27
Mit geschlossenen Augen lauschte Marinette auf die Stimme des Menschen, den sie auf der Welt am allermeisten liebte.
Der Inhalt seiner Worte gefiel ihr nicht, trotzdem ging es ihr gut.
Sie war hier, bei ihm, und er hielt sie. War für sie da.
Nicht nur ihre Ohren nahmen auf, was er sagte, denn von seiner Brust wurde die Vibration direkt in ihren eigenen Körper übertragen.
Kein Wunder also, dass es mit Leichtigkeit bei ihrem Herzen ankam und ihre Gefühlswelt anrührte.
Selbst Ablehnung, Traurigkeit und Erschöpfung konnten nicht die besondere Intimität des Momentes verhindern.
»Ich habe damit gerechnet, dass du es nicht zulassen würdest.«, sagte Cat Noir. Er sprach leise und ruhig.
»Und ich habe auch damit gerechnet, dass du an meiner Stelle dein Miraculous aufgeben wollen würdest.
Ich weiß aber auch, dass es alles andere als selbstverständlich ist.
Danke, dass du bereit dazu warst.
Es bedeutet mir viel.«
Er hauchte ihr einen federleichten Kuss auf die Stirn.
Dann redete er weiter.
»Ich hoffe, du wusstest in deinem Innern auch bereits, wie meine Reaktion ausfallen würde.
Du wusstest, dass ich dich niemals deine Ohrringe aufgeben lassen könnte, nur um selbst weiterhin Cat Noir zu sein, oder?
Dem würde schon allein meine Welteinstellung entgegenstehen.
Die Frau bleibt Zuhause und gibt ihren Traum auf, damit der Mann die Abenteuer erlebt und sich draußen rumtreibt? Dafür leben wir im falschen Jahrtausend.«
Sie konnte ihm anhören, dass er lächelte.
Ihr selbst war nicht danach zumute, aber die Ungezwungenheit in seinem Reden tat trotzdem gut.
»Es kommt mir wie eine Ironie des Schicksals vor, dass wir nun an diesem Punkt sind.«, fuhr er fort. »Es fühlt sich irgendwie falsch an, dass ausgerechnet unsere Liebe zueinander uns dazu treibt, unsere Miraculous wegzugeben.
Immerhin haben wir uns nur durch die Miraculous kennengelernt.
Sogar mehr als das: Wir wurden füreinander ausgewählt. Als Partner.
Als Träger der beiden mächtigsten Miraculous, die so eng miteinander verbunden sind, wie keine anderen.«
Mittlerweile erinnerte sein Tonfall Marinette an einen Geschichtenerzähler.
Sie hörte ihm gern zu.
»Ausgerechnet diese Macht und diese besondere Verbindung ist der Grund, warum wir nicht wissen dürfen, wer der andere ist.
Bei den anderen Miraculous ist es nicht so entscheidend. Nur bei uns. Ausgerechnet bei uns ...«
Er verstummte einen Moment.
Als er weitersprach, war der hauchzarte, bittere Unterton wieder vollständig aus seiner Stimme verschwunden.
»Ich bin froh, dass wir uns nicht erst darüber streiten müssen, wer von uns beiden sein Miraculous aufgibt.
Und ich bin erleichtert, dass die äußeren Umstände ganz klar mich zu demjenigen machen.«
Nun spürte Marinette eine leichte Unruhe aufkommen.
Es wurde ernst.
Ein Teil von ihr wollte sich aufrichten und Cat Noir mitteilen, dass sie noch längst nicht ihr Einverständnis gegeben hatte.
Aber sie blieb auf seiner Brust liegen.
Sie wollte hören, was er weiter sagte.
Nach ihrem Gegenvorschlag auf dem Notizblock hatte sie nur so schnell aufgegeben, weil sie mit ihren aufgewühlten Gefühlen seiner Entschlossenheit und ruhigen Sicherheit nichts entgegenzusetzen gehabt hatte.
Doch wenn sie ihn richtig verstand, gab es zwingende, objektive Gründe, die - unabhängig von seiner Liebe und seiner eigenen Entscheidung - für seine Variante sprachen.
»Für den Moment komme ich mit Beta Bug gut klar und sie kann dich vertreten, aber auf Dauer braucht Paris dich als Ladybug.
Ohne deine Erfahrung und deine außergewöhnlichen Fähigkeiten wird es unmöglich sein, Hawk Moth endgültig zu besiegen.
Da bin ich mir sicher.«
Marinette konnte nicht anders, als den Kopf zu heben und Cat Noir mit gerunzelter Stirn anzusehen.
Übertrieb er da nicht etwas?
Er schien kein bisschen überrascht von ihrer Reaktion und grinste sie an.
»Du glaubst, ich übertreibe.«, las er ihre Gedanken. »Meinetwegen. Aber es gibt noch mehr Gründe, warum es wegfällt, dass du deine Ohrringe für immer weggibst.«
Er legte den Kopf leicht schief und musterte Marinette weiter.
»Du hast es noch nicht so weit durchdacht, dass es dir aufgefallen ist.«
Es war eine simple Feststellung, die keine Reaktion verlangte.
Marinette legte sich wieder hin und wartete, dass er ihr seine Gedanken mitteilte.
»Es würde nichts an unserer Situation ändern.«, sagte er schließlich.
»Selbst wenn du deine Ohrringe für immer Beta Bug überlässt, dürften wir noch immer nicht die Identität des andern kennen.
Du wärst noch immer die Hüterin.
Und kein Miraculous-Träger - erst recht nicht Cat Noir, der beim Kampf gegen Hawk Moth immer in der ersten Reihe steht - darf wissen, wer du bist.«
Sie verstand, worauf er hinauswollte.
Sie unterbrach ihn jedoch nicht, sondern ließ ihn aussprechen.
»Du bist nicht wie Meister Fu und die früheren Hüter.
Bei Meister Fu durften wir als Miraculous-Träger nach einiger Zeit wissen, wer er war und wo wir ihn finden konnten.
Dieses Risiko konnte er eingehen, weil er sein ganzes Leben dieser Sache verschrieben hat.
Du hast mir mal erzählt, dass er seine große Liebe dafür hat aufgeben müssen. Er hat sich völlig isoliert, um ja keine Angriffsfläche zu bieten.
Du kannst diese Art von Hüterin nicht sein und er wusste das, als er dich dazu gemacht hat.
Er war sich sicher, dass du einen anderen Weg finden würdest.
Und er hatte recht.«
Cat Noirs Hand streichelte über ihren Oberarm, als wolle er sie trösten. Und er lag gar nicht mal so falsch damit.
Der Gedanke an Meister Fu hatte ihre Stimmung tatsächlich gedrückt.
»Du hast immer sehr darauf geachtet, deine Identität geheim zu halten. Daran dürfte sich auch nichts ändern, wenn du nicht mehr Ladybug bist.
Durch deine Familie und Freunde - und schon bald durch unser Kind - bist du angreifbar.
Du kannst nur die Hüterin sein, wenn die Träger nicht wissen, wer du im echten Leben bist. Auch ich nicht.
Dass ich meinen Ring weggebe, ist also die einzige Option, die wir haben. Wir haben Glück, dass es gleichzeitig auch eine so gute und unkomplizierte Option ist.«
Cat Noir verstummte und statt auf seine Stimme hörte Marinette nun auf seinen ruhigen Atem und seinen Herzschlag.
Genau wie zu Beginn seiner Ausführung war auch jetzt ihre eigene Meinung und Stimmung losgelöst von ihren Gefühlen für ihn.
Sie konnte in seinen Armen liegen und es genießen, obwohl ihr nicht gefiel, was er gerade gesagt hatte.
Marinette erkannte daran, dass sowohl ihre Beziehung zu Cat Noir als auch sie selbst innerlich gewachsen waren.
Sie wollte nicht mit Cat Noir streiten.
Sie wollte nicht böse auf ihn sein.
Und sie wollte nicht, dass dieser Nachmittag ihrer Beziehung in irgendeiner Weise schadete.
Im Moment sah alles danach aus, als wäre es möglich.
Das machte ihr Hoffnung, dass sie einen gemeinsamen Weg finden würden, ohne, dass es ihrer Liebe schadete.
»Und?«, fragte Cat Noir, als schon eine ganze Weile Stille im Raum geherrscht hatte.
Marinette hob den Kopf und sah ihn an.
Sein gefasster, aber dennoch sanfter Gesichtsausdruck bestätigt den Eindruck, denn sie von der Situation hatte.
Was auch immer sie sagte: Es würde sie nicht von ihm entfernen.
Das war ein beruhigender Gedanke.
Sie schrieb ihre Antwort auf den Notizblock und reichte ihn dann Cat Noir, sodass er sie lesen konnte.
Ich würde gern noch etwas länger darüber nachdenken.
Gibst du mir bitte die Zeit?
»Natürlich.«, antwortete er sofort. Dann fügte er noch hinzu: »Danke, dass du es nicht sofort ausschließt und der Sache eine Chance gibst.«
Er lächelte sie an, ohne jeden erkennbaren Funken von Bedrücktheit.
Marinette konnte nicht dasselbe von sich behaupten.
Wie nur konnte Cat Noir es die ganze Zeit so klingen lassen, als würde sie das Opfer bringen?
Warum tat er so, als würde es allein um ihre Gefühle und Wünsche gehen, wo doch das genaue Gegenteil der Fall war?
Warum argumentierte er so unbeirrbar für seinen eigenen, schrecklichen Verlust?
Die Antwort war einfach: Weil er sie und das Kind liebte und mit ihnen zusammensein wollte.
Und weil ihm dafür offenbar kein Preis zu hoch war.
Marinette lehnte sich nach vorn und gab ihm einen langen, innigen Kuss, den er augenblicklich erwiderte.
Vielleicht war es deshalb heute so leicht, trotz unterschiedlicher Meinung einandern innerlich ganz nah zu bleiben: Weil hinter allem die Liebe zueinander stand.
Das war auch bei früheren Meinungsverschiedenheiten der Fall gewesen, aber heute war es so überdeutlich. Vor allem bei Cat Noir hatte die Selbstlosigkeit und Hingabe jedes seiner Worte durchdrungen.
Verstärkt wurde es womöglich auch durch die vielen Zärtlichkeiten, die sie direkt davor miteinander ausgetauscht hatten.
Und womöglich trug auch ihr Kind eine gewisse »Mitschuld« daran, genauer gesagt der Ultraschall.
Der Tag war schon gut gewesen, bevor Marinette die Wohnung betreten hatte, und er würde auch noch gut sein, wenn sie sie wieder verließ.
Denn ganz unabhängig von allem anderem ging es ihrem ungeborenen Kind gut.
Es war gesund und sie hatte es heute zum ersten Mal richtig sehen können.
Diese Freude dann auch noch mit dem Vater des Kindes, der Liebe ihres Lebens, zu teilen ...
Marinette verstärkte den Druck ihrer Lippen und ließ sich fallen.
Für den Moment war alles Wichtige gesagt und es gab nichts mehr, was gegen diesen Kuss sprach - oder gegen mehr als einen Kuss.
Sowohl mit ihrem Mund als auch mit dem Rest ihres Körpers signalisierte sie Cat Noir ihren Wunsch und ohne zu Zögern erwiderte er ihre Impulse.
Die Tatsache, dass Marinette noch immer nackt war, machte es im besonders leicht. Keine störende Kleidung.
Auf ihn traf das zu ihrem Bedauern nicht zu, aber das konnte man ändern.
Sie wusste, dass es keinen Zweck hatte, am Leder seines Anzuges zu zerren. Sie tat es trotzdem.
Binnen weniger Sekunden hatten sich ihre Berührungen und Bewegungen so weit hochgeschaukelt, dass Marinette jegliche Geduld verlor.
Sie wollte seine Haut wieder auf ihrer spüren!
Wenn sie gekonnt hätte, hätte sie die entscheidenden Worte stellvertretend für Cat Noir ausgesprochen. So allerdings musste sie sich fest auf die Unterlippe beißen, um ihn nicht frustriert anzufauchen.
Worauf wartete er noch?
Eben war er noch ganz wild darauf gewesen, seinen Ring loszuwerden, und jetzt konnte er sich nicht von seiner schwarzen Lederkluft verabschieden?
Es fiel ihr immer schwerer, ihre Lippen noch länger von seinem Mund fernzuhalten und ihm die Möglichkeit zum Sprechen zu geben.
Sie senkte den Kopf, schob seinen Anzugkragen so weit nach unten, wie es ihr möglich war, und biss in die weiche Haut an seinem Hals - gerade fest genug, dass er es nicht ignorieren konnte.
Sein Griff um ihre Schenkel verstärkte sich.
Mit ihren Zähnen gab sie die Stelle wieder frei, doch ihre Lippen saugten sich dort fest; beinahe wie eine Drohung, dass sie erneut zubeißen würde, wenn er nicht endlich tat, was sie wollte.
Sein beschleunigter Atem schien ihm das Aussprechen der Worte zu erschweren, aber endlich verließen sie seinen Mund.
Noch ehe sein Anzug vollständig verschwunden war, waren Marinettes Finger bereits am Saum seines T-Shirts und rissen das Kleidungsstück nach oben. Cat Noir half ihr dabei, das Shirt über seinen Kopf zu ziehen.
Sobald sein erster Arm frei war, schlang er ihn um ihre nackte Taille und zog sie an sich.
Natürlich hatte nicht nur sie sich nach direktem Körperkontakt gesehnt.
Irgendwo schräg hinter sich hörte Marinette einen Laut – eine Mischung aus unterdrücktem Aufschrei und Würgegeräusch.
Plagg.
Wenn sie dafür Kapazität gehabt hätte, wäre sie vor Scham im Boden versunken - immerhin saß sie splitternackt auf Cat Noirs Schoß, sie klammerten sich aneinander wie Ertrinkende und küssten sich, als wollten sie einander jedes einzelne Molekül an Atemluft stehlen.
Allerdings hatte sie keine Kapazität dafür.
Sie war viel zu sehr mit dem halb nackten Kerl vor und unter sich beschäftigt.
Und so war Plagg nur ein unbedeutendes Detail am Rand ihres Bewusstseins und es brauchte lediglich eine leichte Bewegung von Cat Noirs Hüfte, damit sie das schwarze Kwami vollständig vergaß.
Niemand war besser darin, ihren Kopf von Nebensächlichkeiten zu befreien, als Cat Noir mit seinen warmen Händen und seinen fordernden Lippen.
Das bewies er ihr heute nicht das erste Mal.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top