10

Am Montag fiel es Marinette schon deutlich leichter, in die Schule zu gehen und ihren ehemaligen Freunden gegenüber zu treten.
Am Tag zuvor hatte sie Cat Noir bei einem Superhelden-Einsatz getroffen und danach noch ein wenig mit ihm an ihrem Lieblingsplatz gesessen. Besonders ein kurzer Satz, den er kurz vor ihrem Abschied zu ihre gesagt hatte, hing er noch im Ohr.
»Du hast schon eine Woche geschafft.«
Zusammen mit seinem ermutigenden Lächeln hatte dieser Satz ein kleines Glücksgefühl in ihr geweckt.
Sie hatte tatsächlich schon eine Woche geschafft. Und statt noch immer komplett am Boden zerstört zu sein, konnte sie sogar schon wieder ein wenig lächeln. Das war so viel mehr, als sie zu hoffen gewagt hatte.

Als in der Pause auf einmal eine vertraute Stimme ihren Namen sagte, war sie sich jedoch auf einen Schlag nicht mehr so sicher.
Ging es ihr tatsächlich schon besser? Oder hatte sie Cat Noir und sich selbst nur etwas vorgemacht?
Der heftige, schmerzhafte Stich fühlte sich auf jeden Fall danach an.

»Marinette?«, sagte Adrien erneut und sie hob den Kopf, um ihn anzusehen.
Wieder zog sich ihr Herz schmerzhaft zusammen - als wäre es erst gestern gewesen, dass es gebrochen worden war.
Der Blick aus Adriens grünen Augen war kaum zu ertragen, aber wegsehen konnte sie auch nicht.

»Darf ich mich zu dir setzen?«
Sie wollte mit dem Kopf schütteln, doch da hatte er schon wie von selbst genickt.
Adrien nahm auf dem Stuhl neben ihr Platz. Er unterbrach den Blickkontakt, als er den Kopf senkte und auf die Tischplatte vor ihnen starrte.
Marinette war erleichtert und enttäuscht zugleich.
»Ich ... muss mich bei dir entschuldigen.«, sagte er stockend.

Marinettes Herzschlag setzte aus.
Er weiß es!
Sie hätte nicht gedacht, dass ihre Verbindung zu Adrien noch grauenhafter werden konnte, als sie im Moment schon war. Jetzt wurde ihr bewusst, dass es noch schlimmer ging.
Adrien, der Bescheid wusste, war wie ein wahrgewordenes Horrorszenario!

»Ich war dir in den letzten Tagen kein guter Freund.«, hörte sie ihn weiterreden.
Erst nach ein paar Sekunden sickerte der Satz bis zu ihr durch und ihr Herz begann langsam wieder zu schlagen.
Das »Gespräch« mit Adrien ging noch keine drei Minuten und sie war schon völlig am Ende.
Zum Glück hielt er seinen Kopf noch immer gesenkt.

»Ich hätte dir ganz deutlich sagen sollen, dass ich für dich da bin.
Was da zwischen dir und Alya passiert ist ... was auch immer es ist: es geht mich nichts an und es ändert auch nichts zwischen uns.
Ich kenne das Gefühl, wenn man am liebsten allein sein und mit niemandem reden will. Deshalb habe ich auch Abstand zu dir gehalten.
Aber ich habe dabei übersehen, dass es völlig falsch bei dir ankommen könnte.«

Nun sah er sie wieder an. Der Ausdruck auf seinem Gesicht war eine Mischung aus Schuldgefühl und Anteilnahme.
»Ich will dir kein Gespräch aufdrängen, oder so. Ich wollte nur, dass du weißt, dass ich ... für dich da bin.«

Marinette fühlte sie absolut seltsam und hatte keine Ahnung, was sie jetzt tun oder sagen sollte.
Wenn sie Adrien so in die Augen sah, war ihr zum Heulen zumute. Aber gleichzeitig hatte die Situation auch etwas ungemein Komisches an sich und sie rechnete beinahe damit, jeden Moment in ein hysterisches Kichern auszubrechen.
Ausgerechnet ihr Liebeskummer über Adrien brachte ihn dazu, ihre Freundschaft vertiefen zu wollen! War das nicht ironisch?

Als sie nichts sagte, erhob Adrien sich.
»Ich lasse dich dann mal wieder in Ruhe.«, sagte er und lächelte ihr zu. »Du weißt ja jetzt, dass du jederzeit zu mir kommen kannst.«
Er drehte sich um und machte einen Schritt in Richtung Tür. Doch dann hielt er inne und drehte sich noch einmal zu ihr um.
»Wenn du nicht kommst, ist das natürlich auch vollkommen in Ordnung für mich. Ich hoffe nur, dass es jemanden gibt, dem du dich anvertrauen kannst.«
Er nickte ihr knapp zu und ging davon.

Während sie ihm nachsah, sagte Marinette ganz leise: »Es gibt jemanden.«
Dann lief die erste Träne ihre rechte Wange hinab und sie senkte schnell den Kopf.

Selbstverständlich würde Marinette Adriens Angebot niemals annehmen. Wenn seine Annäherung überhaupt irgendetwas geändert hatte, dann, dass es sie noch stärker zu Cat Noir hintrieb.

Wenn sie in der Schule mit Adrien im selben Zimmer sein musste, vermisste sie diesen neuen, separaten Raum, in dem die Freundschaft mit Cat Noir existierte. Ein Raum, zu dem Adrien kein Zutritt hatte; genauso wenig wie Alya und all die anderen.
Und wenn sie wieder einmal heulend in einer verborgenen Ecke des Schulgebäudes saß, vermisste sie auch das Lachen, das Cat Noir an dem Abend auf dem Rummel in ihr geweckt hatte.

Sie hasste es, sich so elend zu fühlen; so schwach und unglücklich.
War es also verwunderlich, dass sie wieder bei dem einen Menschen sein wollte, der etwas dagegen unternehmen konnte - auch wenn dieser Mensch Cat Noir war?

Cat Noir als ihr engster Vertrauter; als der Mensch, zu dem sie sich hin flüchtete - Marinette hatte einige Mühe, sich an diesen Gedanken zu gewöhnen.
Sie hatte ihn so lange Zeit unterschätzt. Sie hatte ihm nicht zugetraut, diese Rolle in ihrem Leben einnehmen zu können. Ja, es war ihr noch nicht einmal in den Sinn gekommen, dass sich zwischen ihnen noch einmal etwas gravierend verändern würde.
Aber sie war unheimlich froh, dass es dazu gekommen war.
Sie wollte sich gar nicht vorstellen, wo sie jetzt wäre und wie es ihr gehen würde, wenn es Cat Noir nicht gäbe.
Und sie hoffte, dass die neue Freundschaft mit ihm nicht das einzig Gute bleiben würde, das aus ihrem Liebeskummer hervorging.

In den folgenden Tagen traf sie sich beinahe jeden Abend mit ihm.
Kein einziges Mal verabredeten sie sich konkret, aber wie selbstverständlich fanden sie sich; meistens an Marinettes Lieblingsplatz, manchmal auch beim Trampolin auf dem Rummel oder einfach irgendwo hoch über den Dächern von Paris - dort, wo sie die einzigen Menschen waren.

Die Auswirkungen ihres offenen Gesprächs von Samstagabend waren deutlich zu spüren. Es war viel unkomplizierter und entspannter zwischen ihnen geworden.
Die neue Offenheit hielt in ihren Gesprächen weiterhin an, aber nicht immer redeten sie viel, wenn sie zusammen waren. Manchmal saßen sie auch eine halbe oder ganze Stunde schweigend nebeneinander und jeder hing seinen eigenen Gedanken nach.

Besonders an einem Punkt fiel Marinette die Veränderung auf: Sie musste nun viel weniger wachsam sein.
Sie wusste, dass Cat Noir nichts Unpassendes sagen oder tun würde. Sie hatten die Sache mit seinen einseitigen Gefühlen besprochen und nun waren sie nichts mehr, was sie von ihm fernhielt.
Das offene Gespräch hatte die Befangenheit beseitigt und sogar zu einem ganz neuen Verständnis füreinander geführt.
Cat Noir wusste, dass sie ein gebrochenes Herz hatte. Und sie wiederum wusste, dass er ihr gebrochenes Herz nicht noch weiter bedrängen würde.
Damit war ein wesentlicher Grund für Wachsamkeit in seiner Nähe verschwunden.

Allerdings gab es noch ein zweites Thema, mit dem er in der Vergangenheit für Probleme und unangenehme Situationen gesorgt hatte: Die Sache mit ihren geheimen Identitäten.

Wieder und wieder hatte sie ihn ermahnt, keine Fragen zu stellen und ihr auch nichts über sein eigenes Leben zu erzählen. Aber wieder und wieder hatte er das Thema zur Sprache gebracht.
Sie wusste, dass er unheimlich neugierig auf die Person hinter ihrer Maske war.
Und deswegen konnte sie ihre Wachsamkeit nie komplett ablegen.
Selbst wenn sie vollkommen entspannt nebeneinandersaßen und über den letzten Superschurken und seine Kampftechniken plauderten, war ein Teil ihres Kopfes nach wie vor in Alarmbereitschaft.

Womöglich war sie in diesem Zusammenhang sogar noch wachsamer als früher. Denn nun tauschten sie sich deutlich häufiger über das Superhelden-Dasein aus, und in diesen Gesprächen war der Grad zwischen erlaubten und unerlaubten Bemerkungen sehr schmal.

Marinette widerstand trotzdem dem Drang, einen Schritt zurückzuweichen und wieder nur über Oberflächlichkeiten mit Cat Noir zu reden - ihre Freundschaft war längst zu einem sehr wichtigen Teil ihres Lebens geworden und bedeutete ihr mit jedem Tag mehr.
Stattdessen spielte sie mit dem Gedanken, ein ernstes Gespräch zu diesem Thema anzustoßen. Sie hatte noch nicht den passenden Einstieg gefunden, als das Gespräch eines Abends ganz von selbst zustande kam.

Sie saßen an Cat Noirs Lieblingsplatz.
Wenige Tage zuvor hatte er Marinette zum ersten Mal mit dorthin genommen und sie hatte sofort gewusst, dass sie sich in Zukunft häufiger an diesem Ort treffen würden.

Es war ein Funkmast, der am südlichen Stadtrand stand. Bis dorthin reichte das dichte Netz aus Häuserdächern der Innenstadt längst nicht mehr und so war es deutlich komplizierter, zu dem Mast zu gelangen.
Diesen Mehraufwand war es aber auf jeden Fall wert. Statt enger Großstadtgassen gab es hier jede Menge Grün und sowohl freien Blick auf die Stadt, als auch auf das städtische Randgebiet mit seinen Wohnsiedlungen, Parks, Wiesen und in der Ferne sogar Feldern.

Sie saßen schon einige Minuten schweigend nebeneinander, als Cat Noir zu sprechen begann.
»Weißt du, was mir gestern Nacht aufgefallen ist?«
Marinette hatte eben noch auf einen winzigen Menschen hinabgesehen, der weit unter ihnen auf einem Fahrrad vorbeigefahren war. Nun hob sie den Kopf. Aufmerksam sah sie Cat Noir an und wartete, dass er weiterredete.

»Wir können uns nicht von den alltäglichen Dingen erzählen, weil wir damit Sachen über uns preisgeben, die der andere nicht wissen darf. Aber -«, er machte eine bedeutsame Pause, um die Spannung zu erhöhen, »wir können uns Dinge erzählen, die sonst niemand von uns weiß. Unsere tiefsten Geheimnisse.«

Marinette legte nachdenklich den Kopf auf die Seite. War sie nun beeindruckt oder enttäuscht von seinem Gedanken?
»Was genau stellst du dir denn unter »tiefsten Geheimnissen« vor?«, fragte sie nach.
»Naja, etwas, das niemand über dich weiß - weder deine Familie noch deine Freunde noch sonst irgendjemand.«
»Du meinst so etwas, wie die Tatsache, dass ich Ladybug bin?«
»Genau.«, er grinste sie an. »Aber wenn ich ehrlich bin, hatte ich auf etwas weniger Offensichtliches gehofft.«

Als sie daraufhin nichts sagte, lehnte er sich zu ihr hinüber und sah sie aus zusammengekniffenen Augen an.
»Und? Gibt es da etwas? Vielleicht sogar etwas ... Brisantes
Er grinste doppeldeutig und ohne es zu wollen, stieg Marinette die Hitze in die Wangen.

»Wenn du schon so viele Ideen und Vorstellungen hast, kannst du ja anfangen.«, erwiderte sie schnell und setzte einen ebenso herausfordernden Blick auf, wie er.
Er zuckte mit den Schultern. »Kein Problem. Für dich bin ich ein offenes Buch, Pünktchen.
Irgendwas Bestimmtes, das dich interessiert?«
Marinette überlegte, aber ihr fiel einfach nichts ein.
Jede Idee, die ihr kam, war entweder unpassend, potenziell peinlich oder hätte ihr zu viel über ihn verraten.
»Ich überlasse es dir.«, sagte sie schließlich.

Sie beobachtete Cat Noir ganz genau, doch sie konnte keine Erleichterung auf seinen Zügen entdecken. Anscheinend hätte er tatsächlich kein Problem damit gehabt, ihr auch seine tiefsten Geheimnisse zu verraten.
Er überlegte kurz, dann begann er tatsächlich zu erzählen.

»Ich habe in meinem Kleiderschrank ein T-Shirt, das ich noch nie getragen habe und von dem auch niemand weiß.«
»Und? Was ist drauf?« Es überraschte Marinette selbst, aber sie war tatsächlich neugierig.
»Kurz nachdem ich Cat Noir geworden bin, bin ich an einem Straßenstand vorbeigekommen, an dem es T-Shirts mit meinem Gesicht drauf gab. Also T-Shirt mit Cat Noir drauf. Und obwohl ich wusste, dass ich es niemals tragen würde, habe ich eins gekauft.
Genau genommen gibt es keinen objektiven Grund, warum ich es nicht tragen dürfte. Aber ich käme mir trotzdem total seltsam damit vor. Es wüsste zwar niemand, aber es ist immer noch ein Fan-T-Shirt von mir selbst

Marinette war sehr froh, dass Cat Noir sie gerade nicht ansah. Denn wenn er es getan hätte, wäre ihm womöglich die zurückgekehrte Röte auf ihrem Gesicht aufgefallen.
Auch in ihrem Kleiderschrank lag in der hintersten Ecke ein rotes T-Shirt mit schwarzen Punkten und einem großen Ladybug-Gesicht darauf.
Auch sie hatte sich nie getraut, es zu tragen.

»Das ist also dein tiefstes Geheimnis? Ein Fan-T-Shirt von dir selbst? Jetzt bin ich enttäuscht! Dein Leben klingt furchtbar langweilig.«
Er erwiderte ihr Grinsen und meinte: »Vermutlich hast du damit sogar recht. Der Nicht-Cat-Noir-Teil meines Lebens ist tatsächlich ziemlich langweilig.«
»Und du hattest gehofft, dass es bei mir anders ist?«
Marinette musterte ihn neugierig von der Seite. »Dachtest du wirklich, dass ich außer dieser Superheldensache noch andere große Geheimnisse habe?«
Er zuckte mit den Achseln.
»Den Versuch war es wert. Vielleicht fallen uns die spannenden Sachen auch erst irgendwann später ein. Und bis dahin können wir uns ja noch von unseren Superhelden-Erlebnissen erzählen.«

Er sah sie fragend an. »Hattest du schon einmal einen Moment, in dem du beinahe deine Identität verraten hättest?«
Marinette verdrehte die Augen. »Diesen Moment gab es schon viel zu oft. Es grenzt an ein Wunder, dass noch niemand Bescheid weiß!
Ich hab mich zum Beispiel mal in einem öffentlichen Gebäude in einem Abstellraum verwandelt und genau in dem Moment, als ich fertig war, hat eine Reinigungskraft die Tür geöffnet. Eine Sekunde früher und die Frau hätte mich ohne Maske gesehen.«
»Bei mir war es ein Zugabteil und ein Schaffner.«, sagte Cat Noir.
Sie grinsten sich wieder an.

»Es gab auch mal einen Moment, in dem ich Angst hatte, ich könnte aus Versehen deine Identität herausfinden.«, redete Cat Noir weiter. Seine Stimme war ernster geworden.
»Ich war im hinteren Teil eines kleinen Geschäfts, als zwei junge Frauen den Laden betreten haben. Ich stand mit dem Rücken zu ihnen und habe sie nicht gesehen, aber ich habe sie miteinander reden hören. Eine der beiden hat sehr schnell und viel geredet.
Die andere hat nur zwei oder drei Worte zwischendrin gesagt, aber ihre Stimme klang genau wie deine.
Ich hab sofort Panik bekommen und bin mit gesenktem Kopf aus dem Laden geflüchtet.
Keine Ahnung, ob das wirklich du warst, aber ich wollte es nicht riskieren. Seitdem mach ich einen weiten Bogen um den Laden und die ganze Straße.«

»Cat Noir!«, sagte Marinette und lächelte ihn breit an. »Ich bin stolz auf dich!«
Leicht verlegen erwiderte er das Lächeln.
»Aber wenn du das nächste Mal glaubst, meine Stimme zu hören, musst du nicht sofort die Flucht ergreifen.«, redete sie weiter. »Selbst wenn wir uns mal unverwandelt über den Weg laufen, werden wir uns nicht an den Stimmen erkennen.«

Fragend sah Cat Noir sie an.
»Ich hätte gedacht, dass Plegg es dir erzählt hat.«, erklärte sie. »Schon kurz nachdem ich mein Miraculous bekommen habe, habe ich mir deswegen Gedanken gemacht - über die Gefahr, dass wir uns gegenseitig anhand der Stimmen wiedererkennen. Aber Tikki hat mich beruhigt.
Wenn wir verwandelt sind, werden anscheinend nicht nur unsere natürlichen Fähigkeiten verstärkt, sondern auch unsere Stimme klingt leicht verändert.
Mir selbst ist es vorher auch nie aufgefallen, aber wenn man es weiß, hört man den leichten Unterschied.«

»Gut, zu wissen.«, sagte Cat Noir. Dann ließ er seinen Blick nachdenklich über den Ausblick schweifen.
»Vielleicht ist es aber trotzdem nicht so schlecht, wenn ich weiter vorsichtig bin. Ich glaube, ich würde dich auch ohne Maske erkennen, wenn ich auf dich treffe. Vielleicht nicht anhand deiner Stimme und auch nicht bei einem flüchtigen Blick im Vorbeigehen.
Aber wenn ich dir direkt gegenüber stehen und mit dir reden würde, würde ich dich mit Sicherheit erkennen.«

Marinette lächelte leise in sich hinein und murmelte. »Da irrst du dich.«
Sie bereute die Worte sofort, als Cat Noir sich mit überraschtem Blick zu ihr umwandte.
Er hatte es gehört.

»Moment: Soll das etwas heißen, ich bin schon mal auf dich getroffen, als du deinen Ladybuganzug nicht anhattest?«
»Nein, wir sind uns noch nie begegnet.«, versuchte sie ihn schnell wieder davon abzubringen. »Ich denke nur nicht, dass du mich wiedererkennen würdest.«

Für einen Moment dachte sie, sie hätte ihn überzeugt, doch dann sagte er auf einmal: »Du bist eine schlechte Lügnerin, Ladybug.«
»Nein, glaub mir! Du hast mich wirklich noch nie getroffen!«
Die Panik in ihrer Stimme machte es nur noch deutlicher für ihn.
Es war zu spät.
Sie konnte förmlich sehen, wie die Zahnräder hinter seiner Stirn zu rattern begannen.

»Hey! Hör sofort auf, darüber nachzudenken!«
Sie wedelte ihm mit der Hand wild vor dem Gesicht herum.
»Und wie soll ich das bitte anstellen?«
»Hör ... einfach auf damit!«
»Ich habe eine bessere Idee: Wir gleichen diese Offenbarung einfach aus, indem ich dir sage, dass ich dir auch schon unverwandelt begegnet bin.«

»Cat!«, schrie sie ihn.
»Was denn?«
»Wie kommst du nur darauf, dass diese Information es wieder ausgleicht?«, fragte sie entgeistert. »Du hast es noch viel, viel schlimmer gemacht!«
»Meinst du?«
Wie er es immer tat, wenn er verlegen war, rieb er sich den Nacken.

»Das ist ... eine Katastrophe
Verzweifelt vergrub Marinette das Gesicht in den Händen.
Sie spürte, wie Cat Noir ihre tröstend die Schulter tätschelte.
»Hey, so schlimm ist es doch gar nicht. Wir sind als Superhelden in den Jahren schon so vielen Menschen begegnet ... Im Prinzip ändert dieses Wissen also überhaupt nichts.«

Sie nahm die Hände vom Gesicht, um ihn halb wütend halb verzweifelt anzustarren.
»Diese Information könnte die gewesen sein, die alles kaputtmacht! Verstehst du das denn nicht?
Als Superhelden sind wir doch fast immer zusammen unterwegs. Die allermeisten Menschen, denen wir Begegnen, fallen also schon einmal als Option heraus.
Außerdem kennen wir schon unser ungefähres Alter, die Körpergröße, die Haar- & Augenfarbe -«

»Ähm, Ladybug?«, unterbrach er sie mit einem entschuldigenden Gesichtsausdruck. »Du solltest jetzt besser aufhören zu reden.«
»Warum?«, fuhr sie ihn an, »Ist es dir etwa unangenehm, dass ich mich so aufrege? Tja, Pech gehabt! Ich habe auch allen Grund, mich aufzuregen.«
»Das ist es auch nicht. Du solltest nur damit aufhören, mir noch mehr Details über dich zu verraten.«
»Was meinst du? Ich habe doch gar nichts weiter verraten!«
Cat Noirs Blick sagte das Gegenteil.
»Aber was habe ich denn gesagt?«
»Du hast gesagt, dass wir die Haar- und Augenfarbe vom andern kennen.«
Marinette verstand noch immer nicht.

»Naja, ich war mir bei diesen beiden Sachen nie sicher.«, erklärte Cat Noir es genauer.
»Als wir beim Kampf gegen Reflekdoll unsere Miraculous getauscht haben, hattest du nicht mehr blaue Augen, sondern grüne. Außerdem hat Plegg mal erwähnt, dass es auch noch andere Miraculous gibt, die so etwas wie Haar- und Augenfarbe verändern.
Ich wusste nie, ob das Marienkäfer-Miraculous nicht vielleicht dazugehört - bis jetzt.«

Marinette brachte kein Wort heraus und konnte ihn nur mit weit aufgerissenen Augen und offenem Mund anstarren.
Als sie sich auch nach einer Minute noch nicht gerührt hatte, fragte Cat Noir vorsichtig nach.
»Ladybug? Alles ok?«

»Das Schlangen-Miraculous ...«, sagte sie mit dünner Stimme.
»Das ... Schlangen-Miraculous?«
»Ich habe schon mal gesehen, dass es die Haar- und Augenfarbe seines Trägers verändert hat.«
Cat Noir wusste offenbar nicht, was er mit dieser Information anfangen sollte. Mit hilflos Gesichtsausdruck sah er sie an.

Zum Glück hatte Marinette ihren Schock inzwischen halbwegs überwunden. Aber was sie jetzt tun sollten, wusste sie trotzdem genauso wenig wie er.
»Cat, was machen wir denn jetzt?«
»Also ich weiß jetzt spontan auch mit all diesen Informationen noch nicht, wer du bist.«
»Ich auch nicht. Aber irgendwann wird es uns vielleicht einfallen und dann ...« Ihre Stimme brach ab.
Cat Noir beendete den Satz an ihrer Stelle.
»Dann ist es eben so.«

Sie sahen sich stumm in die Augen.
»Wir bekommen das schon irgendwie hin.«, sagte Cat Noir schließlich und lächelte sie aufmunternd an.
Marinette war eher nach Heulen zumute.
»Das darf auf keinen Fall passieren.«, sagte sie gepresst. Sie hatte tatsächlich bereits einen dicken Kloß im Hals.
»So schlimm wäre es nun auch nicht.«
»Doch! Wäre es!«
Ihr heftiger Widerspruch ließ tatsächlich deutlich seine Stimmung abstürzen. Aber nicht etwa aus dem Grund, aus dem sie im ersten Moment dachte.

»Ich habe es nie so ganz verstanden, warum es so furchtbar schrecklich wäre, wenn wir wissen, wer der andere ist.
Ja, schon klar: Miraculous-Regel. Aber wir sind schon so lange ein Team und können uns doch uneingeschränkt vertrauen!
Trotzdem machst du jedes Mal einen riesigen Aufstand, wenn es darum geht. Du sagst, es wäre zu unserem eigenen Schutz und zum Schutz von Paris. Aber mittlerweile beginne ich zu glauben, dass das alles nur Ausrede ist.«

Seine Mine war inzwischen regelrecht abweisend geworden.
»Du willst einfach nur nicht, dass wir uns kennen.
Du hast Angst davor, dass es unsere Beziehung verkompliziert, dass ich irgendetwas ganz Schlimmes über dich herausfinde oder vor was weiß ich!
So ist es doch in Wahrheit, oder, Ladybug?«
Herausfordernd sah er sie an.

»Nein, so ist es nicht.«
»Ach ja? Und wie dann?«
Sein arroganter Tonfall machte sie direkt ärgerlich. Dass er ihr so eine große Lüge tatsächlich zutraute! Und das nach all der Zeit und all der Offenheit der letzten Tage.

»Ganz einfach:«, pflaumte sie zurück, »Es beschützt uns und Paris davor, dass unsere beiden Miraculous Hawk Moth in die Hände fallen. Wenn unsere Identität bekannt wird, sind wie viel angreifbarer.
Willst du etwa, dass Hawk Moth deiner Familie oder deinen Freunden etwas antut, damit du dich ergibst?«
»Aber keiner von uns würde doch die Identität des anderen freiwillig verraten.«
»Du sagst es: Nicht freiwillig.«

»Ladybug.«, Cat Noirs Stimme war auf einmal wieder ganz sanft. »Ich würde selbst unter Folter nicht verraten, wer du bist. Ich würde eher sterben, als dich in Gefahr zu bringen!«
Auch bei Marinette legte sich nun der Ärger und ihre Schultern fielen hinab. Diese Unterhaltung kostete sie viel Kraft - und sie war noch nicht beendet.

»Das glaube ich dir ja, Cat. Aber Folter wäre nicht einmal nötig, wenn einer von uns akumatisiert wird.«
»Du bist als Hüterin doch davor geschützt. Und ich habe meine Gefühle sehr gut unter Kontrolle. Akumas haben bei mir keine Chance.«
Marinette konnte es deutlich an seiner Stimme hören: Er glaubte seinen eigenen Worten.
Er sah die Gefahr nicht und das wiederum war gefährlich. Sie musste ihn unbedingt davon überzeugen, wie wichtig die Geheimhaltung war.

Einen Moment zögerte sie noch, dann sprach sie etwas aus, das sie schon lang vor ihm geheimgehalten hatte.
»Du ... du wurdest schon einmal akumatisiert.«

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