♤62♤

Meine Augen fielen auf den Schreibtisch. Dort lagen ein Zettel und ein Stift, als hätten sie nur auf mich gewartet. Ich stand still für einen Moment, meine Finger zuckten, bevor ich zögernd darauf zuging. Jeder Schritt fühlte sich schwer an, als ob ich durch zähen Nebel watete.

Ich setzte mich hin, den Stift fest umklammert und starrte auf das leere Blatt vor mir. Die Worte, die ich suchte, blieben in meinem Kopf stecken, als wäre meine Zunge gelähmt.

Mit zitternder Hand begann ich zu schreiben:

Lucio,

Wenn du das liest, bin ich längst fort. Ich habe keine Wahl. Es gibt Dinge, die du nicht verstehen kannst, nicht verstehen sollst. Die Welt, in der wir uns befinden, ist viel gefährlicher, als ich vielleicht geglaubt hast. Du hast mich immer beschützt, doch dieses Mal kann ich dich nicht hineinziehen.

Ich gehe nicht, weil ich dich nicht liebe. Im Gegenteil, es ist diese Liebe, die mich dazu zwingt, zu handeln.

...

In Liebe, Mila.

Ich hielt inne, während die Tinte noch feucht auf dem Papier glänzte. Die Worte fühlten sich unvollständig an, doch es war alles, was ich sagen konnte. Ich legte den Stift beiseite und faltete den Zettel sorgfältig, als wäre es das Letzte, was mich mit Lucio verband.

Mit zittrigen Händen legte ich den Brief unter die zurechtgelegte Decke, sodass niemand davon erfährt. Mein Herz schmerzte bei dem Gedanken, dass er ihn lesen würde, während ich längst fort war.

Der Morgen brach ruhig und doch unheilvoll über Lucios Villa herein. Die Sonne schien durch die bodenlangen Fenster, als ich mich vor dem Spiegel im Badezimmer zurechtmachte. Jeder Handgriff fühlte sich schwer an, als ob meine Finger die Last meiner bevorstehenden Entscheidung spürten. Die Kälte des Marmorbodens unter meinen Füßen half mir, mich zu konzentrieren. Heute musste ich perfekt sein, eine Maske der Normalität tragen.

Ich griff nach meiner Bürste und fuhr sie mechanisch durch mein Haar, das ich schließlich in einem lockeren Zopf zusammenband. Dann wählte ich mein Outfit für den Tag: ein schlichtes, elegantes Sommerkleid, das nicht zu viel Aufmerksamkeit erregen würde.

Als ich fertig war, betrachtete ich mein Spiegelbild. Ich sah aus wie immer, vielleicht ein wenig blasser, doch ansonsten die gleiche Mila, die jeden Morgen aufstand. Doch ich wusste, dass dies mein letzter Tag hier sein würde. Der letzte Tag, an dem ich diese Fassade aufrechterhalten konnte, bevor ich mich der Dunkelheit meiner Vergangenheit stellen musste.

Mit einem tiefen Atemzug verließ ich das Zimmer und machte mich auf den Weg zum Frühstückstisch. Lucio, die Camorra und die Barãos saßen bereits dort und der Duft von frischem Kaffee, Gebäck erfüllte die Luft. Die Stimmung war, zumindest oberflächlich betrachtet, gelöst. Lucio sah mich lächelnd an, doch sein Blick war prüfend, als ob er spürte, dass etwas nicht stimmte.

Lucia saß am anderen Ende des Tisches und ich bemerkte sofort, dass sie mich mit einem merkwürdigen, scharfen Blick bedachte. Ihre Augen waren kalt und durchdringend, als würde sie etwas erahnen, das ich zu verbergen versuchte. Ich zwang mich zu einem Lächeln und setzte mich zu den anderen.

"Guten Morgen", sagte ich ruhig und nahm mir eine Tasse Kaffee. Meine Stimme klang ruhig, doch ich spürte, wie jeder Muskel in meinem Körper angespannt war.

Lucio sah mich kurz an und neigte den Kopf leicht zur Seite. "Alles in Ordnung, Mila?" Fragte er, während er sich ebenfalls eine Tasse einschenkte.

Ich nickte und zwang mich, einen Schluck Kaffee zu nehmen. "Ja, alles gut. Ich denke, ich brauche einfach ein wenig Zeit für mich heute", ich konnte fühlen, wie Lucias Blick auf mir ruhte und es fiel mir schwer, meinen Puls zu beruhigen. Lucio wirkte besorgt, doch er sagte nichts weiter.

Das Gespräch am Tisch war flüchtig, oberflächlich. Die Barãos erwähnten den bevorstehenden Ball in Portugal, zudem wir allesamt eine Mission hatten. Doch deren Mission wird sich anders verlaufen, sobald ich verschwinden werde. Ich blickte kurz über meine Schulter und bemerkte die stechenden Blicke der angeblichen Mitarbeiter. Meine Gedanken waren bereits woanders - in Mexiko, bei meiner Mutter, die von Fabrice und seinen Verbündeten bedroht wurde.

Der Frühstückstisch war ein Ort der Gespräche, des Lächelns und der oberflächlichen Höflichkeit, doch für mich war er heute ein Schlachtfeld. Jeder Satz, jedes Lächeln fühlte sich an wie ein weiterer Schritt auf dem schmalen Grat, der meine Entscheidung von Entdeckung trennte. Die Barãos redeten von ihrer Mission, doch meine Gedanken waren woanders. Ich musste jetzt stark bleiben, durfte keine Anzeichen von Nervosität oder Zweifel zeigen.

Lucio sah mich erneut an, sein Blick ruhte etwas länger auf mir, als er es sonst tat. Es war, als würde er spüren, dass ich etwas verbarg. Sein Vertrauen war tief, doch ich wusste, dass es Risse bekommen würde, sobald er die Wahrheit erfuhr.

"Der Ball in Portugal wird wichtig", sagte Mason.

Lucio lächelte, doch ich sah das leichte Zögern in seinem Gesicht. Er sah mich an, als wolle er meine Meinung erfragen, doch ich konnte ihm nicht die Wahrheit sagen. Ich zwang mich, zu nicken und zwang ein Lächeln auf mein Gesicht.

Doch auch Tiago bemerkte meine Unsicherheit und bemusterte mich ebenso mit einem durchdringenden Blick. Der einzige Weg, das alles zu überstehen, war, mich zusammenzureißen und den Tag so normal wie möglich zu gestalten.

Nachdem das Frühstück beendet war, standen die Barãos auf und die Camorra auf, um sich zu verabschieden. Sie würden heute abreisen, zurück nach Portugal und Italien, um ihre Vorbereitungen für den Ball zu treffen. Ich verabschiedete mich von ihnen mit einem höflichen Lächeln und einem leichten Kuss auf die Wange, als sie mich umarmten.

"Wir werden uns in Portugal antreffen", sagte Zélia, nachdem die Camorra und die Barãos zu ihren Fahrer gingen.

Als die Barãos und die Camorra die Villa verlassen hatten, fiel eine merkwürdige Stille über das Haus. Lucio drehte sich zu mir um, seine Augen durchdringend. "Du wirkst heute abwesend", bemerkte er leise. "Alles in Ordnung?"

Ich konnte seinem Blick kaum standhalten, doch ich musste. "Ja, Lucio. Es ist nur ich denke, ich brauche heute wirklich ein wenig Zeit für mich", ich sah ihn mit einem schwachen Lächeln an und hoffte, dass er die Lüge nicht bemerkte.

"Ich möchte einfach ein wenig in die Stadt gehen, allein. Es ist nichts Ernstes", meine Stimme klang ruhig, doch innerlich schrie alles in mir.

Lucio zögerte, doch er nickte schließlich. "In Ordnung, Mila. Allerdings wirst du begleite", ich fuhr meine Handfläche zu meinem Nacken und sah ihn an. "Die Mitarbeiterin könnte mitkommen", ich sah zu der Frau, der ich am liebsten ermorden könnte.

Er überlegte und sah sie an. "Sie arbeitet für das Haus und nicht als deinen Personenschützer", er erhob seine Braue und blickte sie an. "Ist in Ordnung", gab er sich geschlagen.

Ich stand in der Eingangshalle mit ihm, die Sonne warf warme, orangefarbene Lichtstreifen durch die hohen Fenster und ließ den Marmorboden glänzen. Mein Herz hämmerte in meiner Brust, als ich Lucio gegenüberstand, seine Augen auf mich gerichtet, voller Sorge und Fragen, die ich nicht beantworten konnte. Er wusste, dass etwas nicht stimmte, auch wenn ich ihm immer wieder gesagt hatte, dass alles in Ordnung sei.

Ich spürte, wie meine Beine schwer wurden, als ich ihm näher kam. Jeder Schritt fühlte sich an wie der letzte in einem Leben, das ich bald hinter mir lassen würde. Mein Atem ging flach und in meinem Inneren tobte der Kampf zwischen dem Wunsch zu bleiben und der Pflicht, zu gehen.

"Lucio", flüsterte ich, als ich schließlich vor ihm stand. Meine Hand hob sich, als wäre sie fremdgesteuert und strich sanft über seine Wange. Seine Haut fühlte sich warm an, so vertraut und doch so fern. "Mach dir keine Sorgen um mich. Ich denke soeben viel über meine Vergangenheit wieder nach."

Er runzelte die Stirn, seine Augen suchten verzweifelt nach einer Antwort in meinem Gesicht. "Warum klingt das wie ein Abschied?“

Ich konnte es ihm nicht sagen. Ich konnte ihm nicht erklären, was ich tun musste, um ihn und meine Mutter zu schützen. Also tat ich das Einzige, was ich tun konnte. Ohne zu antworten, lehnte ich mich langsam nach vorn. Meine Lippen trafen seine, sanft, zögernd, fast, als würde ich fürchten, dass der Kuss mich endgültig zerbrechen könnte.

Seine Hand legte sich auf meinen Rücken, zog mich näher zu ihm und für einen Moment vergaß ich alles - Fabrice, die Drohungen, die Dunkelheit, die mich erwartete. Es gab nur uns. Seine Lippen waren warm und ich spürte, wie mein Herz ein letztes Mal für ihn schlug, so stark, dass es wehtat.

Ich ließ meine Finger durch sein Haar gleiten, zog ihn noch ein Stück näher, während mein Herz in tausend Stücke brach. Der Kuss war sanft und dennoch voller all der unausgesprochenen Worte, die ich nie sagen konnte.

Schließlich löste ich mich, meine Stirn noch einen Moment an seine gelehnt, während ich tief einatmete. "Ich liebe dich. Wir werden reden, sobald ich wiederkomme", flüsterte ich, doch mir war es bewusst, dass ich vorerst nicht mehr sehen werde.

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