25
»Ich denke, wir sollten uns trennen.«
Marinette suchte in dem Satz nach einer zweiten Bedeutung.
Sie wälzte jedes einzelne Wort durch ihren Kopf und suchte nach dem Missverständnis; nach dem Subtext zwischen den Zeilen, der ihr entging.
Doch da war nichts.
Und auch auf Cat Noirs Gesicht war nichts zu entdecken, was seiner Aussage eine andere Bedeutung gegeben hätte.
Es war kein geschmackloser Scherz.
Er meinte es ernst.
»Warum?«
Marinette wusste selbst nicht, wie diese Frage aus ihrem Mund kam.
Warum brüllte sie ihn nicht an?
Warum packte sie ihn nicht und schüttelte ihn, bis er wieder zur Vernunft kam?
»Komm schon, Ladybug!«
Ein kleines, freudloses Lächeln erschien auf seinem Gesicht.
»Du hast es doch schon eher erkannt als ich.
Du hast nur noch nichts gesagt, damit ich es selbst erkenne und es leichter akzeptiere.«
Sie wollte den Kopf schütteln, doch ihr Körper reagierte nicht auf ihren Befehl.
Hatte er recht?
Im Moment konnte sie es unmöglich sagen.
»Du warst schon immer die Vernünftigere und Klügere von uns beiden.«, redete Cat Noir weiter.
Er schluckte und fuhr dann mit leicht veränderter Stimme fort: »Danke, dass du mir die Zeit gelassen hast, es selbst zu erkennen.
Ich hätte sonst bestimmt irgendetwas Dummes gemacht.«
»Etwas noch Dümmeres, als unsere Beziehung zu beenden?«, dachte Marinette.
Sie blieb stumm.
Sie hatte keine Ahnung, was sie sagen oder tun sollte.
Sie konnte ihn nur weiter anstarren und versuchen, Ordnung in das Chaos in ihrem Kopf zu bekommen.
Cat Noir ließ ihr Zeit.
Mit regloser Mine erwiderte er ihren Blick.
Irgendwann fragte er nach:
»Du willst nicht wirklich wissen, warum, oder? Du weißt es längst.«
Jetzt endlich brachte Marinette es fertig, einen ihrer vielen Gedanken auszusprechen. Sie antwortete nicht auf seine Frage, sondern stellte stattdessen selbst eine.
»Wie kann es sein, dass du so ruhig bist?«
»Du bist doch auch völlig ruhig.«, erwiderte er.
Es stimmte.
Ein Teil von ihr wollte ausflippen, aber der größere Teil akzeptierte seine Worte.
Es deutete alles darauf hin, dass Cat Noir mit seinem Verdacht richtig gelegen hatte.
Etwas in ihr war tatsächlich zu genau dem gleichen Schluss wie er gekommen:
Dass kein Weg an einer Trennung vorbeiführte.
Für einen kurzen Moment dachte Marinette, dass das Gespräch so ruhig und unemotional bleiben würde.
Doch auch wenn sie ihre eigene Position mittlerweile klarer sah, konnte sie es nicht einfach hinnehmen.
Sie liebte Cat Noir.
Und Liebe gab nicht so schnell auf - egal, was die Vernunft sagte.
Sie begann langsam mit dem Kopf zu schütteln und wurde dann immer energischer in der Bewegung.
»Vergiss es! Ich sage Nein.«
Cat Noir schloss die Augen und für eine Sekunde zuckte ein gequälter Ausdruck über sein Gesicht.
»Bitte, Ladybug.«, erwiderte er leise. »Mach es nicht noch schwerer, als es sowieso schon ist.«
»Ach? Es ist schwer für dich? Sieht gar nicht danach aus.«
»Bitte!«
Er flehte sie nicht nur mit seiner Stimme an, sondern auch mit seinem Blick.
»Du weißt, dass wir uns nicht gegenseitig verletzten dürfen. Also bitte greif mich jetzt nicht an!«
»Dachtest du wirklich, dass ich das einfach so hinnehme? Dass ich stumm nicke, dir zustimme und wir dann mit einem festen Händedruck auseinandergehen?«
»In Ordnung.«
Cat Noir sah sie mit einem verbissenen Blick an.
»Ich kann der Böse sein. Du darfst es mir vorwerfen und deswegen wütend auf mich sein.
Aber du musst mir versprechen, dass es nicht unsere Partnerschaft beeinflusst.
Versprich mir, dass wir noch Ladybug und Cat Noir sein können, so wie es abgemacht war.«
Es war verwirrend für Marinette, ihn so vor sich zu sehen und ihn auf diese Weise reden zu hören.
Ein Teil von ihr war tatsächlich stolz auf seine vernünftigen Worte.
Aber ein anderer Teil wollte ihm einfach nur eine saftige Ohrfeige dafür geben.
»Was ist mir dir passiert?«, fragte sie.
»Du hast doch ständig von Hoffnung geredet, und dass wir ein Paar sind, das immer einen Weg findet. Warum gibst du jetzt so schnell auf?«
»Weil wir uns versprochen haben, es auszusprechen, wenn wir keine Zukunft mehr für uns sehen.
Und wir wissen beide, dass es so weit ist.«
Wieder schüttelte Marinette energisch mit dem Kopf.
»Wir lieben uns und sind glücklich miteinander. Und solange das noch so ist, haben wir auch noch eine Zukunft.«
Cat Noirs Blick bekam eine traurige Nuance.
»Du hast recht.«, sagte er, »Wir sind glücklich, wenn wir zusammen sind. Aber ohne einander sind wir dafür umso unglücklicher.«
»Du sagst es: Ohne einander sind wir unglücklich.
Warum also sollten wir uns absichtlich unglücklich machen?«
»Du weißt, wie ich das gemeint habe. Solange wir noch ein Paar sind, leidet unser sonstiges Leben darunter.
Und wie du es vorhin so treffend gesagt hast: Das hält keine Beziehung auf Dauer aus.«
In den vergangenen Minuten hatte Marinettes Stimme hart und selbstsicher geklungen. Sie hatte nicht zugelassen, dass sie von Gefühlen übermannt wurde.
Doch je länger das Hin und Her mit Cat Noir ging, desto schwerer fiel es ihr, die Verzweiflung zurückzuhalten.
»Ich weiß, dass du das für mich tust.«, erwiderte sie und da war ein ganz leichtes Zittern in ihrer Stimme.
»Du erträgst es nicht, wenn ich leide, und denkst, dass du mir damit einen Gefallen tust. Aber diese Entscheidung darfst du mir nicht abnehmen. Ich allein sollte entscheiden, wann ich es nicht mehr aushalte.«
»Und? Wann wird das sein? In einer Woche? Oder einem Monat?
Komm schon, Ladybug! Du weißt, dass es das Richtige ist.«
»Es ist vielleicht das Richtige, aber es fühlt sich nicht richtig an.«, dachte Marinette.
Stumm erwiderte sie seinen Blick.
»Außerdem irrst du dich.«, redete er schließlich weiter. »Ich habe das nicht nur für dich entschieden. Ich tue es auch für mich selbst.
Ich bin unheimlich glücklich, wenn ich bei dir bin. Aber die ganze restliche Zeit ist mein Leben viel komplizierter und schwieriger geworden, seit wir ein Paar sind.
Ich muss auch ständig lügen.
Und ich muss meine Probleme allein bewältigen, ohne mit jemandem darüber reden zu können.«
Marinette spürte, wie auch der letzte Rest ihrer Entschlossenheit in sich zusammenfiel.
Die Traurigkeit in seiner Stimme machte ihr unheimlich zu schaffen.
Sie spürte, dass jedes seiner Worte die Wahrheit war.
Auch er musste wegen ihrer Beziehung leiden und vermutlich war dies das Argument, mit dem er sie schlussendlich umstimmen würde.
»Wir könnten doch versuchen, eine Lösung dafür zu finden.«, sagte sie leise. »Wir können uns auch von unseren Alltagsproblemen erzählen.
Wir bekommen das schon irgendwie hin, ohne zu viel zu sagen.«
»Wenn wir jetzt anfangen, die Regeln zu verändern, wird das schlimm enden. Das weißt du.«, erwiderte er sanft.
Sie rechnete ihm hoch an, so viel Geduld mit ihr zu haben.
Sie spürte, wie schwer es für ihn war, aber er würde durchhalten - bis zu dem Punkt, an dem sie es endlich akzeptierte.
Doch noch war sie nicht dort.
»Wir haben doch bisher auch irgendwie die Balance zwischen unserem Superhelden-Leben und unserem Alltags-Leben hinbekommen.
Das mit unserer Beziehung ist nichts anderes.
Wir können miteinander über die Probleme reden, die mit uns als Superhelden und unserer Beziehung zu tun haben.
Und über alles andere reden wir mit unseren Freunden in unserem normalen Leben.«
Cat Noir schüttelte den Kopf.
»So funktioniert das nicht. Das kann man nicht so voneinander trennen.
Die meisten meiner Alltags-Probleme existieren doch überhaupt nur, weil wir ein Paar sind.
Und laut der wenigen Dinge, die du mir erzählt hast, ist es bei dir genau so.
Außerdem ...«, er zögerte, sprach es dann aber aus.
»Außerdem kann ich nicht mit jemand anderem reden, solange wir ein Paar sind.
Ich kann mich nicht an meine Freunde wenden und mit ihnen persönliche Gespräche führen, die ich eigentlich mit dir, meiner Freundin, führen sollte.
Es würde sich anfühlen, als würde ich dich betrügen.«
Er griff nach ihrer Hand und sah sie mit einem qualvoll-sanften Blick an.
»Ladybug, ich will nicht nur einen kleinen Teil meiner Zeit glücklich sein. Und vor allem will ich nicht, dass du immer nur glücklich bist, wenn du bei mir bist.
Ich will nicht für das Leid in deinem Leben verantwortlich sein.
Du hast es verdient, einen Freund zu haben, der dir alles gibt.
Vollkommene Offenheit.
Trost und Hilfe bei deinen Problemen.
Ausflüge in der Öffentlichkeit.
Treffen ohne Geheimhaltung und Lügen.
Und die Aussicht auf eine gemeinsame Zukunft.«
Marinette spürte, wie ihr die Tränen die Wangen hinab liefen.
»Ich will das alles nicht!«, sagte sie und entzog ihm ruckartig ihre Hand.
»Ich will dich!«
»Glaub mir.«
Auch Cat Noirs Augen waren feucht, doch seine Stimme klang völlig gefasst.
»Ich kenne dich. Außerdem hast du es mir gesagt.
Du wünschst dir all das.
Und ich wünsche mir, dass du es bekommst.«
»Hör auf, so verdammt selbstlos zu sein!«, fuhr sie ihn an.
»Los! Sei egoistisch und halt mich fest!«
»Ich habe dir schon gesagt, dass ich das nicht nur für dich tue. Ich will es auch.«
Er zögerte und fügte dann hinzu: »Oder zumindest weiß ich, dass es auch für mich das Beste sein wird.«
»Das ist unfair.«, erwiderte Marinette in weinerlichem Ton. »Du weißt ganz genau, dass ich es nicht ertragen würde, dich unglücklich zu machen.«
Er nickte und lächelte leicht.
»Wir lieben uns beide zu sehr, um uns gegenseitig unglücklich zu machen.«
Sie sahen sich an und das Lächeln verschwand auf einen Schlag wieder aus Cat Noirs Gesicht.
Er war blass geworden und Marinette fühlte sich genauso.
Wir lieben uns beide zu sehr.
Nach all dem Rechtfertigen und Verhandeln, war dies die eine Sache, die keiner von ihnen wegargumentieren konnte.
Sie liebten einander.
Und das würde auch nicht einfach verschwinden, nur weil ihre Vernunft es ihnen befahl.
Marinette konnte sehen, wie Cat Noir schwer schluckte.
Dann sagte er leise: »Deine Gefühle haben sich schon einmal verändert.
Es wird wieder passieren.
Du hast doch selbst gesagt, dass unsere Beziehung der Beweis für die Änderbarkeit von Gefühlen ist.
Du warst vor mir in einen andern verliebt, also kannst du nach mir auch wieder jemand anderen lieben.«
Es versetzte Marinette einen Stich, doch es war Hoffnung, was sie da in Cat Noirs Augen sah.
Er wollte seinen eigenen Worten gern glauben und vor allem wollte er, dass sie ihnen glaubte.
Er wollte es ihr so einfach wie möglich machen, ihn hinter sich zu lassen.
Sie spürte, dass es ihr mit ihm genauso ging.
Sie wollte sich noch immer nicht von ihm trennen, aber noch viel weniger wollte sie es ihm weiterhin so schwer machen.
Er würde nicht einknicken. Und sie wiederum war schon eingeknickt.
Oder zumindest würde sie es sein, wenn ihre Vernunft wieder die Oberhand hatte.
Sie lächelte ihn erschöpft an.
»Du bist so ein Idiot. Wir sind noch keine fünf Minuten getrennt, und du willst mich schon dem Nächsten in die Arme treiben?«
Zwei gegensätzliche Gefühle zuckten über Cat Noirs Gesicht.
Erleichterung und Schmerz.
Mit ihren Worten war es nun offiziell.
Sie waren nicht länger ein Paar.
»Ladybug, würdest du mir einen Gefallen tun?«, fragte Cat Noir.
Der veränderte Tonfall in seiner Stimme ließ Marinette vor einer positiven Antwort zurückschrecken. Außerdem war sie erschöpft und traute sich nicht zu, noch viel länger durchzuhalten.
Doch die Aussicht auf ein paar weitere Minuten mit Cat Noir brachte sie dazu, mit dem Kopf zu nicken.
»Bitte versprich mir, dass du alles tun wirst, um nicht allein zu bleiben.«
»Cat ...«
»Bitte!«, er sah sie flehend an. »Du weißt, dass ich hier nicht weggehen darf, wenn es mir nicht gut geht.
Wenn ich hier mit einem gebrochenen Herzen rausgehe, könnte ich akumatisiert werden.
Also muss ich wissen, dass es dir gut gehen wird.
Ich muss wissen, dass du ohne mich glücklich sein wirst.«
Marinette schloss für einen Moment die Augen und schüttelte leicht den Kopf.
»Ich kann dir das nicht versprechen. Ich kann dir keine Garantie für mein Glück geben.«
»Aber du kannst mir versprechen, aktiv etwas dafür zu tun.«
»Und was?«
»Du könntest herausfinden, ob du eine Zukunft mit diesem anderen Kerl hast.«
»Was?«
Entgeistert sah sie ihn an.
»Das kann doch unmöglich dein Ernst sein!«
Sein Blick sagte das Gegenteil.
»Aber du hasst ihn!«
»Tue ich nicht.«, widersprach er.
»Und selbst wenn, würde ich damit aufhören, wenn er dich glücklich macht und dir all die Dinge gibt, die ich dir nicht geben kann.«
»Du bist ja völlig verrückt geworden! Ich sehe ja ein, dass es richtig war, uns zu trennen,«, sie musste nach diesen Worten einen Moment innehalten, um zu schlucken und tief durchzuatmen, »aber das geht zu weit!
Ich bin kein Eisblock, Cat Noir! Ich werde nicht einfach an der Stelle weitermachen, an der ich vor unserer Beziehung aufgehört habe!
So zu tun, als wären wir nie zusammen gewesen, ist vielleicht der richtige Weg für dich.
Aber ich werde viel Zeit brauchen, um nach dem hier wieder normal weiterzumachen.«
»Und genau deswegen will ich dieses Versprechen von dir.«, erwiderte er. »Ich habe die Befürchtung, dass du zu lang brauchen wirst.
Dass du dich verkriechst und am Ende noch unglücklicher bist, als vor der Trennung.«
»Ich werde auf jeden Fall unglücklicher sein, als vor der Trennung. So ist das nun mal, wenn man den Menschen verliert, den man liebt!«
Marinette biss sich auf die Lippe, aber die Worte waren schon draußen.
In Cat Noirs Gesicht zuckte es.
Er redete weiter, als hätte es dieses unpassende Liebesgeständnis nie gegeben.
»Vergiss nicht, warum wir das tun: Damit wir beide in unserem normalen Leben wieder glücklich werden. Und er könnte dir dabei helfen.
Ich bitte dich ja nicht, dich ihm sofort an den Hals zu werfen, wenn du das nächste Mal auf ihn triffst. Aber finde wenigstens heraus, ob du wieder etwas für ihn empfinden könntest.«
Marinette senkte den Blick und presste die Zähne aufeinander.
»Das ist einfach nur lächerlich.«, murmelte sie.
»Bitte. Versprich es mir. Versprich mir, dass du es versuchen wirst. Dann bin ich beruhigt.«
»Aber da gibt es nichts zu versuchen! Ich empfinde nichts für ihn!
Und selbst wenn du recht hättest und die Gefühle wie durch ein Wunder einfach zurückkehren würden, sobald ich es zulasse: Dann wäre ich trotzdem nicht glücklich!
So hat es doch überhaupt erst alles angefangen. Damit, dass er eine andere liebt und ich deswegen schrecklichen Liebeskummer hatte.«
Marinette brummte der Schädel.
Die ganze Situation war einfach nur absurd.
Sie saß mitten in der Nacht in der Wohnung, die ihr Ex-Freund für sie beide gemietet hatte, ihm gegenüber auf dem Sofa. Und sie redeten miteinander über eine potenzielle Beziehung mit ihrem Ex-Schwarm - als hätten sie nicht erst vor fünf Minuten miteinander schlussgemacht.
Cat Noir wollte, dass sie auf Adrien zuging?
Das hätte sie sich in ihren wildesten Träumen nicht vorstellen können.
Allerdings wurde Marinette nicht nur von ihm überrascht, sondern auch von sich selbst.
Ein Teil von ihr begann langsam, seinen Wunsch zu verstehen.
Sie stellte sich vor, wie es Cat Noir in den nächsten Tagen und Wochen gehen würde. Und auch sie wünschte sich eine Garantie, dass er glücklich sein würde.
»Ladybug, du hast mir erzählt, dass du ihm nie gesagt hast, was du für ihn empfunden hast.«, redete Cat Noir weiter, »Du kannst also gar nicht wissen, wie er reagieren würde, wenn du auf ihn zugehst.
Wenn du bei ihm auch nur halb so charmant bist, wie bei mir, wird er dich unmöglich abweisen können.«
»Du verstehst das nicht.«, erwiderte Marinette.
Sie hatte Mühe, sich auf ihre eigenen Worte zu konzentrieren, denn der Eifer auf Cat Noirs Gesicht irritierte sie.
Er wollte sie tatsächlich unbedingt in Adriens Arme treiben.
Wie schnell die Dinge sich doch ändern konnten ...
»Er hat eine Freundin.«, redete sie weiter. »Und ich weiß mit absoluter Sicherheit, dass er nicht an mir interessiert ist.«
»Du hattest bis eben auch noch einen Freund. Solche Dinge können sich ändern.
Und so eine Sicherheit, wie du sie gerade erwähnt hast, gibt es nicht.
Du warst dir auch absolut sicher, dass du mich niemals mit anderen Augen sehen würdest, und damit lagst du falsch.«
»Cat!«, sagte sie und stöhnte laut auf. »Du willst mich ernsthaft dazu bringen, ihm seine Freundin auszuspannen?
Hältst du mich für einen Menschen, der so etwas tun würde?«
»Das habe ich doch gar nicht gesagt. Ich meine nur, dass du es erst wissen kannst, wenn du mit ihm darüber geredet hast.
Vielleicht ist er nur zu schüchtern. Oder er braucht einfach ein bisschen länger, um seine Gefühle zu durchschauen.«
»Ich verstehe es nicht. Du könntest mich genauso gut darum bitten, mich mit anderen Kerlen zu treffen.
Warum ausgerechnet er? Ich hätte gedacht, dass du mich bei ihm am allerwenigsten sehen wollen würdest.«
»Ich kenne ihn nicht und selbst wenn, würde in meinen Augen wohl weder er noch sonst jemand jemals gut genug für dich sein.
Aber wenn du so lang in ihn verliebt warst, muss das einen Grund haben.
Er muss ein toller Mensch sein, wenn er dein Herz gewinnen konnte.«
Marinette spürte einen Stich in genau dem Herzen, von dem Cat Noir gerade redete.
Adrien hatte schon einmal einen ganz ähnlichen Satz zu ihr gesagt, wie Cat Noir gerade. Als sie ihm von Louis erzählt hatte.
Sie erinnerte sich nicht an die genaue Formulierung, aber der Inhalt war genau derselbe gewesen.
»Also: Versprichst du es mir?«, fragte Cat Noir, »Wirst du wieder auf ihn zugehen?«
»Cat, das kann ich dir nicht versprechen.«
»Bitte!«
»Ich mache mich damit vollkommen lächerlich. Und ich würde auch noch unsere Freundschaft dadurch zerstören.«
»Ladybug, sie mich an!«
Sie hob den Kopf und erwiderte seinen Blick.
»Wenn du mir überzeugend weismachen kannst, dass er nie auch nur das kleinste Interesse an dir gezeigt hat, nehme ich meine Forderung zurück.
Dann sehe ich ein, dass er weder Geschmack noch Augen im Kopf hat und dich ganz offensichtlich nicht wert ist. Aber wenn doch ...«
Er sprach den Satz nicht zu Ende und musterte sie stattdessen eindringlich.
Sie musste sich nicht erst die Mühe machen, zu antworten.
Er sah bereits an ihrem Blick, dass es da Anzeichen und Signale von Adriens Seite gegeben hatte.
»Versprich es mir!«, forderte er sie ein weiteres Mal auf.
Und in dieser Nacht war Cat Noir so überzeugend wie noch nie.
»In Ordnung.«, sagte Marinette langsam. »Ich verspreche es. Aber nur unter einer Bedingung.«
Erwartungsvoll sah er sie an.
»Du versprichst mir dasselbe.«
Cat Noir verzog den Mund zu einem Grinsen - ein überraschend angenehmer Anblick nach dieser langen, anstrengenden und ernsten Nacht.
»Ähm Ladybug, ich denke nicht, dass wir uns beide mit ihm treffen sollten.«, sagte er. »Das könnte irgendwie ... naja, komisch werden.«
»Versuch jetzt nicht, dich mit einem Scherz da rauszuschlängeln, Cat Noir!
Ich werde das nur tun, wenn du dich auch mit jemandem triffst.«
Diesen Satz auszusprechen, fiel ihr überraschend schwer und sie musste danach erst einmal tief durchatmen.
»Mir ist es egal, mit wem. Meinetwegen mit diesem Mädchen, von dem du mal geredete hast; das so gut zu dir passen würde. Oder meinetwegen auch mit irgendjemand anderem.
Aber du musst mir versprechen, dass du mir auch nicht nachtrauerst.
Ich ... ich will auch wissen, dass du glücklich sein wirst.«
Sie rechnete schon damit, dass die gleiche, lange Diskussion jetzt umgekehrt stattfinden würde, doch er nickte bereits und sagte: »Ich verspreche es.«
Marinette wusste nicht, ob sie erleichtert oder verletzt von seiner schnellen Antwort war.
Vermutlich hätte ihr die Kraft für weiteres Diskutieren gefehlt, doch zumindest ein kleinwenig Widerstand von seiner Seite hätte ihr gutgetan.
Im Grunde wusste sie, dass er das gleiche für sie empfand, wie sie für ihn;
dass es ihm nicht leichtfallen würde, sich mit jemand anderem zu treffen.
Trotzdem tat es weh, nichts davon zu sehen oder zu hören.
Und die leise, stichelnde Eifersucht, die sie nun gegen ihren Willen befiel, machte das Ganze nicht besser.
»Dann ... war es das jetzt wohl.«, sagte Cat Noir.
Sofort vergaß Marinette alles, was eben gewesen war.
Sie empfand wieder die Ablehnung und den Schmerz, als ihre Trennung noch das Hauptthema gewesen war.
Verzweifelt suchte sie in ihrem Kopf nach einer Sache, die noch zu klären waren. Irgendetwas, um das Ende des Gesprächs noch ein Stück hinauszuschieben.
Doch da war nichts.
Sie hatten einander nichts mehr zu sagen.
Außer vielleicht: »Du wirst klarkommen, oder?«
Sie sah Cat Noir aufmerksam ins Gesicht. »Du spielst mir das jetzt nicht nur vor, richtig?«
»Keine Sorge. Ich werde nicht akumatisiert. Und ich werde mich an mein Versprechen halten.«
Marinette war beruhigt. Aber der dicke Kloß in ihrem Hals blieb.
Langsam erhob sie sich vom Sofa.
»Dann sehen wir uns bei unserem nächsten Einsatz.«
Sie sah auf ihn hinab und kämpfte dagegen an, ihm um den Hals zu fallen und sich an ihn zu drücken.
»Machs gut, Ladybug.«
Sie drehte sich um und verließ die Wohnung über das Dachfenster.
Die kalte Nachtluft peitschte ihr ins Gesicht, als sie über die Dächer von Paris sprintete, um den Tränen davonzulaufen.
Der Abschied war noch distanzierter und schrecklicher gewesen, als sie es sich vor wenigen Minuten vorgestellt hatte.
Keine Umarmung. Keine letzten, warmen Worte.
Noch nicht einmal ein fester Händedruck.
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