♤28♤
"Genießen? Das ist noch milde ausgedrückt. Diese Pizza ist ein Geschenk der Götter", entgegnete ich mit einem Augenzwinkern und nahm noch einen großen Bissen.
Lucio schüttelte wieder den Kopf, und ich konnte das Amüsement in seinen Augen sehen. Es war seltsam, ihn so entspannt und lässig zu sehen, in seiner Jogginghose und mit einem schelmischen Grinsen auf dem Gesicht. Ein scharfer Kontrast zu dem Bild, das ich von ihm als einem der mächtigen Feinde meiner Familie hatte.
"Du siehst aus, als hättest du seit Tagen nichts mehr gegessen", neckte er weiter, seine Augen blitzten vor Belustigung.
"Und das von jemandem, der Pizza auf einer Couch in einem Fünf-Sterne-Hotel isst", antwortete ich, wobei ich mir ein weiteres Stück schnappte. Es war merkwürdig befreiend, einfach hier zu sitzen, fernab von all den Intrigen und Bedrohungen, auch wenn nur für einen Moment.
Lucio legte seine Pizza zur Seite und sah mich nachdenklich an. "Weißt du, Mila, ich habe dich immer für eine unantastbare Rapunzel gehalten. Doch so wie du jetzt hier sitzt, Pizza isst und in Jogginghose – bist du fast menschlich", sagte er mit einem frechen Grinsen.
Ich verdrehte die Augen und konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. "Oh, danke! Fast menschlich? Das ist das beste Kompliment, das ich seit langem bekommen habe", gab ich sarkastisch zu.
Kurzzeitig herrschte Stille, bis wir die beiden leeren Kartons beiseitelegten. "Was ist mit deiner Familie?" Die Frage war von mir unüberlegt und direkt. Am liebsten hätte ich sie mir verkniffen, doch es war soeben zu spät.
"Meine Eltern leben zusammen in Miami, während ich die Geschäfte übernahm und mein Vater in Rente ging. Mein kleiner Bruder unterstützt mich und vertritt mich, sobald ich auf Geschäftsreise bin", erzählte er mir kurz und knapp.
"Dein Vater wäre nicht begeistert, wenn er wüsste–", doch Lucio unterbrach mich. "Meine Familie weiß, dass ich mit dir in Singapur bin. Ihnen entgeht nichts, vor allem wenn es sich um eine Frau handelt", die Röte stieg mir gewiss ins Gesicht.
"Morgen werde ich dir die Immobilienunternehmerin Yang Huiyan vorstellen und den Premierminister Lee Kuan-Yew. Yang und Lee sind sehr einflussreich in Asien und sind in alles verstrickt", erklärte er mir, wobei mir die Namen bekannt vorkamen.
"Es ist wichtig, seine Kontakte zu pflegen", fügte er hinzu. Aus ihm sprach der Geschäftsmann, wie ich ihn auf dem Maskenball kennengelernt hatte.
"Wir sollten für den Abend die Geschäfte beiseitelegen und stattdessen schlafen gehen", meinte er, woraufhin ich zustimmte.
Der Abend neigte sich allmählich dem Ende zu. Lucio und ich räumten die leeren Pizzakartons beiseite. Die Gespräche über unsere Familien und seine zukünftigen Pläne hatten eine seltsame Nähe geschaffen, die ich nicht erwartet hatte.
Demzufolge erledigte ich meine abendliche Routine und begab mich anschließend in das große Bett. In der Dunkelheit des Zimmers schloss ich meine Augen und ließ die Ereignisse der letzten Tage Revue passieren.
Die Flucht aus Mexiko, die ständige Angst, die Intrigen – all das lastete schwer auf mir. Der heutige Abend mit Lucio war eine willkommene Ablenkung gewesen, doch die Realität holte mich immer wieder schnell ein.
Meine Gedanken schweiften zurück zu meiner Familie, zu dem Leben, das ich zurückgelassen hatte. Es war beschämend, wie ich meinen eigenen Namen soeben als Last empfand. Ein Name, der einst mit Stolz und Ehre verbunden war, hatte sich in eine Bürde verwandelt.
Ich erinnerte mich an die Momente mit meinem Vater, seine sanften Worte und seine naiven Träume. Wie hätte er reagiert, hätte er die Wahrheit gekannt? Die Frage war schmerzhaft, und doch konnte ich nicht aufhören.
Der heutige Abend hatte mir gezeigt, dass auch Lucio nur ein Mensch war, trotz seiner mächtigen Stellung und seiner Verbindungen. Seine freundliche Fassade und seine humorvolle Art könnten ebenso gut Teil eines Spiels sein. Nett sein konnte jeder.
Während ich dort lag, verspürte ich die Einsamkeit stärker denn je. Die Stille des Raumes drückte auf mich ein und ich konnte hören, wie auch Lucio sich im Wohnzimmer hin und her wälzte. Je mehr ich über alles nachdachte, desto trauriger wurde ich. Das Leben, das ich einst besaß, war unwiederbringlich verloren.
Mit diesen Gedanken im Kopf versuchte ich, zur Ruhe zu kommen. Der Tag war anstrengend gewesen, und ich brauchte jede Kraft für das, was noch vor mir lag.
Langsam ließ ich die Erinnerungen verblassen und konzentrierte mich auf meinen Atem, der sich allmählich beruhigte. In der Dunkelheit fand ich schließlich ein wenig Frieden und hoffte, dass der nächste Tag mir Klarheit und Stärke bringen würde.
♤am Morgen♤
Der Morgen dämmerte sanft durch die Jalousien, ein schwaches Lichtspiel, das den Raum erhellte. Ich öffnete meine Augen langsam und spürte die wohlige Wärme des Bettes, das mich für einen Moment noch festhielt.
Ich stieg aus dem Bett und begann mich zu strecken. Die Berührung des warmen Bodens half mir, vollständig wach zu werden. Mit einem leisen Seufzer streckte ich mich erneut, um die Müdigkeit aus meinen Gliedern zu vertreiben.
Dann trat ich zum Fenster und ließ die Jalousien hochfahren. Die Skyline von Singapur erstreckte sich vor mir, beeindruckend und fremd zugleich. Es war eine Stadt, die ich kaum kannte.
Zudem machte ich mich für den heutigen Tag zurecht, duschte schnell und zog mir ein elegantes, dennoch dezentes Outfit an. Die Jogginghose des Vorabends war durch ein formelles weißes Kleid ersetzt worden.
Ich strich das Kleid glatt und trat aus dem Schlafzimmer. Ungewohnt war es durchaus, sich selbst zu stylen und keine Bediensteten um mich herum zu haben.
Doch als ich Lucio müde an der Kücheninsel mit einer Tasse sitzen sah, musterte ich ihn, wie er mich. Er hob eine Braue in die Höhe und begutachtete mich im Kleid, im Gegensatz zur Jogginghose, die er gewechselt hatte.
"Ich glaube, du besitzt nicht allzu viele Jogginghosen", ich bestätigte seine Aussage. Allein durch meinen ehemaligen Beruf konnte ich mir keine zu bequemen Kleidungsstücke leisten, da diese bei einer Redaktion nicht gut ankommen würden.
"Auch wenn du hübsch aussiehst, hast du mir in lässigen Klamotten ebenfalls gefallen", ich zog meine Augenbrauen zusammen. "Deine Komplimente steigern sich", lachte ich auf und nahm an der Kücheninsel Platz.
Lucio sah zu seiner Tasse hinab, während die Kücheninsel mit dem Frühstück gedeckt war. "Ich weiß, dass wir uns noch nicht allzu gut kennen und wir einen Familienkrieg hatten. Dennoch muss ich wissen, was deine nächsten Pläne und Schritte sind. Ich vertraue dir noch nicht ganz, genauso wie du mir noch nicht vertrauen kannst." Lucios blaue Augen blickten auf mich und versuchten, mich zu lesen.
"Du hast mir ein Bündnis angeboten und das Bündnis würde ich eingehen wollen", erklärte ich ihm. "Sagst du das nur, weil du auf der Flucht bist und ich dich beschützen kann?" Auch wenn es den Anschein macht, stimmte sein Gedanke nicht.
"Ich benötige keinen Schutzschild", zischte ich, doch mein Ego war zu groß, um ihm die Wahrheit zu sagen. "Am vorgestrigen Abend hatte ich ein Abendessen mit der Camorra und mit den Barãos", fügte ich hinzu, während Lucio aufmerksam zuhörte.
"Sie wollen nicht nur Europa und Amerika oder Australien, sondern sie wollen globale Geschäfte abwickeln", Er stellte seine leere Tasse vor sich hin und sah zu mir auf. "Wie wäre die Provision?" Fragte er geschäftlich. "5 % bis 10 %."
"Mein Plan ist es, mit dir ein Bündnis einzugehen, um global den Markt zu beherrschen. Selbst du meintest, dass wir ein unschlagbares Team sein würden", er fuhr sich durch die Haare.
Lucio lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. Sein Gesichtsausdruck war ernst, doch das Glitzern in seinen Augen verriet die Herausforderung, die er liebte. "Lass uns ehrlich sein, Mila. Vertrauen ist in unserem Geschäft so rar wie ein reiner Diamant."
Ich hielt seinem intensiven Blick stand, meine Stimme fest. "Mein Vater hat mir seine Geschäfte anvertraut, da er etwas in mir gesehen hat. Ich bin diejenige, die auch ohne die Unterstützung der eigenen Familie Unmögliches schafft."
Lucio musterte mich aufmerksam, seine Augen wanderten prüfend über mein Gesicht. Dann trat er näher, seine Präsenz dominierend und unwiderstehlich. "Unmögliches, sagst du?" Seine Stimme war tief und jede Silbe schien dominierend zu sein.
Die Hitze und die Reize waren spürbar. Die Tatsache, dass ich eine intime Szene in der Vergangenheit mit meinen Gedanken über ihn hatte, machte es nicht besser. Es wäre keine gute Idee, sich auf dieses Spiel einzulassen, auch wenn die Versuchung vorhanden war.
"Wir sollten geschäftlich bleiben", sagte ich und sah ihm direkt in die Augen, doch er hingegen schmunzelte. Er stand auf und trat unerwartet hinter mich, wobei er eine Haarsträhne hinter mein Ohr klemmte.
"Einverstanden, Senhora Cortes. Wir gehen ein Bündnis ein, solange wir mit offenen Karten spielen und uns vertrauen können. Kannst du mir denn vertrauen?" Flüsterte er mir ins Ohr, was meine Haut zum Elektrisieren brachte.
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