Marinette starrte auf ihren Handybildschirm hinab. Und sie spürte, wie die Panik in ihr nach oben stieg.
Zu früh!
Viel zu früh!
Sie war unfähig, sich zu rühren.
»Marinette?« Tikki schaute vorsichtig aus ihrer Tasche.
»Du solltest dich beeilen!«
Marinette ließ ihren Blick vom Display ihres Handys hinab zu ihrem Kwami gleiten.
»Ich ... ich kann das nicht!«, sagte sie panisch.
»Natürlich kannst du das!«, erwiderte Tikki in energischem Ton.
»Du hast noch nie als Ladybug versagt. Selbst als du schrecklichen Liebeskummer wegen Adrien hattest, hast du deine Pflicht erfüllt und Paris gerettet.
Dann wirst du es dieses Mal erst recht schaffen.«
»Aber -«
»Kein Aber!«
Tikki hatte mal wieder ihren Generalston angeschlagen.
»Reiß dich zusammen! Du weißt, dass du es hinbekommen wirst, auf ihn zu treffen.
Hawk Moth hat euch beide lang genug geschont.
Jetzt ist es Zeit, dass ihr einander beweist, dass eure Entscheidung richtig gewesen ist. Und: dass ihr vernünftig genug seid, eure Pflichten über eure eigenen Wünsche zu stellen.
Ihr seid Superhelden! Keine unüberlegt handelnden Kinder.
Ihr werdet euch doch für eine halbe Stunde pro Woche zusammenreißen können, oder?«
»Ist ja schon gut!«
Marinette atmete tief durch, setzte sich endlich in Bewegung und eilte in eine Seitenstraße – sie war gerade noch auf dem Heimweg von der Schule gewesen.
Noch im Laufen schrieb sie ihren Eltern, dass sie etwas später kommen würde und keine drei Minuten später zog sie sich als Ladybug mit ihrem Jo-Jo nach oben auf das nächstgelegene Hausdach.
Ihr Herz schlug etwas schneller als gewöhnlich.
Aber Tikki hatte recht.
Sie war eine Superheldin und Cat Noir war ihr Superhelden-Partner. Sie hatten schon mehr als einmal bewiesen, wie gewissenhaft sie sein konnten.
Ihre ehemalige Beziehung würde kein Problem darstellen – dafür würden sie beide schon sorgen.
Es würde kein lockeres, freudiges Wiedersehen werden.
Aber der akumatisierte Superschurke würde zumindest verhindern, dass peinlich berührtes Schweigen aufkam.
Marinettes Herz machte einen Satz, als sie Cat Noir erblickte.
Aber das war auch schon alles.
Sie stolperte nicht über ihre Füße.
Sie verhedderte sich nicht in ihrem Jo-Jo.
Und sie verlor auch nicht die Kontrolle über ihre Gesichtszüge.
Sie landete neben ihm auf dem Dach mit der besten Aussicht auf den Superschurken, der unten auf der Straße wütete.
Sie nickte ihm kurz zu und er erwiderte die Geste mit einem gefassten, konzentrierten Gesichtsausdruck.
Sie wechselten kein Wort miteinander, sondern stürzten sich gleichzeitig in den Kampf.
Sie waren kein Paar mehr, aber das bedeutete nicht, dass sie das stumme Verstehen verlernt hatten.
Es reichten noch immer ein paar schnelle Blicke aus, um zu wissen, was der andere vor hatte.
Und wie jedes Mal, seit sie ihre Freundschaft vertieft hatten, agierten sie als das schnelle, perfekte und eingespielte Superhelden-Team.
Es fühlte sich für Marinette gut an, nach vergleichsweise langer Zeit wieder zu kämpfen.
Der fokussierte Blick auf die Situation und die Spannung in jeder ihrer Bewegungen waren noch immer vertraut, und trotz der Vertrautheit war all das genau richtig, um sie von ihren Gedanken an Cat Noir abzulenken.
Sie fühlte sich endlich einmal wieder wie Ladybug.
Stark und mutig und unerschrocken.
Und eine weitere Rettung der Stadt gab es als Bonus obendrauf.
Als sie den Akuma eingefangen und den Glücksbringer in die Luft geworfen hatte, fühlte Marinette sich kein bisschen erschöpft, sondern eher erfrischt.
Klarer im Kopf.
Sie drehte sich zu Cat Noir um, der sich gerade um den ehemals akumatisierten Pariser kümmerte.
Das gab ihr die Gelegenheit, ihn kurz unbemerkt zu mustern.
Er machte einen ruhigen und gefassten Eindruck.
Als er lächelte, wirkte es kein bisschen erzwungen.
Und als er sich vom Boden aufrichtete und sich ihr zuwandte, waren seine Bewegungen voller Entschlossenheit.
Kein Zögern. Keine Unsicherheit.
Er kam auf sie zu und sie lächelte ihm ganz leicht entgegen.
Sie konnte es unmöglich mit Sicherheit sagen, aber er sah glücklich aus. Oder zumindest sah er nicht unglücklich oder gar leidend aus.
Sie klammerte sich an den flüchtigen Eindruck, dass es ihm gut ging.
Sie hätte sich gern Gewissheit verschafft, doch sie würde sich hüten, ihn danach zu fragen.
Egal was er antwortete: Es würde ihr wehtun.
Wenn er tatsächlich glücklich war, bedeutete das, dass er sie hinter sich gelassen hatte und sich vielleicht sogar mit einer Anderen traf.
Und wenn er nicht glücklich war, war das sogar noch schlimmer.
Es würde bedeuten, dass ihre Trennung zwar nach wie vor die richtige Entscheidung war, aber es länger als geplant dauern würde, bis sie ihr Ziel – Glücklichsein ohne einander – erreicht hatten.
Dass er litt und auf unbestimmte Zeit weiter leiden würde.
Und noch einen Grund hatte Marinette, ihrem Drang nach Antworten nicht nachzugeben:
Es würde Cat Noir davon abhalten, ihr dieselbe Frage zu stellen.
In gewisser Weise kam sie zwar in ihrem neuen Leben ohne ihn zurecht, aber glücklich war sie noch nicht.
Und während er vor ihr stand und ihr in die Augen sah, würde sie es ihm das auch nicht überzeugend weismachen können.
Sie wusste, dass er sie durchschauen würde – im schlimmsten Fall sogar bis zur hintersten Ecke ihres Herz, dort, wo sie die unveränderte Liebe zu ihm verborgen hatte.
Sollte er etwas in ihren Augen erkennen und sie fragen – sie würde ihm nichts vormachen können.
Also war es gut, dass sie beide schwiegen, als sie nun voreinander standen.
Cat Noir streckte Marinette seine Faust entgegen und sie hob ebenfalls ihren Arm.
Als ihre Faust auf seine traf, starrte Marinette auf diese vertraute Geste hinab - ihre erste Berührung seit ihrer Trennung.
Und sie bekam kein einziges Wort heraus.
Sie hob den Kopf und erwiderte Cat Noirs Blick.
Währenddessen schwebten ihre Fäuste noch immer zwischen ihnen in der Luft. Fingerknöchel an Fingerknöchel.
»Gut gemacht.«, sagte er.
Marinette glaubte, ein leichtes Zögern aus seiner Stimme herauszuhören. Und auch sein Blick wirkte deutlich weniger sicher und gefasst, als noch wenige Sekunden zuvor.
Sie schluckte schwer und sagte ebenfalls: »Gut gemacht.«
Dann zogen sie beide gleichzeitig ihre Hände zurück, und Marinette machte einen Schritt nach hinten.
»Ich geh dann mal.«, sagte sie, »Ich verwandle mich gleich zurück.«
Es war offensichtlich eine Ausrede.
Sie hatte noch mehrere Minuten Zeit – und Cat Noir wusste das.
Doch er nickte und erwiderte: »Ja, ich auch.«
»Wir sehen uns.«
Sie verzog den Mund kurz zu einem flüchtigen Lächeln und ergriff dann die Flucht.
Sie drehte sich nicht noch einmal zu Cat Noir um, doch sie wusste trotzdem, dass er in die entgegengesetzte Richtung verschwand – vielleicht sogar genauso fluchtartig wie sie.
An einen Schornstein gelehnt wartete Marinette ab, bis sie sich zurückverwandelte.
Sie hatte den Kopf in den Nacken gelegt und die Augen geschlossen.
Als Tikki erschien, wünschte sie sich, ihr Kwami würde schweigen, doch Tikki erfüllte ihr diesen Wunsch nicht.
»Du hast das sehr gut gemacht.«, sagte sie.
»Ich bin stolz auf dich.
Du warst ruhig, konzentriert und effizient. Ich bezweifle, dass jemand anderes das so gut hinbekommen hätte, wie du.«
Ohne etwas zu erwidern, holte Marinette ein Macaron aus ihrer Tasche und reichte es Tikki.
Ihr war nicht nach Reden zumute.
Denn wenn sie erst einmal anfing, auszusprechen, was da in ihrem Kopf war, würden womöglich auch die verbotenen und unerwünschten Gedanken nach draußen gelangen.
Während Tikki noch aß, holte Marinette ihr Handy hervor und schaltete es ein.
Sie zögerte noch einen Moment, dann schrieb sie eine weitere, knappe Nachricht an ihre Eltern, dass sie noch länger unterwegs sein würde.
Sie war mit ihren Worten nur sehr vage, um nicht lügen zu müssen.
Und sie hoffte, dass sie nicht weiter nachfragen würden.
Die Chancen standen nicht schlecht.
Ihr Hausarrest war seit Montag aufgehoben und obwohl die beiden diese Strafe verhängt hatten, hatten sie auch Verständnis für ihre Tochter.
Sie konnten nachvollziehen, dass sie ihre zurückgewonnene Freiheit nun auskosten wollte.
Marinette hatte am Vortag sogar das Gefühl gehabt, dass ihre Mutter sie regelrecht dazu hatte drängen wollen, wieder mehr rauszugehen.
Vielleicht machte sie sich noch immer Gedanken über den Abend, an dem ihre Tochter verheult von ihrem Date zurückgekehrt war.
Vielleicht hatte sie unterbewusst auch ein schlechtes Gewissen wegen des Hausarrests.
Es würde zu ihr passen.
Marinettes Mutter war schon immer voller Mitgefühl gewesen - selbst wenn sie selbst eine wohlverdiente Strafe verhängte.
Marinette verstaute ihr Handy wieder und kurz darauf hatte Tikki ihr Macaron aufgegessen.
Erwartungsvoll sah sie Marinette an.
Doch diese zögerte noch.
»Was ist los?«, fragte Tikki. »Willst du noch etwas hier oben bleiben? Dann solltest du dich trotzdem verwandeln. Das ist sicherer.«
Wieder ging Marinette nicht auf Tikkis Worte ein.
Sie schüttelte nur ganz leicht den Kopf und sagte leise: »Tikki, verwandle mich!«
Sie legte den Kopf wieder gegen den gemauerten Schornstein in ihrem Rücken und starrte in den Himmel hinauf.
Tikki hatte sich geirrt.
Sie hatte mit der Verwandlung nicht gezögert, weil sie noch länger hier auf diesem Dach bleiben wollte, sondern weil sie Angst davor hatte, von hier wegzugehen.
Wenn sie in ihren Ohrringen war, konnte Tikki sie nicht von der Dummheit abhalten, die sie seit dem Moment begehen wollte, als sie vom Ort des Kampes geflohen war.
Wie erwartetet hielt sie keine drei Minuten durch.
Sie erhob sich und setzte sich in Bewegung.
Doch statt sich auf den Heimweg zu begeben, steuerte sie direkt auf ein anderes pariser Gebäude zu.
Ein Gebäude mit einer Dachterrasse, einem verriegelten Dachfenster und einer unbewohnten Wohnung im obersten Stockwerk.
Als sie im Wohnzimmer neben dem roten Sofa auf dem Boden landete, atmete Marinette erleichtert auf.
Endlich bekam sie wieder Luft.
Für Tikki hatte es ausgesehen, als hätte sie ihre Aufeinandertreffen mit Cat Noir ohne Probleme überstanden.
Aber in Wahrheit war sie nicht einmal annähernd so stark und gefasst gewesen, wie es nach außen hin gewirkt haben musste.
Diese kurze Berührung zwischen ihr und ihm ...
Und der Blick in seine Augen ...
Ganz offensichtlich war sie noch nicht einmal halb so weit über ihn hinweg, wie sie selbst sich bisher eingeredet hatte.
Was würde passieren, wenn sie sich bei ihrem nächsten Superhelden-Einsatz noch näher kamen?
So wenig direkter Kontakt wie heute war eine Seltenheit.
Für gewöhnlich kamen sie sich bei ihren Kämpfen deutlich näher – fingen sich gegenseitig auf, hielten sich fest, trugen sich aus Gefahrensituationen.
Wie sollte sie das in Zukunft nur aushalten?
Wie sollte ihr Herz das aushalten?
Marinette ging mit schnellen Schritten auf die Schlafzimmertür zu.
Hier in der Wohnung zu sein, half bereits – es fühlte sich nicht mehr so an, als würde sie an ihren aufgewühlten Gefühlen ersticken.
Trotzdem wollte sie nun so schnell wie möglich in das große Doppelbett kriechen.
Und vielleicht würde sie dort – trotz der Tageszeit – ein wenig Schlaf finden.
Und träumen.
Nur ein kleinwenig von Cat Noir träumen, bis es ihr wieder besser ging.
Sie öffnete die Tür und machte einen Schritt in das Zimmer hinein.
Die Gardine war von ihrem letzten Besuch noch zugezogenen und ihr dicker Stoff tauchte den Raum in ein gedämpftes, rötliches Licht.
Perfekt zum Schlafen.
Marinette wollte gerade die Tür hinter sich schließen, als sie ihn bemerkte – Cat Noir, der in dem Winkel hinter der Tür stand.
Erschrocken zuckte sie zurück und prallte mit dem Rücken gegen den Kleiderschrank.
»Cat!«, rief sie aus.
Er stand einfach nur da und sah sie an.
Das eingefärbte Tageslicht ließ alles an ihm verändert aussehen.
Sein Haar wirkte eher braun als blond, sein schwarzer Anzug hätte genauso gut dunkelrot sein können und sein Gesicht ...
Marinette konnte nicht genau sagen, was die Beleuchtung mit seinem Gesicht machte.
Vielleicht waren es auch seine weit aufgerissenen Augen, die ihn so ... beschwörend aussehen ließen.
Eindringlich.
Fesselnd.
Sein Anblick ging ihr direkt unter die Haut.
»Was tust du hier?«, fragte er.
Seine Stimme war weit davon entfernt, tonlos oder distanziert zu klingen, doch Marinette konnte nicht sagen, was dieser Unterton bedeutete.
»Ich ... ich ...«, stammelte sie.
»Tut mir leid! Ich wusste nicht, dass du hier sein würdest.«
Das war natürlich keine Antwort auf seine Frage. Aber mehr fiel ihr nicht ein.
»Es ist nicht das erste Mal, dass du wieder hier warst.«, meinte er und sah dabei kurz zu der geschlossenen Gardine und dem Bett hinüber.
Das war eine Feststellung. Keine Frage.
Trotzdem hatte Marinette das Bedürfnis, etwas darauf zu erwidern.
»Ich wollte nur ...«
Ja, was hatte sie hier gewollt?
Auf jeden Fall nichts, was sie ihm sagen konnte.
Also wiederholte sie nur: »Es tut mir leid. Ich ... geh sofort und komme nie wieder her.«
Sie wollte durch die Tür verschwinden, doch Cat Noir stellte sich ihr in den Weg.
Wie er so breitschultrig und aufrecht zwischen ihr und dem Ausgang stand ...
Und mit dem rötlichen Schein auf seinem Gesicht ...
Es hätte beinahe bedrohlich aussehen können.
Doch dafür waren seine Gesichtszüge viel zu sanft.
»Ich gehe.«, sagte er. »Du kannst hierbleiben. Und du kannst jederzeit herkommen, wenn du willst.
Du musst keine Angst haben, hier wieder auf mich zu treffen.
Die Wohnung gehört ganz dir.«
»Warum solltest du das tun?«, fragte Marinette leise und bereute die Worte sofort.
Zu ihrer Erleichterung antwortete er nicht; sah sie nur weiter an.
Erst jetzt wurde es ihr bewusst: Sie sahen sich schon viel zu lang an.
Sie sollten nicht hier sein – keiner von ihnen.
Und erst recht nicht sollten sie sich in diesem Schlafzimmer gegenüberstehen und sich so tief in die Augen sehen.
Schließlich antwortete Cat Noir doch noch auf ihre Frage.
»Ich habe sie nur für dich gemietet und daran hat sich auch nichts geändert.
Ich weiß selbst nicht, warum ich hergekommen bin.«
In seinen Augen blitzte es kurz auf und Marinette wusste, dass er das gleiche dachte wie sie: Dass diese Aussage ein Fehler gewesen war.
So etwas durfte er nicht sagen.
Weder durfte ihre Beziehung Gesprächsthema zwischen ihnen sein, noch Cat Noirs Verwirrung über sein Herkommen.
Das war zu persönlich.
Und es verriet Marinette zu viel darüber, was gerade in ihm vorging.
Cat Noir wich einen Schritt von ihr zurück. In seinem Gesicht zuckte es.
»Ich gehe schon!«, ergriff Marinette die Initiative.
Sie wollte an ihm vorbei gehen und endlich dieser qualvollen Situation entfliehen.
Doch im gleichen Moment machte auch er einen weiteren Schritt nach hinten und mitten im Türrahmen stießen sie aneinander.
Erschrocken sog Marinette die Luft ein und zuckte zurück.
Auf einen Schlag war sie so verwirrt, dass sie sich an der offenen Tür festhalten musste, um nicht zu stürzen.
Hatte er das gerade mit Absicht getan?
Hatte er sie davon abhalten wollen, zu gehen?
Oder hatte er nur im genau gleichen Moment wie sie aus dem Raum flüchten wollen?
Auch Cat Noir war vor ihr zurückgeschreckt.
Mit dem Rücken so fest gegen den Türrahmen gepresst, als würde allein dieses Stück Holz ihn vor einer Katastrophe bewahren, stand er da und sah sie mit weit aufgerissenen Augen an.
»Wir sollten ...«
»... jetzt gehn.«, beendete Marinette seinen Satz.
Er nickte.
Marinette fügte hinzu: »Wir hätten beide ...«
»... nicht herkommen sollen.«
Diesmal hatte Cat Noir ihren Satz beendet.
Noch immer sahen sie sich an.
Marinette wollte wegsehen.
Sie wollte sich an ihm vorbei durch den Türrahmen zwängen und das einzig Richtige tun: Verschwinden.
Doch seine grünen Katzenaugen machten es ihr unheimlich schwer.
Wunderschöne, vertraute, einmalige Katzenaugen.
Marinette schluckte schwer.
Dann löste sie sich endlich von der Tür und ging mit zwei wackeligen Schritten auf den halb versperrten Ausgang zu.
Sie wünschte sich, dass Cat Noir auswich.
Und gleichzeitig wünschte sie sich, dass er seinen Arm ausstreckte und ihr vollends den Weg versperrte.
Er tat nichts von beidem.
Er rührte sich keinen Millimeter. Schaute sie nur weiter an.
Marinette wollte weiterlaufen - die letzten zwei Schritt aus dem Raum heraus machen.
Doch ihr Körper blieb einfach stehen.
Und sie musste sich mit der Hand am Türrahmen abstützen, um nicht gegen Cat Noir zu taumeln.
Noch immer war der Blickkontakt zwischen ihnen nicht abgebrochen.
Marinettes Herz schlug ihr bis zum Hals und ohne, dass sie etwas dagegen tun konnte, lehnte sich ihr Körper immer weiter zu ihm hinüber.
Sie konnte sehen, wie sein Blick flackerte.
Dann reagierte endlich ihr Arm. Er spannte sich an, hielt sie am Türrahmen fest und verhinderte, dass sie vollends gegen Cat Noirs Brust sank.
Das war gut.
Gerade noch rechtzeitig.
Anscheinend war irgendein Teil ihres Gehirns noch nicht von seinen grünen Augen außer Gefecht gesetzt worden.
Es machte ihr ein kleinwenig Hoffnung.
Wenn sie es jetzt noch schaffte, den Türrahmen zu verlassen und das Wohnzimmer zu durchqueren ...
Auf einmal stieß Cat Noir sich von genau diesem Türrahmen ab und sein Gesicht kam auf sie zu.
Der kleine, vernünftige Teil ihres Kopfes ließ zu zurückweichen, doch viel Platz war da nicht.
Jetzt stand sie plötzlich mit dem Rücken gegen das Holz des Türrahmens gepresst.
Und Cat Noir?
Er hatte seine Hand neben ihrem Kopf abgestützt und war so weit über sie gelehnt, dass er ihr gesamtes Sichtfeld ausfüllte.
Und schon wieder war da dieses Flackern in seinem Blick.
Marinette konnte spüren, wie schnell sein Atem ging; wie sein Brustkorb sich hob und senkte und die Luft um ihn herum zum Vibrieren brachte - so sehr, dass sie es in ihrer eigenen Brust spürte und sich ihr Atem ganz von selbst an seinen anpasste.
»Wir ...« Cat Noir befeuchtete sich die Lippen, »Wir sollten das nicht tun.«
Seine Stimme klang kratzig.
Und obwohl er leise sprach, fuhr jede Silbe – jeder Zungenschlag – Marinette direkt unter die Haut.
»Wir ... sollten gehen.«, stimmte sie ihm zu, nachdem sie schwer geschluckt hatte.
Er nickte ganz leicht.
Doch er rührte sich nicht von der Stelle.
»Wir.«, dachte Marinette, »Viel zu viele Wirs.«
Irgendwie schaffte sie es, die Augen vor seinem Blick zu verschließen.
Erträglicher wurde es jedoch nicht.
Es waren nicht nur Cat Noirs Augen, die sie gefangen hielten, sondern einfach alles an ihm.
Sie spürte jeden Millimeter Raum, den er um sie herum einnahm; spürte, wo sich seine Hände, Arme, Beine, wo sich seine Hüfte, sein Gesicht und seine Lippen befanden.
»Cat ...«, hörte sie sich selbst gegen ihren Willen flüstern.
Qualvoll und drängend.
Er kam ihr noch näher.
»Wir dürfen das nicht tun.«, hauchte sie – wohlwissend, dass es auch dadurch nicht mehr aufzuhalten war.
Sie öffnete die Augen und in seinem Blick erkannte sie all die Dinge, die ihr selbst gerade durch den Kopf gingen.
All die Sätze, die sie aussprechen sollten, aber keiner von ihnen über die Lippen brachte.
Dass sich nichts geändert hatte.
Dass sie noch immer kein Paar sein konnten.
Dass es ein Fehler war, sich so nah zu kommen.
Und dass sie es bereuen würden, wenn sie jetzt weitermachten.
Vielleicht war das sogar noch mehr in seinem Blick.
Marinette war sich nicht ganz sicher.
Vielleicht gab es noch mehr Gründe, warum es ein Fehler wäre.
Vielleicht hatte er sein Versprechen längst gehalten und war in seinem Alltag mit jemand anderem zusammen.
Es kostete sie unheimlich viel Mühe, doch sie gab ihm noch fünf weitere Sekunden.
Fünf Sekunden, in denen er von selbst den Mund aufmachen und es doch noch verhindern konnte.
Aber direkt danach fragen würde sie nicht.
Sie würde überhaupt nichts mehr sagen, um es noch aufzuhalten.
Denn neben all den Gründen, es nicht zu tun, die sie in Cat Noirs Augen sah, erkannte sie in ihnen auch das Gleiche, was er in ihrem Blick sehen musste: Liebe und Verlangen.
Die fünf Sekunden waren vorbei.
»Ladybug ...«, hörte sie ihn flüstern. »Ich -«
Sie ließ ihn nicht ausreden, sondern verschloss seine Lippen mit einem Kuss.
Was auch immer er vorgehabt hatte, zu sagen: Sie wollte es nicht hören.
Sie wollte ganz andere Dinge von ihm.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top