12
Es war nur der Bruchteil des Bruchteils einer Sekunde gewesen, in dem die Entscheidung gefallen war.
Für Marinettes hatte es zwei Optionen gegeben.
Zwei Möglichkeiten, auf das lautlose Dahingleiten des Akumas zu reagieren.
Und ihr Kopf – oder welcher Teil von ihr auch immer – hatte sich für die zweite davon entschieden.
Statt die Maske vom Gesicht zu nehmen, war sie Cat Noir um den Hals gefallen.
Und statt ihm zu sagen »Ich heiße Marinette.«. hatte sie ihn angefleht, ihr zu vertrauen.
Nun war es zu spät.
Zu spät, diese Entscheidung zu überdenken – oder überhaupt erst einmal darüber nachzudenken.
Sie konnte nur noch abwarten.
Cat Noir zu halten, war tröstlich, aber sein Herzschlag war das, woran sie sich gerade festhielt.
Sie war sich sicher, dass sie es spüren würde, wenn er sich verwandelte. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass sein Herzschlag der gleiche blieb, wenn er zu Cat Blanc wurde und deshalb war alles in ihr auf diesen gleichmäßigen Rhythmus ausgerichtet.
Jeder einzelne Schlag war wie ein kleiner Sieg.
Die Zeit verging.
Herzschlag um Herzschlag.
Marinette wagte es nicht, die Augen zu öffnen.
Vielleicht lag sie falsch.
Vielleicht würde Cat Blanc genauso reglos dastehen wie Cat Noir.
Vielleicht würde sein Herzschlag sich genauso anhören.
Und vielleicht war der Mensch, den sie liebte, bereits verschwunden.
Doch da rührte er sich. Er hob den Arm und legte seine Hand auf ihrem Rücken ab.
Seine Erwiderung der Umarmung war so zögerlich und behutsam, wie sie es noch nie erlebt hatte; wie sie es von ihm gar nicht kannte.
Für gewöhnlich war sein Griff fest und unnachgiebig – als wöllte er sie nie wieder loslassen oder als hätte er Angst, sie könnte ihm entwischen.
Nun schien ihm sogar diese zarte Berührung schwerzufallen.
Trotzdem war sie eine der schönsten Gesten, die sie jemals von ihm gespürt hatte.
Denn obwohl sie so untypisch für ihn war, erkannte sie ganz klar ihn dahinter.
Ihren Cat Noir.
Sie spürte den Schmerz und die Verzweiflung dahinter, die sie kurz zuvor in seinen Augen gesehen hatte. Sie wusste genau, warum diese Geste ihm so schwerfiel.
Nicht, weil er nun von Hawk Moth manipuliert wurde, sondern weil er gerade die Person im Arm hielt, die ihn gebrochen hatte – und die er trotzdem noch immer liebte.
»Cat ...«, flüsterte Marinette.
Ihre Stimme klang so schwach und kratzig, dass selbst ihre Mutter sie nicht wiedererkannt hätte.
»Bitte gib mir noch bis morgen Abend Zeit! Dann werde ich dir alles erklären.«
»Du willst es mir erklären?«, fragte er.
Seine harte, kalte Stimme stand im so klaren Kontrast zu seiner zarten Berührung, dass Marinette für einen Moment tatsächlich Angst bekam und die Augen öffnete.
Sein schwarzer Anzug bestätigte es ihr.
Er war Cat Noir.
Aber ob er noch ihr Cat Noir war, dabei konnte sie sich auf einmal nicht mehr sicher sein.
»Was gibt es da zu erklären?«, redete er weiter, »Du warst mehr als deutlich. Ich hab verstanden.«
Marinette löste sich aus der Umarmung, um ihm ins Gesicht zu sehen, während sie mit dem Kopf schüttelte.
»Du kannst es nicht verstehen. Weil du noch gar nicht alles weißt.«
Dann wiederholte sie ihre Bitte: »Gib mir bis morgen Abend Zeit.«
»Warum erklärst du es mir nicht jetzt?«
Mit jedem Wort schien die harte Fassade, hinter der Cat Noir seine verletzten Gefühle zu verbergen versuchte, weiter zu schwinden.
Marinette musste schwer schlucken, bevor sie auf seine Frage antworten konnte.
»Weil ich es jetzt mit Sicherheit falsch machen würde. Ich bin viel zu aufgewühlt und verwirrt und erschöpft.
Und es ist zu wichtig, als dass es schiefgehen darf.«
Sie wollte ihre Hand an seine Wange legen, doch er wich vor der Berührung zurück.
»Dir ist hoffentlich bewusst, dass du das nicht mehr lang mit mir machen kannst. Du kannst mir nicht in einem Moment Hoffnungen machen und im nächsten ...«
Er beendete den Satz nicht und presste stattdessen die Lippen fest aufeinander.
Erst jetzt spürte Marinette, wie erschöpft und aufgewühlt sie gerade war, denn ohne Vorwarnung tauchte Gereiztheit in ihrem Innern auf. Sie konnte Cat Noirs Schmerz verstehen und sie teilte ihn, doch nach diesen Worten musste sie sich sehr zusammenreißen, um ihm keine ärgerliche Erwiderung entgegenzuschleudern.
Er hatte jedes Recht, verletzt zu sein, aber seine Vorwürfe waren trotzdem nicht fair.
Er hatte das Thema angesprochen.
Er hatte unbedingt eine klare Antwort von ihr hören müssen.
Wenn es nach ihr gegangen wäre, hätten sie den heutigen Tag ausschließlich dafür genutzt, um sich über ihre Wiedervereinigung zu freuen.
Sie hatte gestern erst herausgefunden, dass sie schwanger war!
Und erst vor weniger als einer Stunde hatte sie erfahren, dass der Vater ihres Kindes genauso verrückte Zukunftsträume hatte, wie sie selbst; dass er sich mit mehr Begeisterung in diese Elternsache stürzen wollte, als sie zu hoffen gewagt hatte.
Warum nur war dieser Moment so unheimlich kurz und flüchtig gewesen?
Warum musste sie sich bereits jetzt mit Dingen beschäftigen, die selbst eine rundum aufgeräumte und ausgeruhte Marinette überfordert hätten?
Lebensverändernde Entscheidungen, Cat Noirs Verzweiflung, Akumas ...
Das war alles zu viel.
Marinette vergrub das Gesicht in den Händen und hielt die Luft an.
Sie vertraute sich selbst mit jeder Sekunde weniger.
Wie sie gerade zu Cat Noir gesagt hatte: In ihrer momentanen Verfassung musste sie ernsthaft befürchten, das Falsche zu tun.
Vielleicht hatte sie das sogar schon getan.
Ihre aufgewühlten Gefühle und die Erschöpfung verhinderten, dass sie einen klaren Gedanken fassen konnte.
»Gibt mir bitte noch bis morgen Abend Zeit.«, sagte sie zum dritten Mal, nahm die Hände von ihrem Gesicht und erwiderte seinen Blick.
So leise, dass sie sich selbst kaum hören konnte, fügte sie hinzu: »Und bitte hass mich bis dahin nicht.«
»Ich -«
Mehr konnte Cat Noir dazu nicht sagen, denn er wurde von seinem Cat-Phone unterbrochen.
Er griff nach seinem Kampfstab und schob ihn auf, sodass er die eingegangene Meldung sehen konnte.
»Schon wieder eine Superschurkenattacke.«, sagte er tonlos. »Nur ein paar Häuser weiter.
Bleib bitte hier in der Wohnung, bis der Kampf vorbei ist.«
Marinette nickte stumm.
Beinahe war sie erleichtert, dass Cat Noir jetzt gehen musste und ihr damit die Möglichkeit nahm, von ihren Gefühlen überwältig zu werden.
»Wie sehen uns morgen.«
Er machte einen Schritt in Richtung des Dachfensters.
Etwas ließ ihn jedoch zögern.
»Ich ... ich hasse dich nicht.«, sagte er. »Ich hasse nur deinen Standpunkt.«
Er war so schnell bei ihr und gab ihr einen Kuss auf die Wange, dass Marinette es erst richtig realisierte, als er die Wohnung bereits verlassen hatte.
Sie schloss die Augen und versuchte, so viel Trost und Kraft aus dieser Berührung zu ziehen, wie sie nur konnte.
Es war noch nicht einmal 18.00 Uhr, als Marinette in ihr Bett sank, doch nichts hätte sie jetzt noch vom Schlafen abhalten können.
In ihrem Kopf war ein Schalter umgelegt worden und sie dachte und fühlte gar nichts mehr.
Sie vergaß, was an diesem Wochenende alles passiert war.
Sie vergaß den sorgenvollen Blick ihrer Mutter. Sie vergaß die Schulwoche, die vor ihr lag.
Sogar Cat Noir und das Kind und die braune Papiertüte in ihrem Rucksack vergaß sie.
Ruhe war alles, wonach sich ihr Kopf und ihr Herz nun sehnten und das Vergessen erfüllte ihr diesen Wunsch.
Sie rechnete mit einem tiefen, traumlosen Schlaf, an dessen Ende sie wieder genügend Kraft zum Weitermachen haben würde.
Mit dem Vergessen gab sie all ihre Probleme an die Marinette von Morgen ab. Es war ein Schutzmechanismus, mit dem sie sich selbst vor einem kompletten Zusammenbruch bewahrte.
Leider hatte sie nicht damit gerechnet, wie hartnäckig die Schwierigkeiten sich bereits in ihr eingenistet hatten; wie sehr all das schon Teil von ihr geworden war.
Während sie schlief, löste sich der Schleier des Vergessens auf und all die verdrängten Gefühle und Sorgen und Gedanken und Sehnsüchte vermischten sich zu einem Traum.
Marinette stand auf ihrem kleinen Balkon und sah in die Nacht hinaus.
Sie hatte mit seinem Auftauchen gerechnet und spürte es, obwohl er wie immer keinen Laut von sich gab.
Die Lichterkette schien auf einmal nicht mehr in der Lage, die Dunkelheit zu verscheuchen; als würde seine Anwesenheit das Licht absorbieren.
Sie lächelte in sich hinein, setzte jedoch einen weniger verräterischen Ausdruck auf, bevor sie sich zu ihm umwandte.
»Cat Noir.«, sagte sie und sah mit leicht gesenktem Kopf zu ihm auf.
»Marinette.«, erwiderte er, die Stimme weicher als Samt.
»Du hast auf mich gewartet?«
Sie gab ihm keine Antwort darauf und genoss stattdessen die Spannung zwischen ihnen. Genoss es, wie sein Blick sich in ihren bohrte.
»Du streitest es nicht einmal ab.«, redete er weiter und verzog ganz leicht den Mundwinkel.
»Allerdings würde es wohl auch nichts bringen. Dein Outfit verrät dich sowieso.«
Seine Augen glitten völlig ungeniert über ihren Körper und hinterließen ein Kribbeln auf jedem Millimeter Haut, den er mit seinem Blick streifte.
Und da war ungewöhnlich viel freier Haut.
Das Kleid, das sie trug, entsprach so gar nicht ihrem sonstigen Kleidungsstil. Der tiefe Ausschnitt reichte beinahe bis zu ihrem Bauchnabel hinab und der seitliche Schlitz in dem bodenlangen Rock begann bereits an ihrer Hüfte.
Darüber hinaus war der schwarze Stoff nur hauchdünn.
»Vielleicht bist du ja nicht der Einzige, der mich nachts hier besuchen kommt.«, sagte Marinette und wandte Cat Noir mit einem mysteriösen Lächeln den Rücken zu.
Sie legte ihre Hände auf dem Balkongeländer ab und sah auf die Straße hinab.
Nun bohrte sich sein Blick in ihrem Nacken.
»Du darfst ruhig zugeben, dass du mich vermisst hast.«, raunte er. »Das ist kein Verbrechen.«
Seine Stimme verriet ihr, dass er sich ihr näherte und da spürte sie bereits seinen warmen Körper hinter sich.
Er berührte sie nicht und es kostete sie all ihre Selbstbeherrschung, sich nicht an ihn zu lehnen, um das zu ändern.
»Ich habe dich auf jeden Fall vermisst.«
Sein Mund war ihrem Ohr so nah, dass sein warmer Atem darüber strich.
Sie versuchte, weiterhin ruhig zu atmen, doch es fiel ihr mit jeder Sekunde schwerer.
Sie neigte ihren Kopf zur Seite und redete sich ein, dass sie es tat, um von Cat Noirs Lippen zurückzuweichen. In Wahrheit jedoch wollte sie ihm ihren nackten Hals anbieten.
Und er?
Er nahm die Einladung an.
Sein Finger strich eine ihrer Haarsträhnen beiseite und hinterließ mit seiner Kralle einen Kratzer auf ihrem Hals.
Dann trafen seine glühend heißen Lippen auf ihre Haut und Marinettes Hände krallten sich um das Geländer.
Die Berührung war schmerzhaft und wundervoll zugleich; beinahe länger, als sie es aushalten konnte und doch viel zu kurz.
»Marinette.«, flüster er in dem kurzen Moment, nachdem sein Mund sie wieder freigegeben hatte. Dann folgte schon der nächste Kuss, ein kleines Stück unterhalb.
Wieder fühlte es sich an, als würde er ihre Haut gleichzeitig verbrennen und heilen.
Marinette konnte kaum noch aufrecht stehen. Sie biss sich so fest auf die Unterlippe, dass sie Blut schmeckte, trotzdem entwich ihr ein leises Wimmern.
»Soll ich aufhören?«, fragte Cat Noir.
Hastig schüttelte sie den Kopf.
»Ich bin mir auch nicht sicher, ob ich es könnte.«, fügte er hinzu, bevor seine Lippen sich weiter ihren Hals hinab arbeiteten.
Nun kamen endlich auch seine Hände zum Einsatz.
Seine linke Hand legte er auf ihre nackte Schulter, während die rechte seitlich an ihrer Taille hinabglitt und sich langsam dem Rockschlitz näherte.
Marinette hielt den Atem an.
Da stoppte Cat Noir auf einmal in der Bewegung und auch sein Mund löste sich von ihrer Halsbeuge.
»Du musst weiteratmen.«, sagte er. »Du könntest sonst ohnmächtig werden.«
»Ich ... kann nicht.«, presste sie wahrheitsgemäß hervor.
Er ließ seine linke Hand von ihrer Schulter nach vorn gleiten und ließ sie auf Höhe ihres Herzens liegen, knapp unterhalb ihres Schlüsselbeines.
»Dein Herz schlägt auch viel zu schnell.«, stellte er fest.
Nur noch flüsternd fragte er: »Was bedeutet das?«
»Nichts. Das bedeutet gar nichts.«
Endlich hatte sie es fertiggebracht, einen Atemzug zu nehmen.
»Lügnerin.«, erwiderte Cat Noir sofort und sie konnte seiner Stimme anhören, dass er lächelte.
»Es bedeutet, dass du genauso verrückt nach mir bist, wie ich nach dir. Vielleicht hast du dich ja sogar in mich ... verliebt?«
»Wie sollte das gehen? Ich kenne dich doch kaum.«
»Und trotzdem hast du dir dieses Kleid angezogen und auf mich gewartet und zugelassen, dass ich dir so nahekomme.
Gib es zu, Marinette!«
Wieder strich sein heißer Atem über ihren nackten Hals.
»Gib es einfach nur zu und ich mache weiter, wo ich aufgehört habe.«
»Und was ist mir dir?«, wich sie aus. »Was tust du hier?«
»Das, worauf ich gerade Lust habe.«
Obwohl sie seiner Aufforderung nicht gefolgt war, kehrte seine Hand nun zu ihrer Hüfte zurück und glitt zwischen die beiden Stofflagen ihres Rockschlitzes.
»Was ist ... mit Ladybug?«, brachte Marinette mit einiger Mühe die Frage heraus, die sie schon viel eher hätte stellen sollen.
Seine Hand auf ihrem nackten Oberschenkel vernebelte ihre Gedanken, aber nicht genug, um sich ihm vollends hinzugeben.
»Was soll mit ihr sein?«, fragte er. »Sie ist nicht hier.«
»Aber du liebst sie doch!«
»Mach dir keine Gedanken darüber, Marinette. Sie kann hier nicht auftauchen. Sie kann sich gerade nicht verwandeln.«
Nun presste Cat Noir seinen Oberkörper gegen ihren Rücken und stürmischer als zuvor stürzten seine Lippen sich auf ihren Hals und ihre Schulter.
Diesmal fühlte es sich endgültig an, als würde er glühende Kohlen auf ihre Haut pressen.
Marinette wollte vor Schmerz aufschreien, doch ihr Atem hatte wieder gestockt und kein Laut kam aus ihrem Mund.
Sie riss die Augen auf. Da war nur pechschwarze Nacht vor ihr.
Cat Noirs Hand grub sich in ihren Oberschenkel und sie spürte, wie ihre Haut unter seinen Krallen aufriss.
Mit einer qualvoll langsamen Bewegung schob er die Hand wieder aufwärts und als Marinette hinabsah, konnte sie Blut in den Spuren schimmern sehen, die seine Krallen auf ihrer Haut hinterließen.
Und noch etwas sah sie.
Seine Hand, seine Finger und Krallen, war nicht länger schwarz, sondern weiß.
Wieder wollte sie schreien. Wieder fehlte ihr der Atem dazu.
Doch Cat Blanc schien ihre Gedanken lesen zu können.
»Hab keine Angst.«, raunte er. »Es ist nicht deine Schuld. Du hast mit all dem nichts zu tun.
Es war Ladybug. Sie hat mich zerstört.«
»Wie?«, dachte Marinette.
Und auch diesen Gedanken schien er zu hören.
»Sie hat mir unser Kind weggenommen.«, antwortete er. »Sie dachte, sie könnte mich mit ein paar Worten abspeisen und ich würde es einfach hinnehmen. Aber da hat sie sich geirrt.
Ich bin nicht länger ihr braves, kleines Hauskätzchen.«
Da kam auf einmal ein Geräusch aus dem offenen Fenster von Marinettes Zimmer.
Das Schreien eines Babys.
Marinette spürte, wie Cat Blanc hinter ihr sich anspannte und auf einmal hatte sie genügend Kraft, um sich trotz seines festen Griffs ruckartig zu ihm umzudrehen.
Sie wollte nach der Glocke um seinen Hals greifen, um sie zu zerstören und den Akuma freizulassen.
Doch die Glocke war nicht da.
»Du hast mir nicht zugehört.«, sagte Cat Blanc und seine eisblauen Augen gruben sich tief in ihre Seele ein.
»Ich habe doch gerade gesagt, dass ich keine Hauskatze mehr bin.«
Er versetzte Marinette einen Stoß, sodass sie gegen das Geländer in ihrem Rücken stolperte. Dann wandte er sich um und ging auf das Fenster zu, das in ihr Zimmer hinab führte.
Noch immer war die Luft erfüllt vom Geschrei des Kindes.
»Bitte, tue ihr nichts!«, flehte Marinette.
Er wandte sich tatsächlich noch einmal zu ihr um.
»Oh Marinette! Du verstehst genauso wenig wie Ladybug. Ich könnte ihr niemals etwas tun. Sie ist mein Kind.
Das eigentliche Monster hier bin nicht ich.«
Er nahm seinen Blick von ihren Augen und ließ ihn noch einmal über ihren Körper gleiten.
»Schade eigentlich.«, meinte er. »Wenn du auf meiner Seite gewesen wärst, hätten wir viel Spaß miteinander haben können.«
»Cat, bitte!«, flehte sie noch einmal. »Gib Ladybug nicht auf! Gib mich nicht auf!«
»Kataklysmus.«, sagte er leise. Dann streckte er die Hand aus und berührte das Balkongeländer.
Es begann, zu Staub zu zerfallen.
Das letzte, was Marinette sah, bevor sie in die Tiefe stürzte, waren Cat Blancs eisblaue Augen.
Der Übergang zwischen Traum und Wachzustand war so abrupt, dass Marinettes Herz nach ihrem Erwachen noch eine ganze Minute lang wild gegen die Innenseite ihrer Brust hämmerte.
Und auch das Gefühl des Fallens wurde sie nur langsam wieder los.
Als sie sich endlich etwas beruhigt hatte, warf sie einen Blick auf ihr Handy.
4.25 Uhr.
Sie wollte sich schon darüber ärgern, so früh aus dem Schlaf gerissen worden zu sein, als ihr etwas bewusst wurde: Sie konnte die Zeit nutzen.
Zum Beispiel, um endlich wieder Ordnung in ihren Kopf zu bekommen.
Sie schaltete das Licht ein und holte sich mehrere Blätter Papier und einen Stift von ihrem Schreibtisch. Mit einem Buch als Unterlage setzte sie sich wieder auf ihr Bett und begann, zu schreiben.
Zunächst schrieb sie alles auf, was sie gerade beschäftigte.
Alle Sorgen, Ängste, Herausforderungen und Fragen.
Und dann, nachdem sie diese Einzelpunkte geordnet hatte, begann sie, einen Brief zu schreiben.
Einen Brief, der hoffentlich all diesen Problemen ein Ende bereiten würde.
Der Traum hatte Marinette einen Teil ihres erholsamen Schlafes geraubt, aber sie war von ihm nicht eingeschüchtert worden.
Stattdessen hatte er ihr gezeigt, wie weit sie noch davon entfernt war, aufzugeben.
Er war erschreckend und furchtbar gewesen, aber er hatte eben auch nichts mit der Realität zutun gehabt.
Und schon allein diese Gewissheit fühlte sich gut an; machte ihr Mut.
Sie hatte noch immer mehr als genug Möglichkeiten, ihre Zukunft zu gestalten.
Für Cat Noir, für ihr Kind und für sich selbst.
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