Kapitel 15: Familie (1.701)
Mittlerweile ist schon wieder einige Zeit vergangen, seit Jungkook tatsächlich zugestimmt hat, mit mir eine Beziehung einzugehen. Er zugestimmt hat, dass wir zusammen dieses für uns beide unbekannte Gefühl kennenlernen.
Das Ganze wird mir erst jetzt so richtig klar, wo er mit Jin das Krankenzimmer verlassen hat, aufgrund von Untersuchungen und wegen der Reha.
Erst jetzt, wo ich vollkommen alleine bin, kommt mir wieder in den Sinn, auf was für ein Abenteuer ich mich damit eingelassen habe und irgendwas sagt mir, dass es kein Happy End geben wird.
Zudem kommt mir erst jetzt wieder in den Sinn, was für eine undurchdachte Idee das war, doch ich habe einfach nur auf mein Gefühl gehört und dieses hat mir gesagt, dass ich unbedingt mit Jungkook zusammen sein will. Dass ich ihn für immer an meiner Seite haben will.
Ich kenne ihn ja eigentlich erst seit zwei Tagen, doch er ist mir innerhalb dieser kurzen Zeit so sehr ans Herz gewachsen. Er ist dabei, mein kaltes Herz zu erwärmen. Er kitzelt so langsam mein eigentliches Selbst hervor. Er ruft den Menschen hervor, den ich so lange versteckt habe und erst wieder hervor holen wollte, sobald mein Vater endlich seine Schuld eingesteht und sich seiner Tat stellt, doch Jungkook verdient nur das Beste und mein besseres Ich ist nun einmal das, das ich früher war. Nicht dieser Macho. Nicht dieser gefühlskalte Arsch, der seine Mitmenschen nur ausgenutzt hat oder selbst ausgenutzt wurde, jedoch einfach nichts dagegen einzuwenden hatte, da er somit sein Ego pushen und alles aus seiner Vergangenheit vergessen konnte.
Dabei macht die Vergangenheit einen erst zu dem Menschen, der man ist.
Doch ich habe meine Vergangenheit und somit auch mich selbst versteckt.
Ich hab nicht nur mir, sondern auch allen meinen Mitmenschen, bis auf Jimin, immer etwas oder besser gesagt jemanden vorgespielt.
Jemanden, der ich eigentlich nicht bin.
Ich habe mich selbst verleugnet.
Doch nun, da ich Jungkook wohl von nun an jeden Tag sehen werde und von seiner Vergangenheit bescheid weiß, wird mir diese ganze Sache mit meinem Vater jedes Mal wieder ins Gedächtnis gerufen.
Zum einen ist das gut, da ich so die Person sein kann, die ich war und die ich sein will, jedoch überkommt mich auch jedes Mal ein schlechtes Gewissen wenn ich Jin und besonders wenn ich Jungkook sehe.
Mein Vater hat ihre Leben komplett zerstört.
Ich weiß, eigentlich habe ich persönlich nichts damit zu tun. Mein Vater war es ganz allein, der für diesen Unfall verantwortlich war, jedoch habe ich dennoch seither Gewissensbisse.
Ich sah ihn doch, wie er mitsamt einer ziemlich großen Reisetasche die Haustür ansteuerte.
In jener Nacht wurde ich wach, als ich hörte, wie mein Vater versuchte die Treppen runter zu schleichen.
Ich hatte schon immer einen ziemlich leichten Schlaf. Ich hätte meinen Vater damals aufhalten können. Es wenigstens nochmal versuchen können, ihn dazu zu überreden, sich der Polizei zu stellen und die Verantwortung zu übernehmen.
Doch nein. Ich tat nichts, sondern schlich ihm einfach hinterher und sah dabei zu, wie er das Haus verließ. Wie er das Leben von mir und meiner Mutter verließ. Wie er einfach vor seiner Verantwortung davonlief und somit nicht nur Jungkook's Familie, sondern auch seine eigene zerstörte.
Ein Klopfen an der Krankenzimmertür reißt mich aus meinen Gedanken und ich dachte schon, Jimin würde kommen, doch stattdessen kommen Doktor Jung und Doktor Jeon herein. Das jedoch ohne Kookie.
„Wo habt ihr denn Jungkook gelassen?" frage ich deshalb verwirrt. „Er ist bei einer Untersuchung, bezüglich seines Beines." beantwortet Jin und setzt sich auf das Bett seines Bruders, während sein Kollege mich und mein Bett ansteuert. „Na? Wie geht es Ihnen denn heute, Herr Kim?" „Ich fühl mich eigentlich ganz gut." beantworte ich wahrheitsgemäß seine Frage. „Das ist gut. Sind Sie bereit für eine Untersuchung?" Diese Frage nicke ich lediglich ab.
Als er mit der besagten Untersuchung fertig ist, lächelt er mich an und sagt: „Ihre Werte sehen mehr als gut aus, Herr Kim. Sie können morgen schon das Krankenhaus verlassen. Da sind Sie gerade noch rechtzeitig, um an dem Winterfest Ihrer Schule teilzunehmen." „Kein Bedarf. Wenn ich da morgen teilnehme, muss ich am Freitag ja auch aufräumen helfen. Können Sie mich nicht noch bis einschließlich Freitag krank schreiben? Oder wenigstens nur für Freitag?" frage ich eigentlich rhetorisch, da ich mir ziemlich sicher bin, dass Ärzte niemals nur ein Krankschreiben ausstellen, ohne dass wirklich ein expliziter Grund existiert.
Doch anscheinend habe ich da die Rechnung ohne Jung Hoseok gemacht: „Okay. Ich kann ja mal eine Ausnahme machen." Überrascht sehe ich ihn an, doch er schenkt mir nur ein Lächeln, ehe er mir dann so nah kommt, dass er mir in mein Ohr flüstern kann: „Womöglich werden Sie dieses Krankschreiben ja auch brauchen, sobald Jin mit Ihnen fertig ist." Als er den Namen von Jungkook's Bruder erwähnt, nickt er zu dem besagten, welcher auch schon während der Untersuchung einfach nur stillschweigend auf dem Bett seines Bruders saß und mich mit seinen Blicken durchbohrte, die ich bis jetzt noch nicht deuten konnte.
„Übertreib es nicht, Jin und viel Glück, Herr Kim." sagt Jung Hoseok noch, ehe er dann den Raum verlässt.
Direkt springt der Blondhaarige vom Bett auf und kommt zu meinem rüber. Er setzt sich so hin, dass er mir genau in meine Augen sehen kann. Sie strahlen irgendwas aus, was in mir das Gefühl erweckt, er könne bis auf den tiefsten Grund meiner Seele sehen und jedes noch so kleine Geheimnis, das ich mit mir rum schleppe, alleine dadurch lüften, dass er mir in die Augen sieht, weshalb ich schwer schlucken muss.
„W-Was..." setze ich an, doch werde von dem Blondhaarigen unterbrochen: „Was genau hast du mit meinem Bruder vor?" Überrascht weiten sich meine Augen, nach diesen Worten des Älteren. „W-Was?" „Ich will einfach nur wissen, was du mit meinem Bruder vor hast, also sag es mir. Vielleicht dachtet ihr, dass ich heute früh geschlafen habe, doch da habt ihr euch gewaltig geirrt, meine Lieben. Ich bin wach geworden, als du wach wurdest und konnte alles hören, was ihr gesagt habt. Also sag mir, ob du die Worte, die du heute früh zu meinem Bruder sagtest, ernst meintest."
Erneut schlucke ich schwer, ehe ich mit leiser Stimme ein „Ja" murmle. Dieser Blick von Jin schüchtert mich total ein und ich kann meine Stimme nicht einmal mehr ansatzweise so fest klingen lassen, wie ich eigentlich will. Mein Ja klingt viel zu unsicher, als dass es den Blondhaarigen überzeugen könnte, dabei meinte ich diese Worte von heute früh wirklich ernst.
„Ich hab dich nicht gehört." entgegnet der Arzt nur. „Ja! Ja, ich meinte diese Worte total ernst. Ich habe mich Hals über Kopf in Jungkook verliebt." bringe ich dann also endlich zustande, nur weil ich meine Augen zusammenkneife, um nicht länger seinen Blick zu sehen, ihn jedoch durchaus noch auf mir spüren kann.
Nur zögernd kann ich meine Augen langsam öffnen und sehe direkt in sein Gesicht, welches von einem sanften Lächeln geschmückt ist.
Also ohne Zweifel sehen die Brüder echt gut aus.
Jin sieht echt nicht schlecht aus, im Gegenteil. Er hat volle, leicht rosane Lippen und echt schöne, braune Augen, jedoch kommt er nicht einmal ansatzweise an mein Schneewittchen heran.
Er ist und bleibt doch einfach der Schönste im ganzen Land.
„Gut, das wollte ich doch nur hören, Taehyung. Willkommen in der Familie." sagt Jin dann und zieht mich in eine Umarmung, die ich leicht überrumpelt erst etwas später erwidern kann.
Familie
Ich weiß seit fünf Jahren nicht mehr, was genau eine Familie ausmacht.
Mein Vater ist abgehauen und meine Mutter verfiel daraufhin. Sie hatte kaum noch Zeit für mich, weil sie immer so lange wie möglich an der Arbeit war, um ihre Gedanken von der Person, die sie unendlich geliebt hat jedoch so verdammt enttäuscht hat (aka mein Vater) so gut es eben ging abzulenken. Jeden Mittwoch, also der Wochentag, an dem mein Vater uns verließ, traf sie sich irgendwo mit ihren Freundinnen und trank sich dumm und dämlich.
Nur einmal begegnete ich ihr, als sie betrunken nachhause kam, da ich etwas zu trinken brauchte.
Damals sagte sie zu mir, dass ich meinem Vater verdammt ähnlich sehe und ihre ganze Wut auf ihn, nur alleine durch mich hochkochte. An diesem Abend gab sie mir vor lauter Wut, Enttäuschung und Trauer auf meinen Vater eine Backpfeife, da sie sonst keinen anderen hatte, an dem sie ihre Gefühle auslassen konnte.
Am nächsten Morgen, als sie wieder daran dachte, was sie getan hatte, entschuldigte sie sich auch direkt bei mir und drückte mich an sich und gab mir einen Kuss auf meine Stirn.
Dennoch war das damals der Moment, in dem ich mein eigentliches Selbst komplett versteckte.
Ich konnte es nicht ertragen, dass ich meinem Vater so ähnlich war und noch immer bin. Und das nicht nur vom Aussehen, sondern auch von der Persönlichkeit her. Ich verschloss meine eigentliche Persönlichkeit, da ich nicht mit ihm verglichen werden wollte, auch wenn mein Aussehen es dennoch schaffte mit ihm verglichen zu werden. Doch dafür konnte und kann ich ja auch nichts. Ich bin nun einmal so geboren und so groß, dass ich eine Schönheits-Op machen würde, ist mein Hass auf ihn dann doch nicht, denn irgendwo ist und bleibt er nun einmal mein Vater. Die Person, zu der ich bis zu meinem vierzehnten Lebensjahr immer aufgesehen habe.
Jedoch distanzierte ich mich ab diesem Abend, an dem meine Mutter mich ohrfeigte, von ihr.
Es reichte schon, dass ich immer in den Spiegel sehen und an meinen Vater denken musste, deshalb wollte ich nicht auch noch meiner Mutter diese Umstände bereiten.
Da ich mich so sehr von ihr distanziert habe, fühlt es sich mittlerweile auch so an, als hätte ich keine Mutter mehr. Sie tat auch nichts dagegen, diese Distanz zu ihr, die ich ab diesem Abend zu ihr aufbaute, wieder zu löschen.
Ich meine, ich bin jetzt schon den dritten Tag hier im Krankenhaus und noch immer hat meine Mutter mich nicht besucht.
Ob sie überhaupt weiß, dass ich einen Autounfall hatte?
Wie dem auch sei, spüre ich erst jetzt in dieser Umarmung von Jin wieder den Hauch eines Familiengefühls und immer wenn ich bei Jungkook oder Jimin bin, ist es auch so.
Jimin, Jungkook und Jin sind von nun an meine Familie.
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