11
Die Sekunden, bis die Wohnungstür sich öffnete, fühlten sich wie kleine Ewigkeiten für Marinette an und wenn ihre Hände nicht so gezittert hätten, hätte sie ihren eigenen Schlüssel hervorgeholt, um die Sache zu beschleunigen.
Wie konnte ein Superheld mit übermenschlicher Schnelligkeit, Kraft und Beweglichkeit nur so lang brauchen, um eine verdammte Tür zu öffnen?
Endlich wurde die Klinke von innen betätigt.
Die Tür gab den Blick in die Wohnung frei und Marinette begegnete seinem Blick – seinen Augen.
Traurige Augen.
Kalte und abweisende Augen.
Aber vor allem grüne Augen.
Vor ihr stand Cat Noir und nicht Cat Blanc.
Marinette atmete erleichtert auf, doch ruhig wurde sie nicht.
Noch war die Gefahr nicht gebannt.
Sie ging an ihm vorbei und sah sie sich aufmerksam im ganzen Raum um.
Sie drehte sich um ihre eigene Achse, während sie mit ihrem Blick jeden Zentimeter ihrer Umgebung abtastete.
Cat Noir hatte wortlos die Tür geschlossen und zwei Schritte in die Mitte des Wohnzimmers gemacht.
Das war gut.
Je mehr freier, einsehbarer Raum um ihn herum war, desto besser.
Marinette war sich bewusst, dass sie in ihrer momentanen Verfassung nichts gegen einen Akuma ausrichten konnte.
Aber die Wut in ihrem Innern war noch nicht vollständig verraucht. Und für den Fall, dass einer von Hawk Moths schwarz-violetten Schmetterlingen auftauchte, hatte sie einen Plan.
Sie würde den Schlüsselanhänger, den sie als Hüterin erhalten hatte und der sie selbst vor den Akumas schützte, zu Boden fallen lassen, sich vor Cat Noir stellen und nur noch an ihre Wut auf ihn denken.
Sie hatte die Hand in ihrer Hosentasche bereits fest um den kleinen Anhänger geschlossen.
»Deshalb bist du also zurückgekommen.«, sagte Cat Noir und sie wagte es, ihren Blick kurz von der Umgebung abzuwenden, um ihn anzusehen.
»Du hast Angst, dass ich akumatisiert werde.«
Sie nickte.
Er sollte ruhig wissen, dass sie nicht seinetwegen umgekehrt war; oder zumindest nicht, weil sie ihm vergeben hatte.
»Glaubst du wirklich, dass ich wegen so einem Streit gleich die Beherrschung verliere und meine Gefühle nicht mehr kontrollieren kann?«
Sein Blick war noch immer traurig. Und ungewohnt hart.
Marinette war verwirrt davon.
Es sah alles danach aus, als sei Cat Noir nicht in Gefahr, akumatisiert zu werden, aber gerade das machte die Situation irgendwie überfordernd.
Sie wusste nicht, was sie nun tun sollte, und ihren Gefühlen ging es da genauso.
Obwohl sich etwas in ihr dagegen sträubte, wurde ihre Wut mit jeder Sekunde schwächer und im gleichen Maße klärten sich ihre Gedanken.
Vielleicht war es aber auch Cat Noirs Blick, der sie vollständig in die Gegenwart holte.
In ihrer Hosentasche ließ sie den Schlüsselanhänger aus ihrer Hand fallen.
Was hatte sie sich bei diesem »Plan« nur gedacht?
Er hatte mehr Fehler, als ihr Kopf im Moment aufzählen konnte.
Dass Paris noch immer sicher war, verdankten sie vielleicht allein dem Umstand, dass Cat Noir weit davon entfernt gewesen war, einen Akuma anzulocken.
Beim Einschätzen der Situation hatte Marinette also auf ganzer Linie versagt.
Vermutlich war es ihre eigene Wut gewesen, die ihre Gedanken vernebelt hatte.
Wut auf Cat Noir und Angst um ihn.
Marinette ließ den Kopf hängen und sah auf den Boden.
Es war richtig gewesen, dass sie zurückgekommen war. Wenn auch nur das geringste Risiko bestand, dass Cat Noir Opfer eines Akumas wurde, musste sie alles tun, um das zu verhindern.
Seit gestern war das sogar noch viel wichtiger als vorher, denn inzwischen würde selbst ein Auftauchen von Bunnyx aus der Zukunft für eine Rettung nicht ausreichen.
In ihrem aktuellen Zustand konnte Marinette nicht gegen Cat Blanc kämpfen.
Und Alya?
Sie war eine gute Ladybug, aber ihr fehlte es an jahrelanger Erfahrung.
Sie hätte keine Chance gegen ihn.
Trotzdem fühlte Marinette sich nun schlecht. Und Cat Noirs kalte, harte Stimme machte es noch schlimmer.
»Du kannst gehen, falls du das noch immer willst.«, sagte er.
»Paris ist sicher. Die Miraculous sind nicht in Gefahr. Und du hast noch immer alle Druckmittel in der Hand.
Also alles beim Alten.«
Marinette blinzelte und hob den Kopf.
Was meinte er mit Druckmitteln?
Sie sah ihm ins Gesicht und suchte darin nach der Antwort.
Von dem flehenden Ausdruck, mit dem sie ihn zurückgelassen hatte, war nichts mehr zu erkennen. Stattdessen entdeckte sie Verletztheit.
Und einen bitteren Zug um seine Mundwinkel, der zu seiner Stimme passte.
Ihre Verwirrung nahm weiter zu.
Eben war sie noch ganz klar diejenige gewesen, die Grund gehabt hatte, verletzt und verbittert zu sein.
Aber ohne, dass sie es nachvollziehen konnte oder verstand, waren die Rollen auf einmal vertauscht.
Cat Noir wirkte nicht direkt wütend, aber hart getroffen von .... ja, von was eigentlich?
Die einzig mögliche Antwort, die ihr darauf einfiel, war ihr Abgang. Doch verstehen konnte sie es trotzdem nicht.
Das entscheidende Wort aus seiner Bemerkung – »Druckmittel« – hallte immer wieder durch ihren Kopf.
Weil ihr nichts anderes einfiel und Cat Noir nichts weiter sagte, machte Marinette zwei Schritte auf die Wohnungstür zu und versuchte, sich an ihre Wut zu erinnern.
Es ging ihr gegen den Strich, dass die Atmosphäre auf einmal so seltsam war; dass sie sich plötzlich schuldig fühlte – und noch nicht einmal wusste, weshalb.
Sie hatte die Türklinke bereits in der Hand, als Cat Noir doch noch weiterredete.
»Weißt du, was du mir damit antust? Machst du das mit Absicht?«, fragte er. »Oder ist dir gar nicht klar, wie viel Macht du über mich hast?«
Marinettes Verwirrung wurde noch größer.
Sie zögerte kurz, dann drehte sie sich zu ihm um und sah ihn fragend an.
»Ich weiß nicht, was du meinst.«, versuchte sie, ihm mit ihren Augen zu sagen.
Er fuhr sich mit der Hand durch die Haare und murmelte: »Spricht das nun für oder gegen dich?«
Zu Marinettes Verwirrung gesellte sich nun Verunsicherung. Die Situation wurde ihr immer unangenehmer und sie spielte mit dem Gedanken, den letzten Schritt zu tun und zu gehen.
Aber Cat Noirs Anblick – die Gefühle auf seinem Gesicht – ließen sie verharren. Nicht, weil sie einen Akumaattacke fürchtete, sondern weil sie es nicht übers Herz brachte, ihn so enttäuscht und verletzt zurückzulassen.
Das dort war noch immer die eine Person, die sie auf der Welt am meisten liebte.
»Dir ist also gar nicht klar, wie abhängig ich von dir bin.«, redete er weiter.
Dann stockte er kurz, holte tief Luft und sagte langsam: »Alles, was du tust, hat das Potenzial, mein komplettes Leben auf den Kopf zu stellen – oder es zu zerstören.
So war es schon von Anfang an.
Du hattest alle Fäden in der Hand, in jedem einzelnen Moment, seit wir uns kennen. Und jetzt, wo du schwanger bist, sogar noch viel mehr.«
Schwanger.
Es war das erste Mal, dass er das Wort direkt in den Mund nahm.
Das erste Mal, dass er es aussprach und Marinette ließ das nicht unberührt.
Sie wollte etwas sagen, aber selbst, wenn sie gekonnt hätte, wären ihr wohl nicht die passenden Worte für diese Situation eingefallen - falls es die überhaupt gab.
»Ich hatte mit der Art unserer Superhelden-Partnerschaft nie ein Problem.«, fuhr er mit seiner Erklärung fort, »Es war für mich in Ordnung, dass du immer den Ton angegeben und die finalen Entscheidungen getroffen hast - weil ich weiß, wie gut du darin bist.
Weil ich dir dabei vertraue.
Aber in unserer Beziehung ist das etwas anders; da kann ich das nicht so einfach hinnehmen.
Es ist nicht richtig, dass du die komplette Kontrolle hast und ich einfach nur dabei zusehen muss.«
»Kontrolle?«, dachte Marinette.
Was meinte er damit nur? Wobei hatte sie seiner Meinung nach die Kontrolle?
Seit gestern hatte sie in Cat Noirs Gegenwart ständig das Gefühl gehabt, absolut nichts kontrollieren zu können; war überfordert und unsicher gewesen.
Wie kam er also darauf, dass sie die Situation im Griff hatte?
Sie holte ihren Notizblock aus der Tasche und schrieb hastig eine Erwiderung darauf.
Ich bin von all dem auch überfordert. Ich habe genauso wenig Kontrolle darüber wie du.
Damit Cat Noir die Worte lesen konnte, musste sie auf ihn zugehen und ihm den Block reichen.
Noch nie zuvor waren Schritte auf ihn zu so schwer und unsicher gewesen.
»Und genau dabei irrst du dich.«, erwiderte er, nachdem er die beiden kurzen Sätze überflogen hatte.
»Wir beide sind nicht einmal annähernd in der gleichen Situation.
Du hast alle Möglichkeiten.
Du kannst ganz allein entscheiden und deinen Willen durchsetzen.
Und ich ...«, seine Stimme wurde leise, »Ich kann wie immer nur tatenlos zusehen.«
Für Marinette fühlte es sich an, als hätte er bereits alles Wichtige gesagt.
Als müsste sie seine Gedanken mittlerweile verstehen.
Als würde ihre Verwirrung nur bedeuten, dass sie noch nicht angestrengt genug darüber nachgedacht hatte.
Aber irgendetwas blockierte sie und hielt sie davon ab, seinen Ausführungen zu folgen.
Deshalb war es schon beinahe Verärgerung, mit der sie die nächste Bemerkung auf den Notizblock schrieb:
Sag mir endlich, was genau du meinst!
Cat Noir fuhr sich mit der Hand über die Augen.
Für einen Moment sah es danach aus, als würde er aufgeben; als würde ihm die Kraft für diese Unterhaltung fehlen.
Doch er begann mit ruhiger Stimme zusammenzufassen.
»Es ging schon damit los, wie wir zusammengekommen sind. Unser erster Kuss.
Schon dabei hast du nicht das kleinste Bisschen Kontrolle abgegeben. Du hast mich durch ein Versprechen daran gehindert, in irgendeiner Weise darauf zu reagieren und dann hast du einfach ohne jede Erklärung unsere Freundschaft beendet.«
Ganz so stimme das nicht, aber Marinette wollte ihn nicht unterbrechen. Und ein Teil von ihr musste zugeben, dass er mit seinen Worten durchaus einen Punkt hatte.
Er redete weiter.
»Ich hab erst im Nachhinein begriffen, wie unterschiedlich das Machtverhältnis auch zwischen uns war, an dem Tag, als wir richtig zusammengekommen sind.
Ich habe dich angefleht – angebettelt - um einem Kuss und wieder hattest du alle Karten in der Hand.
Ein einfaches »Nein.« von dir hätte ausgereicht und ich hätte das Thema nie wieder ansprechen dürfen.«
Wieder fuhr Cat Noir sich durch die Haare und Marinette wartete ungeduldig darauf, dass er weiterredete. Offensichtlich war er noch längst nicht am Ende und sie wollte es hinter sich bringen.
Sie wollte, dass es endlich vorbei war.
»Mir ist bewusst, dass es in einer Beziehung immer entscheidend ist, was die andere Person will; dass beide zu jedem Zeitpunkt die Möglichkeit haben, die Sache zu beenden.
Aber bei uns hast du die Grenzen allein festgelegt.
Du hast die Regeln aufgestellt.
Du hast entschieden, wie viel Informationen zwischen uns okay sind.
Und du hast immer darauf geachtet, mir ja nicht zu viel Kontrolle zu überlassen.«
Auf einmal veränderte sich etwas in Cat Noirs Blick. Es passte zu dem plötzlichen Themenwechsel in seinen nächsten Worten.
»Wenn ich tatsächlich glauben würde, dass du zum Schutz von Menschen auf die Geheimhaltung unserer Identität beharrst, hätte ich heute vermutlich nicht diese dumme Bemerkung gemacht.
Aber genau das nehme ich dir nicht ab.
Ich glaube vielmehr, dass du Angst vor der veränderten Situation hast. Davor, dass wir dann gleichberechtigte Partner wären.«
Marinette fühlte sich von seinen Worten angegriffen – mehr, als es ihr lieb war - und ihr Inneres reagierte mit Trotz und Verärgerung.
Sie wollte etwas auf den Notizblock schreiben, doch plötzlich nahm Cat Noir ihr den Stift aus der Hand und hielt ihn außerhalb ihrer Reichweite.
Mit einem entschlossenen Gesichtsausdruck sah er sie an.
»Was wirst du jetzt tun?«, fragte er herausfordernd. »Wirst du jetzt wieder weglaufen, wie du es so gern tust? Wirst du mir jetzt damit drohen, zu verschwinden, damit ich genau das tue, was du willst?«
Marinette funkelte ihn wütend an, doch ihn schien das völlig unbeeindruckt zu lassen.
»Es ist irgendwie ironisch, dass ausgerechnet das Durchsetzen deines Willens das ist, was dich gerade am Reden hindert.
Ich kann dir ansehen, wie gern du mir jetzt die Meinung sagen würdest.«
»Du hast ja keine Ahnung, wie gern.«, dachte Marinette und versuchte sich wieder an ihrem Mörderblick.
Doch auf einmal überraschte Cat Noir sie wieder mit seinem Verhalten.
Sein Gesichtsausdruck wurde sanfter und er reichte ihr den Stift zurück.
»Ich habe kein Bedürfnis, dich zu unterdrücken. Ich liebe dich und ich will, dass du glücklich bist.«
Marinette war so überrascht, dass ihr die Gesichtszüge entglitten. Nun war ihre Gefühlswelt vollends durcheinander.
»Das hier,«, fuhr er fort, »das mit uns: Ich will unbedingt, dass es funktioniert! Es gibt nichts, was ich mir mehr wünsche, nichts, was mich mehr beschäftig und nichts, was mich mehr fertigmacht.
Seit gestern hat sich alles geändert.
Und jetzt weiß ich erst, wie sehr mir dieses Ungleichgewicht zwischen uns zu schaffen macht.
Prinzessin ...«
Seine Stimme war nun unheimlich sanft.
»Bitte versteh doch, warum ich so unbedingt wissen will, wer du hinter der Maske bist.
So, wie es jetzt ist, kann es nicht weitergehen. Das halte ich nicht aus!
Bei einer Schwangerschaft hat die Mutter sowieso schon die volle Kontrolle. Und das ist auch gut so.
Aber bei uns beiden habe ich nichts!
Nichts, woran ich mich festhalten kann.
Keinerlei Sicherheiten.
Zum Beispiel gerade eben: Du wolltest nicht über das Thema reden – obwohl es mir so unheimlich wichtig ist – und du konntest mich sofort mit Leichtigkeit für meine Worte bestrafen.
Fühlt es sich für dich kein bisschen falsch an, dass du mir dabei so weit überlegen bist?
Du kannst verschwinden und mich schmoren lassen, so lang, wie du willst.
Selbst wenn ich es in so einer Situation wöllte: Ich hätte keinerlei Möglichkeit, dich zu finden - weder mit meinen Miraculous-Fähigkeiten noch mit meinem Geld noch mit sonst etwas.
Du hast in jedem Moment die absolute Kontrolle über unsere gesamte Beziehung.«
»Aber ich bin doch in genau der gleichen Lage wie du!«, dachte Marinette zu ihrer eigenen Verteidigung.
Als hätte Cat Noir den Gedanken gehört, sagte er nun:
»Du könntest meinen Namen jeder Zeit herausfinden, wenn du das wölltest. Über diese Wohnung.
Auch dabei sind wie nicht auf der gleichen Stufe.
Wenn du willst, kannst du mich zu allem zwingen, was du willst.
Ich sage ja nicht, dass du an all dem Schuld bist. Ich habe es zugelassen, dass du so viel Macht über mich bekommst.
Aber ich bitte dich, dir wenigsten meine Gründe anzuhören und dich für einen Moment in mich hineinzuversetzen.
Vielleicht verstehst du dann, warum ich für das Wissen um deine Identität so viel riskiere.
Warum ich hier stehe und dir all das sage und dabei das Risiko eingehe, dich damit in die Flucht zu schlagen.«
Erst jetzt, bei seinen allerletzten Worten, entdeckte Marinette die Angst in seinen Augen.
Wenn es stimmte, was er gerade gesagt hatte, – wenn sie gerade alle Macht hatte und er allein ihrer Gnade ausgeliefert war – konnte sie seine Angst nachvollziehen.
Er war wirklich ein hohes Risiko eingegangen.
Seine Erklärungen waren hart gewesen; hatten sie angegriffen und verärgert und in ihr tatsächlich den Wunsch geweckt, einfach zu verschwinden.
Trotzdem war es etwas anderes, was ihr nun seelischen Schmerz bereitetet: Anscheinend war Cat Noir so verzweifelt, dass er dieses Risiko eingegangen war.
Es sah alles danach aus, als hatte Marinette ihn - ohne es zu wollen - in eine schreckliche Situation gebracht.
Sie senkte den Kopf und schloss die Augen.
All die Dinge, die sie ihm nun sagen wollte, rangen in ihrem Innern miteinander.
Als sie den Notizblock hob und zu schreiben begann, war sie sich keinesfalls sicher, die richtige Wahl getroffen zu haben.
Bitte glaub mir: Ich würde dir deinen Wunsch liebend gern erfüllen. Aber ich KANN nicht zulassen, dass wir diesen Fehler machen.
Es ist nicht der richtige Zeitpunkt dafür.
Selbst für Marinette fühlte es sich wie eine billige Ausrede an – vor allem der letzte Satz. Doch es entsprach der Wahrheit.
Noch nicht einmal Cat Noirs Worte oder die Gefühle, die sie in ihr ausgelöst hatten, konnten an ihrem Entschluss etwas ändern.
Eher im Gegenteil.
Sie war sich nun noch sicherer, dass es nicht die Art »richtiger Moment« war, von dem Tikki geredet hatte.
Es fühlte sich schlicht falsch an und da war eine unerklärliche Gewissheit in Marinette, dass sie diesem Gefühl vertrauen sollte.
Cat Noir las die Nachricht und sein Gesicht verzog sich schmerzerfüllt.
Als er Marinette ansah, erkannte sie ein feuchtes Glitzern in seinen Augen.
»Wenn jetzt nicht der richtige Zeitpunkt ist, wann dann?«, presste er hervor.
Seine Stimme klang im gleichen Maße brüchig wie hart.
»Wenn unser Kind geboren wird? Wenn es in den Kindergarten kommt? Oder zu seinem Schulabschluss?«
Marinette war sich sicher, dass diese Worte ihr mindestens genauso sehr wehtaten wie ihm.
»Es tut mir leid!«, formte sie mit ihren Lippen.
Eine Träne lief ihre Wange hinab.
»Heißt das, ich bin draußen?«, fragte Cat Noir.
»Ich werde mein Kind niemals kennenlernen?«
Marinette wollte mit dem Kopf schütteln, konnte sich aber nicht rühren.
Mit ihren Augen verfolgte sie eine Träne, die sich aus Cat Noirs Augenwinkel löste, über seine Maske und sein erstarrtes Gesicht hinab lief und dann an seinem bebenden Kiefer hängen blieb.
»Ich wünschte, du hättest es mir nie gesagt.«, flüsterte er, »Ich wünschte, du wärst einfach verschwunden und ich hätte niemals den Grund dafür erfahren.«
Marinettes Herz zog sich so schmerzhaft zusammen, dass sie fürchtete, es könnte einfach aufhören zu schlagen.
Ihre Knie wollten nachgeben, ihr ganzer Körper wollte unter Schluchzen zu Boden sinken.
Doch noch immer konnte sie sich nicht rühren.
Nicht den kleinsten Finger.
Einzig ihre Augen glitten über Cat Noir hinweg und nahmen jeden Millimeter seines Schmerzes in sich auf.
Er war in sich zusammengesunken.
Sein Körper hatte jede Spannung verloren und sein Kopf hing genauso kraftlos hinab wie seine Arme.
Mittlerweile war sein Gesicht nass von Tränen.
»Warum hast du ihm das angetan?«, wurde Marinette von ihrem eigenen Herzen angeschrien. »Warum hast du es so weit kommen lassen?«
Endlich gelang es ihr, die Arme anzuheben und den Notizblock in ihrer linken Hand mit dem Stift in ihrer rechten Hand zusammenzuführen.
Sie musste ihm unbedingt sagen, dass es noch Hoffnung gab.
Sie musste ihm sagen, dass diese Zukunft, die er gerade beschrieben hatte, nicht in Stein gemeißelt war.
Am Anfang ihrer engen Freundschaft, als sie ihm von der Cat-Blanc-Sache erzählt hatte, war seine Reaktion so viel positiver und hoffnungsvoller gewesen, als erwartet.
»Irgendwann werde ich dich ohne Maske sehen.«, hatte er zu ihr gesagt, mit der Stimme voller Zuversicht.
An diese Gewissheit musste sie ihn nun erinnern.
Doch Marinettes Hände verweigerten ihr den Dienst.
Sie zitterten so sehr, dass sie kein einziges Wort aufs Papier brachte.
Dann fiel ihr der Stift zu Boden.
Voller Verzweiflung hob sie den Kopf und sah Cat Noir an.
Sein Blick war mittlerweile zur Seite geglitten.
»Gebrochen.«
Das war das Wort, das ihr bei seinem Anblick in den Sinn kam.
Sie spürte, wie eine ihrer Tränen auf ihre Hand mit dem Notizblock tropfte. Kalt und nass.
Sie sah wieder hinab auf den Boden, wo zwischen ihr und Cat Noir der Stift lag.
So weit entfernt.
Marinette kämpfte gegen die Hoffnungslosigkeit in ihrem Innern an.
Sie musste es irgendwie schaffen, mit Cat Noir zu kommunizieren.
Denn falls nicht ...
In diesem Moment sah sie es.
Eine Bewegung hinter Cat Noir, so klein und unauffällig, dass sie es zunächst auf die Tränen in ihren Augen schob.
Doch auf das leichte Flimmern folgte noch mehr.
Der Ursprung der Bewegung wurde größer, entfaltete sich und begann, wie auf einer unsichtbaren Welle, durch das Wohnzimmer zu gleiten.
Die Flügelschläge des dunkelvioletten Schmetterlings sahen viel zu sacht aus - viel zu schön -, für das, was sie mit sich trugen.
Marinettes Körper reagierte.
Sie fiel Cat Noir um den Hals und presste sich an ihn.
»Bitte!«, hauchte sie ihm ins Ohr, »Vertrau mir!«
Dann schloss sie die Augen und hörte nur noch auf seinen Herzschlag an ihrer Brust.
Dieses Kapitel heute hat mir mehr abverlangt, als jedes Kapitel aller drei Teile zuvor. Teilweise lag es vielleicht an dem Zeitdruck, unter dem ich beim Schreiben stand, aber vor allem hat mir der Inhalt zu Schaffen gemacht.
Ich wusste vorher selbst nicht, was genau passiert, wenn Marinette wieder in die Wohnung kommt und ich war regelrecht überrascht von Cat Noirs Verletztheit und Abweisung. Ich musste selbst erst mal herausfinden, warum er so drauf war.
Das Gespärch war dann echt herausfordernd und gegen Ende hin musste ich dann auch noch gegen meine eigenen Tränen ankämpfen, weil es mich so mitgenommen hat.
Ich hoffe, dass ich heute keine Zeit zum groß Drüberkorrigieren hatte, mindert die Qualität nicht und meine Bemühungen haben sich gelohnt.
Würde mich sehr freuen, zu hören, wie es euch mit diesem Kapitel ging. :)
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