Er benutzte die Dinge immer, bis sie ganz kaputt waren
Kurzgeschichte
Seine Worte drangen nur wie durch einen Schleier zu mir durch, gingen ins linke Ohr rein und aus dem rechten wieder heraus. Ich hörte ihm kaum zu, mein Blick war nur auf das Ziffernblatt seiner Armbanduhr gerichtet. Das Ticken des Zeigers passte nicht zur Geschwindigkeit seiner Worte, es war viel zu langsam. Gerade so, als wolle es die Sekunden besonders qualvoll in die Länge ziehen. Vielleicht war das Teil meiner Einbildung, doch viel wahrscheinlicher war es, dass der Grund für das doofe Ticken tatsächlich an seiner Uhr lag. Seit sie ihm letzten Sommer beim Baden ins Wasser gefallen war, schien sie nicht mehr ganz zu funktionieren, doch er hatte sich einfach keine neue kaufen wollen. Er benutzte die Dinge immer, bis sie ganz kaputt waren. Ich hatte mich stets gefragt, ob er zu sehr an ihnen hing, oder ob er lediglich zu faul war oder doch zu geizig?
Er redete noch immer, wollte einfach nicht aufhören zu reden, während der Zeiger auf seiner blöden, kaputten Uhr nur alle drei Sekunden tickte. Mein Herz jedoch schlug währenddessen doppelt so schnell, klopfte mir mit lautem Puls bis zum Hals.
Ich verstand gar nicht, warum er noch immer redete. Eigentlich war doch alles gesagt. Wir wussten beide, dass es nicht mehr lief zwischen uns. Das wussten wir. Und doch war er es, der nun hier vor meiner Tür stand, sich verlegen am Hals kratzte und nicht den Mut hatte, mir ins Gesicht zu blicken. Mir war schon klar, worauf sein ganzes dummes Gerede über ihn und mich und uns hinauslief. Es war mir schon klar gewesen, als er darauf bestanden hatte, zu mir zu kommen, und nicht anders herum. Das machte sich immer besser, wenn man eine Beziehung beenden wollte. Man konnte gehen, wie und wann es einem passte. Er war wirklich mit seiner Schrottkiste von einem Auto gekommen, dessen Motor immer so komisch brummte und dessen Sitze schon ganz schön abgenutzt waren. Die Scheibe am linken Fenster klemmte und das Radio funktionierte schon lange nicht mehr, doch ein neues wollte er nicht. Er benutzte die Dinge immer, bis sie ganz kaputt waren. Er würde sich vermutlich erst ein neues kaufen, wenn das alte völlig den Geist auf gab.
Ich hatte schon länger nicht mehr geantwortet und nur trüb vor mich hingestarrt. Ich sah ihm an, dass er langsam ungeduldig wurde, noch während er seinen letzten Satz beendete, holte er unauffällig sein Handy heraus und warf einenBlick auf das Display. Ein Wunder, dass er überhaupt noch etwas darauf lesen konnte, so zersplittert war die Glasschicht schon. Tiefe Kratzer zogen sich von oben bis unten über das alte Teil. Doch er wollte kein neues. Er benutzte die Dinge immer, bis sie ganz kaputt waren.
Als er Anstalten machte, wirklich und endgültig zu gehen, überkam mich plötzlich die Angst. Nur weil es bei uns nicht mehr so richtig lief, hieß das noch lange nicht, dass ich ihn nicht noch immer liebte. Zwei Jahre waren wir zusammen gewesen, zwei glückliche Jahre, einen Monat und dreizehn Tage. Ich stieg in sein dummes Gerede ein, um ihn noch etwas länger bei mir zu behalten. Ich redete so dummes Zeug, dass es mir fast zu den Ohren herauskam, doch er sah erleichtert aus. Ich würde ihm immer wichtig sein und er würde mir immer etwas bedeuten und es hatte einfach keinen Sinn mehr und es war das Beste für uns beide und wir würden ganz sicher Freunde bleiben. Gar nichts würden wir. Zur Verabschiedung umarmten wir uns, beide peinlich berührt und ungewohnt scheu. Ich hielt ihn etwas zu lange in meinen Armen, meine Finger krallten sich in sein ausgefranstes und löchriges Sweatshirt. Er hatte einen Haufen anderer, heiler Klamotten, aber dieses hier mochte er besonders, auch wenn es bei jedem Tragen mehr litt. Er benutzte die Dinge immer, bis sie ganz kaputt waren.
Ein letztes Mal vergrub ich flüchtig meinen Kopf in seiner Halsbeuge, versuchte den Geruch seiner Haare zu inhalieren, wie ich es so oft gemacht hatte, doch das vertraute Gefühl wollte einfach nicht kommen. Vielleicht hatte er ja sein Shampoo gewechselt. Erschöpft ließ ich ihn los, ließ ihn gehen.
Auch als er lange weg war, stand ich noch immer verloren im Hausflur herum, wusste nicht, wo aus, wo ein, wusste einfach nicht, was ich nun mit mir anfangen sollte. Eigentlich wusste ich gar nichts mehr. Zwei Jahre, einen Monat und dreizehn Tage lang war ich beschäftigt gewesen, mir ein Leben mit ihm aufzubauen und wusste nun gar nicht mehr, wie mein Leben vorher ohne ihn gewesen war. Ganz hilflos setzte ich mich hin und wusste nichts mit mir selber anzufangen. Was mochte ich ohne ihn? Was tat ich ohne ihn? Sollte ich ihn nicht lieber vorher nach seiner Meinung fragen? Ich wusste es nicht.
Wie gesagt, er benutzte die Dinge immer, bis sie ganz kaputt waren.
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