16

Am Freitagabend stand Marinette im Schlafzimmer der Wohnung vor dem Kleiderschrank, und alles, woran sie dachte, waren Cat Noir und die Überraschung.
Sie fragte sich, wer von ihnen beiden wohl mehr auf diesen Tag hingefiebert hatte.
Sie wusste, dass Cat Noir nicht der Geduldigste war, aber auch sie selbst hatte es kaum erwarten können. Und je näher der Moment rückte, desto aufgeregter wurde sie.
Zu ihrem Bedauern war noch eine halbe Stunde Zeit, bis sie mit Cat Noir rechnete, und sie war bereits fertig mit dem Vorbereiten der Wohnung.
Sie sah hinab auf die offene Schublade des Kleiderschrankes und kontrollierte ein letztes Mal, dass alles an seinem Platz lag, dann schloss sie die Schublade und ließ ihren Blick durch den Raum schweifen.
Es war ein seltsames Gefühl, im Schlafzimmer der Wohnung zu stehen. Genau wie dem Wohnzimmer und der Küche fehlte auch diesem Raum noch die persönliche Note, trotzdem mochte Marinette es hier.
Eine der Wände war in einem dunklen Rotton gestrichen und passte gut zum hellen Holz der Möbel und dem cremefarbenen Teppich. Und auch der hellgraue Bettbezug trug zur gemütlichen Atmosphäre des Raumes bei.
Sie fragte sich, ob Cat Noir ihn ausgewählt hatte.
Er hatte gemeint, dass die Wohnung schon möbliert gewesen war, aber gehörten da auch Bettlaken dazu?
Wie er wohl reagieren würde, wenn sie ihn darauf ansprach?
Bei der Vorstellung lächelte sie in sich hinein.

Sie ging hinüber zum Ausgang, um ins Wohnzimmer zurückzukehren und dort die restliche Zeit totzuschlagen. Sie hatte die Tür noch nicht vollständig hinter sich geschlossen, als auf einmal Cat Noir durch das Dachfenster gefallen kam.
Vor Schreck zuckte sie zusammen.
Und anscheinend war ihr auch zwei Sekunden später noch anzusehen, dass sein plötzliches Auftauchen sie völlig unerwartet getroffen hatte.
»Entschuldige, Prinzessin.«, sagte er, »Ich wollte dich nicht erschrecken.«
Er lächelte sie leicht verlegen an.
Marinette atmete zweimal tief durch, schloss die Tür und kam dann auf ihn zu.
»Alles gut.« Sie erwiderte sein Lächeln.
»Ich habe nur noch nicht so früh mit dir gerechnet.«
Sie legte die Arme um seinen Nacken und gab ihm einen Begrüßungskuss.
»Und warum bist du schon hier?«, fragte er mit einem neugierigen Blick über ihre Schulter. »Was hast du dort drin gemacht?«
Er deutete mit einem Kopfnicken in Richtung Schlafzimmertür.
»Ich hab mir das Zimmer nur mal angesehen. Die letzten beiden Male bin ich nicht dazu gekommen.«
»Und dafür bist du extra eine halbe Stunde eher gekommen?«
»Ich konnte es eben kaum erwarten, dich zu sehen.«
Sie schmiegte sich an seinen Oberkörper und küsste ihn wieder.
»Irgendwie habe ich das Gefühl, dass du mich hiermit ablenken willst.«, murmelte Cat Noir, als sie seine Lippen für einen Moment freigab. »Aber ich kann nicht behaupten, dass ich etwas dagegen habe.«

Es grenzte für Marinette beinahe an ein Wunder, dass sie sich dieses Mal vom Sofa fernhalten konnten, aber als Cat Noir sie nach diesem langen Kuss ansah, erfuhr sie, warum er sich diesmal hatte beherrschen können.
»Verrätst du mir jetzt endlich, was die Überraschung ist?«
Die freudige Ungeduld in seiner Stimme war nicht zu überhören. Und auch in seinen Augen stand die Vorfreude.
»Tut mir leid, aber du musst dich noch ein wenig gedulden. Du bist zu früh gekommen.«
Enttäuscht fielen seine Mundwinkel herab.
»Das heißt, ich muss jetzt noch mal verschwinden, damit du es zu Ende vorbereiten kannst?«
Sie schüttelte den Kopf. »Es gibt nichts weiter vorzubereiten. Es ist aber einfach noch zu früh.«
»Es ist doch deine Überraschung. Warum kannst du dann nicht den Zeitpunkt festlegen?«
»Das wirst du schon noch sehen.«
Sie lächelte ihn tröstend an und streichelte ihm über die Wange.
»Und was machen wir dann solange?«, fragte er in leicht quengeligem Ton.
»Du könntest mir zum Beispiel erzählen, was dir heute so durch deinen hübschen Kopf gegangen ist.«
Sie nahm seine Hand und zog ihn zum Sofa hinüber. Sie setzte sich mit angezogenen Beinen darauf und er nahm neben ihr Platz.
»Und?« Sie sah ihn neugierig an. »Worüber hast du heute so nachgedacht?«
»Puh...«, er fuhr sich mit der Hand durch die Haare.
»Hast du nicht auch eine einfachere Frage? Zum Beispiel, was ich heute zu Mittag gegessen habe?«
»Komm schon! Es interessiert mich wirklich. Ist da gar nichts, was du mir erzählen kannst?«
Er zuckte mit den Schultern.
»Ich habe mich gefragt, was das heute Abend wohl für eine Überraschung ist. Und natürlich habe ich ganz viel an dich gedacht.«
Mit einem verführerischen Lächeln lehnte er sich zu ihr hinüber.
Doch Marinette ließ sich davon nicht ablenken oder einwickeln. Statt sich ebenfalls vorzulehnen und ihn zu küssen, sah sie ihn weiter erwartungsvoll an.
Mit einem leisen Seufzen gab er es auf und ließ sich in die Sofaecke zurückfallen.
»Tut mir leid, aber da ist nichts - außer dir nur unwichtiger Alltagskram.«
»Und was denkst du so, wenn ich dir tagsüber in den Kopf komme? Was für Gefühle hast du, wenn du in deinem Alltag an mich denkst?«
»Na was schon? Ich vermisse dich und wünsche mir, bei dir zu sein.«
»Und das ist alles?«
Er kniff die Augen zusammen und musterte sie mit schräg gelegtem Kopf.
»Was genau willst du denn von mir hören?«
»Einfach nur, was dich im Bezug auf uns beschäftigt.«
Ein kleines, sanftes Lächeln erschien auf seinem Gesicht.
»Ich habe irgendwie das Gefühl, dass du über etwas Bestimmtes nachgedacht hast, worüber du gern mit mir reden würdest. Ist das so?«
Marinette senkte den Blick.
Ihr war es selbst nicht aufgefallen, aber es stimmte wohl. Die vielen Gedanken der vergangenen Tage ließen sie nicht mehr los.
Und sie wollte mit ihm darüber reden.

Schon wieder kam ihr Tikkis Warnung in den Sinn. Und auch die Regel, die sie und Cat Noir aufgestellt hatten: Immer offen und ehrlich zueinander zu sein.
Marinette konnte mit ihm unmöglich über das Adrien-Problem reden, von dem sie heute erfahren hatte. Aber da war ja noch mehr.
Sie war mitten in der Schule in Tränen ausgebrochen. Und das hatte einen Grund, der nur indirekt mit Adrien zusammenhing.

»Machst du dir wieder über etwas Sorgen?«, fragte Cat Noir.
Sie erwiderte seinen einfühlsamen Blick und schüttelte den Kopf.
»Nicht direkt Sorgen. Aber mir ist da etwas aufgefallen an meinem Alltag. Es hat mit dir zu tun. Und mit ... ihm.«
Eine ungewohnte Emotion zuckte über Cat Noirs Gesicht und er richtete sich ein Stück auf. Sie konnte sehen, wie sein Oberkörper sich anspannte.
Sie war sich nicht sicher, ob es klug gewesen war, Adrien zu erwähnen. Doch Cat Noir hatte es ja neulich erst gesagt: Sie mussten bei diesen Themen absolut ehrlich zueinander sein.
Und zumindest würde er ihr nun ganz genau zuhören.
»Ich hab dir ja gesagt, dass ich noch keine ernsthafte Beziehung hatte. Und das stimmt auch. Aber trotzdem bin ich irgendwie vorbelastet
»Mit ihm
Sie nickte.
»Da war nie etwas Ernstes zwischen uns, aber trotzdem habe ich mir Dinge vorgestellt.«
Cat Noir wandte den Blick ab, und er sah aus, als wäre ihm auf einmal schlecht geworden.
»Nicht das, was du jetzt denkst!«, sagte Marinette hastig, als ihr die Missverständlichkeit ihrer Worte bewusst wurde.
»Ich rede von einem Bild, das ich mir gemacht habe. Davon, wie eine Beziehung aussieht und was sie ausmacht.«
»Eine Beziehung mit ihm.«, sagte Cat Noir tonlos.
»Ja, mit ihm. Aber im Grunde spielt das gar keine Rolle, mit wem. Es geht um die Dinge, die ich mir gewünscht habe.
Ich weiß, dass vieles davon nur dumme, unrealistische Klein-Mädchen-Wünsche waren. Aber manche eben auch nicht.
Manche habe ich jetzt noch.«
Cat Noir sah sie noch immer nicht an.
Marinette hatte das Gefühl, die völlig falschen Formulierungen gewählt zu haben.
Sie fuhr sich mit der Hand über die Haare und atmete tief durch.
»Ich sage das nicht, um dich damit zu quälen, oder etwas in der Art, sondern weil ich vollkommen ehrlich zu dir sein will.
Du weißt, dass ich sehr glücklich mit dir bin, oder?«
Jetzt endlich erwiderte er ihren Blick und nickte.
»Wir haben ausgemacht, es uns immer zu sagen, wenn es ein Problem gibt. Aber das hier ist kein Problem. Es ist nur etwas, das mich beschäftigt.
Eine Tatsache, die mir bewusst geworden ist, und mit der ich jetzt versuche, auf die best mögliche Art umzugehen - damit es eben nicht zum Problem wird.
Kannst du das verstehen?«
Er nickte wieder und lächelte ganz leicht.
Dann stellte er eine Rückfrage.
»Was für Wünsche sind das genau?«
»Hautsächlich geht es darum, den Alltag mit dir zu teilen.
Ich würde mir wünschen, ganz alltägliche Dinge mit dir zu tun. Gemeinsam über die Straße gehen, oder in einem Café sitzen. Mit dir gemeinsam Mittagessen und mit unseren Freunden zusammen Zeit verbringen.«
Das Lächeln verschwand aus Cat Noirs Gesicht.
»Das sind alles Dinge, die du mit mir nicht tun kannst, aber mit ihm tun könntest.«
»Ja, aber darum geht es nicht. Ich habe ihn nur erwähnt, weil mich seine Gegenwart an diese Wünsche erinnert.«
Cat Noirs schaute nun noch finsterer und Marinette wusste, dass sie sich in eine Sackgasse geredet hatte.
»In seiner Gegenwart?«, fragte Cat Noir. Seine Stimme klang gepresst.
»Wie oft triffst du ihn denn?«
»Ich treffe ihn überhaupt nicht. Aber ich begegne ihm im Alltag.«
»Wie oft?«
»Cat ...«
»Wie oft
Marinette verfluchte sich selbst. Warum hatte sie ausgerechnet heute Abend – am Abend ihrer großen Überraschung – damit anfangen müssen? Und warum hatte sie Adrien so explizit erwähnen müssen?
Sie kam da jetzt nicht mehr raus.
Mit leiser Stimme antwortete sie: »Jeden Tag. Außer am Wochenende. Selten auch mal am Samstag.«
Cat Noir schloss für einen Moment die Augen. Sein Kiefer bebte.
»Noch so eine Sache, die mit mir nicht möglich ist.«
Er sah sie ausdruckslos an. »Tägliche Treffen.«
»Ich habe mir das nicht ausgesucht. Ich habe darauf keinen Einfluss.«
War das die volle Wahrheit? Marinette wusste es selbst nicht genau.
»Und wenn du Einfluss darauf hättest? Würdest du dich dann von ihm fernhalten?«
Cat Noir klang nicht wütend, aber sie war sich bewusst, warum er sich so um einen ruhigen Tonfall bemühte.
Er wollte nicht, dass sie sich verteidigte.
Er wollte, dass sie ihm die Wahrheit sagte.

Es kostete sie unheimlich viel Überwindung, aber Marinette zwang sich dazu, seiner stummen Bitte zu entsprechen. Ohne jede Ausnahme.
Das hatte er verdient.
Sie ließ sich mit jedem einzelnen Wort Zeit, um ja nichts Falsches zu sagen.
»Wir sind befreundet. Wenn ich also die Wahl hätte, würde ich ihn trotzdem noch treffen. Nicht täglich, aber regelmäßig.
Ich würde mich nicht allein mit ihm verabreden, aber zusammen mit unseren gemeinsamen Freunden. Und in dieser Atmosphäre würde ich auch weiterhin mit ihm Gespräche führen, mich mit ihm austauschen und ihm von Dingen aus meinem Leben erzählen.
Aber - «, sie sah Cat Noir so eindringlich an, wie sie nur konnte, »das bedeutet nicht, dass ich diese ganzen alltäglichen Dinge mit ihm erleben will. Das ist genau der springende Punkt: Ich will sie mit dir erleben.
Er erinnert mich nur daran.«

Cat Noir schwieg noch einige Sekunden weiter. Dann legte sich ein trauriger Zug über sein Gesicht.
»Ich verstehe es nicht, Ladybug. Nachdem er dir das Herz gebrochen hat, meintest du, du wüsstest nicht, wie du ihm überhaupt noch gegenüber treten sollst. Und jetzt verbringst du jeden Tag Zeit mit ihm?«
Sie lächelte ihn sanft an.
»Ich hatte damals Probleme mit seiner Gegenwart, weil ich die Gefühle für ihn nicht von einem Tag auf den andern ablegen konnte. Aber da ist schon lange rein gar nichts mehr.
Ich kann sogar mit ihm befreundet sein, ohne dass es komisch oder unangenehm ist. Er nimmt jetzt eine ganz andere Rolle ein.
Er ist jetzt nur noch der Freund, der mir dabei geholfen hat, die Gefühle für dich zu entdecken.«
Cat Noir verzog angewidert den Mund.
»Willst du jetzt wieder, dass ich ihm dankbar bin?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Ich will nur, dass du in ihm keinen Feind oder Konkurrenten siehst.
Er hat nie irgendetwas falsch gemacht. Er hat nie mit mir gespielt oder mich absichtlich verletzt.«
»Ich hasse es, wenn du so über ihn redest!«
Cat Noirs Stimme klang leise, aber so gepresst, dass es an ein Zischen erinnerte.
»Wie rede ich denn über ihn?«
»Als wäre er der Gute in der Geschichte.«
»Der Gute? Ist er deiner Meinung nach denn der Böse?«
»Auf jeden Fall ist er nicht so unschuldig, wie du es gern darstellt.«
»Und was hat er deiner Meinung nach verbrochen? Alles, was er getan hat, hat schlussendlich dazu geführt, dass wir beide zusammengekommen sind. Wie kannst du ihn dann dafür hassen?«
Marinette wusste nicht, wie es passiert war, aber hier saß sie und verteidigte Adrien schon wieder - genau wie am Vormittag Alya gegenüber.
»Ich hasse ihn nicht.«, erwiderte Cat Noir. »Ich hasse nur die Art, wie du über ihn redest.«
»Das hast du gerade schon gesagt. Aber ich verstehe es einfach nicht.
Ich habe doch ganz klar gesagt, was er mir bedeutet, und was nicht. Glaubst du mir etwa nicht?«
»Doch, ich glaube dir.
Aber das Problem ist, dass du es selbst nicht zu erkennen scheinst. Du bemerkst gar nicht, was du im Grunde sagst, wenn du so über ihn redest!«
Marinette klang schon leicht verzweifelt, als sie fragte: »Aber was sage ich denn?«
»Du sagst, dass er der Grund ist, warum wir ein Paar sind.«
»In gewisser Weise stimmt das doch auch. Wenn ich wegen ihm keinen Liebeskummer gehabt hätte, wären wir uns womöglich niemals so nahegekommen.«
In Cat Noirs Gesicht zuckte es. Mit tonloser Stimme erwiderte er:
»Und genau damit habe ich ein Problem.«

Marinette sah ihn an und wünschte sich nichts sehnlicher, als ihn wieder glücklich zu sehen.
Sie hasste den harten Ausdruck auf seinem Gesicht.
Sie wollte etwas tun – ihm irgendwie zeigen, dass er nicht mehr bedrückt sein musste – doch sie hatte keine Ahnung, wie.
Sie wusste noch immer nicht, was genau seinen Blick so leer und traurig aussehen ließ.
»Bitte, erklär es mir.«, sagte sie leise. »Warum ist es für dich so wichtig, wie oder durch wen wir zusammengekommen sind?«
Cat Noir senkte den Kopf.
Aber er entsprach ihrer Bitte und begann zu erklären.
»Jedes Mal, wenn ich daran zurückdenke, wie es mit uns angefangen hat – an deinen Liebeskummer, unsere Gespräche und die vielen Treffen – dann werde ich immer daran erinnert, welche Rolle er in all dem gespielt hat.
Du meintest, ich könnte ihm dankbar sein, weil du erst durch den Liebeskummer eine neue Seite an mir entdeckt hast.
Aber es gibt noch einen anderen, simpleren Grund, warum er für unsere Beziehung verantwortlich ist.
Weil er dich zurückgewiesen hat.«
Nun hob er den Kopf und erwiderte ihren Blick.
Marinettes Herz zog sich schmerzhaft zusammen. Sie wollte etwas sagen, bekam aber kein Wort heraus.
Er redete weiter.
»Wenn er nicht eine andere gewählt hätte, wärst du noch immer in ihn verliebt.
Du würdest noch immer darauf hoffen, irgendwann diese tolle Zukunft zu haben, die du dir so detailliert mit ihm vorgestellt hast.
Und ich: Ich wäre weiterhin nur dein Superheldenpartner.«
»Cat ...«, sagte Marinett mit leiser, trauriger Stimme.
Sie griff nach seiner Hand.
»Warum machst du dir über so etwas Gedanken? Wir können doch gar nicht wissen, was passiert wäre, wenn es diesen klaren Schnitt nicht gegeben hätte.«
»Ladybug, ich weiß, wie es ist, in jemanden verliebt zu sein, der diese Gefühle nicht erwidert.
Ich selbst konnte es doch auch nicht. Ich konnte dich in den viereinhalb Jahren auch nicht hinter mir lassen.
Und ich weiß, dass du sehr lang in ihn verliebt warst. Ohne die komplette Zerstörung deiner Hoffnung hättest du ihn nicht loslassen können.«
Sie wollte ihm widersprechen – sie wünschte sich so sehr ihm aus ganzem Herzen widersprechen zu können.
Doch wahrscheinlich hatte er recht.
Sie hätte Adrien nicht aufgeben, wenn sie das Gespräch zwischen ihm und Nino nicht belauscht hätte.
Das Gespräch, mit dem großen, endgültigen NIEMALS.

»Und was bedeutet das deiner Meinung nach?«, fragte sie mit brüchiger Stimme. »Dass meine Gefühle für dich nicht echt sind?«
»Nein. Aber es bedeutet, dass unsere ganze Beziehung allein von ihm abhängig ist.
Und ich kann nicht abschätzen, was passiert, wenn er sich irgendwann umentscheidet.«
»Darüber musst du dir wirklich keine Gedanken machen! Er wird sich nicht umentscheiden.«
Sobald die Worte ausgesprochen waren, fiel Marinette auf, dass sie es anders hätte ausdrücken sollen; dass sie ihm direkt hätte sagen sollen, dass keine Handlung von Adrien etwas zwischen ihnen beiden verändern konnte.
Doch da erwiderte er bereits:
»Darauf kann ich mich nicht verlassen.«
Plötzlich wurde sein Blick ganz sanft. Sanft und noch trauriger als zuvor.
»Du bist so ein unglaublicher Mensch! Ich kann mir nicht vorstellen, wie man sich nicht in dich verlieben kann.
Dieser Kerl muss vollkommen blind und taub und begriffsstutzig sein, wenn er eine andere dir vorgezogen hat.«
Seine Stimme bekam einen leicht zittrigen Unterton.
»Ich hab Angst davor, was passiert, wenn er seinen Fehler irgendwann bemerkt. Wenn er eines Tages aufwacht und erkennt, was er in dir verloren hat.«
Jetzt endlich verstand Marinette.
Es war in erster Linie keine Eifersucht, was Cat Noir so fertig machte.
Es war die Angst, sie zu verlieren.

»Und wenn schon.«, sagte sie. »Es würde trotzdem nichts zwischen uns ändern.«
Sie rückte ein Stück näher an ihn heran, nahm seine Hände in ihre und sah ihm tief in die Augen.
»Cat, denk bitte keine einzige Sekunde, dass du nur die zweite Wahl bist. Ich würde immer dich wählen.
Und ich rede nur so gut von ihm, weil ich ihm tatsächlich dankbar bin. Ich bin ihm dankbar dafür, dass er mir das Herz gebrochen hat - weil es dadurch endlich frei für dich geworden ist.
Ich bin ihm dankbar, weil er mir die wichtigste Sache auf der Welt ermöglicht hat: Dich kennen zu lernen; dein wahres Ich; so viele wundervolle Details an dir.
Cat, die Gefühle für dich sind unheimlich kostbar für mich. Ich würde sie für nichts auf der Welt eintauschen!«

Marinette musste einen Moment innehalten, um nach Luft zu ringen. Die heftigen Gefühle für Cat Noir rauschten durch jede Faser ihres Körper und raubten ihr beinahe den Atem.
Doch sie musste weitersprechen.

»Du redest davon, wie es hätte anders laufen können. Aber ich will noch nicht einmal daran denken, dass es auch noch eine andere Möglichkeit gegeben hätte.
Ein Szenario, bei dem ich am Ende mit ihm und nicht mir dir zusammen bin, ist eine schreckliche Vorstellung.
Was ich alles verpassen würde ...
Was ich alles niemals über dich wissen würde ...
Dieser Gedanke ist unerträglich.
Und das weiß ich auch nicht erst jetzt. Das wusste ich von Anfang an.
Ich bin in diese Beziehung nicht unüberlegt hineingegangen.
Ich habe vorher darüber nachgedacht, was wäre, wenn er sich umentscheiden würde – wen von euch beiden ich dann wählen würde.
Und ich habe mich erst vollständig auf dich eingelassen, als mir die Antwort darauf hundertprozentig klar war.
Du.
Die Antwort bist immer du

Obwohl sie mit ihrer Ansprache noch nicht am Ende war, konnte Marinette an dieser Stelle nicht widerstehen, sich vorzulehnen, und ihm einen sanften Kuss auf die Lippen zu geben.
Dann sah sie ihn wieder an und lächelte.
»Es gibt da sogar einen klaren Beweis; einen Umstand, der es ein für alle Mal klarmacht.
Bei ihm habe ich es ohne Probleme ertragen, einfach nur eine Freundin zu sein.
Aber bei dir könnte ich das nicht. Ich würde für nichts auf der Welt in die Zeit zurückgehen, als wir nur Partner waren.
Und ihm konnte ich auch nie sagen, was ich empfunden habe. Immer wieder habe ich es vorgehabt, aber niemals durchgezogen. Trotzdem konnte ich jeden Abend problemlos einschlafen, ohne, dass er von meinen Gefühlen für ihn wusste.
Aber bei dir ertrage ich es keine Sekunde länger, dass du es nicht weißt.
Oder vielleicht weißt du es schon, aber ich will auf jeden Fall, dass du es aus meinem Mund hörst.
Cat Noir, ich liebe dich.«

Marinette hatte selten in ihrem Leben so etwas schönes gesehen.
Der Ausdruck in Cat Noirs Augen ...
Ihr fehlten die passenden Worte, um ihn zu beschreiben.
»Warm«, »Herzlich« und »offen«, kam ihr in den Sinn, aber nichts davon traf den Kern.

Cat Noirs grüne Augen waren voller Gefühl, doch darunter lag eine Festigkeit und Bestimmtheit, die Marinette unheimlich faszinierten.
Als hätte er gerade den allerletzten dünnen Schutzpanzer von seiner Seele gezogen.
Als hätte sie mit ihrem Wort die allerletzte Tür in seinem Innern geöffnet, die noch verschlossen gewesen war.

»Ich dachte immer, ich würde es zuerst sagen.«
Er redete ganz leise.
»Ich wollte es dich am liebsten sofort wissen lassen und musste mich zurückhalten, um es nicht zu früh auszusprechen.«
»Warum dachtest du, es könnte noch zu früh sein?«
»Liebe ist ein großes Wort. Ich wollte dich auf keinen Fall dazu drängen, es ebenfalls zu benutzen.«
»Du ...«, sie verstummte und sah ihn einfach nur an.
Weil ihr kein anderer Satz einfiel, der hätte ausdrücken können, was sie gerade empfand, sagte sie schließlich noch einmal: »Ich liebe dich.«
»Und ich liebe dich, Ladybug.«

Das Gefühl, das Marinette nun überfiel – dieses überwältigende, einzigartige und berauschende Gefühl – ließ alles um sie herum verschwinden.
Es gab nur noch Cat Noir.
Sie setzte sich rittlings auf seinen Schoß und zog ihn an sich.
Sie küsste ihn, und er erwiderte den Kuss, und das Aufeinandertreffen ihrer Lippen war noch prickelnder und noch süßer als all die Male zuvor.
Beinahe hätte Marinette Angst vor diesem Gefühl bekommen können; davor, buchstäblich zu zerbersten vor Glück und Liebe.
Doch Cat Noir nahm alles in ihr ein und ließ keinen Platz für negative Gefühle jeglicher Art.
In diesem Moment machte er sie zum glücklichsten Menschen der Welt.
Einfach, indem er sie liebte.

Es überraschte Marinette, doch weder sie selbst noch Cat Noir ließen sich von ihrem Verlangen überwältigen.
Der Kuss war eindringlich, lang und intensiv, aber es ging nicht darüber hinaus.
Sie hielten sich gegenseitig, aber ihre Hände wanderten nicht rastlos über den Körper des anderen.
Da war kein qualvolles Drängen.
Kein Übereinanderherfallen.
Kein verzweifelter Versuch, sich noch näher zu kommen.
Die Liebe, die sie füreinander empfanden, war für den Moment mehr als genug.

Schließlich lehnte Marinette sich ein Stück zurück und erwiderte Cat Noirs Blick.
Sie legte den Kopf auf die Seite und lächelte ihn an.
»Wie sieht es aus? Bist du bereit für die Überraschung?«
Er grinste, aber in seinem Blick war ein Hauch von Überforderung zu entdecken.
»Ich kann mir zwar nicht vorstellen, dass du mich nach dem hier noch mehr umhauen kannst, aber sei bitte trotzdem vorsichtig, ja?
Ich bin mir nicht sicher, wie viel mein Herz heute noch mitmacht.«
Marinette biss sich auf die Unterlippe.
»Ich würde dir ja gern anbieten, es auf einen anderen Abend zu verschieben, aber leider ist das nicht möglich.«
»Also hab ich nur die Wahl zwischen jetzt oder nie?«
Sie nickte.
Er richtete den Oberkörper auf, fuhr sich mit der Hand durch die Haare und atmete ein paar Mal tief durch.
Marinette spürte die Mischung aus Ungeduld und Vorfreude in ihren Fingerspitzen kribbeln.
»Und? Was meinst du?«, fragte sie. »Hältst du es aus?«
»Du meintest, es sei etwas Tolles. Also mache ich mir wahrscheinlich ganz umsonst Sorgen, oder?«
Marinette wollte gern nicken, konnte es aber nicht.
»Naja,«, meinte sie gedehnt, »es ist immer noch eine Überraschung. Und ich vermute mal, dass du schon etwas überrascht davon sein wirst. Also wenn du es dir tatsächlich nicht zutraust ...«
»Nach dieser ganzen Vorrede kann ich unmöglich darauf verzichten.
Also mach einfach! Ich halte es schon aus.«
»Aber nicht, dass du mir dann tatsächlich zusammenklappst oder etwas in der Art!«, erwiderte Marinette mit einem besorgten Unterton in der Stimme.
Cat Noir packte sie kurzerhand und hob sie von seinem Schoß.
»Los!«, sagte er energisch. »Überrasch mich!«
Sie biss sich schon wieder auf die Unterlippe und erhob sich vom Sofa.
Sie machte drei Schritte zur Seite und sah dann zurück zu ihm.
Erwartungsvoll erwiderte er ihren Blick.
Marinette richtete sich auf, holte tief Luft und sagte: »Tikki, verwandle mich zurück!«

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