23

Cat Noir rief nicht an.
Marinette blieb noch bis spät in die Nacht verwandelt, doch ihr Bugphone blieb still.
Sie versuchte, noch ein wenig zu lernen – jede Ablenkung war besser, als weiter in ihren düsteren Gedanken festzuhängen – doch sie wusste bereits, dass es nicht viel bringen würde.
Der Schulstoff rauschte nur durch ihren Kopf, ohne darin hängen zu bleiben.

Als es schon weit nach Mitternacht war, kletterte Marinette aus ihrem Fenster auf den Balkon hinaus.
Ihr Körper war todmüde, doch ihren Gefühlen war das egal.
Sie wollte zu Cat Noir!
Sie schwang sich über die nächtlichen Dächer der Stadt, bis sie ihre Wohnung erreichte.
Sie gab den Code am Fenster ein und ließ sich ins Innere fallen.
Es war dunkel und vollkommen still.
Sie machte das Licht in der Küche an und ließ die Tür offen, damit das Wohnzimmer sanft beleuchtet wurde.
Sie kauerte sich auf dem Sofa zusammen und wickelte sich in die graue Kuscheldecke ein.
Ihre Hoffnung, dass dieser Ort sie trösten würde, wurde jedoch enttäuscht.
Ohne Cat Noir war die Wohnung genauso kalt und abweisend wie ihr eigenes Zimmer.
Nach einer halben Stunde machte sie sich wieder auf den Heimweg.

Am Sonntag ließ Marinette zu, dass ihr Körper sich den Schlaf zurückholte, den sie ihm vorenthalten hatte.
Sie machte den ganzen Tag nichts anderes, als zu schlafen und so zu tun, als würde sie lernen.
Zweimal verwandelte sie sich, doch Cat Noir hatte ihr keine Nachricht hinterlassen.
Alya hatte versucht, sie zu erreichen. Aber Marinette hatte den Anruf nicht angenommen.
Wenn sie mit ihrer besten Freundin sprach, würde sie wieder Lügen müssen, und im Moment traute sie sich das nicht zu.
Auch ihren Eltern ging sie aus dem Weg, soweit das möglich war.
Die größte Verzweiflung hatte sich gelegt. Trotzdem ging es ihr nicht gut.
Tikki gab sich alle Mühe, sie zu trösten, aber auch sie konnte ihr nicht weiterhelfen.
Nicht einmal ihr weises, jahrtausendealtes Kwami hatte einen Rat für sie.

Marinette hatte keine Ahnung, wie es nun weitergehen sollte.
Der Hausarrest war ihr relativ egal.
Aber die Lügen waren ihr nicht mehr egal.
Und als sie am Montagmorgen das letzte Stück ihres Schulweges zurücklegte, wurden ihre Schritte immer langsamer und langsamer.
Sie fürchtete sich davor, auf ihre beste Freundin zu treffen.
Sie fürchtete, ihre Maske nicht mehr überzeugend tragen zu können.
»Alya! Ich will dich nicht mehr anlügen. Ich bin Ladybug! Und ich habe eine Beziehung mit Cat Noir.«
Gefährlich nah waren diese Worte ihrer Zunge schon.
Sie spürte es und das machte ihr Angst.
»Du solltest aufpassen, was du dir wünschst, Marinette. Sonst machst du irgendwann noch etwas Dummes.«
Das hatte Tikki zu ihr gesagt, bevor sie aus Versehen die Nachricht an Alya verschickt hatte. Die Nachricht, in der sie ihr ihre Ladybug-Identität »verraten« hatte.
Und gerade jetzt wusste Marinette ganz genau, wie ernst zu nehmen diese Warnung war.
Sie durfte sich nicht wünschen, Alya einzuweihen.
Genauso wenig wie sie sich wünschen durfte, mit Cat Noir eine normale, öffentliche Beziehung zu führen.
Beides waren Wünsche, die sie zu einer katastrophalen Dummheit verleiten wollten.

Allerdings war einfach Weitermachen wie zuvor auch keine Option.
Nicht nur Marinettes Beziehungen würden daran kaputtgehen, sondern auch ihre Seele.
Der Schmerz, den sie ihrer Mutter bereitete, die Wut, die sie in ihrem Vater hervorrief, den Vertrauensbruch, den sie ihrer besten Freundin antat, und den Alya irgendwann nicht mehr hinnehmen würde – all das setzte Marinette zu.
Sie war erschöpft und ratlos.
Und dass sie in jeder Sekunde Cat Noir vermisste, machte es nur noch schwieriger. Denn die Beziehung mit ihm war für all das verantwortlich.
Sie hatte befürchtet, dass ihre Liebe dazu führen würde, dass er akumatisiert wurde und Paris zerstörte – so wie in der Zeitlinie, in die Bunnyx sie gebracht hatte.
Aber nicht nur sein Kataklysmus konnte Dinge zerstören.
Anscheinend reichte schon seine bloße Existenz aus, damit Marinettes Leben schaden nahm.

Natürlich machte sie ihm dafür keinen Vorwurf.
Keiner von ihnen beiden konnte etwas dafür.
Niemand trug Schuld daran.
Aber es war trotzdem wahr und real.

Marinette war stehen geblieben. Sie sah hinauf zum Eingang der Schule und es kam ihr beinahe wie ein schlechter Scherz vor, dass sie nun hier war.
Schule? Jetzt?
Wie sollte sie sich heute auf so etwas wie Mathematik oder Chemie konzentrieren?
Wenn sie nicht gerade lernte, wie man eine unauflösbare Gleichung auflöste oder wie man eine alles bereinigende Lauge herstellte, würde es ihr kein Stück weiterhelfen.
Ihre Probleme waren keine Schulstoffprobleme, sondern Lebensprobleme.
Marinette seuftzte leise und fuhr sich mit den Händen übers Gesicht.
Sie hasste es, wenn sie so hoffnungslos und pessimistisch war.
Aber sie kam einfach nicht gegen dieses überwältigende Gefühlsgemisch in ihrem Innern an:
Sehnsucht nach Cat Noir, Reue wegen all der Lügen und Angst vor den Entscheidungen, die sie nun treffen musste.

Auf der Straße vor der Schule fuhr ein Wagen vor und hielt einige Meter von Marinette entfernt. Es war Adrien, der wie immer von seinem Bodyguard zur Schule gebracht wurde.
Die hintere Tür öffnete sich und Marinette konnte Nathalies gedämpfte Stimme hören. »...und ich meine das ernst! Ich rate dir, dich diesmal zusammenzureißen. Weder du noch ich wollen auf deinen Vater treffen, wenn du dort heute nicht erscheinst!«
Adrien stieg aus dem Wagen aus.
Marinette konnte seinen düsteren Blick sehen, mit dem er auf den Gehweg starrte.
»Adrien!«, erklang Nathalies Stimme noch einmal und er blieb zwei Meter vom Auto entfernt stehen. Er drehte sich nicht zu ihr um.
»Hast du das verstanden
Er presste die Lippen fest aufeinander und beinahe rechnete Marinette damit, dass er widersprechen würde. Doch stattdessen sagte er knapp: »Hab ich.«
Die Autotür schloss sich und das Fahrzeug fuhr davon.
Adrien stand noch immer auf dem Gehweg und starrte auf den Boden.
Schließlich hob er den Kopf und bemerkte Marinette, die nur zwei Meter von ihm entfernt stand.
Ihre Blicke begegneten sich.
Mit dem verbissenen Ausdruck auf seinem Gesicht hatte sie gerechnet, aber die Traurigkeit in seinen grünen Augen überraschte sie.
Sofort verspürte sie eine Art Verbundenheit, gegen die sie sich nicht wehren konnte.
Sie fand ihre eigene Traurigkeit in seinem Blick wieder.
Und Adrien schien es genauso zu gehen.
Er öffnete den Mund, als ob er etwas sagen wollte, tat es jedoch nicht.
Sein Blick wurde noch trauriger und Marinette spürte genau das Gleiche.
Auch sie wollte ihn gern ansprechen; wollte ihn fragen, was los war.
Aber das war nicht möglich.
Sie hatten geklärt, dass ihre Freundschaft nicht mehr auf diese Weise funktionierte.
Er war nicht der Richtige, um mit ihm über ihre Probleme zu reden, und damit war sie auch nicht mehr die Richtige, um in so einer Situation für ihn da zu sein.
Adrien senkte den Kopf und ging wortlos an ihr vorbei ins Schulgebäude.

Marinette konnte es sich selbst nicht so recht erklären, aber sie hatte es irgendwie hinbekommen, den kompletten Schultag zu überstehen, ohne ihre beste Freundin ein einziges Mal anzulügen.
Alya hatten ihre wagen, ausweichenden Antworten offensichtlich nicht gefallen, und am Ende des Tages war sie sogar ein wenig eingeschnappt. Aber zumindest hatte Marinette sie nicht angelogen.
Und das war im Moment das Wichtigste.
Sie war beinahe ein wenig erleichtert über ihren Hausarrest. Damit hatte sie eine gute Ausrede, warum sie nach der Schule sofort nach Hause musste.

Auf dem Weg nach draußen lief Adrien einige Meter vor ihr. Auch er schien es eilig zu haben.
Vor der Schule wartete der Wagen bereits auf ihn und mit gesenktem Kopf stieg er ein.
Marinette sah dem silbernen Auto hinterher, als es davonfuhr.
Sie verspürte eine Art Bedauern oder Mitleid.
Sie verbot sich, weiter über Adrien nachzudenken – sie hatte mit ihren eigenen Problemen schon genug zu tun – und machte sich auf den Heimweg.

Marinette hatte schon eine ganze Weile in ihrem Bett gelegen, als sie den Versuch wagte.
Sie fürchtete sich vor der Enttäuschung, wenn Cat Noir sich wieder nicht gemeldet hatte. Aber sie wusste, dass sie nicht würde einschlafen können, wenn sie es nicht wenigstens überprüft hatte.
»Tikki, verwandle mich!«, forderte sie ihr Kwami auf.
Unter ihrer Bettdecke verdrängte der Ladybug-Anzug ihren Schlafanzug.
Sie griff nach dem Bugphone und öffnete es.
Acht verpasste Anrufe und eine Nachricht auf der Mailbox.
Sofort hatte sie einen dicken Kloß im Hals und ihre Augen wurden feucht. Sie rief die Nachricht ab und hielt sich das aufgeklappte Jo-Jo ans Ohr.
»Ladybug, was ist passiert?«
Cat Noirs Stimme klang panisch.
»Ich bin in der Wohnung. Bitte! Komm vorbei! Es ... es tut mir so leid.«
Marinette sah auf das Display.
11.07 Uhr hatte er zum ersten Mal versucht, sie zu erreichen, und dabei auch diese Nachricht hinterlassen.
Das war schon über eine Stunde her.
Er musste mittlerweile völlig fertig mit den Nerven sein.

Marinette schleuderte die Bettdecke zur Seite und hechtete durch das Dachfenster nach draußen.
So schnell, wie sie nur konnte, näherte sie sich der Wohnung.
Sie kämpfte bereits gegen die Tränen an.
Als sie die Dachterrasse erreichte, kam Cat Noir sofort auf sie zugestürzt.
Er hatte es wohl nicht ausgehalten, im Inneren der Wohnung zu warten.
Er schloss sie in seine Arme und drückte sie so fest, dass sie keine Luft mehr bekam. Doch das war ihr egal.
Sie begann zu weinen und klammerte sich an ihn.
»Es tut mir so leid!«, hörte sie seine gedämpfte Stimme. »Es tut mir so leid, dass ich nicht für dich da war.«
Das Schluchzen verhinderte, dass Marinette etwas erwidern konnte.

Nach einer Weile hob Cat Noir sie hoch und trug sie ins Innere der Wohnung, zum Sofa.
Zusammengesunken saß Marinette auf seinem Schoß.
Sie klammerte sich noch immer an ihn und er schloss sie noch immer in seinen Armen ein.
Er lehnte sich nach hinten, sodass sie halb auf seiner Brust lag und zog die Decke über sie.
So saßen sie mehrere Minuten da.

Mit der Zeit wurde Marinette ruhiger.
Als sie schließlich den Kopf hob, sah Cat Noir sie mit wässrigen Augen an.
Sie wusste nicht, ob sie seinen oder ihren eigenen Schmerz auf seinem Gesicht sah.
»Es tut mir so leid!«, flüsterte er.
Sie schaffte es irgendwie, ihren Mund zu einem kleinen Lächeln zu verziehen.
»Du kannst doch nichts dafür.«
»Was ist passiert?«, fragte er.
Sie konnte ihm deutlich die Unruhe und Sorge anhören.
»Nur ein paar Probleme in meinem Nicht-Ladybug-Leben.«
»Was für Probleme?«, fragte er weiter, »Als du am Samstagabend versucht hast, mich zu erreichen, war das gerade einmal eine Stunde nach unserem Treffen. Hatte es etwas damit zu tun?«
Sie wollte die Frage gern verneinen, aber das wäre gelogen gewesen.
»Unserer Beziehung kollidiert an manchen Stellen mit meinem sonstigen Leben.«, sagte sie ausweichend, »Und manchmal führt sie dort auch zu Problemen.«
»Was für Probleme?«, fragte er wieder.
Er klang nun noch unruhiger als vorher.
»Du musst das doch auch kennen, oder?«
Marinette sah ihn fragend an. »Dass man ständig lügen muss?«
Er nickte zögerlich und sie redete weiter.
»Ich fand es schon immer extrem schwierig, meiner Familie und meinen Freunden etwas vormachen zu müssen.
Aber jetzt ... jetzt ist es irgendwie aus dem Ruder gelaufen.«
»Was genau ist passiert?«
Sie schüttelte den Kopf und senkte den Blick.
»Das kann ich dir nicht sagen.«
»Bitte, Ladybug! Ich muss wissen, was passiert ist!«
»Das spielt doch gar keine Rolle.«, erwiderte sie leise. »Du kannst sowieso nichts tun.«
»Und das soll ich jetzt einfach hinnehmen?«
Sie hob den Kopf und sah ihm wieder in die Augen.
Cat Noir hatte die Lippen fest aufeinandergepresst und sie konnte spüren, wie sein Körper bebte.
»Warum hast du mich dann überhaupt weinend angerufen? Und warum bist du hierher gekommen?«
Er klang tatsächlich verärgert.
Marinette war verwirrt.
Er wusste doch, dass sie keine Wahl hatte – dass sie ihm nichts aus ihrem Leben erzählen durfte.
War er jetzt tatsächlich deswegen sauer auf sie?
»Ich ... ich habe dich vermisst.«, antwortete sie, »Und ich wollte bei dir sein.«
Cat Noir schloss die Augen.
Sie konnte sehen, wie er schwer schluckte.
»Ruf mich das nächste Mal nicht an.«, sagte er mit ungewohnt harter Stimme.

»Was? Du ... du willst nicht, dass ich dich anrufe?«
Marinette sah ihn verwirrt an.
Nicht nur seine Stimme klang wie die eines Fremden. Auch die Worte passten kein Stück zu ihm.
Doch er antwortete mit einem Nicken.
»Wenn es dir das nächste Mal so schlecht geht, ruf mich nicht an. Und komm auch nicht hier her, wenn du weinen musst.«
»Cat! Was ist denn nur los?«
Sie versuchte, seinen Blick einzufangen, aber er wich ihr aus.
Sie musste schwer schlucken.
Dann fragte sie mit zittriger Stimme: »Warum bist du so wütend auf mich?«
Endlich hob er den Kopf und sah sie an.
»Ich bin nicht wütend auf dich,«, knurrte er, »sondern auf diese Situation!«
»Ich verstehe nicht ...«
»Verdammt, Ladybug!«
Seine laute Stimme ließ sie zusammenzucken.
»Ich versuche doch nur, mich an die Regeln zu halten!«
»Regeln? Meinst du unsere Beziehungsregeln?«
Er nickte.
Dabei hatte er die Zähne so fest aufeinandergepresst, dass die Sehnen an seinem Hals hervortraten. Und zusammen mit seinem lodernden Blick ließ es ihn direkt bedrohlich aussehen.
Wenn es nicht Cat Noir gewesen wäre, hätte Marinette nun Angst bekommen.

Sie legte ihre Hand auf seinen Arm und versuchte, wieder Blickkontakt herzustellen.
»Warum willst du nicht, dass ich dich anrufe?«, fragte sie mit sanfter Stimme.
»Weil ich es nicht aushalte!«, antwortete er gepresst.
»Was genau hältst du nicht aus? Mich weinen zu sehen?«
Er nickte, wechselte dann aber zu einem Kopfschütteln.
»Ich ertrage es nicht, dir nicht helfen zu können.«
»Aber du hast mir doch geholfen. Du hast mich getröstet.«
»Aber das ist nicht genug!« Seine Stimme bebte. »Ich will dir richtig helfen.
Und auch nicht erst zwei Tage später.«
»Das kannst du aber nun mal nicht.«
»Das stimmt so nicht.«, widersprach er. »Ich darf dir nur nicht helfen.«
»Cat ...«, sagte sie sanft.
»Schon gut.«, hielt er sie ab, »Du musst es nicht aussprechen. Ich weiß, warum es diese Regeln geben muss.
Und genau deswegen bitte ich dich, mich nicht anzurufen, wenn es dir schlecht geht.«
»Du befürchtest, dass du Regeln irgendwann brechen wirst, wenn so etwas noch öfter passiert.
Ist es das?«
Er nickte und sank ein Stück in sich zusammen.
»Es ist schon schwer genug, auch ohne deine Tränen. Selbst wenn alles in Ordnung ist, muss ich mich ständig daran erinnern, warum die Regeln so wichtig sind.
Selbst wenn es dir gut geht - wenn du bei mir und glücklich bist – komme ich manchmal kaum gegen die Gedanken an.
Gegen die ... Angst.«
»Angst? Wovor?«
Marinette ertrug es kaum, ihren Freund so zu sehen.
Zusammengesunken, traurig und verängstigt.
»Ich ...«
Er hob die Hand und verbarg sein Gesicht dahinter.
»Ich kann nicht aufhören, es mir vorzustellen.
Was alles passieren könnte.
Ich weiß: Deine größte Angst ist, dass unsere Identität bekannt wird und wir deshalb gegen Hawk Moth verlieren.
Aber ich fürchte mich viel mehr vor dem, was passieren kann, weil ich deine Identität nicht kenne.
Du könntest einfach verschwinden; von einem Tag auf den anderen nicht mehr auftauchen.
Und ich hätte absolut keinen Anhaltspunkt, um nach dir zu suchen.
Du könntest einen Autounfall haben und im Krankenhaus liegen und ich hätte keine Möglichkeit, davon zu erfahren.
Oder noch schlimmer: Hawk Moth könnte deine Identität herausfinden und dir etwas tun. Ich würde es nicht einmal mitbekommen.
Ich könnte dir nicht helfen.
Ich könnte dich nicht beschützen
»Aber du beschützt mich doch schon.«, erwiderte Marinette. »Indem du meine Identität beschützt!
Das ist der beste Schutz, den du mir geben kannst.«
»Ich weiß. Deshalb halte ich mich auch an die Regeln.
All die Befürchtungen, die ich gerade aufgezählt habe: Ich komme mit ihnen klar.
Und auch mit der Tatsache, dass ich dich nicht jederzeit erreichen kann, habe ich mich abgefunden.
Ich weiß, dass es keine andere Möglichkeit gibt.
Aber wenn es dann real wird - wenn du ganz konkrete Probleme hast - ist das zu viel.
Dann will ich diese Regeln einfach nur vergessen und wissen, wer du bist und wo ich dich finden kann.«

Er nahm die Hand vom Gesicht, hob den Kopf und sah Marinette an.
Sein Blick machte ihr zu schaffen, doch sie wusste, dass sie ihn zu Ende reden lassen musste.
»Wenn du per Telefon ein Treffen absagst und ich plötzlich ein lautes Krachen auf deiner Seite höre ...
Wenn du weinend versuchst, mich zu erreichen ...
Wenn du mir sagst, dass du wegen unserer Beziehung Probleme hast ...
Ich habe nicht genügend Beherrschung, um so etwas auf Dauer einfach tatenlos hinzunehmen.«

Er verstummte und Marinette dachte über seine Worte nach.
Schließlich legte sie den Kopf auf die Seite und sah ihn eindringlich an.
»Also willst du tatsächlich, dass ich diese Dinge vor dir geheim halte?
Ich soll so tun, als hätte ich keine Probleme? Ich soll dir etwas vormachen, damit du nicht irgendwann die Beherrschung verlierst und mich enttarnst?«
»Es tut mir leid.«, sagte er, »Aber ja. Wenn es irgendwie möglich ist, würde ich dich bitten, das für mich zu tun.
Für mich, für uns und zum Schutz von Paris.«

Marinette presste die Lippen aufeinander und schüttelte ganz leicht den Kopf.
Sie wusste nicht, ob sie wütend, verletzt oder enttäuscht war, aber sie spürte deutlich das Ringen um Fassung in ihrem Innern.
»Ich habe dir gerade erst erzählt, dass ich mit den vielen Lügen in meinem Leben nicht klarkomme. Und jetzt bittest du mich darum, dich auch noch anzulügen?«
»Es tut mir leid.«, wiederholte er.
»Ich weiß, dass das nicht fair ist. Aber ich bin nicht so stark wie du.«
»Wie kommst du darauf, dass ich stark bin?«
Marinette wollte fest und bestimmt klingen, doch sie kam nicht vollständig gegen das Zittern in ihrer Stimme an.
»Du kannst doch gar nicht wissen, wie ich an deiner Stelle mit der Situation umgehen würde. Du hast mir noch nicht einmal die Möglichkeit dazu gegeben.«
Mit einem schuldbewussten Ausdruck senkte Cat Noir den Kopf.
»Ich habe mich mehr als einmal gefragt, wie du bei jedem einzelnen unserer Treffen so unglaublich gut gelaunt sein kannst.«, redete Marinette weiter, »Ich habe mich gewundert, wie unterschiedlich unsere Leben zu sein scheinen.
Wir sind in etwa im gleichen Alter, aber du schienst nie irgendwelche Probleme zu haben.
Du hast immer so gewirkt, als sei in deinem Leben alles in bester Ordnung.
Aber dabei hast du mir nur etwas vorgemacht, oder? Du hast erlebt, wie meine Probleme dich belastet haben. Und du wolltest mir das ersparen.
Also hast du all das komplett von mir ferngehalten.
So ist es doch, oder?«
»Bitte, Ladybug.«, sagte er leise, »Wirf mir das nicht vor. Es gibt jede Menge guter Gründe, meine Alltagsprobleme von dir fernzuhalten.
Es ist doch für uns beide eine Qual.
Für mich ist es schlimm, weil ich dir keine Einzelheiten nennen darf.
Und für dich ist es schlimm, weil du es nicht nachvollziehen kannst und tatenlos zusehen musst.
Wir können so tun als würden wir darüber miteinander reden. Aber in Wahrheit fügen wir uns damit nur gegenseitig Schmerzen zu und machen unsere Situation noch schwieriger.«

»Du ... du siehst es gar nicht, oder?«
Marinette brachte nur noch ein Flüstern zustande.
»Du erkennst gar nicht, was das bedeutet!«
»Ladybug ...«
Cat Noir sah sie aus sanften, traurigen Augen an und hob die Hand, um sie an ihre Wange zu legen.
Doch sie wich davor zurück.
Sie war zu verletzt, um jetzt eine Berührung von ihm zu ertragen.
»Ich dachte immer, dass ich diejenige sein würde, die unsere Beziehung sabotiert. Dass meine Ängste und Sorgen irgendwann die Oberhand gewinnen und ich vor der Zukunft zurückschrecke.
Aber du hast uns schon längst aufgegeben.«
»Was?«
Cat Noir wirkte ehrlich geschockt.
»Ich habe uns doch nicht aufgegeben!
Im Gegenteil: Ich tue alles, damit es nicht in einer Katastrophe endet.
Genau wie du!«
»Das hattest du vielleicht vor. Aber was du in Wahrheit getan hast, ist uns eine der wenigen Sachen zu nehmen, die uns zusammengehalten haben.«

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