♤97♤
Dann erkannte ich Felipe Navarro, ein alter Freund meines Vaters, den ich bei meinem ersten Ball kennengelernt hatte. Sein Blick war vielleicht der einzige, der für einen kurzen Moment etwas Menschlichkeit erahnen ließ. Doch selbst er schien sich schnell abzuwenden, als unsere Augen sich trafen, als würde er es vermeiden, in meine Seele zu blicken.
Und dann war da Jackson Thomson, ein amerikanischer Bankmagnat, der sich unter den Gästen bewegte wie ein General unter seinen Soldaten. Er sprach leise mit einem anderen Mann, sein Blick war fest und seine Präsenz furchteinflößend. Ich konnte spüren, dass er einer von jenen war, die Luis Macht unterstützen würden, solange es ihrem eigenen Vorteil diente.
Doch Luis selbst war entfernt zu sehen. Es war, als hätte er sich absichtlich im Schatten gehalten, seine Gäste wie Marionetten dirigierend, die seiner Kontrolle unterworfen waren.
Mit jedem Schritt, den ich weiter ins Schloss machte, schien die Realität dieser Szenerie, dieses Tages, dieser Ehe wie eine düstere Welle über mich hinwegzurollen. Die flüsternden Gäste, die kühlen Blicke und das prunkvolle, doch erbarmungslose Ambiente des Schlosses - all das schien mir zu sagen, dass ich hier eine Rolle spielte, die ich nicht mehr ablegen konnte.
Als ich mich mit Marisa durch die Menge der Gäste bewegte, suchte mein Blick unwillkürlich nach einem vertrauten Gesicht, das mir Halt geben könnte - vielleicht Toni, der, so hoffte ich, irgendwie diesen Plan unterbrechen würde. Doch Toni war nirgends zu sehen und mit jedem weiteren Schritt durch die prunkvollen Hallen des Schlosses wuchs das Gefühl der Isolation. Die leisen, gedämpften Stimmen, die mich von allen Seiten umgaben, wirkten wie ein Käfig, der mich von der Außenwelt abschottete und ich fragte mich, ob Toni vielleicht überhaupt nicht vorhatte zu erscheinen.
Die Anwesenheit dieser mächtigen Persönlichkeiten, der scheinbar teilnahmslosen Gäste, verstärkte das Gefühl, dass ich völlig allein war in dieser Inszenierung, die Luis sorgfältig organisiert hatte.
Das Fehlen der Hoffnung in diesem Moment war wie eine Last, die mich zu Boden drückte. Doch gerade als ich inmitten der flüsternden Gäste das Gefühl hatte, endgültig verloren zu sein, sah ich ein vertrautes Gesicht - Toni. Sein Blick traf den meinen und für einen kurzen Moment spürte ich einen Funken Mut in mir aufglimmen. Er war hier und vielleicht war das ein Zeichen, dass noch nicht alles verloren war. Doch bevor ich mich weiter an diesen Gedanken klammern konnte, tauchte eine Gestalt auf, die mich sofort wieder in die bedrückende Realität zurückholte.
Fabrice, mein Onkel, stand plötzlich vor mir. Seine Augen blitzten in dem trügerischen, künstlichen Lächeln, das ich von ihm nur zu gut kannte und ich spürte die Abneigung, die er kaum zu verbergen versuchte. Er trat nah an mich heran, sodass ich seine Präsenz förmlich spüren konnte.
"Mila", begann er in einem flüsternden Ton, seine Stimme von einem Hauch Schadenfreude durchzogen. "Mit dieser Hochzeit wirst du alles wieder gutmachen. Die Fehler, die du gemacht hast, werden damit ausradiert. Ist es nicht ein wunderbarer Moment für unsere Familie?" Sein Lächeln war so schmal, dass es eher einem stummen Hohn glich. Er genoss diesen Augenblick, als hätte er sich lange darauf vorbereitet, mich endlich in einer Position der Machtlosigkeit zu sehen.
Ich spürte, wie sich meine Finger unwillkürlich an dem schweren Stoff meines Kleides festkrallten. Seine Worte trafen mich wie Nadelstiche und seine Genugtuung war so offensichtlich, dass es fast schmerzte. Es war, als ob er mir all das Elend, das ich je über ihn gedacht oder gesagt hatte, soeben mit jedem einzelnen seiner Worte zurückzahlte. Der Konflikt zwischen uns war immer unausgesprochen gewesen, doch in diesem Moment, in dieser verzerrten Version von "Familienzusammenhalt", zeigte er sein wahres Gesicht.
"Du tust unserer Familie einen großen Dienst", fügte er hinzu und ließ seinen Blick spöttisch über mein Hochzeitskleid gleiten, als sei es nichts weiter als ein weiterer Teil seines Plans. "Vielleicht ist es endlich an der Zeit, dass du deinen Platz verstehst und akzeptierst."
Ich zwang mich, ihm ruhig in die Augen zu sehen, obwohl in mir alles danach schrie, ihn zu konfrontieren. Doch ich wusste, dass es nichts nützen würde. Nicht hier, nicht jetzt.
"Durch deine Mithilfe meines Leidens, wirst du so wie Luis unter der Erde wandern. Keine einzige Träne werde ich verschwenden, sobald du Tod bist."
"Nun", sagte Fabrice schließlich mit einem letzten abfälligen Blick. "Genieß deinen Tag, Mila. Es wird der letzte Moment sein, an dem du dich wehrst", und mit diesen Worten verschwand er, ließ mich mit den pochenden Gefühlen zurück, während die Stimmen der Gäste mich umgaben und mich unaufhaltsam auf das zukamen ließen, was bald geschehen würde.
♤PoV Lucio♤
Das Schloss lag wie eine stumme Festung vor uns, majestätisch und bedrohlich. Die steinernen Mauern, gezeichnet von Jahrhunderten, strahlten eine kühle Abweisung aus, als ob sie ahnten, dass dieser Ort heute der Schauplatz eines Krieges werden würde. Jeder Schatten, jeder Winkel war von unseren Leuten abgesichert - alles musste reibungslos ablaufen.
Unsere Verbündeten befanden sich bereits an ihren Positionen. Die Ndrangheta hatte ihren Auftrag still und effizient ausgeführt und die äußeren Wachen entlang der Mauern und Eingangstore des Schlosses ausgeschaltet. Kein Alarm, kein Aufsehen - jeder war leise und professionell entfernt worden. Damit war die äußere Sicherheit des Schlosses praktisch neutralisiert, was uns eine wichtige Grundlage gab, um die inneren Bereiche zu sichern.
Die Russen, angeführt von Viktor, hatten sich um das gesamte Gelände herum postiert, um sicherzustellen, dass niemand das Schloss verlassen konnte, sobald wir unsere Operation starteten. Jeder Ausgang, jede mögliche Fluchtroute war abgedeckt. Ihre Positionen waren strategisch gewählt, sodass sie in kürzester Zeit auf jede Bewegung reagieren könnten. Sie waren in Gruppen aufgeteilt und ihre Aufgabe war klar: Niemand sollte entkommen, weder die Gäste noch Luis oder seine Männer.
Die Camorra, die mit der inneren Erstürmung beauftragt war, hielt sich unter der Führung von Mason in Bereitschaft. Sobald wir das Signal gaben, würden sie die Räume durchsuchen, die Gäste aufteilen und Luis engste Männer ausschalten. Der Plan war, dass die Camorra die Kontrolle im Inneren übernahm und sicherte, dass wir jeden Bereich schnell und effizient durchkämmen konnten.
Toni, hatte sich als entscheidende Figur in diesem Plan bewährt. Er war bereits am Schloss und gab uns bis zur letzten Minute detaillierte Informationen zu Luis Männern, ihren Standorten und den Bewegungen im Inneren. Seine Aufgabe war riskant, doch er spielte sie perfekt. Toni hatte sich für diesen Moment als vermeintlicher Verbündeter von Luis positioniert und sich das Vertrauen des Sicherheitsteams erschlichen.
Ich selbst hatte eine Position abseits des Eingangs eingenommen, verborgen zwischen den alten Bäumen, von wo aus ich die Auffahrt und den Schlosseingang überblicken konnte. Mein Herzschlag beschleunigte sich, als ich den schwarzen Wagen die Auffahrt hinauffahren sah. Der Wagen rollte an den ausdruckslosen Wachen vorbei und kam zum Stehen, direkt vor den großen, verzierten Treppen des Schlosses.
Die Tür des Wagens öffnete sich und eine fremde Frau stieg aus. Sie wirkte wie eine lebende Waffe - kalt, scharf und mit einem Ausdruck der Kontrolle, der mir verriet, dass sie alles, was sie tat, bis ins letzte Detail bedacht hatte. Ihre Augen wanderten über die Umgebung, als ob sie einen unsichtbaren Feind suchen würde, der sich noch nicht gezeigt hatte.
Und dann trat Mila aus dem Wagen. Ihr Kleid - prachtvoll, doch beklemmend - ließ sie wie eine zerbrechliche Figur wirken, die zu einem Schauspiel gezwungen wurde. Ihre Augen, leer und von einem unsichtbaren Schmerz erfüllt, verrieten, dass sie wusste, dass dieser Tag nicht ihrer war. Der schwere Schmuck und das kunstvolle Make-up verbargen die echte Mila, wie eine Maske, die ihren wahren Ausdruck verschloss. Die Frau hielt sie fest am Arm und führte sie die Treppen hinauf, als ob Mila nur eine Marionette wäre, deren Bewegungen kontrolliert wurden.
Ich musste mich zwingen, ruhig zu bleiben. Der Drang, zu ihr zu laufen und sie aus diesem Alptraum zu reißen, wuchs mit jedem Schritt, den sie auf die schweren Türen des Schlosses zuging. Doch ich konnte es mir nicht leisten, den Plan jetzt zu gefährden. Noch nicht.
Ramiro, der sich auf der anderen Seite des Geländes positioniert hatte, war für das Signal zuständig. Sobald Mila im Inneren war, würde er das Zeichen geben, damit die Camorra langsam sich in Bewegung setzte. Toni, der sich im Inneren aufhielt, würde sicherstellen, dass alle Gäste und Wachen beschäftigt waren, damit wir keine Zeit verloren.
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