Ich habe mich heute also weiter daran gesetzt herum zu telefonieren.

Es ist mittlerweile später Nachmittag und ich habe ganz sicher in mindestens 15 Praxen angerufen.

Das ist immer so aufwendig, da man die ganzen Seiten nach Sprechstundenterminen durch scrollen muss und man nicht einfach zu jeder beliebigen Zeit anrufen kann.

Manche konnte ich nicht einmal anrufen, weil sie so bescheuerte Sprechzeiten haben.

Gleichzeitig musste ich mich heute Krank melden, da die meisten Psychologenpraxen am Nachmittag gar keine Sprechstundenzeiten an boten.

Hätte ich heute nicht endlich einen Termin in absehbarer Zeit bekommen, wäre ich mit Sicherheit irgendwann durch gedreht.

Doch gut. Im Gegensatz zu zwei Jahren Wartezeit, habe ich jetzt nur drei Monate zu warten.

Drei Monate und sieben Tage um genau zu sein.

Oder anders gesagt, 99 Tage.

99 Tage, bis ich meinen ersten Psychologentermin haben werde.

Obgleich ich eigentlich genervt sein sollte, da diese Wartezeit alles andere als angenehm werden würde, bin ich nunmehr erleichtert. Ich habe endlich einen Termin. Das ganze herum telefonieren hat sich gelohnt, denn ich habe endlich einen Termin und dazu noch einen, auf den ich kein ganzes verdammtes Jahr warten muss.

Ich habe einen Termin. Hurra!

Heute war garantiert der beste Tag seit langem. Dabei war das Telefongespräch mit der Sekretärin doch ziemlich seltsam.

"Leider haben wir erst im August wieder einen Termin frei."

"Das geht voll klar! Das ist perfekt!"

. . .

Ja danach war sie ziemlich sprachlos gewesen.

Natürlich bin ich ungeduldig. Aber ey, ich habe bis jetzt nur Termine mit Wartezeiten von über einem Jahr angeboten bekommen. Manche Psychologen meinten sogar sie hätten in den nächsten Jahren gar keine Plätze mehr frei und würden daher gar keine mehr vergeben. Natürlich freue ich mich da über drei Monate und zerquetschtes!

Doch jetzt wo ich endlich einen Termin habe, komme ich nicht darum herum zu befürchten, dass mir der Psychologe nicht glauben wird.

Nach den ganzen schlechten Erfahrungen mit anderen Psychologen und den negativen Erfahrungen durch mein Coming out, fällt es mir schwer nicht daran zu denken.

Noch immer glaubt mir ein Großteil der Leute nicht, denen ich davon erzählt habe. Oder aber sie checken es nicht, wollen mir aber auch nicht zuhören, wenn ich ihre Ansichten richtig stellen will.

Ich erinnere mich an die Reaktion meines Onkels, als mich die Freundin meines Opas geoutet hat. Er meinte ich sei "eine radikale Feministin".

Doch das bin ich nicht. Ich bin keine starke Frau, die die Normen Umstürzen will. Ich bin ein Typ, der im falschen Körper auf die Welt kam.

Dann labberte er noch weiter, von wegen wenn es heute keine Geschlechtsnormen mehr gäbe, warum ich transitionieren wollen würde.

Omg. Ich kann gar nicht anfangen wie falsch das ist.

Es gibt sehr wohl noch Normen und ich bin niemand, der will, dass diese verschwinden. Wie gesagt, ich bin keine starke Feministin. Omg.

Ich will, dass die Leute mich als Mann sehen. Mit allem was dazu gehört. Darum geht es doch gerade. Keine Frau würde sich alle paar Wochen freiwillig Testosteron initiieren. Natürlich nicht. Sie ist ja auch eine Frau!

Jdjdjdhd.

Wie sollte ich denn seiner Meinung nach ne krasse Feministin sein, wenn ich keine Frau sein will. Also schließt sich das net aus?!

Generell die Bezeichnung "du willst ein Mann sein" ist so falsch. Hier ein Text, den ich mal Ken-chin geschrieben habe, um ihm dies zu verdeutlichen (davor ging es noch darum, dass ich Angst habe, dass mir der Psychologe net glauben wird) :

Also es ist keine Entscheidung (wie du [& sehr sehr viele andere, bis jetzt alle mit denen ich gesprochen habe bis auf Mitsuya & dessen Kumpel, yk, der der auch trans ist] vielleicht denkst).
Ich habe mich nicht entschieden so zu sein & es ist auch nichts, dass ich tue, weil ich es will.
(Das ist schwer zu erklären omg).

Stell es dir in etwa so vor, als hättest du keine Beine. So. Du hast dein ganzes Leben gedacht, du würdest nie Beine haben und nie laufen können. Dann hast du aber eines Tages herausgefunden, dass es Prothesen gibt, die das möglich machen.

So. Jetzt wo du weißt, dass es Prothesen gibt, geht es dir scheiße. Denn du weißt, dass du sie momentan nicht hast und sie auch in naher Zukunft nicht haben wirst. Es ist ein medizinischer Notfall.
Du wirst depressiver je länger du auf nen Termin warten musst und die Wartezeiten sind übelst lang.

So. Du weißt jetzt also, dass dein Leben mit Prothesen endlich lebenswert wird. Jetzt brauchst du nen Psychologen, damit der dir ne Indikation gibt, damit du getestet wirst, ob Prothesen bei dir ne Möglichkeit sind.
Dann rufst du 20 Stück an und schreibst 30 anderen E-Mails und nichts passiert. Alle lehnen dich ab, weil sie darauf nicht spezialisiert sind.
Einer meinte er hätte nen Termin, aber erst in einem Jahr. Wie würdest du dich fühlen?

So. Jetzt stell dir vor du ruft bei ner anderen an. Die Leitet dich an jemand anderen weiter, weil sie gar keine Plätze mehr hat und dann hieße es, sie würden nur Leute nehmen, die noch nicht 18 sind. Sackgasse.

Okay nach dem 30. Telefongespräch landest du endlich bei jemandem auf ner Warteliste und darfst jetzt 3 Monate zerquetschtes auf nen Termin warten.
Währenddessen darfst du dir von Leuten Sachen anhören wie:
"Ohne Prothese hast du doch bis jetzt auch ganz gut gelebt."
& vor allem:
"Du willst die Prothese."

Nein. Du brauchst sie zum laufen. Du brauchst sie um schwimmen gehen zu können. Du brauchst sie, um nicht länger depressiv zu sein. Doch jetzt belächeln dich alle nur. Denn du brauchst die Prothese ja gar nicht. Du willst sie. Aber sie ist ja nicht notwendig. Warum lebst du nicht länger ohne? Warum kannst du nicht ohne zufrieden sein?!

Dann stell dir vor du kommst zum Psychologen und musst dich nun vor diesem rechtfertigen. Wenn er die Notwendigkeit darin nicht sieht, wird er dir die Indikation nicht ausstellen und du wirst auf ewig weiterhin im Rollstuhl sitzen.
Besser kann ich es nicht beschreiben.
Ich will das nicht. Ich brauche es.

Und deswegen habe ich scheiße Angst, dass mir der Psychologe nicht glaubt.

Ich sollte mich jetzt davon ablenken, sonst werde ich heute nicht mehr einschlafen können...