10

Hellwach lag Marinette in ihrem Bett und starrte an die dunkle Zimmerdecke.
Cat Noirs Berührungen hielten sie vom Schlafen ab.
Selbst jetzt noch spürte sie seine Hände auf den verschiedenen Teilen ihres Körpers und jede Minute rauschte eine weitere kleine Hitzewelle durch sie hindurch.
Marinette hätte nicht gedacht, dass es so schnell gehen würde, doch schon jetzt reichten seine Küsse kaum noch aus, um ihr Verlangen zu stillen.
Zum ersten Mal konnte sie Alyas Verzweiflung vor den Sommerferien nachempfinden. Im Gegensatz zu ihrer Freundin und Nino hatten Marinette und Cat Noir jede Menge ungestörte Orte, an denen sie sich treffen konnten. Aber dafür hatten sie mit ganz anderen Herausforderungen zu kämpfen: Ihren Superhelden-Anzügen, zum Beispiel.

»Tikki?«, flüsterte Marinette in die Dunkelheit hinein. »Schläfst du schon?« Ihr Kwami gab einen grunzenden Laut von sich, antwortete aber.
»Was ist denn?«
»Ich hätte da mal eine Frage.«
»Hat das nicht bis Morgen Zeit?«
»Wahrscheinlich schon. Aber da du jetzt sowieso wach bist ...«
Tikki seuftze leise. »Was ist denn deine Frage?«
»Es geht um meinen Ladybug-Anzug.«
»Du willst mich also bitten, ihn weniger eng anliegend zu machen?«
»Nicht ... direkt.«
Marinette spürte, wie ihr schon wieder heiß wurde, und sie war froh, dass Tikki gerade nicht ihr Gesicht sehen konnte.
»Ich wollte fragen, ob er unbedingt so hochgeschlossen und ... unausziehbar sein muss.«
Es war ein absolut seltsames Gefühl, diesen Gedanken ihrem Kwami gegenüber auszusprechen.
Tikki war zwar ihre Freundin, aber eben auch ein kleines, süßes Kwami, das sie überallhin begleitete und von ihr mit rosa Macarons gefüttert wurde.
Und gelegentlich hörte sie sich so belehrend an wie eine Mutter oder Lehrerin.
»Ich fürchte, da muss ich dich enttäuschen.«, antwortete Tikki nach einer kurzen Pause. Ihre Stimme klang vollkommen neutral.
»Ich lege nicht fest, wie dein Anzug aussieht, wenn ich dich verwandle. Es wird allein von dir, der Miraculous-Trägerin, bestimmt - von deinem Hintergrund und Charakter, deinem Körper und all so etwas.
Weder du noch ich können etwas daran ändern.«
»Verstehe.«, erwiderte Marinette und gab sich alle Mühe, ihre Enttäuschung zu verbergen.

Es wäre ihr unangenehmgewesen, nach diesem kurzen Wortwechsel zu schweigen und irgendwann einfach einzuschlafen, also stellte sie Tikki eine weitere Frage.
»Sag mal, ist es für dich eigentlich seltsam, wenn Cat Noir und ich ... also, wenn wir uns so ... nahekommen
»Seltsam trifft es nicht ganz.
Ich habe immerhin schon sehr viele Miraculous-Träger begleitet und auch wenn wir Kwamis uns in dieser Hinsicht von Menschen unterscheiden, verstehe ich, was da zwischen euch ist.
Trotzdem ist es etwas anderes, als dich bei einem Kampf oder etwas Ähnlichem zu beobachten.
Wenn ich in deinen Ohrringen bin, bekomme ich alles mit, was du tust und erlebst, aber ich kann selbst darüber bestimmen, wie aufmerksam ich in so einer Situation bin.«
»Aha.«, war alles, was Marinette dazu einfiel.
»Dann ... schlaf gut, Tikki.«
»Du auch.«
Es wurde still zwischen ihnen.

Es dauerte jedoch keine halbe Minute, bis Marinette etwas auffiel und sie die Stille wieder brach.
»Warte mal, Tikki! Was du da gerade gesagt hast ... Das klang eindeutig danach, als hättest du schon bei früheren Trägerinnen eine Beziehung miterlebt, während du in dem Miraculous warst.
Es gab also tatsächlich schon Ladybugs und Cat Noirs, die ein Paar waren!«
»Gute Nacht, Marinette.«, war alles, was Tikki daraufhin sagte.
Anscheinend wollte sie noch immer nichts zu diesem Thema sagen.
»Mich würde unheimlich interessieren, wie genau unsere Vorgänger das gemacht haben.«, dachte Marinette. Aber sie drängte Tikki nicht weiter und schloss stattdessen die Augen.
Irgendwann würde sie es erfahren. Da war sie sich sicher.
Spätestens, wenn zwischen ihr und Cat Noir alle Problem ausgeräumt waren und mit ihnen alles gut ausgegangen war, würde Tikki mit der Sprache herausrücken.

Je weiter der Dezember voranschritt, desto näher kam Marinette dem unschönen Moment.
Dem Moment, wenn sie sich für Alya von ihrem Freund »trennen« musste.
Es war mittlerweile beinahe unmöglich, ihre Freundin weiter hinzuhalten.
Marinette hatte ihren halb-erfundenen Freund schon mit einigen Details ausgeschmückt, um sich etwas Zeit zu verschaffe. Zum Beispiel mit einem Namen - Louis -, einem Ort, an dem sie sich kennengelernt hatten - die Bäckerei ihrer Eltern -, und einem Grund, warum er am Wochenende keine Zeit für Treffen mit Marinette und ihren Freunden hatte - ein Studentenjob als Kellner. Sogar ein Foto aus dem Internet hatte sie herausgesucht, damit Alya nicht vor Neugier platzte.
Aber die Lügengeschichte war nun ausgereizt. Entweder Marinette brachte tatsächlich den gut aussehenden Typ von dem Internetfoto zu einem Treffen mit, oder sie musste die ganze Sache beenden.

In den vergangenen Wochen hatte Alya ihr und Cat Noir noch ein paar Mal ein Alibi verschafft, damit sie sich schon am Nachmittag oder Abend hatten treffen können. Und es war bedauerlich, dass diese Option nun wegfallen würde. Aber schon allein wegen der Erleichterung, nicht mehr so viel lügen zu müssen, sah Marinette dem Ende dieser Episode mit relativ positiven Gefühlen entgegen.
Sie würde eine Weile lang so tun müssen, als hätte sie Liebeskummer, aber wenigsten würden die ständigen Fragen aufhören. Und in nicht allzu ferner Zukunft würde wieder alles wie vorher zwischen ihr und ihrer besten Freundin sein.
Jetzt musste sie es nur noch überzeugend rüberbringen.

Marinette hetzte über die Stadtdächer hinweg.
Sie wollte schnellstmöglich zu Cat Noir, aber leider war Sehnsucht nicht das Einzige, was sie antrieb.
Heute hatte sie nicht einmal eine ganze Stunde Zeit für ihr Treffen.
Sie hatte noch bis zur letzten Minute an einer Hausaufgabe gearbeitet und war noch nicht damit fertig geworden.
Für ihre morgigen Pläne würde es sich zwar anbieten, unausgeschlafen zu sein - verquollene Augen passten gut zu angeblichem Liebeskummer - aber der anstehende Geschichtstest war zu wichtig. Wenn Marinette sich ihren Notendurchschnitt nicht verderben wollte, musste sie ausgeruht und klar im Kopf sein.
Sie hatte überlegt, die Verabredung mit Cat Noir abzusagen, doch dafür vermisste sie ihn schon wieder zu sehr. Und ein paar Minuten Ablenkung und Aufmunterung würden ihr guttun.

Als sie ihn zur Begrüßung umarmt und küsste, fiel ihr bereits etwas an ihm auf.
Cat Noir wirkte unruhiger als sonst. Richtig aufgeregt.
Und es gelang ihm nicht, das freudige Lächeln von seinem Gesicht fernzuhalten, obwohl er es offenbar versuchte.
»Hattest du einen schönen Tag?«, fragte er sie - um einen neutralen Ton bemüht und auch dabei kläglich versagend.
Sie zuckte mit den Schultern und setzte einen beiläufigen Gesichtsausdruck auf.
»Relativ viel zu tun, deswegen kann ich auch nicht lang bleiben. Aber ich bin froh, jetzt hier zu sein.«
Ungeduldig trat Cat Noir von einem Bein auf das andere.
Hoffte er etwa darauf, dass auch sie ihn nach seinem Tag fragte?
»Ich habe mir überlegt: Auch wenn wir nicht viel Zeit haben, könnten wir doch mal wieder ein kleines Wettrennen veranstalten.«, redete Marinette weiter. Irgendwie hatte sie Gefallen daran, ihn noch ein wenig zu quälen.
»Das haben wir schon lang nicht mehr gemacht, und ein bisschen nächtliche Bewegung würde mir bestimmt guttun, um den Kopf freizubekommen. Was hältst du davon? Hättest du Lust?«
Cat Noir knickte deutlich schneller an, als sie erwartet hätte. Ohne jede Vorwarnung platzte es aus ihm heraus: »Ich habe eine Überraschung für dich!«
Dabei erschien von einem Schlag auf den anderen ein unübersehbares Strahlen auf seinem Gesicht und in seinen grünen Augen blitzte es auf, als wäre gerade ein heller Sonnenstrahl darauf gefallen.
Marinette biss sich auf die Unterlippe und meinte mit ruhiger, beinahe schon gelangweilt klingender Stimme: »Hat das nicht noch ein wenig Zeit? Ich hatte doch gerade solche Lust auf ein Wettrennen.«
»Na gut ...«, meinte Cat Noir in einem zerknirschten Tonfall und sank ein Stück in sich zusammen, »Wenn du das unbedingt noch vorher machen willst ...«
Da bemerkte er das Grinsen auf Marinettes Gesicht.
»Du bist schrecklich, weißt du das?«, sagte er und sah sie aus zusammengekniffenen Augen an.
Sie fing gerade an zu lachen, als er sie kurzerhand packte und sie sich wie einen Sack Kartoffeln über die Schulter warf.
Sie quiekte kurz auf - und musste dann noch mehr lachen.
Mit energischen Schritten ging Cat Noir auf die Dachkante zu.
»Du hast die Überraschung eigentlich gar nicht mehr verdient.«, meinte er und holte seinen Stab hervor.
»Du hast aber Glück. Es ist auch ein Geschenk an mich selbst, und ich will nicht noch länger warten.«
Mit nur einer Hand hielt er sich an dem Stab fest und stieß sich von der Dachkante ab.
Seine zappelnde und kichernde Freundin auf seiner Schulter brachte ihn dabei kein bisschen aus dem Gleichgewicht.
»Wo bringst du mich hin?«, fragte Marinette und versuchte sich vergeblich aus seinem Griff zu winden. Mittlerweile hatte sie ihr Gelächter ganz gut unter Kontrolle. »Wieder auf den Rummel?«
»Das wirst du schon sehen.
Und jetzt halt still, bevor ich dich noch aus Versehen in die Seine fallen lasse.«
»Wenn du an die Seine willst, bewegst du dich aber in die völlig falsche Richtung.«
»Ruhe auf den billigen Plätzen!«
»Also stimmt es, dass Männer sich bei der Navigation nicht gern von Frauen reinreden lassen?« Marinette musste schon wieder kichern.
»Vielleicht hätte ich doch lieber das Wettrennen wählen sollen ...«, meinte Cat Noir mit einem Seufzen.
»Zum Glück sind wir gleich da.«

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