den Wunden in deiner Seele.
Vor allem bei den Wunden, die er dir zufügt.«
In Marinette stieg bei diesen Worten ein mulmiges Gefühl nach oben. Als wären sie weniger ein gut gemeinter Ratschlag als vielmehr eine Warnung.
»Was ... was meinst du damit?«, fragte sie, »Was für Wunden?«
Tikki lächelte sie an; zurückhaltend, aber sehr sanft.
»Du wirst noch früh genug erleben, wie sie sich anfühlen. Aber im Moment darfst du dich einfach freuen. Genieße dein Glück und macht dir nicht zu viele Gedanken über die Zukunft.«
Das war nicht das, was Marinette hatte hören wollen.
Ihr Rücken löste sich von der Zimmerwand, als sie sich Tikki entgegenlehnte.
In ihrer Stimme lag ein feines Zittern.
»Bitte, sag es mir! Warum sprichst du davon, dass ich verletzt werde? Hat das schon wieder etwas mit einem deiner Kwami-Miraculous-Geheimnisse zu tun?«
»Marinette.«, erwiderte Tikki und sah sie eindringlich an.
»Es ist alles in Ordnung.«
Ihr beruhigender Tonfall ließ sofort Marinettes Körperspannung erschlaffen und sie sank zurück gegen die Wand.
Sie legte den Kopf in den Nacken. Wie von selbst fielen ihre Augenlider hinab.
Tikki sprach weiter, mit ruhiger Stimme, langsam und fast schon andächtig.
»Ich habe nicht von Problemen und Verletzungen geredet, die mit euren Miraculous oder uns Kwamis im Zusammenhang stehen. Ich habe vom ganz normalem Leben geredet; eurem ganz normalen Leben.
Im Moment bist du einfach nur glücklich, weil ihr zueinandergefunden habt. Und das ist auch gut so. Genieße diese Zeit und sei so unbeschwert, wie du nur kannst!
Ich wollte dich nur daran erinnern, dass es nicht immer so sein wird. Eine Beziehung ist eine Herausforderung – erst recht, wenn ein Kind dazu gehört.
Ich wollte, dass du vorbereitet bist und nicht die Hoffnung verlierst, wenn es mal schwer wird. Wenn ihr mal verschiedener Meinung seid, euch streitet oder nicht vollkommen aufrichtig zueinander seid.
Das waren die Verletzungen, von denen ich gesprochen habe.
Ihr seid schon eine Weile ein Paar und habt schon viel miteinander durchgemacht. Du darfst nur nicht glauben, dass die Schwierigkeiten allein an den geheimen Identitäten lagen und ab jetzt alles perfekt und leicht und immer angenehm sein wird.
Ihr könnt viel offener zueinander sein und habt eine gemeinsame Zukunft vor euch. Aber das heißt nicht, dass es keine Herausforderungen und Krisen mehr geben wird.«
Tikki verstummte für einen Moment.
Marinette nutzte die Stille, um ihre Worte in ihrem Kopf und in ihrem Herzen nachhallen zu lassen.
Als ihr Kwami fortfuhr, war sie bereit dafür.
»Ich bin unheimlich stolz auf dich.
Seit du Cat Noir in dein Leben gelassen hat, bist du so sehr gewachsen! Du hast nicht nur aufgehört, dich hinter deiner Maske zu verstecken, du hast auch immer wieder so viel Mut bewiesen.
Du warst aufrichtig dir selbst gegenüber, hast dich deinen Ängsten gestellt und bist immer seltener weggelaufen.
Du hast Cat Noir gegenüber deine Gedanken ausgesprochen und bist vor den Herausforderungen nicht zurückgeschreckt.
Und vor allem hast du dich niemals unterkriegen lassen.«
Bei dem nächsten Satz veränderte sich Tikkis Stimme. Sie klang noch sanfter als vorher; nach einem warmen, gütigen Lächeln.
»Du bist deinem Herzen gefolgt.
Ich bin kein Mensch. Ich weiß nicht, wie es sich anfühlt.
Aber von all den Erfahrungen, die ich in den vergangenen Jahrhunderten gemacht habe, weiß ich, dass es etwas Furchteinflößendes ist.
Schwerer als alles andere.«
»Hör auf!«, sagte Marinette und zusammen mit der Aufforderung entwich ihr ein leises, halb ersticktes Auflachen. »Willst du mich heute Nacht etwa noch zum Heulen bringen?«
Als sie Tikki ansah, ließ die Rührung tatsächlich ihre Augen feucht werden und sie konnte ihr Kwami nur verschwommen sehen.
»Du hast recht. Ich hör schon auf damit. Aber dafür musst du mir etwas versprechen.«
»Was denn?«
»Versprich mir, dass du dich genauso furchtlos in diesen neuen Lebensabschnitt stürzt, wir du dich letztes Jahr von Hausdächern gestürzt hast.«
Marinette wischte sich die Tränen aus den Augen und grinste.
»Vergleichst du meine Zukunft mit Adrien gerade mit einem Sturz von einem Hochhaus?«
»Vielleicht ein bisschen.«
Tikki zwinkerte ihr schelmisch zu und schob dann hinterher: »Auf jeden Fall wird es ein Abenteuer.«
»Es klingt schon wieder so, als würdest du dich auf deinen Abschied vorbereiten!«
Marinette zog demonstrativ die Mundwinkel nach unten. »Ich will noch nicht, dass du gehst!«
»Dann bleibt dir wohl nur eine Möglichkeit: Du musst ein Thema finden, das mich so sehr interessiert, dass ich darüber alles andere vergesse.«
Sie kniff die Augen zusammen und überlegte kurz. Dann lehnte sie sich nach vorn und sah ihrem Kwami tief in die Augen.
»Ich glaube, ich hätte da was. Dich interessiert doch bestimmt, wie ich mich als Hüterin bezüglich Cat Noirs Ring entschieden habe ...«
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