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Drei Sekunden nachdem Marinette sich in Ladybug verwandelt hatte, meldete ihr Bugphone einen Superschurkenalarm.
Mit einem Lächeln schaute sie nach.
Sie hatte Cat Noir am Vortag gesagt, dass sie heute kommen konnte, aber anscheinend wollte er auf Nummer sicher gehen.
Wie er das wohl anstellte?
Hatte er Kontakte beim Fernsehen? Oder spazierte er als Cat Noir einfach ins Nachrichtenstudio und fragte nach einem Gefallen?
Marinette verstaute ihr Bugphone, atmete noch einmal tief durch und machte sich dann auf den Weg über die Stadtdächer.
Mit jedem Meter, dem sie sich dem angeblichen Superschurkenangriff näherte, nahm das Kribbeln in ihrem Bauch zu.
Sie war noch etwa einen halben Kilometer davon entfernt, als sie ein lautes Krachen in der Ferne hörte.
Mit ihrem Jojo schleuderte sie sich so weit nach oben in die Luft, wie sie konnte, um einen besseren Ausblick zu haben.
Genau in dem Moment, als sie den höchsten Punkt ihres Fluges erreichte, sah sie noch jemanden durch die Luft fliegen: Eine schwarze Kugel, die verdächtig nach Cat Noir aussah.
Er landete ein paar Hausdächer vor ihr und machte zwei Überschläge, um seinen Schwung abzufangen.
Zwei Sekunden später landete Marinette auch schon neben ihm.
Er fuhr zu ihr herum.
»Ladybug! Du hier?«
Er grinste sie an und Marinette musste sofort gegen ihre weichen Knie ankämpfen.
Es war noch nie leicht gewesen, Cat Noirs strahlendem Grinsen zu widerstehen.
Aber nun, wo sie aus eigener Erfahrung wusste, was er mit diesen Lippen noch alles anstellen konnte, verschlug es ihr regelrecht den Atem.
»Ich würde dich ja gern gebührend begrüßen,«, kam es nun aus genau diesen Lippen, »aber ich fürchte, der Superschurke wird nicht auf uns warten.«
Marinette schüttelte sich leicht, holte tief Luft und fragte dann: »Also ist es diesmal nicht nur eine Inszenierung?«
»Leider nein.«
Er machte einen Schritt nach vorn zur Dachkante und bevor er sich mit seinem Stab zurück ins Geschehen katapultierte, warf er ihr noch einen Blick zu und meinte: »Ich weiß ja nicht, wie es dir geht, aber ich bin heute hochmotiviert, es schnell hinter uns zu bringen.«
Der Kampf dauerte länger, als erwartet, doch als Marinette endlich ihren Glücksbringer in die Luft schleuderte, fühlte es sich dafür umso besser an.
Die Energie und Aufregung des Kampfes ging nahtlos in Cat-Noir-Aufregung über und sie musste sich zusammennehmen, um ihm nicht entgegenzurennen, als er die Straße entlang auf sie zugelaufen kam.
Endlich bei ihr angekommen, lächelte sie ihn zurückhaltend an, während er sein gewohntes Strahlen im Gesicht hatte.
Er streckte ihr seine Faust entgegen.
Sie erwiderte die Geste und beide sagten sie gleichzeitig: »Gut gemacht!«
Damit war der Kampf offiziell beendet.
Ihre Pflicht war getan.
»Hier sind ziemlich viele Leute.«, meinte Marinette mit einem Blick auf ihre Umgebung. »Wir sollten in verschiedene Richtungen verschwinden, wie sonst auch.«
Sofort griff Cat Noir nach ihrer Hand.
»Was tust du da?«, fragte sie erschrocken, wich einen Schritt zurück und entzog ihm ihre Hand.
»Ich halte dich fest.«, meinte er und grinste mit einem Mundwinkel.
»Ich habe dir versprochen, dich festzuhalten, wenn du mal wieder vor mir davonlaufen willst.«
Gegen ihren Willen brachte es Marinette zum Lächeln.
»Eigentlich wollte ich vorschlagen, dass wir uns in einer Minute auf dem Supermarkt hier um die Ecke treffen, in Ruhe unsere Kwamis füttern und dann ...«
Sie grinste verschmitzt und machte eine undefinierte Geste mit ihren Schultern.
»In Ordnung.«, sagte Cat Noir. »Aber lass uns 30 Sekunden daraus machen. Ich glaube, länger halte ich es nicht aus.«
Das Dach über dem Supermarkt war von der Straße und den umliegenden Gebäuden nicht einzusehen. Außerdem gab es darauf einen kleinen Aufbau für die Klimaanlage sowie jede Menge Rohre.
Aus diesem Grund hatte Marinette es ausgewählt.
Hier konnten sie und Cat Noir sich in aller Ruhe zurückverwandeln, ohne dabei gesehen zu werden - und ohne den jeweils anderen dabei zu sehen.
Das Dach gehörte mit Sicherheit nicht zu den schönsten von Paris, aber als Marinette auf dem verwitterten Blechdach landete, bekam sie das gar nicht mit.
Sie hatte nur Augen für Cat Noir.
Er wartete bereits auf sie.
Aufrecht und ohne jede Regung stand er da und sah ihr entgegen, auf dem Lippen ein hauchzartes Lächeln, das sich ungewohnt anfühlte.
Marinette ging langsam auf ihn zu.
Sie glaubte ein leichtes Vibrieren in der Luft wahrzunehmen.
War das der Wind oder lag es an Cat Noirs Präsenz?
Alles in Marinette wollte auf ihn zustürmen, ihm um den Hals fallen und ihn küssen. Doch etwas hielt sie zurück.
Es war seltsam.
Als sie sich vor dem Kampf getroffen hatten, war die Nervosität eine andere gewesen. Sie hatte aus endlich aufgelöster Sehnsucht bestanden, und aus purer Freude, den andern wieder zu sehen.
Jetzt jedoch war da eine Barriere, die Marinette nicht so recht verstand.
Auf einmal war sie unheimlich nervös und ihr Kopf wurde von Fragen geflutet.
Was sollte sie tun, wenn sie bei ihm angekommen war?
Was würde er tun?
Wer von ihnen würde den ersten Schritt tun?
Und wie würde dieser Schritt aussehen?
Sie hatten die vergangene halbe Stunde schon miteinander verbracht; hatten Seite an Seite gekämpft, sich berührt und jede Menge Blicke gewechselt.
Aber gerade das machte die Situation nun sonderbar verwirrend und unklar.
Sie konnten sich nun nicht einfach so begrüßen, wie sie es ohne den Kampf getan hätten.
Zumindest fühlte es sich für Marinette so an.
»Hallo, Prinzessin.«, sagte Cat Noir leise, als sie vor ihm stehen geblieben war.
Sie biss sich auf die Unterlippe und schluckte.
»Hi.«, erwiderte sie mit kratziger Stimme.
Noch immer war ihr Blick wie festgepinnt an seinen grünen Augen.
Und noch immer war sie ungewöhnlich nervös.
»Das war ein spannender Kampf«, meinte Cat Noir.
Sie nickte leicht.
»Du warst wie immer fabelhaft.«
»Danke.« Wieder klang ihre Stimme kratziger als sonst.
Ihr Ohrring gab einen Laut von sich. Noch eine Minute, bis sie sich zurückverwandelte.
»Wir sollten jetzt Plegg und Tikki füttern.«
Cat Noir nickte zustimmend, rührte sich aber nicht von der Stelle.
Er sah sie einfach nur weiter an. Und auch Marinette konnte sich nicht rühren.
Wieder erklang ein vertrautes Geräusch. Diesmal war es Cat Noirs Ring, der blinkte. Auch ihm blieb nur noch eine Minute.
Marinette musste schwer schlucken, bevor sie etwas sagen konnte.
»Wir sollten jetzt wirklich ...«, ihre Stimme brach ab.
»Ja, sollten wir.«
Sie machten beide einen zögerlichen Schritt in Richtung des Klimaanlagenaufbaus.
»Dann ... bis gleich.«, sagte Marinette und ging um die Ecke herum.
Bis zum allerletzten Moment hielt sie den Blickkontakt mit Cat Noir aufrecht.
Als sich die Mauer zwischen sie geschoben hatte, schloss sie die Augen, lehnte sich mit dem Rücken gegen die Wand und wartete die letzten Sekunden ab, bis ihr Ladybug-Anzug verschwand.
Tikki erschien vor ihr und sie wechselten einen stummen Blick.
Marinette holte ihr ein Macaron aus der Tasche und sah dann abwesend in die Ferne.
Alles in ihr - jeder Gedanke, jede Nervenzelle, jedes Gefühl - war auf Cat Noir ausgerichtet.
Sie konnte seine Gegenwart noch immer spüren. Er war keinen Meter von ihr entfernt, nur durch die Ecke des gemauerten Aufbaus von ihr getrennt.
Und genau wie sie musste auch er sich gerade zurückverwandelt haben.
Das dort hinter der Ecke war nicht mehr Cat Noir, sondern der Mensch, der er in seinem normalen Leben war.
Der Mensch, dessen Berührung vor einigen Wochen zum ersten Mal diese neuen Gefühle in ihr geweckt hatten.
Der Mensch, der er schon die ganze Zeit gewesen war, und den sie erst viel zu spät in ihm erkannt hatte.
Marinette machte einen kleinen Schritt zur Seite, auf die Ecke zu. Ganz langsam hob sie ihre Hand und fuhr mit ihr die Wand entlang, bis sie auf die Kante stieß.
Als ihre Finger eine warme Berührung spürten, erschauerte Marinette am ganzen Körper.
Nicht vor Überraschung - denn irgendwie hatte sie gewusst, dass Cat Noirs Hand dort sein würde - sondern vor Sehnsucht.
Sie machte einen zweiten Schritt zur Seite und streckte ihren Arm noch weiter aus, bis ihre Hand komplett über die Ecke hinausragte.
Ihre Finger fanden Cat Noirs und einige Sekunden strichen sie sanft aneinander entlang und umspielten sich.
Marinette hatte mittlerweile wieder die Augen geschlossen und genoss jeden Millimeter seiner warmen Haut auf ihrer.
Immer unruhiger wurde die Bewegung ihrer Finger.
Sie wollte mehr.
Auch Cat Noir schienen die sachten Berührungen nicht zu genügen und so fuhr er kurz darauf mit seinen Fingern zwischen ihre und verschränkte ihre Hände miteinander.
Nun lag so viel seiner Haut auf ihrer, wie nur möglich.
Mehr Körperkontakt war nicht machbar.
Cat Noir gelang es trotzdem, ihr einen weiteren Schauer über den Körper zu jagen.
Ganz sacht strich er ihr mit seinem Daumen über den Handrücken.
Es fühlte sich an, als würde sich eine Band aus Hitze im Sekundenbruchteil ihren Arm hinauf bis zu ihrem Herz winden.
Die Sehnsucht riss an Marinette.
Sie wollte die Hand auf keinen Fall loslassen, wollte nicht das kleinste Bisschen seiner Berührung verlieren.
Doch gleichzeitig konnte sie es kaum noch ertragen, so weit von ihm entfernt zu sein.
Sie öffnete die Augen und begegnete Tikkis Blick.
Ein letztes Mal drückte sie Cat Noirs Hand, dann sagte sie ganz leise: »Tikki, verwandle mich.«
Der Anzug breitete sich über ihren Körper.
In dem Moment, als er sich zwischen ihre und Cat Noirs Finger schob, seufzte sie kaum hörbar auf, legte den Kopf in den Nacken und schloss für einen Moment die Augen.
Wehmütig sah Marinette auf ihre Hand hinab.
Das rote Anzugmaterial mit den schwarzen Punkten war beinahe vollständig umschlossen von dem schwarzen Leder von Cat Noirs Anzug.
Auch er war nun wieder verwandelt.
Marinette umschloss die Hand mit den Krallenfingern noch fester und zog sich an ihr um die Ecke.
Cat Noir machte im gleichen Moment einen Schritt in ihre Richtung und zog sie dabei an sich.
Schneller als erwartet lag sie in seinen Armen.
Sie erhaschte gerade noch einen kurzen Blick in seine grünen Katzenaugen, dann versanken sie in einem langen, innigen Kuss.
»Es war also doch nicht nur ein Traum.«
Cat Noirs Stimme klang gedämpft, denn sein Mund wanderte gerade Marinettes Hals hinab.
»Ein Traum?«
Sie musste sich beim Reden ein genüssliches Seufzen verkneifen.
Sein Atem und die Wärme seiner Lippen an ihrem nackten Hals machte sie ganz kribbelig.
Zu ihrem Bedauern hob er den Kopf und erwiderte ihren Blick.
»In der vergangenen Woche war ich mir nicht mehr sicher, ob ich das Treffen am letzten Samstag nur geträumt habe oder ob es tatsächlich passiert ist.«
Sie lächelte ihn an.
»Freut mich, dass ich dir Klarheit verschaffen konnte.«
Er kniff die Augen zusammen und legte den Kopf schief.
»Aber vielleicht sollte ich es doch noch einmal genau überprüfen.«, meinte er - und küsste sie.
Diesmal seufzte Marinette tatsächlich kurz auf. Sie waren schon eine halbe Stunde auf dem Supermarkt, aber sie hatte noch immer nicht genug von Cat Noirs Küssen.
Als er ihre Lippen wieder freigegeben hatte, sprach er weiter.
»Ich habe in den letzten Jahren tatsächlich ein paar Mal geträumt, dass so etwas passiert. Es war grauenhaft, danach wieder aufwachen zu müssen.«
Marinette hob die Hand und strich ihm über die Wange.
»Was ist mir dir?«, fragte er.
»Hast du auch schon einmal von mir geträumt?«
Sie musste lächeln.
»Ja, habe ich.«, antwortete sie langsam.
Sie bemerkte, wie es kurz in Cat Noirs Augen aufblitzte und aus ihrem Lächeln wurde ein Grinsen.
»Wenn du allerdings glaubst, dass es unanständige Träume waren, muss ich dich leider enttäuschen.«
»Wieso enttäuschen?«, entgegnete er und grinste ebenfalls.
»Ich bin erleichtert. Ich müsste sonst noch neidisch auf meine Traumversion sein.«
»Ach?« Marinette zog ihre rechte Augenbraue in die Höhe. »Und ich muss mich jetzt damit abfinden, dass meine Traumversion mir bei all dem schon weit voraus ist?«
Das schelmische Grinsen in Cat Noirs Mundwinkel wirkte ungeheuer anziehend auf Marinette. Gleichzeitig verspürte sie aber auch den Wunsch, es ihm aus dem Gesicht zu wischen.
»Wer hat denn behauptet, dass es in meinem Träumen über einen Kuss hinausging?«
Nach dieser Bemerkung breitete sich das Grinsen auf seinem ganzen Gesicht aus.
»Jetzt tu doch nicht so ...«
Marinette funkelte ihn an, konnte sich aber selbst ein Lächeln nicht verkneifen.
Cat Noirs Blick wurde sanfter und er zog sie an der Hüfte wieder näher an sich heran. Er kam ihrem Ohr mit seinem Mund ganz nah.
»Hey, du musst mir das verzeihen.«, raunte er. »Ich habe keine Kontrolle über meine Träume. Außerdem hab ich viereinhalb Jahre darauf gewartet, dass es Wirklichkeit wird.
In dieser langen Zeit kann so etwas schon mal vorkommen.«
Marinette musste schwer schlucken. Und sie war froh, dass Cat Noir gerade nicht ihr Gesicht sehen konnte.
Viereinhalb Jahre.
Das klang wie eine Ewigkeit.
Marinette schlang ihre Arme um seinen Nacken, schloss die Augen und presste ihr Gesicht in seine Halsbeuge.
»Es tut mir leid.«, murmelte sie leise in das Leder seines Anzuges hinein.
»Was tut dir leid?«, hörte sie seine gedämpfte Stimme.
Sie schwieg eine Weile, bevor sie antwortete.
»Dass ich so lang gebraucht habe.«
»Ladybug ...«
Er lehnte seinen Oberkörper zurück, legte seine Hand unter ihr Kinn und hob ihren Kopf, sodass sie ihn ansehen musste.
»Ich hätte auch zehn oder zwanzig oder noch mehr Jahr gewartet, wenn es nötig gewesen wäre.
Du bist es wert, dass man ein ganzes Leben auf dich wartet.«
»Du bist komplett verrückt, Cat Noir.«, sagte sie mit einem dicken Kloß im Hals.
»Ja. Verrückt nach dir.«
Er küsste sie. Ganz sacht und zärtlich.
»Sind es ...«, sie musste schlucken, bevor sie es fertig brachte, die Frage auszusprechen.
»Sind es tatsächlich schon viereinhalb Jahre? Da haben wir uns doch gerade erst kennengelernt.«
Ein zartes Lächeln umspielte Cat Noirs Lippen.
Er hob seine Hand und strich ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
Leise erwiderte er: »Ich bin dir schon am allerersten Tag verfallen.«
Marinette glaubte, innerlich zu verglühen.
Sie wusste, dass auch sie nun ihrem Superheldenpartner verfallen war.
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