Spieglein, Spieglein
Poetry Slam
Ich schaue in den Spiegel und hasse mich
Ich gucke in den Spiegel und sehe mich nicht
Ich starre in den Spiegel und erkenne mein Gesicht nicht
Der Spiegel verschwindet vor meinen Augen und ich stelle fest:
Ich mag mich nicht
Es ist nicht schön, wenn man sich selbst nicht mag
Das könnt ihr mir ruhig glauben
Man darf sich selbst keinen einzigen Fehler mehr erlauben
Weil dann mögen einen auch die anderen nicht
Zumindest denkt man das
Weil man sich in diesen Momenten nur sehr schwer vorstellen kann
Dass jemand anderes etwas Besonderes sehen könnte
Etwas, was man selbst tagtäglich übersieht
Weil man all seine Fehler und Makel gegen die Stärken aufwiegt
Und das Gefühl der Hässlichkeit irgendwann überwiegt
Und ich schalte den Fernseher ein
Sehe all diese mageren Models
Denke an meinen eigenen Körper
Und schalte den Fernseher besser wieder aus
Wollte nie so sein wie ich jetzt bin
Und genau das ist doch das wirklich Traurige
Dass ich mich selbst vergesse
Mich beim Streben nach Perfektion verbiege
Weil ich meinen Wert an der Zahl auf der Waage messe
Die Zahl, die schon wieder viel zu hoch ist
Seit wann ist es so wichtig wie viel ich wiege?
Spieglein, Spieglein an der Wand
Will gar nicht wissen wer die Schönste ist im ganzen Land
Will nur gerne wieder in den Spiegel sehen
Ohne mich angewidert wegzudrehen
Und wenn ich noch etwas mehr abnehme?
Morgen einfach das Mittag wegfallen lasse?
Mir zum Frühstück nur einen Apfel nehme?
Am Nachmittag noch schnell laufen gehe?
In meinem Kopf rechne ich mir das alles ganz genau aus
Sodass ich einen Weg find
Die zwei Kilos zu verlieren
Damit ich es endlich wert bin
Und wisst ihr, was dann passiert?
Dann verliere ich nicht die Kilos, sondern die Beherrschung
Ich werde sowieso niemals so schlank sein wie die anderen
Also kann ich das Fasten auch gleich aufgeben
Und bin ich erst einmal in Schwung
Dann kommen mir auch all die anderen bösen Gedanken in den Sinn
Die ich gar nicht mehr denken wollte
Die ich eigentlich hinter mir lassen sollte
Wenn man einmal im Essrausch ist
Und sich dann nicht mehr mit den anderen misst
Fällt es schwer da rauszukommen
Weil man sich so gut fühlt dabei
So unbeschwert und relativ frei
Von all den negativen, selbstzerstörerischen Gedanken
Nur das beschämende Gefühl am Abend
Wenn man sich wieder zu fett fühlt
Wenn man wieder gequält wird von den Fragen
Wie: "Warum habe ich das nur getan?"
Und man es bereut so undiszipliniert gewesen zu sein
Und man am liebsten sofort rennen will zur Laufbahn
Oder mit dem Gedanken spielt sich den Finger in den Hals zu stecken
Dann erst merkt man, dass es das alles eigentlich gar nicht wert war
Spieglein, Spieglein an der Wand
Will gar nicht wissen wer die Schönste ist im ganzen Land
Will nur endlich mal verstehen
Warum Jungs das in anderen Mädchen finden was sie in mir nicht sehen
Warum bin ich nicht so hübsch wie all die anderen?
Wieso fehlt mir das, was die Jungs so jagen?
Vielleicht sollte ich mich echt mal fragen
Was falsch ist mit mir
Bin auf der Skala von 1 bis 10 mehr so bei der Vier
Wenn überhaupt
War immer eher so der Typ Mensch
Der an die inneren Werte glaubt
Wahnsinn, wo mich das hin gebracht hat
Bin nicht so die Art von Mädchen
Um die sich alle Jungen reißen
Bin eher so das graue Mäuschen das still daneben steht
Wenn sich die anderen aneinander schmeißen
Bin nicht die Art von Mädchen
Die verführen kann mit ihren Reizen
Und bis sich die Spreu trennt vom Weizen
Werde ich wohl doch alleine bleiben
Mir alleine das Wochenende vertreiben
Ohne Pullover von meinem Freund – wie alle anderen
Ohne Verabredung für Samstagnacht – wie alle anderen
Ohne jemanden der mich nachmittags zum Bahnhof bringt – wiealle anderen
Ohne jemanden der mir süße Texte schreibt – wie alleanderen
Ich hab doch was ich immer wollte
Bin ganz anders und einzigartig
Scheinbar so einzigartig dass es schon wieder abschreckend ist
Wie sehr ich das jetzt alles noch will ist wiederum fraglich
Spieglein, Spieglein an der Wand
Will gar nicht wissen wer die Schönste ist im ganzen Land
Sag mir nur, wie weit muss ich denn noch gehen
Bis ich endlich bin für jedermann hübsch anzusehen
Und ich fühle mich so unsichtbar
Alle um mich herum lachen, haben Spaß
Und ich sitze einfach nur so da
Komme mir so unbedeutend vor
Wen kümmert es, ob ich hier bin oder nicht?
Wer erinnert sich in zehn Jahren noch an mein Gesicht?
Wer wird mir schreiben, wenn wir alle eigene Wege gehen?
Wen von all den Leuten hier werde ich später noch wiedersehen?
Und wenn am Ende des Tages
Mein Kopf zu platzen scheint
Voll unausgesprochener Gefühle
Und man meine Pickel sieht
Und mein Mascara von Tränen verschmiert ist
Dann erst sehe ich wem wirklich etwas an mir liegt
Wer sich nicht von all den Oberflächlichkeiten blenden lässt
Und hinter die Fassade schaut
Wer nicht versucht mich in eine Schublade zu stopfen
Und mich an schlechten Tagen aufbaut
Wen keiner meiner Fehler mehr umhaut
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