15
Der Filmabend mit Cat Noir war so schön gewesen, wie Marinette es erwartet hatte.
Sie hatten viel gelacht, sich gegenseitig mit Popcorn gefüttert – und auch damit beworfen – und es war so normal gewesen, wie ein Pärchenabend nur sein konnte.
Zweimal hatte Cat Noir noch versucht, etwas über die Überraschung aus ihr heraus zu bekommen, aber weder seine Küsse noch seine Kitzelattacke hatten sie einknicken lassen.
Aber Marinette musste zugeben, dass auch sie selbst am liebsten sofort zum Freitagabend vorgesprungen wäre.
Sie brauchte für die Vorbereitung jede Stunde, die sie bekommen konnte. Trotzdem waren die Ungeduld und die Vorfreude kaum auszuhalten.
Besonders in der Schule hatte sie Mühe, ihre Aufregung zu verbergen.
Wegen ihres angeblichen Liebeskummers war Alya besonders aufmerksam und teilnahmsvoll. Sie beobachtete ihre Freundin ständig und es verlangte Marinette fiel ab, den Schein aufrecht zu erhalten.
Und noch etwas machte ihr zu schaffen: Alya war immer weniger dazu bereit, sich mit ihrem Schweigen zufriedenzugeben.
Sie wollte endlich wissen, was zwischen Marinette und »Louis« vorgefallen war.
Am Freitagvormittag saß Marinette mit ihrer besten Freundin auf einer Bank im Schulfoyer.
Der große Raum war kalt und ungemütlich, und so trugen sie beide ihre Jacken und saßen sich mit angezogenen Schultern eng beieinander.
Im Klassenzimmer war es deutlich wärmer, aber dort waren sie nicht so ungestört.
Vor allem Chloés laute, schrille Stimme hatte sie von dort vertrieben.
Marinette biss gerade in eine Teigtasche, als sie wieder einmal Alyas bohrenden Blick auf sich spürte.
»Marinette?«, sagte ihre Freundin zögerlich. »Wann wirst du mir endlich verraten, was genau passiert ist?«
Es fiel Marinette nicht schwer, mit einem genervten Tonfall darauf zu reagieren.
»Ich habe dir doch gesagt, dass ich nicht darüber reden will.«
Das war zur Abwechslung sogar einmal die Wahrheit.
»Aber mir kannst du dich doch anvertrauen. Womöglich geht es dir danach sogar besser.«
Alya hob die Hand und strich ihr liebevoll über den Unterarm.
»Ich will dir so gern helfen, Marinette. Vielleicht kannst du es ja leichter hinter dir lassen, wenn du mit jemandem darüber redest.«
Marinette sah zur Seite.
»Da gibt es nichts zu reden. Wir waren für kurze Zeit zusammen und dann hat er sich von mir getrennt.
Ende der Geschichte.«
»Aber wie kann das denn sein? Ihr wart doch so glücklich zusammen!«
»Ich war glücklich. Er anscheinend nicht.«
»Hat er das als Begründung genannt?«
Sie schüttelte den Kopf. »Er hat überhaupt nichts weiter dazu gesagt.«
»Was für ein Arsch!«
Alya sah wütend aus.
»Bitte Alya, ich will ihn einfach nur vergessen!«
Der Ärger auf Alyas Gesicht wurde zu Mitleid und sie schlang die Arme um ihre Freundin. Sie drückte sie.
»Sag mir, was ich tun kann!«
»Das Thema wechseln.«, schlug Marinette vor.
Ihr Tonfall war jedoch weit weniger abweisend als zuvor. Sie wusste Alyas Anteilnahme zu schätzen.
»Ich verstehe ja, dass du nicht darüber reden willst. Aber verrätst du mir wenigsten noch, wie es dir jetzt geht?«
Marinette setzte ein zurückhaltendes Lächeln auf.
»Ich komme schon darüber hinweg.«, antwortet sie. »Wir waren ja noch nicht sehr lang zusammen.«
»Aber er hat dir viel bedeutet.«
Sie zuckte mit den Schultern.
»Kann schon sein.«, sagte sie ausweichend.
Sie hoffte, dass Alya damit endlich lockerlassen würde, doch eine schweigsame Minute später meinte sie plötzlich: »Weißt du, was das Gute an der ganzen Sache ist?«
Fragend sah Marinette ihre Freundin an.
»Dass du nun endlich von Adrien los bist. Du weißt jetzt, dass es auch noch andere Jungs gibt.
Ja, Louis war auf ganzer Linie eine Enttäuschung. Aber jetzt kannst du nach vorne schauen!«
Ihr aufmunternder, fast schon begeisterter Blick rief ein warmes Gefühl in Marinette hervor, und sie erwiderte das Lächeln.
»Apropos Adrien.«, nutzte sie ihre Gelegenheit, um das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken.
»Verrätst du mir, was du in letzter Zeit gegen ihn hast?«
Sie spielte bei ihrer Frage nicht nur auf den kleinen Streit in der Cafeteria an. Seitdem waren ihr mehr als einmal Alyas ablehnende Blicke aufgefallen.
Und am Vortag hatte sie aus der Ferne sogar wieder eine direkte Auseinandersetzung zwischen Adrien und ihr mitbekommen.
»Ach, lass uns nicht über ihn reden.«, wehrte Alya ab. Sie gab sich Mühe, es zu verbergen, doch ihrer Stimme war deutlich die Ablehnung anzuhören.
Irgendetwas war da.
Und Marinette wollte wissen, was.
»Sag schon! Ihr habt euch doch früher gut verstanden. Was ist passiert?«
Alya verdrehte die Augen und seufzte.
»Dieser Typ geht mir einfach auf die Nerven!«
»Und womit?«
»Mit allem! Ist dir noch nie aufgefallen, wie egoistisch und selbstbezogen er ist?«
Überrascht zog Marinette die Augenbrauen nach oben.
Redeten sie noch von derselben Person?
»Er tut immer so nett und ehrlich, aber wenn er dann mal nicht im Zentrum der Aufmerksamkeit steht, erträgt er das nicht und tut alles, um wieder beachtet zu werden. Und wie es seinen angeblichen Freunden dabei geht, ist im völlig egal.«
»Alya, wovon redest du da? Hat Adrien Nino irgendetwas getan?«
»Ach, ist doch auch egal. Ich halte mich einfach von ihm fern – und du solltest das Gleiche tun.«
»Ich werde überhaupt nichts tun, wenn du mir nicht verrätst, was er so Schlimmes getan hat.«
»Ich bin deine beste Freundin! Kannst du mir dabei nicht einfach vertrauen?«
Marinette rang mit sich. Im Grunde sollte es ihr nichts ausmachen, sich von Adrien fernzuhalten. Und genau genommen hatte sie genau das in den vergangenen Tagen bereits getan.
Aber trotzdem wollte sie sich nicht mit Alyas unzureichender Erklärung zufriedengeben.
»Bitte zwing mich nicht, Adrien zu meiden, ohne den Grund dafür zu kennen.«, bat sie Alya. »Wir sind immerhin befreundet.«
»Ja, aber vielleicht solltet ihr das nicht sein.«
»Und warum nicht?«
»Bitte, Marinette!«, flehte Alya. »Vertrau mir hierbei!«
»Dann verrate mir erst, was er getan hat!«
»Aber genau darum geht es doch: Du sollst nicht wissen, was er tut. Und deswegen sollst du dich von ihm fernhalten.«
Marinette schloss für einen Moment die Augen.
Es ärgerte sie, dass ihre beste Freundin so ein Geheimnis darum mache.
Sicher: Sie war die Allerletzte, die sich über die Geheimniskrämerei anderer beschweren konnte. Doch sie hatte da so ein Gefühl – eine Ahnung, warum Alya sich so aufführte – und darüber ärgerte sie sich noch mehr.
Erst Tikki und jetzt auch noch Alya.
Ihre beiden engsten Vertrauten glaubten ihr offenbar noch immer nicht, dass sie tatsächlich über Adrien hinweg war.
Oder welchen Grund sollte es sonst dafür geben, dass Alya nicht mit der Sprache herausrückte?
»Falls es irgendetwas mit mir zu tun hat, kannst du es mir ruhig sagen.«, sprach Marinette schließlich weiter und sah Alya mit einem festen, sicheren Blick an.
»Nichts, was er tut, kann mich durcheinanderbringen. Das ist es doch, was du befürchtest, oder?«
»Versteh mich doch:«, erwiderte Alya und bestätige damit Marinettes Vermutung, »Du wurdest gerade erst von deinem Freund verlassen. Du bist verletzlich. Ich will dich nur beschützen.«
»Aber das musst du nicht!
Ich will mir nicht auch noch über Adrien Gedanken machen müssen. Sag es mir einfach, damit wir nicht mehr darüber reden müssen.«
»Also gut.«
Mit einem leisen Seufzer gab Alya sich geschlagen.
Sie lehnte sich zurück und verschränkte die Arme.
»Es fing damit an, dass er vor ein paar Wochen mit Nino über dich geredet hat. Er hat gemeint, er hätte dich mit einem Kerl auf der Straße gesehen und er wollte von Nino wissen, ob er weiß, wer das war.
Nino konnte ihm natürlich nichts dazu sagen. Er hatte ja keine Ahnung von deinem Freund.
Nino meinte, er hätte dabei irgendwie seltsam gewirkt – nur deswegen hat er es mir gegenüber überhaupt erwähnt.«
Marinette hörte stumm ihrer Freundin zu und ließ sich nichts anmerken. Innerlich jedoch war sie verwirrt.
Adrien konnte sie nicht gesehen haben. Sie war ganz sicher mit niemandem unterwegs gewesen, der ihr Freund hatte sein können.
Aber warum hätte er dabei lügen sollen?
»War das vor oder nach seinem Geburtstag?«, stellte Marinette die Frage, die ihr spontan in den Kopf kam.
»Ich glaube, noch davor. Wieso?«
Marinette antwortete nicht.
Zu diesem Zeitpunkt hatte Adrien noch gar nichts von ihrem Freund gewusst. Oder doch?
Immerhin hatte er auf seiner Party gemeint, er hätte es ihr angemerkt.
Aber warum die erfundene Geschichte, um Nino danach zu fragen?
Warum hatte ihn das überhaupt interessiert?
»Ich wusste es!«, sagte Alya plötzlich und Marinette hob den Kopf.
»Was wusstest du?«
»Dass du so darauf reagieren würdest.
Du hast diesen abwesenden Blick bekommen. Von wegen, Adrien kann nichts tun, um dich zu verwirren!«
»Aber so ist es doch gar nicht.«, verteidigte Marinette sich, »Ich habe nicht über ihn nachgedacht, sondern über Louis. Ich habe überlegt, wann Adrien mich und ihn zusammen gesehen haben könnte.«
Bei dem letzten Satz gab sie ihrer Stimme ganz bewussten einen traurigen Unterton, und Alyas Mine wurde sofort schuldbewusst.
»Tut mir leid.«, meinte sie. »Ich hätte es mir denken können.«
»Schon okay. Red einfach weiter, ja?
Diese Frage an Nino ist doch mit Sicherheit nicht der einzige Grund, warum du etwas gegen Adrien hast.«
»Stimmt. Da war noch mehr. Ich habe zufällig einiges mitbekommen.
Zum Beispiel auf seiner Party. Da hast du dich doch mit ihm an der Bar unterhalten. Und danach hat er mit Chloé getanzt.«
»Für das Tanzen mit Chloé kann man ihm tatsächlich ein paar Sympathiepunkte abziehen.«, versuchte Marinette eine scherzhafte Bemerkung in der Unterhaltung unterzubringen.
Alya grinste leicht, redete dann aber mit ernster Mine weiter.
»Während des Tanzes hat er dich ständig angesehen. Du hast es nicht mitbekommen, aber er hat beinahe ununterbrochen zu dir gesehen.
Ich hatte sofort ein ungutes Gefühl dabei.«
»Übertreibst du da jetzt nicht ein wenig? Dann hat er mich eben angesehen. Ich würde auch versuchen, mich irgendwie abzulenken, wenn ich mit Chloé tanzen müsste.«
Schon wieder hatte Marinette der Möglichkeit für eine scherzhafte Bemerkung nicht widerstehen können.
Irgendwie war das Gespräch leichter zu ertragen, wenn es nicht ganz so ernst war.
Doch diesmal reagierte Alya nicht einmal mit einem müden Lächeln.
»Du hast recht. Vielleicht habe ich überreagiert. Aber ich bin nun mal deine Freundin, und ich habe diese ganze Adrien-Geschichte von Anfang an mitbekommen.
Ich konnte es nicht einfach ignorieren. Also habe ich ihn angesprochen.«
Marinette riss die Augen weit auf.
Zum Glück redete Alya schnell genug weiter, damit Marinettes Fantasie gar nicht erst in Schwung kommen konnte.
»Ich habe natürlich nicht über dich geredet. Ich habe ihn nur nach seiner Freundin gefragt. Und nach diesem Gespräch habe ich mir noch mehr Sorgen gemacht.
Er hat zwar zugegeben, eine feste Freundin zu haben, aber er wollte rein gar nichts über sie verraten.
Es schien ihm direkt unangenehm zu sein, über sie zu reden.
Das ist doch nicht normal!«
Wieder hatte Marinette das Bedürfnis, Adrien zu verteidigen.
»Ich kann das voll und ganz nachvollziehen. Ich wollte die Sache mit Louis doch auch geheimhalten.
Man will eben keine große Sache daraus machen, solange man nicht weiß, ob es hält.«
»Schon möglich. Aber dann hat er sich bei unserem Essen in der Cafeteria wieder so seltsam verhalten. Er wollte schon wieder nicht über seine Freundin reden und ganz besonders wollte er nicht über deinen Freund reden. Er ist richtig wütend geworden, als ich davon angefangen habe.«
Marinette dachte darüber nach, ihr den Hintergrund zu dem Cafeteria-Gespräch zu erklären – warum Adrien an diesem Tag so unkommunikativ gewesen war.
Doch da redete sie bereits weiter.
»Ich bin wirklich froh, dass er nichts von deiner Trennung weiß! Sonst würde er womöglich irgendetwas Dummes und Egoistisches tun.
Erst gestern hat er mich gefragt, ob es dir gut geht - anscheinend ist ihm etwas an deinem Verhalten aufgefallen.
Aber keine Sorge: Ich habe ihm nichts gesagt. Stattdessen habe ich ihm klargemacht, dass ihn das nichts angeht.«
»Alya!« Marinette sah ihre Freundin vorwurfsvoll an. »Du kannst so etwas nicht zu ihm sagen! Es ist doch nett von ihm, wenn er sich zurückhält und sich erst einmal vorsichtig bei dir nach mir erkundigt.«
»Ich wusste, dass du es so sehen würdest!«, erwiderte Alya. »Aber ich lasse mich nicht mehr von seinem netten Lächeln blenden.
Es ist einfach nur egoistisch von ihm, sich jetzt so zu verhalten.«
Marinette seufzte.
Langsam verlor sie die Lust an diesem Gespräch – nicht, dass sie jemals große Lust darauf gehabt hätte.
Es war nur noch anstrengend, zu versuchen, Alya zu verstehen.
Trotzdem konnte sie das Gespräch jetzt nicht einfach abbrechen.
»Du willst doch nicht ernsthaft behaupten, dass Adrien an mir interessiert ist, oder?«, fragte sie. »Das ist lächerlich!«
»Schön, zu hören, dass du das lächerlich findest. Aber Adrien scheint sich da deutlich weniger sicher zu sein.«
Marinette verzog ungläubig das Gesicht.
»Dass ausgerechnet du so etwas behauptest ...«
»Ich sage ja nicht, dass er ernsthaft an dir interessiert ist. Eher im Gegenteil: Ich denke, dass ihm nur deine Aufmerksamkeit fehlt.
Er erträgt es nicht, dass du über ihn hinweg bist und deshalb verhält er sich so missverständlich.«
»Aber ich verstehe immer noch nicht, warum dich das so wütend macht. Es kann dir doch egal sein, was Adrien tut.
Oder denkst du etwa, dass mich sein Verhalten irgendwie beeinflussen könnte?«
Alya zögerte, gab dann aber eine ausführliche Antwort.
»Als du noch mit Louis zusammen warst, habe ich mir noch nicht so große Sorgen gemacht. Ich habe ja gesehen, wie glücklich du warst.
Trotzdem hat sich mein Bild von Adrien verändert.
Ich meine, dass er ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt angefangen hat, sich vermeintlich für dich zu interessieren: Das ist einfach nur rücksichtslos und egoistisch!
Er hat es riskiert, deine Beziehung durch sein Verhalten kaputtzumachen. Was wäre denn passiert, wenn du noch Gefühle für ihn gehabt und seine Blicke bemerkt hättest?
Womöglich hättest du seinetwegen mit Louis Schluss gemacht. Und diese Möglichkeit ist er bewusst eingegangen.«
»Alya, du interpretierst in all das viel zu viel hinein!
Dann hat er sich eben bei Nino nach meinem Freund erkundigt. Und dann hat er mich eben ein paar Mal angesehen.
Wir sind Freunde! Da darf man Interesse für das Leben des anderen haben.«
»Aber nicht so!
Er hat eine Freundin, Marinette. Und er weiß, was für einen Einfluss er bis vor kurzem noch auf dich hatte.
Er sollte wissen, dass man mit so etwas verantwortungsvoll umgehen muss.«
Marinette musste an Adriens Verhalten bei ihrer Unterhaltung am Cafeteriaausgang denken. Da hatte sie selbst ganz genau so argumentiert, wie Alya gerade.
Trotzdem verdrehte sie nun die Augen und erwiderte:
»Du tust ja geradezu so, als wäre Adrien für mein komplettes Wohlbefinden verantwortlich.
Ich war in ihn verliebt. Und er hat nie mit mir gespielt oder etwas in der Art.
Es ist also nicht seine Verantwortung, auf meine Gefühle zu achten.«
»Oh, bitte, Marinette!«, flehte Alya sie an. »Hör endlich auf, ihn zu verteidigen! Kannst du es tatsächlich nicht ertragen, wenn jemand sein ach-so-perfektes Bild anzweifelt?«
»Ich habe nur etwas dagegen, wenn du ihn ohne jeden Grund zu einem schlechten Menschen erklärst!«
»Willst du etwa behaupten, dass du sein Verhalten kein bisschen verdächtig und problematisch findest?«
Marinette wollte Alya nur zu gern sagen, dass sie tatsächlich so dachte; dass sie ihren eigenen Begründungen für Adriens Verhalten aus ganzem Herzen glaubte.
Doch sie brachte die Lüge nicht heraus.
Sie stimmte Alya nicht bei ihren ganzen Schlussfolgerungen zu, aber dass Adrien sich seltsam verhielt, konnte sie nicht abstreiten.
»Ich sage nur, dass du ihn dafür nicht dermaßen schlechtmachen musst.«, brachte sie endlich eine Erwiderung heraus.
»Schon möglich, dass es ihn irgendwie ... verwirrt hat, von meinem Freund zu erfahren. Aber deswegen ist er doch nicht gleich rücksichtslos und egoistisch.«
»Marinette, er ist nicht so unwissend, wie du denkst. Er weiß ganz genau, was für einen Einfluss er auf dich hatte. Und er weiß, dass er absolut kein Recht dazu hat, jetzt so mit dir umzugehen.«
Verwirrt runzelte Marinette die Stirn.
»Woher weißt du das so genau? Ich habe Adrien nie gesagt, was ich für ihn empfunden habe. Vielleicht sind ihm diese ganzen Zusammenhänge längst nicht so klar, wie du denkst.«
Alyas Blick wurde mitleidig und sofort wusste Marinette, dass sie die folgenden Worte nicht hören wollte.
»Marinette,«, sagte sie sanft, »Er wusste was du für ihn empfunden hast.«
»Ja, weil Nino es ihm gesagt hat.«, dachte Marinette mit einem Anflug von Bitterkeit.
Allerdings fragte sie sich schon im nächsten Moment, woher Alya davon wusste.
Hatte Nino ihr von dem Gespräch mit Adrien in der Umkleidekabine erzählt? Wenn ja, bedeutete es ein weiterer Vertrauensbruch durch ihre Freundin. Denn dann hätte sie ihr den wichtigen Inhalt verschwiegen.
Als Alya weitersprach, deutete jedoch nichts darauf hin, dass sie von dem Gespräch am ersten Schultag wusste.
»Adrien ist vielleicht manchmal ein bisschen begriffsstutzig, aber er ist nicht blöd. Er weiß, dass du in ihn verknallt warst.«
Marinette verspürte ein leichtes Gefühl von Schwindel.
»Woher?«, fragte sie.
Alyas knappe Antwort lautete:
»Naja, du warst nicht besonders gut darin, es zu verbergen.«
Marinette brauchte eine Weile Zeit, um diesen Gedanken halbwegs zu verarbeiten.
Adrien hatte es gewusst? Schon die ganze Zeit?
Es fühlte sich an, als hätte sie gerade erfahren, dass Delfine nur Fabeltiere waren, die nicht existierten.
»Wenn er es wusste ...«, begann sie langsam wieder zu reden, »und wenn du wusstest, dass er es wusste: Warum hast du mich dann immer wieder dazu gedrängt, es ihm zu sagen?«
Auf Alyas Gesicht war noch immer das Mitgefühl zu erkennen. Jetzt mischte sich etwas hinein, das wie Schuldgefühl oder Reue aussah.
»Es tut mir leid, Marinette. Aber du hättest ihn niemals aufgegeben. Du warst so wahnsinnig verliebt! Es war quasi unmöglich vernünftig mit dir über Adrien zu reden.
Wenn ich dir gesagt hätte, dass es nie zu einer Beziehung zwischen euch kommen wird, hättest du mir nicht zugehört. Und es hätte vielleicht sogar unsere Freundschaft zerstört.«
»Ich ... verstehe nicht ...«, stotterte Marinette.
Alya griff ihre Hand und drückte sie.
»Ich weiß nicht, wann genau er es mitbekommen hat. Aber er wusste auf jeden Fall, was du empfindest. Und wenn er dasselbe empfunden hätte, hätte er etwas unternommen. Er wäre auf dich zugekommen.
Aber in all der Zeit hat er immer wieder klar gemacht, dass du für ihn nur eine Freundin bist.
Und weil ich dir das nicht sagen konnte, wollte ich ihn gewissermaßen dazu zwingen, es auszusprechen.
Ich habe gehofft, dass du endlich über ihn hinwegkommst, wenn du es aus seinem eigenen Mund hörst.«
»Das heißt, diese ganzen Bemerkungen, ... von wegen »wie gut wir zusammenpassen würden« ... Das war alles gelogen?«
»Nein!«, erwiderte Alya sofort. »Natürlich nicht! Ich habe wirklich gedacht, dass ihr sehr gut zueinander passen würdet.
Und ich hatte auch immer die Hoffnung, dass ich mich vielleicht geirrt habe.
Es gab immer noch die Möglichkeit, dass Adrien anders reagiert, wenn du ihm deine Gefühle gestehst.«
Marinette war sich nicht sicher, was all das für sie bedeutete.
Zu ihrer eigenen Überraschung hielten sich Gefühle wie Wut, Enttäuschung oder Verletztheit in Grenzen.
Sie hatte mittlerweile genügend Abstand zu ihren Gefühlen für Adrien, um Alyas Beweggründe zu verstehen.
Es war nicht gerade angenehm, so etwas über das eigene Leben und die Freundschaft mit der besten Freundin zu erfahren. Aber Marinette hatte schlicht keine Kapazität mehr für negative Gefühle im Zusammenhang mit Adrien.
Der Liebeskummer über ihn, und alles, was damit zusammenhing, hatte sie bereits genug fertiggemacht.
Allerdings ließ diese Enthüllung sie auch nicht völlig kalt.
Sie hatte geglaubt, dass Adrien am ersten Tag des Schuljahres von ihren Gefühlen erfahren hatte – durch Nino.
Und Nino war bei dem Gespräch nicht ins Detail gegangen.
Aber wenn Alya recht hatte, und Adrien schon viel länger von ihren Gefühlen gewusst hatte ...
Es ließ sein Verhalten der letzten Tage tatsächlich in einem anderen Licht erscheinen. Nicht nur die Dinge, die Alya mitbekommen hatte, sondern auch sein Verhalten, als er mit Marinette allein gewesen war.
Konnten Alyas Schlussfolgerungen womöglich stimmen?
Konnte es sein, dass Adrien ihre Aufmerksamkeit fehlte und er sich deswegen so seltsam verhielt?
Es passte nicht zu dem Bild, das sie von ihm hatte, aber das musste ja nichts heißen.
Es war durchaus möglich, dass er nicht ganz so toll und perfekt war, wie sie bisher gedacht hatte.
Und diese Variante wollte sie viel lieber glauben, als die Alternative: Dass Adrien tatsächlich irgendein Interesse an ihr hatte.
»Was ... wirst du jetzt tun?«, fragte Alya zögerlich nach.
Marinette hob den Kopf und erwiderte ihren Blick.
»Nichts.«, antwortete sie. »Vielleicht hast du recht und er verhält sich komisch. Aber dann ist das nicht meine Sache, sondern seine.
Zwischen ihm und mir ist alles geklärt.«
»Und was ist mit uns?«
»Was soll schon mit uns sein?«
Marinette lächelte ihre Freundin an.
»Wir freuen uns gemeinsam darüber, dass dieser Abschnitt hinter mir liegt und wir uns um Adrien Agreste keine Gedanken mehr machen müssen.«
Kurz darauf ertönte die Schulglocke und sie mussten zurück in den Unterricht.
Während sie die Treppe hinaufstieg, flüsterte eine leise Stimme Marinette zu: »Du weißt ganz genau, dass du Alya und dir selbst etwas vormachst.
Zwischen dir und Adrien ist rein gar nichts geklärt.
Und es wird dir unmöglich sein, nicht mehr über ihn nachzudenken.
Erst recht nicht, nachdem du nun all das über ihn weißt.
Was hat Tikki noch gesagt? Du musst vorsichtig sein - bei allem, was mit ihm zutun hat.
Wenn du also vollständig und endgültig von ihm loskommen willst, wirst du dich früher oder später mit ihm aussprechen müssen.«
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