17

»Tikki, verwandle mich zurück!«
Marinette hatte den Satz noch nicht zu Ende gesprochen, als Cat Noir auch schon die Augen weit aufriss – und sie im nächsten Moment fest zusammenpresste.
Und als ob das noch nicht ausgereicht hätte, hob er auch noch hastig seine Hand und legte sie über die obere Hälfte seines Gesichts.
Marinette empfand tatsächlich so etwas Stolz, als sie ihn so vor sich auf dem Sofa sitzen sah.
Mit dieser Reaktion hatte sie nicht gerechnet.
Sie wechselte einen amüsierten Blick mit Tikki, die vor ihr aufgetaucht war.
Dann ging sie auf Cat Noir zu und setzte sich seitlich auf seinen Schoß.
Sie spürte, wie sein Körper bebte.
Er atmete schnell und hektisch.
Marinette hob ihre beiden Hände und näherte sich damit seinem Gesicht. Als ihre Fingerspitzen seine Wange berührten, zuckten sie beide leicht zusammen.
Marinette spürte, wie sie lächelte.
In den letzten Tagen und Wochen hatte sie sich so oft gewünscht, keinen Anzug zu tragen, wenn sie ihm über das Gesicht gestrichen hatte.
Und nun wurde es Wirklichkeit.
Ihre linke Hand ließ sie auf seiner Wange liegen, während die rechte ganz sacht über seine weiche Haut strich, bis hinab zu seinem Mund.
Mit ihren Fingerspitzen fuhr sie seine Unterlippe entlang.
Sie konnte sehen, wie Cat Noir schwer schluckte.
Und auch für sie selbst war die Berührung beinahe zu viel.
Erst, als sie von seinen Lippen abließ, konnte sie wieder halbwegs gleichmäßig atmen.

Sie griff nach der Hand, mit der er seine Augen bedeckte und zog sie zur Seite.
Sie wollte ihm sagen, dass er sie ansehen durfte, doch sie konnte dazu nicht ihre Stimme benutzen.
Also benutzte sie ihre Lippen.
Sie lehnte sich nach vorn und hauchte ihm einen Kuss auf jedes Augenlid, in der Hoffnung, dass er es verstehen würde.
Doch er öffnete die Augen nicht.
Marinette sah hinüber zu Tikki und nickte ihr zu. Ihr Kwami verstand.
»Cat Noir, du darfst sie ansehen. Es ist in Ordnung.«

»Was soll das, Tikki?«, fragte er. »Warum hat sie sich zurückverwandelt?«
»Öffne einfach die Augen, Cat Noir.«
Erst nach einigem Zögern folgte er der Aufforderung.
Ganz langsam hoben sich seine Augenlider und er erwiderte Marinettes Blick.
Jetzt endlich begriff er.
»Du hast mir einen ganz schönen Schrecken eingejagt, Prinzessin.«, sagte er, während er die Maske musterte, die sie über dem Gesicht trug.
Sie machte eine entschuldigende Geste mit ihren Schultern und erwiderte sein Lächeln.

Cat Noir ließ seinen Blick nach unten wandern und an dem Funkeln in seinen Augen erkannte sie, dass ihm gefiel, was er da sah.
»Das steht dir ja noch besser, als dein Ladybug-Anzug.«, meinte er, während er sich gar nicht an ihr sattsehen konnte.
Obwohl er sich Mühe gab, nicht allzu offensichtlich die unbedeckten Stellen ihres Körpers anzustarren, sprangen seine Augen ständig hin und her. Von ihren nackten Armen und Schultern hinab zu ihren Beinen und dann wieder zum Ausschnitt ihres Kleides.
Wenn Marinette ehrlich mit sich war, war das genau die Reaktion, auf die sie gehofft hatte.
Trotzdem wurde sie ein kleinwenig rot im Gesicht.

Sie erhob sich von Cat Noirs Schoß und machte einige Schritte in Richtung Schlafzimmertür.
Überdeutlich spürte sie dabei seinen Blick auf sich.
»Ist das die Überraschung?«, fragte er. »Dieser Anblick?«
Sie drehte sich zu ihm herum und schüttelte den Kopf. Dann sagte sie ihm mit einer Handgeste, dass er ihr folgen sollte.
Sie ging hinüber zur Schlafzimmertür und trat ein.
Aus dem Augenwinkel bekam sie mit, wie Cat Noir ihr mit katzenhafter Schnelligkeit folgte, und als sie vor dem Kleiderschrank stehen blieb, stand er bereits neben ihr.
Sie zog die Schublade heraus, die sie vor seinem Eintreffen präpariert hatte und neugierig sah er hinein.

Marinette wollte ihn allein lassen und ins Wohnzimmer zurückkehren, doch er hielt sie am Handgelenk fest.
»Warte!«
Fragend sah sie ihn an.
»Da ich gleich nicht mehr die Gelegenheit dazu haben werde, sage ich es dir jetzt noch einmal.
Ich liebe dich. So unglaublich sehr.«
Ein warmes Gefühl rauschte durch Marinettes Körper und mit zwei schnellen Schritten stand sie vor ihm, lehnte sich zu ihm hinauf und küsste ihn.
»Schön, zu hören, dass du mich auch liebst.«, sagte er lächelnd.
Dann verließ sie das Zimmer und schloss die Tür hinter sich.
Die nächsten Minuten würden für sie nur langsam und qualvoll vergehen, aber das Warten würde sich lohnen.

Marinette lehnte neben der Schlafzimmertür an der Wand und lächelte in sich hinein.
Sie stellte sich vor, wie Cat Noir auf der anderen Seite der Wand den Instruktionszettel studierte, den sie in der Schublade für ihn bereitgelegt hatte.

Wir machen einen gemeinsamen Ausflug. Bereite dich darauf vor, indem du diese Punkte befolgst.

1) Verwandle dich zurück und zieh die bereitgelegten Sachen an, einschließlich der Maske.
2) Stell sicher, dass dein Ring nicht im Tarnmodus ist.
3) Stelle dein Handy auf lautlos und stecke es ein.
4) Stecke deinen Personalausweis ein.
5) Stecke den Notizblock und den Stift ein.
6) Vergewissere dich, dass nichts deine Identität verrät.

Dann komm zu mir nach draußen und lass dich überraschen, wo es hingeht.

Dass Cat Noir sich gerade auf der anderen Seite der Wand umzog, machte Marinette ein kleinwenig nervös und so versuchte sie sich auf etwas anderes zu konzentrieren.
Sie sah an sich selbst hinab und strich mit ihrer Hand über den seidigen Stoff ihres Kleides.
Sie erinnerte sich daran, wie sie am Nachmittag vor dem großen Spiegel in ihrem Zimmer gestanden hatte.
Und sie erinnerte sich an den Gedanken, der ihr dabei gekommen war: »Das ist weder eindeutig Ladybug noch eindeutig Marinette.
Das ist eine Mischung aus beiden. Und genau deswegen ist es so toll.«

Anders als bei ihrem Sprung mit Cat Noir vom Montparnasse-Hochhaus trug sie dieses Mal keine Ladybug-Fanartikel-Maske.
Stattdessen war es eine Maske, die sie selbst angefertigt hatte – von der gleichen Form, aber deutlich schicker und passend zu ihrem Kleid.
Sie war mit einem schwarzen, samtigen Stoff bezogen und darüber mit einer Schicht dunkelroten Spitzenstoff verziert.
Ihr Kleid war von der gleichen, dunkelroten Farbe wie die Spitze und Marinette hatte sich schon im ersten Moment in es verliebt, als sie es im Laden gesehen hatte.
Es war figurbetonter und offenherziger als jedes Kleid, das sie jemals getragen hatte, aber sie fühlte sich unheimlich wohl darin.
Ob das an ihrem bedeckten Gesicht oder dem Selbstbewusstsein lag, das Cat Noir in ihr hervorrief, wusste sie nicht.
Das Kleid hatte einen schmeichelhaften V-Ausschnitt und kurze halb-durchsichtige Ärmel. In der Taille und bis zur Mitte ihres Oberschenkels war es eng anliegend, aber trotzdem sehr bequem. Unterhalb davon weitete es sich in einen locker fallenden, schwingenden Rock, der bis knapp über ihre Knie reichte.

Marinette machte einen Schritt von der Wand weg und drehte leicht die Hüften. Sie mochte das Gefühl, wenn der Stoff des Rocks über ihre Haut strich.
Das Kleid war nicht unbedingt passend für die Jahreszeit und womöglich würden ihre Beine außerhalb der Wohnung binnen kürzester Zeit durchgefroren sein. Doch das würde es ihr wert sein.
An einem Abend wie diesem konnte es kein besseres Kleidungsstück geben.
Es musste sich toll anfühlen, in diesem Kleid zu tanzen – vor allem, wenn man dabei in Cat Noirs Armen lag.

Als sich die Tür hinter ihr öffnete, konnte Marinette sich gar nicht schnell genug umdrehen.
Mit einem zurückhaltenden – fast schon schüchternen – Lächeln, trat Cat Noir aus dem Schlafzimmer nach draußen.
Jetzt war es an Marinette, ihn von oben bis unten zu mustern, und sein Anblick war sogar noch deutlich besser als in ihrer Vorstellung.
Die Kleidung, die sie für ihn ausgewählt hatte, stand ihm umwerfend.
Eine schlicht, schwarze Hose, ein graublaues Hemd mit dunkelgrauen Akzenten und darüber eine schwarze Lederjacke.
Dazu noch seine blonden Haare und die schwarze Maske, aus der er sie mit seinen strahlend-grünen Augen ansah ...
Marinette bekam direkt ein wenig weiche Knie.
Keine Frage: Sie mochte seinen Cat-Noir-Anzug und seine Katzenaugen. Aber nun entsprach er eher dem Bild, dass sie sich als zwölfjähriges Mädchen von ihrem zukünftigen Freund gemacht hatte.
Mit diesem Cat Noir konnte sie überall hingehen.

Er kam auf sie zu und griff nach ihrer Hand. Marinette musste sich ein Aufseufzen verkneifen, als ihre Finger sich ineinanderschoben.
Wie hatte sie diese Berührungen vermisst!
Als er dann auch noch mit seiner anderen Hand ihren nackten Arm hinaufstrich, musste sie sich an seinem Unterarm festkrallen, um nicht zu schwanken.
Wenn sie es zugelassen hätte, wäre seine Hand vermutlich noch bis hinauf zu ihrem Hals gewandert, doch sie konnte ihn gerade noch am Handgelenk festhalten und entschuldigend anlächeln.
Er sah ein kleinwenig enttäuscht aus, erwiderte das Lächeln aber.
Mit ihm im Schlepptau ging Marinette hinüber in die Küche und griff nach dem schwarzen Mantel und der kleinen Umhängetasche, die sie dort auf einem Stuhl deponiert hatte.
Um den Mantel anzuziehen, musste Cat Noir widerwillig ihre Hand loslassen, doch er nahm ihr sofort den Mantel ab und half ihr hinein.
Dabei kam es nun doch noch zu einer Berührung zwischen seiner Hand und ihrem Nacken.
Wie erwartet jagte sie einen kleinen Stromstoß durch ihren Körper.

Ihre Hand und Cat Noirs fanden sich wieder, sie wechselten einen Blick und gingen dann auf die Wohnungstür zu.
Marinette spürte, wie sich ihr Herzschlag beschleunigte.
Sie würde tatsächlich tun, was sie bis vor wenigen Tagen nicht für möglich gehalten hatte.
Sie würde mit ihrem Freund ausgehen - in der Öffentlichkeit.

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