11

Als Cat Noir sie endlich von seiner Schulter ließ, sah Marinette sich neugierig um.
Sie standen auf einem Hausdach, genauer gesagt auf einer Dachterrasse, die an allen vier Seiten von schrägen Schindeldächern begrenzt wurde.
»Ist das hier die Überraschung?«, fragte sie und sah Cat Noir an. »Dieser Ort?«
»Nicht direkt.«
Er ging hinüber zu einem in den Boden eingelassenen Fenster und beugte sich nach unten.
Er griff mit seiner Hand an den Rahmen und erst da fiel Marinette ein kleines, schwarzes Nummernfeld daran auf.
Cat Noir tippte einen mehrstelligen Code ein und öffnete das Fenster.
Er richtete sich wieder auf, hielt seinen Stab über das Loch im Boden und ließ ihn ausfahren. Dann drehte er sich zu Marinette um und streckte ihr die Hand entgegen.
»Kommst du?«, fragte er lächelnd.
Mit zögerlichen Schritten ging sie auf ihn und das offene Fenster zu.
»Wo sind wir hier?«, fragte sie ihn, doch statt zu antworten, zog er sie an sich, umschlang ihre Taille mit seinem Arm und ließ sie beide an seinem Stab hinab ins Innere des Gebäudes sinken.

Marinette fand sich in einer schick eingerichteten Wohnung wieder.
Sie stand in der Mitte eines lichtdurchfluteten Raumes, der wohl das Wohnzimmer war und von dem mehrere Türen abgingen.
Verwirrt sah sie sich um.
Direkt neben ihr stand ein großes, dunkelrotes Sofa mit cremefarbenen Kissen darauf und einem gläsernen Couchtisch davor. An der gegenüberliegenden Wand hing ein riesiger Bildschirm mit einer Spielkonsole darunter.
Außerdem gab es in dem Raum noch ein Klavier, eine Schrankwand mit leeren Fächern und eine große Zimmerpalme.
Gerade formulierte ihr Kopf den deutlichen Eindruck, dass es eine unbewohnte Wohnung sein musste, da es keine persönlichen Gegenstände zu geben schien, als sie auf dem Klavier ein gerahmtes Bild entdeckte.
Ein Bild von Ladybug und Cat Noir.

»Cat!« Mit einem erschrockenen Gesichtsausdruck fuhr sie zu ihm herum. »Ist das etwas deine Wohnung?«
»Nein.«, beschwichtigte er sie.
Allerdings gelang es ihm nur teilweise, sie zu beruhigen. Marinettes Stimme klang noch immer ungewöhnlich hoch und quietschig, als sie weiterfragte:
»Heißt das, wir brechen hier gerade ein?«
Er schüttelte den Kopf.
»Und was tun wir dann hier?«
Er lächelte sie an und meinte dann: »Genau genommen ist es wohl doch meine Wohnung.«
Marinette spürte bereits, wie ihr schwindelig wurde.
»Allerdings wohne ich hier nicht.«
Nun erreichte ihre Verwirrung einen neuen Höchstwert.
Cat Noir griff nach ihrer Hand und drückte sie. Mit sanfter, ruhiger Stimme fügte er seiner Erklärung hinzu:
»Man könnte auch sagen, dass das hier unsere Wohnung ist.«

»Unsere Wohnung?«
Es fühlte sich für Marinette absolut seltsam an, diese Worte auszusprechen.
Cat Noir nickte.
Dann war sie erst einmal sprachlos.

»Gefällt dir dein Geschenk?«, fragte Cat Noir schließlich, als sie nichts sagte, sich nicht rührte und ihn nur weiter anstarrte.
»Geschenk?«, echote sie.
»Ja. Geschenk.«
»Cat! Das ist doch kein Geschenk
»Nicht?« Nun sah er verunsichert aus.
»Nein!«, redete Marinette weiter. »Ein Blumenstrauß ist ein Geschenk an seine Freundin. Oder eine Halskette. Meinetwegen auch Konzertkarten oder ein Picknick. Aber doch keine Wohnung
»Gefällt sie dir nicht?«, fragte Cat Noir nach – sichtlich verwirrt von ihrer Reaktion und nun noch verunsicherter.
»Ich weiß, es ist noch nicht sehr gemütlich, aber das kann man ja noch ändern. Ich dachte, wir könnten sie gemeinsam fertig einrichten und wohnlicher machen. Noch mehr Bilder, Zimmerpflanzen, vielleicht eine Musikanlage -«
»Wer bist du?«, unterbrach Marinette ihn. »Hast du eine Bank überfallen? Oder wie kannst du dir einfach so eine Wohnung mitten in Paris leisten?«
Er öffnete den Mund, doch sie legte ihm sofort den Zeigefinger darüber.
»Sag es nicht! Ich weiß jetzt schon viel mehr, als ich über dich wissen sollte. Es gibt in Paris bestimmt nicht sehr viele Männer in deinem Alter, die sich so eine Wohnung - in so einer Lage - leisten können.
Du hast gerade 99 % aller potenzieller Personen auf einen Schlag ausgeschlossen!«
»Du übertreibst. Du kannst doch gar nicht wissen, wie ich an diese Wohnung gekommen bin. Vielleicht habe ich sie ja bei einem Preisausschreiben gewonnen. Oder das Gebäude gehört meiner Familie und ich muss gar nicht viel bezahlen.«
Marinette stöhnte laut auf. »Cat Noir! Du darfst mir doch nicht verraten, dass das Haus deiner Familie gehört!«
»Hab ich doch gar nicht.«, verteidigte er sich. »Es war nur eine mögliche Erklärung.«

Marinette ließ sich auf das Sofa sinken und fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare.
Cat Noir beugte sich zu ihr hinab und sah sie mit einem zurückhaltenden Lächeln an.
»Soll ich dir vielleicht ein Glas Wasser holen?«
»Gib mir ... vielleicht ... einfach einen Moment, ja?«
Er nickte und setzte sich stumm neben sie.

Als Marinette sich ruckartig zu ihm umwandte, lächelte er sie wieder sanft an.
»Erklär es mir noch mal.«, bat sie ihn. »Was genau ist das hier?«
»Eine Wohnung für uns beide.«, antwortete er. »Ein Ort, an dem wir uns treffen und all die Dinge tun können, die Paare eben so machen. Filme schauen, Videospiele spielen, gemeinsam Kochen ... Das hattest du dir doch gewünscht, oder?«
Ungläubig schüttelte Marinette den Kopf. »Und da hast du uns einfach eine gemeinsame Wohnung gesucht?«
Er nickte und rieb sich verlegen den Nacken.
»War das ... falsch? Hätte ich dich vorher fragen sollen?«
»Wenn du das getan hättest, hätte ich dich wahrscheinlich davon abhalten wollen. Aber ...«, sie ließ ihren Blick durch den Raum schweifen, »ich liebe es hier schon jetzt.«
»Wirklich?«
Sie sah Cat Noir wieder in die Augen und nickte.
Das Strahlen kehrte auf sein Gesicht zurück.
»Wie gesagt: Wer können hier noch alles ganz nach unseren Wünschen verändern. Die Wohnung war schon auf diese Art möbliert, muss aber nicht so bleiben.
Sie gehört ganz uns. Wir können uns hier treffen, wann immer wir wollen.
Auch wenn du mal einen Rückzugsort von deinem Alltag brauchst, kannst du herkommen.«

Marinette musste nun auch lächeln.
»Das ist so verrückt
Zum wiederholten Male ließ sie ihren Blick durch das Zimmer schweifen.
»Zu verrückt?«
Cat Noir sah sie mit schiefgelegtem Kopf an und ihr Lächeln verstärkte sich.
»Genau richtig verrückt.«
Sie erwiderte den eindringlichen Blick aus seinen grünen Augen. Und erst jetzt fiel ihr auf, wie nah sie beieinander saßen - dass ihre Oberschenkel sich berührten und nur noch wenige Millimeter ihre Hände voneinander trennten.
»Das ist das schönste Geschenk, das ich jemals bekommen habe.«, sagte Marinette leise.
»Und all das nur, weil ich einen Film mit dir ansehen und mit dir gemeinsam kochen wollte?«
»Nicht nur.«
Cat Noirs sprach ebenfalls mit gesenkter Stimme.
»Ich konnte es auch nicht ertragen, dass dein Gesicht immer so kalt geworden ist. Und ich dachte mir, falls es diesen Winter Schnee gibt ...«
Er verstummte.
»Und du hast dir ein bequemes Sofa gewünscht.«, ergänzte Marinette.
Ihr Herzschlag beschleunigte sich, als sie eine Berührung an ihrer Hand spürte. Cat Noirs Finger hatten den Abstand überwunden und strichen ihr nun ganz sacht über den Handrücken.
»Ich wünschte, ich müsste nicht so bald schon wieder gehen.«
Selbst in ihren eigenen Ohren klang ihre Stimme unsagbar wehmütig.
Cat Noir lächelte ganz leicht.
»Wir werden hier noch viele gemeinsame Nachmittage, Abende und Nächte verbringen.«
»Ich kann es kaum erwarten.«
Marinette spürte, wie sich ihr Körper Cat Noir entgegenlehnte – und sie hörte deutlich die innere Stimme, die ihr davon abriet.
Sie durfte an diesem Abend nicht die Zeit vergessen.

Marinette schluckte schwer und unterbrach dann ruckartig den Blickkontakt. »Zeigst du mir noch den Rest der Wohnung?«, fragte sie in normaler Gesprächslautstärke und erhob sich vom Sofa.
Als Cat Noir nicht sofort antwortete, drehte sie sich zu ihm um.
Er fuhr sich gerade mit der Hand durch die blonden Haare.
Dann bemerkte er ihren Blick, lächelte sie zurückhaltend an und stand ebenfalls auf.
»So viel zu zeigen gibt es da nicht.«, meinte er. »Das dort ist die Wohnungstür, dort geht es in die Küche und dort ist das Bad.«
Er deutete nacheinander auf die Türen.
»Und wo geht es dort hin?« Neugierig sah Marinette in Richtung der Tür, die er bei seiner Aufzählung ausgelassen hatte.
»Dort ist das ... äh ... Schlafzimmer
Seine Stimme klang verlegen und auch Marinette spürte, wie ihr die Röte in die Wangen stieg.
»Ach so, ja. Hätte ich mir denken können.«, erwiderte sie schnell und machte einen Schritt vom Sofa weg.
»Ich schau dann mal, was wir noch alles brauchen, wenn wir irgendwann hier kochen wollen.«
Sie flüchtete sich in die Küche.

Marinette hatte Mühe, sich auf die Einrichtung und Ausstattung der Küche zu konzentrieren.
Cat Noir war ihr gefolgt und stand nun lässig in den Türrahmen gelehnt hinter ihr. Überdeutlich spürte sie seinen Blick in ihrem Nacken.
»Wirklich sehr schön.«, sagte sie und fuhr mit der Hand über die anthrazitfarbene Arbeitsfläche.
»Das viele Licht ist besonder toll. Hier am Fenster könnten wir ein paar Töpfe mit Kräutern aufstellen. Und auf dem Tisch würde eine blaue Tischdecke bestimmt gut aussehen. Oder was meinst du?«
Sie drehte sich zu Cat Noir um.
Sie begegnete dem bohrenden Blick aus seinen grünen Katzenaugen, und das hauchzarte Lächeln in seinem Mundwinkel brachte ihr Herz für einige Schläge aus dem Takt.
»Was immer du willst.«, erwiderte er.
»Du weißt aber schon, dass du es dir hiermit in Zukunft schwer gemacht hast, oder?«, redete Marinette weiter, um sich selbst von seinem Blick abzulenken.
»Wieso das?«
»Weil du die Messlatte jetzt extrem hoch gelegt hast. Nach dem hier kannst du mir nicht einfach Blumen oder ein Schmuckstück schenken. Dein nächstes Geschenk muss diese Wohnung noch übertreffen.
Also halte schon mal Ausschau nach einem Herrenhaus oder einem kleinen Schloss.«
Cat Noirs Mundwinkel wanderte ein Stück weiter in die Höhe.
»Ich hätte mir denken können, dass es meine Prinzessin nach einem Schloss verlangt.«
Der weiche, tiefe Klang seiner Stimme versetzte irgendetwas in Marinettes Innern in Schwingung. Unaufhaltsam zog es sie zu ihm hin.
Mit langsamen Schritt durchquerte sie die Küche und blieb direkt neben ihm im Türrahmen stehen.
»Ich ... sollte jetzt gehen.«
Es war ihr selbst ein Rätsel, wie sie diesen vernünftigen Satz herausgebracht hatte.
»Ich bringe dich noch zum Fenster.«, sagte Cat Noir.
Sie setzte sich wieder in Bewegung und ging hinüber in die Mitte des Wohnzimmers. Er folgte ihr mit nur wenig Abstand.
»Dann ... treffen wir uns übermorgen wieder hier?«, fragte sie und wandte sich zu ihm um.
Er nickte ihr lächelnd zu. Und schon wieder bohrte sich sein Blick direkt in ihre Seele.
»Schlaf gut.«
Er lehnte sich zu ihr hinab und gab ihr einen Kuss auf die Wange.
»Ist das alles, was ich zum Abschied bekomme?«
Marinette biss sich auf die Lippe, doch der Satz war ihr schon herausgerutscht.
Cat Noirs Lächeln bekam einen neuen, glühenden Unterton und er raunte ihr zu: »Du bekommst von mir, was auch immer du willst.«
Dann lehnte er sich wieder zu ihr hinab, ließ seine Hand in ihren Nacken gleiten und küsste sie auf den Mund.

Es ging alles ganz schnell.
Eben noch hatte Marinette sich an Cat Noirs geklammert und gierig seinen Kuss erwidert, und dann fand sie sich auf einmal auf dem Sofa wieder, mit ihm über ihr liegend.
Ihre Beine waren ineinander verschlungen und ihre Hüften eng aneinandergepresst.
Die Hitze zwischen ihnen war unerträglich.
Immer eifriger bewegten sich ihre Lippen und Marinette umklammerte Cat Noirs Oberkörper, als würde ihr Leben davon abhängen.
Sie hatte erwartet, dass der leidenschaftliche Kuss sein Versprechen halten und das qualvolle Ziehen irgendwann beseitigen würde, doch stattdessen schien es mit jeder Sekunde schlimmer zu werden.
Sie krallte sich in das Leder von Cat Noirs Anzug.
Sie hielt es kaum noch aus und seine Bewegungen sagten ihr, dass es ihm genauso ging.
Rastlos wanderten seine Hände über ihren Körper; ihren Hals, ihre Taille, ihre Hüften und Beine – überall war seine Berührung, und doch war es nie genug.

Als Marinette schon damit rechnete, jeden Moment innerlich zu zerreißen, ließ Cat Noir auf einmal von ihr ab.
Der Kuss wurde unterbrochen und sein Oberkörper entfernte sich von ihrem.
Er stieß einen Laut aus, der wie ein Knurren klang und als sie die Augen öffnete, begegnete sie seinem lodernden Blick.
Sein Gesicht hing etwa zwanzig Zentimeter über ihr.
Ihm war anzusehen, dass er um Beherrschung rang.
»Ich wollte dir noch nie so sehr dein Miraculous abnehmen, wie jetzt gerade.«
Sein beschleunigter Atem ließ die Worte hart und abgehackt klingen.
Marinette musste erst mehrmals tief durchatmen, bevor sie erwidern konnte: »Ich muss jetzt sowieso los. Es ist schon spät.«
Cat Noir nickte knapp und richtete sich dann vollständig auf. Mit einer geschmeidigen, katzenhaften Bewegung glitt er vom Sofa und blieb dann mit einem Meter Abstand davor stehen.
Noch immer hob und senkte sich sein Brustkorb deutlich schneller als gewöhnlich.
Er hob die Arme und fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare und über seine schwarzen Katzenohren.
Dann stieß er geräuschvoll die Luft aus und sah sie mit einem zurückhaltenden Lächeln an.
»Komm gut nach Hause.«
Mit wackeligen Beinen erhob Marinette sich vom Sofa.
»Du auch.«, erwiderte sie.
Als sie einen Schritt nach vorn machte, um unter dem offenen Dachfenster zu stehen, wich Cat Noir vor ihr zurück – als fürchtete er sich davor, sie schon wieder zu packen und an sich zu ziehen.
Gern hätte Marinette noch etwas gesagt, doch ihr fiel nichts Passendes ein.
Also warf sie ihm einen letzten, liebevollen Blick zu, sprang mit einem großen Satz nach oben an die Fensterkante und zog sich daran nach oben.

Auf ihrem Nachhauseweg reichte der kalte Gegenwind nicht einmal ansatzweise aus, um sie abzukühlen.

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