Freitag, der 03.09.2010
Heilige scheiße, die Freundin der festen Freundin meines Opas regt mich auf.
Wir waren heute essen gewesen, weil sie heute Geburtstag hatte und mir ging es schon lange nicht mehr so beschissen.
Essen zu gehen war schon schlimm genug, aber dann auch noch ihre dummen Kommentare ey.
Ich habe es zwar schon kommen sehen, aber heute haben ihre Kommentare eine ganz andere Ebene erreicht.
Ihr Mann und ihre zwei Kinder waren auch mit dabei gewesen. Die eine ist nur ein paar wenige Monate jünger als ich und der andere ist vor kurzem erst 13 geworden.
Aber das ist egal.
Jedenfalls habe ich einen Mojito getrunken statt irgendwas zu essen, da ich nicht noch mehr Kalorien zu mir nehmen wollte und irgendetwas brauchte, um diesen Abend herum zu bekommen.
Denn wie bereits erwähnt vergeht nicht ein Treffen mit ihr, bei welchem sie mich nicht triggert.
Letztens waren wir erst zusammen Billard spielen gewesen. Alles war auch gut, bis ihr Sohn mich ausversehen gedeadnamed hat.
Joa. Passiert halt.
Mich hätte das auch null gestört. Aber dann hat sie angefangen in einem ganz genervten Ton zu sagen, "Ja, dass passiert halt."
So richtig motzig.
Sie hat beinahe so getan als wäre ich eine Sekunde zuvor ausgeflippt und hätte ihren Sohn dafür angeschrien.
Aber warum sollte ich das tun? Es war ja nur ausversehen und er hat ja zuvor sein bestes getan gehabt, meinen richtigen Namen zu benutzen.
Sie dachte das vermutlich, weil ich ne Zeit lang sauer auf die Freundin meines Opas war, weil sie mich ständig gedeadnamed hat. Aber das war auch nur so gewesen, weil sie nichtmal versucht hatte meinen richtigen Namen zu benutzen und es einfach nicht akzeptieren wollte.
Komplett andere Umstände also.
Damals war ich schon angepisst gewesen.
Ja...
Ich wusste also im vornherein, dass heute nicht besser werden würde. Trotzdem bin ich mit gegangen. Immerhin war die Freundin meines Opas mit ihr befreundet und mein Opa hätte mich sicher gekillt, wenn ich nicht mit gegangen wäre.
Das ganze hat allerdings nicht halb so gut geklappt, wie ich mir das vorgestellt habe.
Irgendwie kam das Thema wieder auf meine Geschlechtsidentität zu sprechen und Gott hätte ich sie gerne in die Fresse geschlagen.
Ich habe das natürlich nicht gemacht. Ich habe mein bestes gegeben nett und freundlich zu sein und sie an zu Lächeln, als wäre alles in Ordnung.
Aber heilige scheiße. Die hat doch nicht mehr alle Tassen im Schrank.
Also es ging um ihren Neffen, welcher sich offenbar heute morgen bei ihr geoutet hatte. Er ist 18, also nur ein Jahr jünger als ich.
Jedenfalls war sie richtig akzeptierend. Sie hat ihn sofort in unserer Gegenwart richtig gegenderd und meinte auch so es war nur eine Frage der Zeit gewesen, bis er sich outen würde.
Dann allerdings kippte die Unterhaltung, weil sie es für angebracht hielt im Anschluss über mich zu reden und darüber, dass es bei mir vollkommen unvorbereitet kam.
A la sie glaubte mir noch immer nicht und dies war ihr auch sehr deutlich an zu sehen.
Ihre Tochter meinte dies käme davon, dass ich früher in einem Hip Hop Verein war.
Also sorry, aber ich war bis zur sechsten Klasse im Hip-Hop, weil es mir Spaß gemacht hat.
Außerdem war ich nicht mal der einzige Junge dort gewesen! Viele Typen haben dort getanzt. In meinem Alter und auch um einiges ältere.
Jedenfalls hat sie das dann nochmals als Grund dafür angeführt, weswegen es so überraschend kam.
Also offensichtlich darf ich absolut null Interessen haben, die auf irgendeine Art und Weise als feminin angesehen werden können.
Ihre Mutter meinte dann auch noch, dass ich ja kein Interesse an Fußball hätte und das ja der Männersport schlechthin sei.
Dann ging es darum, dass ihr Neffe schon immer kurze Haare hatte und an diesem Punkt wurde es mir schlichtweg zu viel.
"Hättest du mir etwa geglaubt, wenn ich mir schon früher die Haare abgeschnitten hätte?"
Ich war wohl etwas zu harsch gewesen, weil alle Unterhaltungen am Tisch sofort eingestellt wurden.
Gleichzeitig muss ich es so sarkastisch herüber gebracht haben, dass es sich schon sehr sehr bitter angehört haben muss.
Doch ich hatte es satt, dass alle anderen trans Männer von allen Leuten um mich herum akzeptiert wurden, nur ich nicht. Ich hatte es satt. Nur weil ich in ihren Augen zu weiblich war. Ja, zu weiblich. Zu weiblich und schwach.
Heute habe ich gelernt, dass ich die letzten Jahre scheiße Angst davor hatte mich lächerlich zu machen.
Ich hatte so große Angst davor von anderen als Freak angesehen zu werden, dass ich mich nicht einmal in die Männerabteilung der Kleidungsgeschäfte getraut habe.
Gleichzeitig habe ich mich in Schale geworfen, Make-up benutzt und Kleider getragen. Nicht, weil ich es gerne tat, sondern nur, weil ich dachte so gefalle ich anderen besser.
Denn ich fand so etwas attraktiv und wenn ich es an anderen attraktiv finde, sollten sie mich so für schöner halten und ich sollte so hinein passen.
Mein ganzes Leben lang wollte ich normal sein.
Langsam hat sich das allerdings geändert.
Von einem "Ich will einfach nur normal sein und tue alles dafür", weil ich Angst hatte alleine da zu stehen, hin zu einem "Warum bin ich nicht als Junge geboren? Warum hasst Gott mich so?"
Denn dann wäre ich normal.
Diese Realisation habe ich mir erst viel zu spät eingestanden.
Doch seitdem ich dies getan habe, habe ich so viele Kommentare bekommen von Leuten die meinten, ich konnte nicht trans sein, weil ich - in ihren Augen - in meiner Kindheit nicht männlich genug war oder gar selbst heute noch nicht männlich genug bin.
Ich weiß, ich rege mich hier jede zweite Seite über solche Kommentare auf, aber das mache ich auch nur aus einem bestimmten Grund.
Es ist meine größte Schwäche, die nie jemand herausfinden sollte.
Ich hatte sie all die Jahre lang versteckt gehalten, weil ich Angst davor hatte, sie offen Preis zu geben und ich wusste, würde ich mich outen, würde ich mich ihr stellen müssen.
Und jetzt, wo alle Leute so Freude dran haben, daran herum zu kratzen, würde ich mich am liebsten in meinem Bett unter der Decke verkriechen wann immer jemand so einen Kommentar von sich gibt.
Als ich also nach Hause kam, habe ich all meine weibliche Kleidung, welche sich noch im hintersten Eck meines Schranks befand in meiner Wut auf mich selbst und auf die Welt zerschnitten, zerrissen und verbrannt.
Ich habe alle Bilder von mir, in denen ich noch lange Haare hatte, weggeworfen.
Ich habe meine Ketten, die seit Monaten unberührt in meinem Schrank lagen alle Emma gegeben. Genau so wie mein ganzes Make-up und den restlichen Nagellack.
Alles pinke flog hochkant aus meinem Zimmer. Genau so wie ein Großteil der Liebesromane, die mir irgendwann einmal geschenkt worden waren und die Kuscheltiere, die ich noch aus meiner Kindheit hatte.
Alles flog in hohem Bogen aus meinem Zimmer. Ich wollte es alles nie wieder sehen.
Denn direkt nach dem Abendessen hatte ich mit meinem Opa über meine insecurities geredet. Und das hatte er gesagt:
"Dann zeig ihr, dass sie sich geirrt hat."
Heute Abend habe ich etwas für mich beschlossen.
Anstatt selbst Angst vor anderen und deren Reaktionen zu haben, werde ich jemand werden, der von anderen gefürchtet wird.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top